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GASTROENTEROLOGIE
Patienten unter IBD-Therapie
Diese Nebenwirkungen sollten Sie kennen
Foto: vh
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Für Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (IBD) stehen inzwischen viele Pharmakotherapien zur Verfügung. Neben der erwünschten Wirkung können aber je nach Wirkstoff und Immunsuppression weitere Effekte auftreten, infektionsbegünstigende wie auch andere, die man kennen sollte. Für die infektionsbegünstigenden Nebenwirkungen stellte Prof. Stephan Vavricka, Zürich, an der United European Gastroenterology Week die neuen ECCO-Guidelines vor, an denen er selbst mitgeschrieben hat. Die weiteren Nebenwirkungen bei IBD-Therapien stellte Dr. Marcus Harbord, Imperial College London (UK), zusammen.
Prof. Stephan Vavricka Prof. Marcus Harbord
Zur Therapie von IBD gibt es viele Optionen: Aminosalicylate, topische Steroide, systemische Steroide, Vedolizumab, Methotrexat, Azathioprin/6-Mercaptopurin, Ciclosporin, Tacrolimus, Anti-TNF-Agenzien, Tofacitinib und Ustekinumab. Mit Ausnahme der Aminosalicylate und der meisten topischen Steroide haben die genannten Substanzen eine immunsuppressive Wirkung (1). Die damit behandelten Patienten sind damit immunkompromittiert und haben ein Risiko für opportunistische Infektionen. Während Calcineurininhibitoren wie Ciclosporin und Tacrolimus, TNF-αInhibitoren, Tofacitinib und Ustekinumab eine moderate bis schwere Immunsuppression erzeugten, hänge bei den anderen Substanzen die Schwere der Immunsuppression vom jeweiligen Wirkmechanismus, von der Dosis, dem Applikationsort und der Behandlungsdauer ab (1), erklärte Vavricka.
KURZ & BÜNDIG
� Bei mittelschwer bis schwerer Immunsuppression können Kombinationen mit anderen immunsupprimierenden Substanzen opportunistische Infekte begünstigen.
� Der Impfstatus sollte vor Beginn einer IBD-Therapie überprüft und angepasst werden.
� Totimpfstoffe können bei laufender immunsupprimierender Therapie verabreicht werden, für Lebendimpfstoffe muss die Therapie unterbrochen werden.
Budesonid
Dieses lokale Kortikosteroid gehört zu den sichersten IBD-Therapeutika. Der Grad der Immunsuppression ist gemäss ECCO-Guidelines tief, mit einer systemischen Immunsuppression ist ab Dosen von > 6 mg/Tag zu rechnen (1). In der Therapie der Colitis ulcerosa beispielsweise sind die weiteren Nebenwirkungen von oralem Budesonid gemäss einem Cochrane-Review auf Plazeboniveau, es induziert weder eine signifikante adrenale Suppression noch eine Verringerung der Knochendichte (2), dennoch sei laut Harbord eine Vitamin-D-Supplementierung angebracht.
Systemische Kortikosteroide
Systemische Glukokortikoide haben dagegen zahlreiche Nebenwirkungen, beispielsweise auf die Haut, die Augen, das Zentralnervensystem, den Gastrointestinaltrakt, die Knochen sowie metabolischer und neuropsychiatrischer Art. Aus diesem Grund muss die Dosis limitiert werden. Den Patienten soll laut Harbord empfohlen werden, Sport zu treiben und auf Alkohol zu verzichten. Eine Kalzium- und Vitamin-D-Supplementierung sei angebracht. Liege eine Osteopenie vor (T-Score: –1 bis –2,5) und betrage das 10-Jahres-Frakturrisiko gemäss FRAX-Rechner 20 Prozent, solle eine Bisphosphonattherapie begonnen werden. Bei einem bereits erfolgten Ermüdungsbruch, einer vorliegenden Osteoporose (T-Score < –2,5) oder einer Langzeit-Prednisolontherapie mit > 7,5 mg/Tag während > 3 Monaten seien ebenfalls Bisphosphonate angezeigt. Die Infektionsgefahr unter systemischen Glukokortikoiden ist erhöht, der Grad der Immunsuppression ist gemäss ECCO-Guidelines mittelschwer bis schwer bei Dosen von ≥ 20 mg während > 2 Wochen (1).
