Transkript
PNEUMOLOGIE
COPD-Prognose
Exazerbationen vermeiden und erkennen
Zahlreiche Studien, die beim letzten Jahreskongress der American Thoracic Society (ATS) vorgestellt wurden, beschäftigten sich mit chronisch obstruktiven Lungenerkrankungen (COPD). Hier bestätigte sich die prognostische Bedeutung von Exazerbationen. Künftig können vielleicht Patienten mit schweren Verläufen mithilfe einer Bestimmung des Mikrobioms im Sputum identifiziert werden.
Selbst wenn COPD-Patienten nur eine schwere Exazerbation erleben, haben sie eine 40-fach erhöhte Wahrscheinlichkeit zu versterben: Das war das wichtigste Ergebnis einer Posthoc-Analyse der IMPACT-Studie. Diese Studie zeigte an über 10 000 symptomatischen COPD-Patienten, dass diejenigen, die mit 2 Bronchodilatatoren behandelt werden und dennoch unter Exazerbationen leiden, von einer Dreifachkombination profitieren: Patienten, die mit der Kombination aus Fluticasonfuroat (FF), Umeclidinium (UMEC) und Vilanterol (VI) behandelt wurden, erfuhren eine 34-prozentige Reduktion der jährlichen Rate an schweren Exazerbationen und eine 42-prozentige Reduktion der behandlungsbedingten Gesamtmortalität im Vergleich zu Patienten, die nur mit der Kombination aus UMEC/VI behandelt wurden (1). In einer Post-hoc-Analyse wurde jetzt das Risiko für die Gesamtmortalität während und nach einer mittelschweren oder schweren Exazerbation bei Patienten untersucht, die an der IMPACT-Studie teilnahmen (2). Insgesamt erlebten 42,5 Pro-
KURZ & BÜNDIG
� Exazerbationen bei einer COPD sind ein wichtiger prognostischer Faktor.
� Eine einzige schwere Exazerbation zieht ein 40-mal höheres Risiko zu versterben nach sich.
� In einer Beobachtungsstudie mit Daten von 1,55 Millionen amerikanischen COPD- Patienten führte eine mittelschwere Exazerbation in einem Zeitraum von 5 Jahren zu einem erhöhten Risiko, zu versterben und künftig schwere Exazerbationen zu erleben.
� Die Vermeidung von Exazerbationen ist deshalb ein wesentliches Behandlungsziel.
� Derzeit fehlt es an spezifischen Biomarkern, um die Ätiologie einer Exazerbation zu erkennen und gezielt therapieren zu können.
� Eventuell kann eine Bestimmung des Mikrobioms im Sputum künftig diese Aufgabe erfüllen.
zent der Patienten unter der Behandlung eine moderate und 11,4 Prozent eine schwere Exazerbation. Während in der exazerbationsfreien Zeit kardiovaskuläre Todesursachen am häufigsten registriert wurden, starben die Patienten während der Exazerbation überwiegend aus respiratorischen Gründen. Moderate Exazerbationen erhöhten das Risiko für die Gesamtmortalität während einer Exazerbation nicht signifikant. Im Gegensatz dazu stieg dieses Risiko während eines schweren Exazerbationsereignisses um das 41-Fache im Vergleich zur exazerbationsfreien Periode und sank danach auf Werte, die sich nicht signifikant von der Basisperiode unterschieden. «Das zeigt uns, dass schwere Exazerbationen für das Mortalitätsrisiko bei diesen Patienten verantwortlich sind», erklärte Prof. Manoj J. Mammen aus Buffalo (New York/USA). Deshalb ist seines Erachtens die Prävention einer Exazerbation ein wesentliches Ziel der COPD-Behandlung.
