Transkript
KARDIOLOGIE
Neues zur Hypertonietherapie
Vom Salzersatz bis zur Vierfachpille
Bei der Bekämpfung der Hypertonie sind Ideen gefragt. Wie zum Beispiel eine Lebensstilmassnahme, die günstig ist, keine Nebenwirkungen hat und niemandem Verzicht abverlangt. Was nach Wunschvorstellung klingt, wurde zusammen mit anderen neuen Konzepten am virtuellen Jahreskongress der European Society of Cardiology (ESC) vorgestellt.
Ziel aller Blutdrucksenkungsmassnahmen ist unter anderem die Verhinderung eines Hirnschlags. Dass eine Lebensstilmassnahme hier erstaunlich effizient wirken kann, zeigte eine Studie, die an einer Hotline-Session am ESC-Kongress präsentiert wurde. Die Massnahme heisst Salzersatz, insbesondere der Ersatz von Speisekochsalz (NaCl) durch eines mit 75 Prozent Natriumchlorid und 25 Prozent Kaliumchlorid. Den Effekt dieser beiden Salzarten auf das Risiko für Hirnschlag, kardiovaskuläre Ereignisse, Mortalität und klinische Hyperkaliämie wurde in der Salt Substitute and Stroke Study (SSaS) untersucht. An diesem Versuch beteiligten sich je etwa 35 Personen aus 600 Dörfern in China, gesamthaft 20 995 Personen. Die Dörfer wurden 1:1 entweder in die Normalsalz- oder die Salzersatzgruppe randomisiert. Die Teilnehmer aus den Dörfern mit dem Salzersatz wurden angehalten, das neue Salz für alles zu verwenden, wofür sie auch das herkömmliche Salz gebraucht hatten. Es stand genügend zur Verfügung (ca. 20 g pro Tag und Person). Die Teilnehmer aus den Kontrolldörfern ernährten sich wie immer. Das Durchschnittsalter aller Teilnehmenden lag bei 65 Jahren, etwa die Hälfte waren Frauen. 73 Prozent hatten bereits einmal einen Hirnschlag und fast 90 Prozent eine Hypertonie in der Vorgeschichte. Während des fast 5-jährigen Follow-ups erlitten über 3000 Teilnehmer einen Hirnschlag, über 4000 verstarben, und über 5000 hatten ein schweres kardiovaskuläres Ereignis. Die Analyse ergab, dass unter dem Salzersatz das Risiko für einen Hirnschlag um 14 Prozent signifikant tiefer lag (Rate Ratio: 0,86; 95%-Konfidenzintervall: 0,77–0,96; p = 0,006) als unter dem herkömmlichen natriumreichen Speisesalz.
KURZ & BÜNDIG
� Eine reduzierte Speisesalzaufnahme senkt das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse und Hirnschläge.
� Kombinationspräparate mit tief dosierten Blutdrucksenkerkomponenten sind stärker wirksam als Monotherapien und haben nicht mehr Nebenwirkungen.
Auch die sekundären Endpunkte wie schwere kardiovaskuläre Ereignisse (nicht tödlicher Hirnschlag, nicht tödliches akutes Koronarsyndrom und vaskulärer Tod) waren in der Salzersatzgruppe um 13 Prozent signifikant reduziert, die Gesamtmortalität signifikant um 12 Prozent. Unter dem Salzersatz mit 25%igem Kaliumchloridanteil war das Risiko für Nebenwirkungen nicht signifikant erhöht, auch nicht jenes für eine klinische Hyperkaliämie. «Diese Studie liefert klare Evidenz dafür, dass mit einer günstigen und schnell realisierbaren Massnahme eine effiziente Hirnschlagprävention betrieben werden kann», so das Fazit von Studienleiter Prof. Bruce Neal, George Institute for Global Health, Sydney (AUS). Die Studie wurde zeitgleich mit ihrer Präsentation im «New England Journal of Medicine» publiziert (1). Studiendiskutant Prof. Bryan Williams vom University College London (GB) bezeichnete diese Studie als Meilenstein für die öffentliche Gesundheit, weil man erstmals habe beweisen können, dass eine Senkung der täglichen Speisesalzeinnahme zu einer Verringerung von schweren kardiovaskulären Ereignissen führe. Die bescheidene Reduktion des Natriumanteils um 25 Prozent mit Ersatz durch Kaliumchlorid mache die Intervention praktikabel, sonst wären die Teilnehmer nicht 5 Jahre in der Studie geblieben. Es sei jetzt an den Behörden, diese beeindruckenden Resultate in Form von Massnahmen zu implementieren, so sein abschliessendes Plädoyer.