Aminosalicylate
Sulfasalazin und Mesalazin (5-ASA) würden von den ECCOGuidelines als nicht immunsuppressiv eingestuft und hätten
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auf dieser Ebene keinen systemischen, infektionsbegünstigenden Effekt (1), erläuterte Vavricka. Andere Nebenwirkungen gibt es bei dieser Klasse dagegen einige. Unter Sulfasalazin kommt es laut Harbord dosisabhängig zu Nebenwirkungen im Gastrointestinaltrakt, im Zentralnervensystem und hämatologischer Art. Eine Dosisreduktion kann hier die Lösung sein. Treten dagegen Fieber und Exantheme auf, muss eine Agranulozytose ausgeschlossen werden. Ein Viertel der Patienten vertrage die Therapie mit Sulfasalazin nicht, 90 Prozent davon tolerierten jedoch Mesalazin (3), so Harbord. Mesalazin ruft bei 10 Prozent der Patienten eine Diarrhö hervor, die sich aber in der Regel innert 8 Wochen legt. Bei 3 Prozent der Patienten verschlechtert sich die Colitis ulcerosa, hier muss die Therapie gestoppt werden. Das ist ebenfalls notwendig, wenn seltene (0,3%/Jahr) Überempfindlichkeitsreaktionen in Form von Pankreatitis, Perikarditis, Cholestase und Pneumonitis auftreten (3).
Thiopurine
Der immunsuppressive Antimetabolit Azathioprin wird unter anderem in der Therapie von Morbus Crohn und Colitis ulcerosa verwendet. Die ECCO-Guidelines stufen die Immunsuppression unter Azathioprin als mittelschwer bis schwer ein (1). Bei Dosierungen ≤ 3 mg/kg/Tag gilt die Immunsuppression als niedriggradig (1). Komme es zu Infekten, seien diese häufig durch das Zytomegalievirus, das Epstein-Barr-Virus oder das Varizella-Zoster-Virus verursacht, so Vavricka. Bei einer primären Epstein-Barr-VirusInfektion kann es zu einer hämophagozystischen Lymphohistiozytose bei Patienten unter Azathioprin kommen (1). Bei 10 Prozent der Patienten treten weitere Nebenwirkungen auf, dies meist im 1. Monat. Dazu gehören dosisunabhängige Nebenwirkungen wie Pankreatitis oder Malignitäten (nicht melanozytärer Hautkrebs [NMSC] Lymphom, Urothelkarzinome bei älteren Rauchern), was einen Therapiestopp erfordert. Dosisabhängige Effekte wie Knochenmarksuppression, Hepatotoxizität und Nausea können durch Dosisreduktion verringert werden (4). Letztere liessen sich auch durch Dosistitration, Dosisaufteilung oder die Einnahme mit den Mahlzeiten umgehen, so der Tipp von Harbord. Ältere Männer und junge Epstein-Barr-Virus-naive Patienten sollten kein Azathioprin erhalten.
TNF-α-Inhibitoren
Die Immunsuppression durch TNF-α-Inhibitoren stufen die ECCO-Guidelines als mittelschwer bis schwer ein. Patienten unter Kombinationstherapien mit verschiedenen TNF-αInhibitoren oder mit TNF-α-Inhibitoren und anderen immunsupprimierenden Substanzen wie Azathioprin, Methotrexat oder Steroiden haben ein erhöhtes Risiko für opportunistische Infekte insbesondere mit Pilzen und Legionella oder für Tuberkulose, so Vavricka (1). Neben der Immunsuppression sind bei einer Therapie mit TNF-α-Inhibitoren laut Harbord noch weitere mögliche Nebenwirkungen zu beachten: Reaktionen an der Einstichstelle (10%) und akute Reaktionen auf die Infusion innerhalb von 24 Stunden (5%). Verzögerte Hypersensitivitätsreaktionen bis 14 Tage nach der Infusion seien dagegen selten (< 0,5%). Bei Hautreaktionen (5%) kann die Therapie meist
weitergeführt werden, das Risiko für NMSC ist 1,5- bis 2-fach erhöht. Eine Autoantikörperbildung ist häufig (20%), eine Autoimmunerkrankung tritt dagegen selten auf (0,2%) (5, 6).