Bereits eine mittelschwere Exazerbation erhöht die Sterblichkeit deutlich
Auch die Analyse von Praxisdaten zeigt die Bedeutung von Exazerbationen für das künftige Los von COPD-Patienten (3). In der grossen Beobachtungsstudie HERA-II werden Informationen von 1,55 Millionen amerikanischen COPDPatienten, die im Medicaid- und Medicare-System versorgt werden, zu Exazerbationen und zur Inanspruchnahme von medizinischer Versorgung gesammelt. Für die Ermittlung der Sterberaten wurden Daten der ETHOS-Studie herangezogen. In der Analyse zeigte sich, dass das Sterberisiko in einem 5-Jahres-Zeitraum mit jeder zusätzlichen Exazerbation zunimmt: Es betrug 9,9 Prozent bei Patienten ohne Exazerbation, 15,2 Prozent bei 1 mittelschweren Exazerbation, 18,1 Prozent bei ≥ 2 moderaten Exazerbationen, aber keiner schweren Exazerbation und 42,6 Prozent bei ≥ 1 schweren Exazerbation. Ein ähnlicher Zusammenhang bestand beim zusammengesetzten Endpunkt schwere Exazerbation und/oder Tod: Das Risiko, diesen Endpunkt zu erreichen, betrug bei Patienten ohne Exazerbationen 29,3 Prozent, bei 1 mittelschweren Exazerbation 49 Prozent, bei ≥ 2 moderaten Exazerbationen, aber keiner schweren Exazerbation 57,3 Prozent und bei ≥ 1
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schweren Exazerbation 77 Prozent. Die Autoren schlossen aus der Studie, dass das Mortalitäts- und das Morbiditätsrisiko bei COPD-Patienten selbst bei einer einzigen moderaten Exazerbation ansteigt (3).
Dringend gesucht: Biomarker für akute COPD-Exazerbationen
«Die akute Exazerbation bei der COPD ist eine heterogene Störung. Sie ist keine einzelne Entität, sondern setzt sich aus vielen verschiedenen Faktoren zusammen», erklärte Prof. Don D. Sin aus Vancouver (British Columbia/Kanada). Ätiologisch lassen sich diese Ereignisse in infektiöse, das heisst bakterielle und/oder virale (ca. 50–60%), und nicht infektiöse Auslöser, wie Lungenembolien oder mangelnde Compliance, einteilen. C-reaktives Protein (CRP) und das natriuretische Peptid B (BNP) oder NT-proBNP sind die am häufigsten beziehungsweise am zweithäufigsten bestimmten Biomarker bei einer akuten Exazerbation. Dennoch sind sie selbst in Kombination relativ unspezifisch, wenn es darum geht, eine akute Exazerbation von anderen Ursachen für Atemnot bei COPD-Patienten zu unterscheiden (4). Diesbezüglich wurden auch D-Dimere getestet, allerdings ebenfalls ohne Erfolg. Zumindest hat sich dieser Biomarker laut Ausführungen von Sin zum Ausschluss einer Lungenembolie als sehr wertvoll erwiesen: Bei Verwendung eines D-DimerSchwellenwerts von 500 µg/l zeigte sich, dass über einen Zeitraum von 3 Monaten die Patienten, deren Wert darunter lag, ein Risiko von 0,94 Prozent für eine venöse Thromboembolie hatten, während das Risiko von Patienten mit ≥ 500 µg D-Dimere pro Liter 9,4 Prozent betrug (5). Das CRP hat sich als hilfreich bei der Entscheidung für eine antimikrobielle Therapie erwiesen. Im ambulanten Bereich führte die CRP-basierte Entscheidungsfindung für oder gegen eine antimikrobielle Behandlung zu einer etwa 20-prozentigen absoluten Reduktion des Antibiotikaeinsatzes, verglichen mit dem üblichen Ansatz, der allein auf der klinischen Einschätzung basiert (6). Eine weitere Studie zeigte, dass der CRP-Wert zur Entscheidung für eine Antibiotikatherapie bei hospitalisierten COPD-Patienten mit akuter Exazerbation ebenfalls zu signifikant weniger Behandlungen mit Antibiotika führt als eine Entscheidung nach GOLD-Kriterien (Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease) (7). Deshalb sollten zur Diagnose einer akuten COPD-Exazerbation Werte für die Verschlechterung der Dyspnoe, Sauerstoffsättigung und Laborparameter wie CRP und ein Differenzialblutbild einbezogen werden (8).