Medikamentöse Optionen: Vierfachpille
Auch in der pharmakologischen Therapie sind Ideen gefragt, um die Adhärenz zu fördern. Diese ist bekanntlich schlecht trotz vieler verfügbarer Medikamente. Das habe laut Prof. Clara Chow, University of Sidney (AUS), verschiedene Gründe. Um ein Blutdruckziel zu erreichen, brauche es meist mehrere Antihypertonika, gleichzeitig gebe es vielerlei Bedenken bezüglich Nebenwirkungen, und zusätzlich existiere bei der Hypertonie eine gewisse Behandlungsträgheit. Möglichst einfache Strategien haben folglich die besten Chancen, diese Hürden zu überwinden, wie beispielsweise eine niedrig dosierte Vierfachkombination. Am ESC-Kongress wurde die doppelblind randomisierte und plazebokontrollierte QUARTET-Studie präsentiert, die den Effekt einer Kombina-
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KARDIOLOGIE
tion aus 4 je zu ¼ dosierten Antihypertonika als Startmedikation im Vergleich zu einer Monotherapie in Standarddosierung untersuchte. Die Vierfachpille bestand aus Bisoprolol 2,5 mg, Irbesartan 37,5 mg, Indapamid 0,625 mg und Amlodipin 1,25 mg. Als Kontrollmedikation wurde Irbesartan 150 mg eingesetzt. An der multizentrischen Studie nahmen 591 Patienten mit Hypertonie (≥ 140/90 mmHg therapienaiv [54%] oder > 130/85 mmHg unter Monotherapie [46%]) teil. Die Patienten waren durchschnittlich 58 Jahre alt und wiesen einen Body-Mass-Index von 31 kg/m2 auf. 300 von ihnen erhielten während eines Jahres die Vierfachkombination, 291 die Kontrollmedikation. Als primärer Endpunkt galt der durchschnittliche unbeaufsichtigte, automatische, in der Praxis gemessene systolische Blutdruck nach 12 Wochen. Sicherheit, Verträglichkeit, diastolischer und systolischer 24-Stunden-Blutdruck nach 12 und 52 Wochen sowie die Blutdruckkontrolle (< 140/90 mmHg) waren als sekundäre Endpunkte definiert. Nach 6, 12 und 26 Wochen erfolgte eine Überprüfung, bei der je nach Notwendigkeit ein zusätzliches Antihypertonikum eingesetzt werden konnte. Nach 12 Wochen lag der systolische Blutdruck in der Gruppe mit der Vierfachkombination signifikant um 6,9 mmHg tiefer als in der Monotherapiegruppe (95%-Konfidenzintervall: –4,9 bis –8,9 mmHg; p < 0,001). Der Blutdruck blieb bei 76 Prozent der Kombinationsgruppe < 140/90 mmHg, in der Kontrollgruppe war das bei 58 Prozent der Fall. Nach 52 Wochen zeigte sich mit 7,7 mmHg Unterschied zwischen den Studienarmen ein anhaltend ähnliches Bild (p < 0001), und unter der Kombination konnten 81 Prozent der Teilnehmer den Blutdruckzielwert von < 140/90 mmHg halten (vs. 62%). Die Art der Nebenwirkungen und deren Häufigkeit unterschieden sich in den beiden Studienarmen nicht signifikant (2). Obwohl in der Kontrollgruppe mehr Patienten weitere Antihypertonika benötigten und die Therapie öfter auftitriert wurde, war die Blutdruckkontrollrate unter der Vierfachkombination höher. Die Studie