Vedolizumab
Der entzündungshemmende monoklonale Antikörper Vedolizumab ist selektiv, das heisst darmspezifisch immunsuppressiv ohne systemische Immunsuppression. Das Risiko für intestinale Infektionen ist gemäss Vavricka aber erhöht (1). In Bezug auf die nicht immunsupprimierenden Nebeneffekte sei Vedolizumab das sicherste Therapeutikum für IBD, so Harbord. In der GEMINI-Langzeitstudie über median 3,5 Jahre mit > 2000 Patienten mit Colitis ulcerosa und Morbus Crohn zeigten sich keine neuen Sicherheitssignale (7), und in der retrospektiven schottischen Kohortenstudie mit 440 IBD-Patienten lag die Rate an schweren Nebenwirkungen während des Follow-ups von 1 Jahr bei 15 pro 100 Patientenjahre (8). Theoretisch müsse aber mit einem erhöhten Risiko für Malignitäten infolge Verlust der T-Zell-Immunüberwachung bei Langzeitgebrauch gerechnet werden, räumt Harbord ein.
Ustekinumab
Auch der entzündungshemmende Interleukin-12/23-Hemmer wirkt gemäss ECCO-Guidelines mittelschwer bis schwer immunsuppressiv. Kombinationen mit anderen Biologika oder anderen immunsupprimierenden Substanzen wie Azathioprin, Methotrexat oder Steroiden könnten das Risiko für opportunistische Infektionen erhöhen (1), gibt Vavricka zu bedenken. Auf der nicht immunsupprimierenden Seite hätten in den Zulassungsstudien für Colitis ulcerosa und Morbus Crohn (9, 10) sowie bei Patienten mit Psoriasis keine vermehrten Nebenwirkungen und bislang auch kein erhöhtes Risiko für Malignitäten festgestellt werden können, so Harbord.
Tofacitinib
Der Januskinasehemmer Tofacitinib hat einige Nebenwirkungen. Er wird als mittelschwer bis schwer immunsupprimierend bezeichnet (1). Kombinationen mit anderen Biologika oder anderen immunsupprimierenden Substanzen wie Azathioprin, Methotrexat oder Steroiden können das Risiko für opportunistische Infektionen erhöhen (1), so Vavricka. Bei Patienten > 65 Jahre liegt das Risiko für eine Herpeszoster-Virus-Infektion bei 10 Prozent (11). Dagegen kann laut Vavricka nun aber etwas unternommen werden: Mit dem neuen, kürzlich in der Schweiz zugelassenen, hocheffizienten Herpes-zoster-Totimpfstoff (Shingrix®) ist bei > 50-Jährigen ein Impfschutz von 97 Prozent erreichbar (12). Die ECCO-Guidelines empfehlen daher die Herpes-zosterImpfung für alle Patienten mit immunsupprimierender IBD-Therapie (1). Neben der immunsuppressiven Wirkung führt Tofacitinib noch zu einigen anderen Nebenwirkungen. Dazu zählen die Myelosuppression oder die abnormale Leberfunktion, beides kann durch Dosisreduktion oder Therapieunterbruch verbessert werden. Über Fälle von gastrointestinaler Perforation gebe es ebenfalls Berichte, so Harbord. Patienten unter Therapie mit nicht steroidalen Antiphlogistika, Steroiden oder
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Checkliste zum Vermeiden von Nebenwirkungen bei IBD-Therapie
▲ Bei Patienten unter Sulfasalazin oder Mesalazin die Nierenfunktion überwachen
▲ Vor Beginn einer IBD-Therapie:
– Thiopurinmethyltransferase (TPMT) bestimmen
– Impfen gegen Hepatitis B, Herpes zoster, Influenza, humanpathogene Papillomaviren (HPV), Pneumokokken, COVID, Herpes simplex
– Ausschluss einer latenten Tuberkulose- und Hepatitis-B-Infektion
▲ Vor Beginn einer Biologikatherapie: Ausschluss einer latenten Tuberkulose- und Hepatitis-B-Infektion
▲ Vor Beginn einer Thiopurintherapie: Epstein-Barr-Virus-Status kontrollieren
▲ Bei 3-facher Immunsuppression, die TNF-α-Inhibitoren oder Calcineurininhibitoren enthält: Prophylaxe gegen Pneumocystis jirovecii
▲ Ivermectin, wenn Strongyloides-positiv (Serologie/Stuhl)
▲ Ernährungsempfehlung für Patienten unter TNF-α-Inhibitoren zur Prophylaxe einer Legionellen- oder Salmonelleninfektion: Verzicht auf unpasteurisierte Milch, Weichkäse, kaltes Aufschnittfleisch, Hot Dogs, gekühlte Pâté sowie rohe und nicht durchgekochte Eier, rohes und nicht durchgegartes Geflügel und Fleisch
▲ Hautkontrolle bei Patienten unter Thiopurinen und TNF-α-Inhibitoren
▲ Zervixscreening bei Patientinnen unter Thiopurinen
Quelle: M. Harbord/S. Vavricka, UEG Week 2021 virtual, mod. nach (13)
Quelle: United European Gastroenterology Week (UEG Week), 3. bis 5. Oktober
2021, virtuell.