Wie aussagekräftig ist die Bestimmung des Mikrobioms der Lunge?
Erst seit wenigen Jahren ist bekannt, dass selbst bei gesunden Personen die Lunge nicht steril ist. Zunehmend werden molekulare Testverfahren zur Identifizierung von Bakterien wie die 16S-Sequenzierung eingesetzt. Eine 16S-Sequenzierung des Mikrobioms aus dem Sputum von COPD-Patienten mit akuter Exazerbation am Tag 1 der Spitalaufnahme zeigte, dass Patienten mit ungünstiger Prognose ein spezifisches Mikrobiomprofil aufweisen (9). Das Risiko, innerhalb von 1 Jahr nach Spitalaufnahme zu versterben, war bei Patienten erhöht, denen Veillonella, ein normaler Kommensale im
Oropharynx und in der Lunge, fehlte. Eine ungünstige Pro-
gnose hatten dagegen Patienten mit positivem Staphylo-
kokkennachweis. Die schlechteste Prognose wiesen Patien-
ten auf, die Veillonella-negativ und Staphylokokken-positiv
waren. Eine hohe Diversität des Mikrobioms war dagegen
mit einer günstigen Prognose assoziiert.
Auch in Bezug auf die Identifizierung von Viren sah Sin zu-
künftiges Potenzial: «In Zukunft werden uns mehr moleku-
lare Tests für Viren zur Verfügung stehen, und wir können
dann nicht nur sagen, dass die akute Exazerbation durch ein
Virus verursacht wurde, sondern das genaue Virus identifi-
zieren und hoffentlich eine gezieltere Therapie gegen dieses
Virus entwickeln.»
«Biomarker werden dringend benötigt, um die Ätiologie einer
akuten Exazerbation zu erkennen und so eine gezielte Thera-
pie einleiten zu können. Derzeit sind CRP und D-Dimere
am vielversprechendsten. Aber in Zukunft werden wir mehr
molekulare Tests zur Verfügung haben, um akute Exazerba-
tionen zu phänotypisieren», so das Fazit von Sin.
s
Susanne Kammerer
Quelle: Sessions TP040, C008 und B027 bei der ATS 2021 International Confe-
rence, 14. bis 19. Mai 2021, online.
Referenzen: 1. Lipson DA et al.: Once-Daily Single-Inhaler Triple versus Dual
Therapy in Patients with COPD. N Engl J Med. 2018;378(18):16711680. 2. Mammen MJ et al.: Risk of all-cause mortality during and after severe exacerbations in patients with chronic obstructive pulmonary disease (COPD): Post hoc analysis of the IMPACT trial. ATS 2021, Abstract A2243. 3. Pollack MJ et al.: Prediction of 5 Year Severe Exacerbation and Mortality Risk by Baseline Exacerbation Status in the US-Application of the ETHOS Trial to a Real-World Analysis of COPD Patients. ATS 2021, Abstract A1133. 4. Chen YWR et al.: C-reactive protein and N-terminal prohormone brain natriuretic peptide as biomarkers in acute exacerbations of COPD leading to hospitalizations. PLoS One. 2017;12(3):e0174063. 5. Couturaud F et al.: Prevalence of Pulmonary Embolism Among Patients With COPD Hospitalized With Acutely Worsening Respiratory Symptoms. JAMA. 2021;325(1):59-68. 6. Butler CC et al.: C-Reactive Protein Testing to Guide Antibiotic Prescribing for COPD Exacerbations. N Engl J Med. 2019;381(2):111120. 7. Prins HJ et al.: CRP-guided antibiotic treatment in acute exacerbations of COPD in hospital admissions. Eur Respir J. 2019;53(5):1802014. 8. Kim V et al.: What is a COPD exacerbation? Current definitions, pitfalls, challenges and opportunities for improvement. Eur Respir J. 2018;52(5):1801261. 9. Leitao Filho FS et al.: Sputum Microbiome Is Associated with 1-Year Mortality after Chronic Obstructive Pulmonary Disease Hospitalizations. Am J Respir Crit Care Med. 2019;199(10):12051213.
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