zeige, dass das Konzept, eine Therapie mit mehreren tief dosierten Antihypertonika zu beginnen, zu besseren Resultaten führe als die sequenzielle Standard-Step-up-Strategie. Das könne auch eine Zweieroder eine Dreierkombination sein, so das Fazit der Studienleiterin Chow. Zweier- und Dreierkombinationen zur stärkeren Kontrolle In der Praxis zahlt sich dieses Konzept aus, wie eine Studie mit Zwei- und Dreifachkombinationen zeigt, die am ESC- Kongress präsentiert wurde. Die offene, prospektive und multizentrische PRECIOUS-Studie wurde mit 450 neu diagnostizierten Patienten mit Hypertonie sowie mit Patienten mit unkontrolliertem Bluthochdruck durchgeführt. Die therapienaiven und die unter Mono- oder Zweifachtherapie schlecht kontrollierten Patienten wurden dem Zweifacharm zugewiesen, der eine Kombinationstherapie mit Perindopril 4 mg und Amlodipin 5 mg vorsah. Die unter Dual- oder Tripeltherapie schlecht kontrollierten Patienten erhielten die Dreifachkombination Perindopril 4 mg, Amlodipin 5 mg und Indapamid 1,25 mg. Wurde der Blutdruckzielwert damit nicht erreicht, konnte die Dosis in 4-Wochen-Intervallen auftitriert werden. Eine 24-Stunden-Blutdruckmessung wurde vor Beginn und am Ende der Studie durchgeführt. Nach 16 Wochen war der Blutdruck im Zweifacharm um durchschnittlich 16,1/10,8 mmHg gesunken (von 142,8/92,6 mmHg auf 125,1/80,8 mmHg). Im Dreifacharm betrug die Reduktion 21,8/13,5 mmHg (von 147,3/93,3 mmHg auf 124,2/79,0 mmHg). Die Unterschiede waren in beiden Studienarmen signifikant. 71 Prozent der Patienten erreichten einen normalen systolischen 24-Stunden-Wert, 45,6 Prozent einen normalen diastolischen 24-Stunden-Wert. Zu Studienende betrug die durchschnittliche Dosis im Zweifacharm Perindopril 6,4 mg/Amlodipin 6,5 mg und im Dreifacharm Perindopril 6,6 mg/Amlodipin 6,5 mg/ Indapamid 2,1 mg. Die Studie zeigt, dass mit Zwei- oder Dreifachkombinationen bei zuvor schlecht kontrollierten Hypertoniepatienten eine deutliche Blutdrucksenkung erreicht werden kann. Ausserdem scheint sich die Wirkung durch Kombination mit einem lang wirksamen Diuretikum im Dreifachstudienarm auch bei therapieresistenteren Patienten noch zu verbessern (3). s Valérie Herzog Quelle: Jahreskongress der European Society of Cardiology (ESC), 27. bis 30. August 2021, virtuell. Referenzen: 1. Neal B et al.: Effect of Salt Substitution on Cardiovascular Events and Death. N Engl J Med. 2021;385(12):1067-1077. 2. Chow C et al.: The effectiveness and tolerability of ultra-low- dose quadruple combination in treatment of hypertension – a multi-centre double-blind randomized controlled trial. Late breaking trials in hypertension, ESC Congress 2021, virtual. 3. Brguljan J et al.: Single pill combinations present a proven fast track in practice to reach the target blood pressure. E-poster presented at ESC Congress 2021, virtual. ARS MEDICI DOSSIER III | 2022 27