Referenzen: 1. Kucharzik T et al.: ECCO Guidelines on the prevention, diagnosis,
and management of infections in inflammatory bowel disease. J Crohn’s Colitis 2021;16(6):879-913. 2. Sherlock ME et al.: Oral budesonide for induction of remission in ulcerative colitis. Cochrane Database Syst Rev. 2015;(10):CD007698. 3. Gisbert JP et al.: 5-Aminosalicylates and renal function in inflammatory bowel disease: a systematic review. Inflamm Bowel Dis. 2007;13(5):629-638. 4. Timmer A et al.: Azathioprine and 6-mercaptopurine for maintenance of remission in ulcerative colitis. Cochrane Database Syst Rev. 2007;(1):CD000478. 5. Mariette X et al.: Malignancies associated with tumour necrosis factor inhibitors in registries and prospective observational studies: a systematic review and meta-analysis. Ann Rheum Dis. 2011;70(11):1895-1904. 6. De Bandt M et al.: Systemic lupus erythematosus induced by anti-tumour necrosis factor alpha therapy: a French national survey. Arthritis Res Ther. 2005;7(3):R545-R551. 7. Loftus EV Jr et al.: Long-term safety of vedolizumab for inflammatory bowel disease. Aliment Pharmacol Ther. 2020;52(8):13531365. 8. Plevris N et al.: Real-world effectiveness and safety of Vedolizumab for the treatment of inflammatory bowel disease: the scottish Vedolizumab cohort. J Crohns Colitis. 2019;13(9):1111-1120. 9. Feagan BG et al.: Ustekinumab as induction and maintenance therapy for Crohn̕s disease. N Engl J Med. 2016;375(20):19461960. 10. Sands BE et al.: Ustekinumab as induction and maintenance therapy for ulcerative colitis. N Engl J Med. 2019;381(13):1201-1214. 11. Winthrop KL et al.: Herpes zoster infection in patients with ulcerative colitis receiving Tofacitinib. Inflamm Bowel Dis. 2018;24(10):2258-2265. 12. Lal H et al.: Efficacy of an adjuvanted herpes zoster subunit vaccine in older adults. N Engl J Med. 2015;372(22):2087-2096. 13. Beaugerie L et al.: Predicting, preventing, and managing treatment-related complications in patients with inflammatory bowel diseases. Clin Gastroenterol Hepatol. 2020;18(6):13241335.e2.
mit überstandener Divertikulitis solle Tofacitinib deshalb nicht gegeben werden. Auch bei Patienten mit hohem kardiovaskulären Risiko solle auf Tofacitinb wegen des möglicherweise erhöhten Risikos für thromboembolische Erkrankungen und Malignitäten verzichtet werden.
Zu beachten bei Impfungen
Bei Patienten, die unter einer immunsuppressiven Therapie, etwa mit Azathioprin oder TNF-α-Inhibitoren, stehen, ist die Impfantwort bei Influenza- und Pneumokokkenvakzinen reduziert. Muss ein Lebendimpfstoff verabreicht werden, wie beispielsweise gegen Gelbfieber, muss die Immunsuppression 1 bis 3 (4) Monate vorher gestoppt werden. Nach erfolgter Impfung kann die Therapie 1 Monat später wieder gestartet werden. Ein solches Vorgehen ist aber individuell abzuwägen (1). Die COVID-19-Impfung könnten und sollten dagegen alle Patienten unter Immunsuppressiva erhalten, denn die mRNA-Impfstoffe seien Totimpfstoffe und könnten ohne Pausieren der Therapie verabreicht werden, betonte Vavricka. Die Immunantwort kann jedoch tiefer ausfallen. s
Valérie Herzog
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