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Probleme beim Stuhlgang
Was Ihren Patienten hilft
GASTROENTEROLOGIE
Viele Patienten leiden unter Problemen beim Stuhlgang. Die meisten gehen damit nicht zum Arzt, sondern therapieren sich selbst. Jene, die einen Arzt aufsuchen, werden nicht ausreichend behandelt oder nehmen die Medikamente nicht. «Fast alle wollen mit neuen Medikamenten behandelt werden, denn die alten kennen sie schon», monierte PD Dr. Henriette Heinrich, Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie, Stadtspital Triemli, Zürich, am 60. Ärztekongress von Lunge Zürich und zeigte auf, wie eine gute Abklärung aussieht und welche Therapiemöglichkeiten sich eröffnen.
Das Wichtigste sei, über den Stuhlgang zu reden, dieses Tabu zu brechen. Früher gehörte es zur Überlebensstrategie, seinen Stuhl zu vergraben. Denn so verbarg der Mensch sein Geruchsprofil und war für Raubtiere schlechter aufzuspüren. Die Erde blieb bis zum Mittelalter mit seinen Latrinen der Entsorgungsort, allerdings eher aus hygienischen Gründen. Später wurde dieses Geschäft immer mehr privat abgehalten, erst auf dem Nachttopf, dann auf der wassergespülten Toilette. Seit der «Privatisierung» ist der Stuhlgang schambehaftet, was auch zu Verzögerungen einer Diagnose bei Problemen führen kann. Probleme beim Stuhlgang sind für viele Menschen entweder normal im Rahmen des Alterungsprozesses oder im Vergleich zu anderen Erkrankungen unwichtig. