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KARDIOLOGIE
Influenzaimpfung: Herzkranken dringend ans Herz legen!
Empfehlungen zum Schutz vor der saisonalen Grippe
Patienten mit chronischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind in besonderem Masse gefährdet, bei einer Influenza schwere Verläufe zu erleiden oder zu versterben. Das Risiko für einen Herzinfarkt oder eine Hospitalisierung bei Herzinsuffizienz ist dann deutlich erhöht. Die Influenzaimpfung stellt deshalb einen wichtigen Pfeiler der Sekundärprävention dar. Kardiologen und Hausärzte sollten an einem Strang ziehen, was die Erhöhung der Impfraten bei «Herzkranken» angeht.
Ralf Dechend
In Deutschland empfiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO) am Robert-Koch-Institut die Grippeschutzimpfung jährlich als Standardimpfung für alle Personen ab 60 Jahren und als Indikationsimpfung bei bestimmten Risikogruppen, auch bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen und unabhängig vom Alter. Entsprechende Empfehlungen bestehen seitens des Bundesamts für Gesundheit (BAG) auch für die Schweiz, wobei die Altersgrenze für Gesunde hier bei 65 Jahren liegt. Die Influenzaimpfung ist ein Bestandteil der kardiologischen Prävention. Wie eine interessante Metaanalyse aus dem Jahr 2016 zeigte, beeinflusst sie die Reduktion von kardiovaskulären Ereignissen und Mortalität ähnlich stark wie die Blutdruck- und Cholesterineinstellung. Obwohl die Grippeschutzimpfung einen positiven Einfluss und damit eine lebensverlängernde Bedeutung hat, ist die Impfquote bei chronisch kranken Personen niedrig. Sowohl die hausärztliche als auch die kardiologische Versorgung ist hier in der Verantwortung, die Patienten auf die Bedeutung der Impfung hinzuweisen und darüber aufzuklären.
Hohes Risiko für schweren oder tödlichen Verlauf
Das Risiko, bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen schwere oder tödliche Verläufe der Influenza zu erleiden, ist besonders hoch. Eine grosse populationsbasierte Studie aus Grossbri-
MERKSÄTZE
� Das Risiko, bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen schwere oder tödliche Verläufe der Influenza zu erleiden, ist besonders hoch.
� Die Influenzaimpfung ist mit einer signifikanten Reduktion der Gesamtmortalität sowie des Risikos für Herzinfarkt und für schwere kardiovaskuläre Komplikationen assoziiert.
� Ein interdisziplinäres hausärztliches und kardiologisches Vorgehen ist zur Erhöhung der Impfquote von Herz-Kreislauf-Patienten nötig, die bei den unter 60-Jährigen besonders niedrig ist.
tannien mit über 141 000 Personen zeigt überzeugend, dass das Risiko für Influenzakomplikationen bei kardiovaskulären Erkrankungen um 42 Prozent und bei Atemwegserkrankungen um 89 Prozent erhöht ist. Bereits bei der grossen Influenzapandemie von 1918, der Spanischen Grippe, zeigte sich, dass die kardiovaskuläre Belastung 7 bis 10 Tage nach den Grippesymptomen für die meisten Todesfälle verantwortlich war und nicht, wie bisher angenommen, die Pneumonien. In den letzten Jahren haben viele Untersuchungen an den verschiedensten Orten der Welt übereinstimmend gezeigt, dass die kardiovaskuläre Mortalität, aber auch die Inzidenz von Herzinfarkten in der Influenzasaison erhöht ist. Eine prospektive kanadische Studie belegt, dass das Risiko für einen Myokardinfarkt in den 7 Tagen nach einer im Labor bestätigten Influenzainfektion um das 6-Fache erhöht ist. Diesen Zusammenhang bestätigte eine Metaanalyse, in der man ein 5,8-fach erhöhtes Risiko für einen Myokardinfarkt in den ersten 3 Tagen nach einer Influenzainfektion fand. Dabei gibt es verschiedene Mechanismen, wie das Influenzavirus kausal das Herzinfarktrisiko erhöht. Durch die Induktion der systemischen Inflammation, durch Zytokine und die Immunantwort kann eine akute Plaqueruptur hervorgerufen werden. Zudem können prothrombogene Trigger eine höhere Kapillardurchlässigkeit und eine endotheliale Dysfunktion auslösen. Eine weitere gefürchtete kardiale Komplikation durch eine Influenzainfektion ist eine Myokarditis. Diese kann entweder durch eine direkte Entzündung des Herzmuskels durch das Virus selbst oder indirekt über die systemische Entzündungsreaktion ausgelöst werden und selbst junge Menschen ohne Vorerkrankungen betreffen. Besonders problematisch ist die Influenzainfektion bei Herzinsuffizienz. So zeigen mehrere Studien, dass die Sterblichkeit und die Hospitalisierungsrate von herzinsuffizienten Patienten während einer Grippeinfektion deutlich steigen. Eine weitere Studie aus dem Jahr 2019 kam zu dem Ergebnis, dass eine Zunahme von Influenzafällen um 5 Prozent die Zahl der Patienten, die wegen dekompensierter Herzinsuffizienz stationär eingeliefert wurden, um 24 Prozent erhöhte. Eine der wichtigsten Komplikationen, die
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zu einer stationären Aufnahme bei Herzinsuffizienz führt, ist die Pneumonie. Diese kann als primäre Influenzapneumonie durch das Virus selbst, aber auch als bakterielle Pneumonie nach Superinfektion (meist durch Pneumokokken, aber auch durch Staphylokokken und Haemophilus influenzae) entstehen.
Reduziert die Influenzaimpfung die Mortalität?
Ob die Impfung kausal die Mortalität oder kardiovaskuläre Komplikationen und eine Verschlechterung der Herzfunktion verhindert, ist eine wichtige Frage. Vier grosse prospektive, randomisierte Studien werden zurzeit weltweit durchgeführt, in die Patienten mit Herzinfarkt oder Herzinsuffizienz eingeschlossen sind. Mit diesen Erhebungen soll untersucht werden, ob die Influenzaimpfung die kardiovaskuläre Mortalität und Morbidität reduziert. Die Ergebnisse einer grossen, 2012 publizierten Metaanalyse mit 292 383 Patienten aus 5 Studien konnten überzeugend zeigen, dass die Influenzaimpfung mit einer signifikanten Reduktion der Gesamtmortalität sowie des Risikos für Herzinfarkt und für schwere kardiovaskuläre Komplikationen assoziiert war. Somit ist eine Kausalität der Impfung aufgrund der überzeugenden Subgruppenanalysen der Impfstudien und der Pathophysiologie durchaus plausibel. Die Influenzaimpfung empfehlen auch nachdrücklich die europäischen kardiologischen Leitlinien und die Nationalen Versorgungsleitlinien zur Herzinsuffizienz und zur chronischen koronaren Herzkrankheit (KHK).
Verträglichkeit der Influenzaimpfung
Auch für Herz-Kreislauf-Patienten ist die saisonale Grippeimpfung gut verträglich. Gelegentlich kommt es zu Müdigkeit, leichten Kopf- oder Gliederschmerzen oder zu einer Rötung an der Einstichstelle. Es gelten keine besonderen Kontraindikationen für Herz-Kreislauf-Patienten. Nur bei fieberhaften Erkrankungen (≥ 38,5 °C) oder schwereren akuten Infektionen sollte man nicht impfen, die Impfung aber baldmöglichst nachholen. Die Impfung kann bereits ab Oktober beginnen. Etwa 14 Tage danach liegt ein vollständiger Impfschutz vor. Der Höhepunkt der Influenzainfektionen lag in den letzten Jahren eher im Februar und März – zum Jahreswechsel sollte schon ein Impfschutz vorhanden sein. Da das Influenzavirus sehr wandlungsfähig ist, wirkt der Impfschutz nicht langfristig. Der Impfstoff muss deshalb jährlich entsprechend der Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Februar neu zusammengesetzt, produziert und im Herbst erneut appliziert werden. Seit Kurzem kommen in Deutschland und auch in der Schweiz nur noch tetravalente (bzw. quadrivalente) Impfstoffe zum Einsatz, die den bestmöglichen Schutz für die jeweilige Saison bieten, aber eben nicht zu 100 Prozent schützen. Ein Grund für ein mögliches «Impfversagen» ist ein Mismatch zu den vorhergesagten Impfstämmen. Als weitere Ursache gilt: Viele «grippeähnliche» Erkrankungen werden im Winter nicht durch Influenzaviren, sondern durch andere Erreger verursacht. Dennoch verhindert die Impfung aufgrund der Häufigkeit der Influenzainfektionen viele Erkrankungsfälle und Komplikationen. Zwar kann es trotz Impfung zur Influenzainfektion kommen, der klinische Krankheitsverlauf ist dann aber häufig abgemildert und verkürzt.
COVID-19 und Influenzaimpfung
Seit dem Auftreten von COVID-19 hat die Influenzaimpfung eine besondere Bedeutung. Eine möglichst hohe Personenzahl, die leitliniengerecht gegen Influenza geimpft ist, entlastet in der Influenzasaison die Gesundheitssysteme. Bis anhin gibt es nur einzelne Fallberichte und kleine Serien von Patienten, die zeigen, dass eine Doppelinfektion mit Influenza und SARS-CoV-2 möglich ist und zu einer schweren Erkrankung führt. Eine kürzlich publizierte Studie aus den Niederlanden zeigte, dass die COVID-19-Inzidenz geringer war, wenn eine Influenzaimpfung vorlag. Eine wissenschaftliche Erklärung könnte das Konzept des «trainierten Immunsystems» liefern, das noch weiter erforscht werden muss.
Influenzaimpfung für Ältere
Eine aktuelle Entwicklung in der Impfstrategie betrifft eine besondere Zielgruppe, nämlich ältere Menschen. Betagte sind nicht nur anfälliger und gefährdeter für eine Influenzainfektion, sondern auch die Impfeffektivität ist bei Senioren um 15 bis 20 Prozent geringer als bei primär gesunden jüngeren Erwachsenen. Die STIKO empfiehlt deshalb bei über 60-Jährigen ab der Saison 2021/2022 einen inaktivierten, quadrivalenten Influenza-Hochdosisimpfstoff mit aktueller, von der WHO empfohlener Antigenkombination und 4-fach höherer Antigendosis. Die höhere Dosis provoziert eine stärkere Immunantwort und verbessert so die zum Teil geringe Wirksamkeit der bisherigen Influenzaimpfstoffe in dieser Altersgruppe. Gerade bei über 60-jährigen Herz-Kreislauf-Patienten ist abzuwägen, ob sie die höhere Antigendosis erhalten. Seitens des BAG besteht derzeit keine entsprechende Empfehlung für Hochdosisimpfstoffe bei Älteren.
Fazit
Die Influenzaimpfung ist wichtiger Teil der Sekundärpräven-
tion bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen und sollte unbedingt
verabreicht werden. Während der Influenzasaison gibt es
weltweit mehr Herzinfarkte, und es zeigt sich eine enge
Assoziation zu vermehrter Hospitalisierung sowie kardio-
vaskulärer Übersterblichkeit. Die Influenzaimpfung reduziert
Herzinfarkte, kardiovaskuläre Sterblichkeit und Hospitalisa-
tionen bei Herzkranken. Die Impfung schützt zwar nicht zu
100 Prozent, reduziert aber signifikant die Erkrankungsfälle
und führt zu milderen Verläufen, sollte es trotz Impfung zu
Influenzainfektionen kommen.
s
Prof. Dr. med. Ralf Dechend Experimental and Clinical Research Center (ECRC), Charité Campus Buch und HELIOS Klinikum Berlin Buch, Abteilung Kardiologie und Nephrologie D-13125 Berlin E-Mail: ralf.dechend@charite.de
Interessenlage: Der Autor hat keine Interessenkonflikte deklariert.
Dieser Artikel erschien zuerst in «doctors today» 8/2021. Die leicht bearbeitete Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.
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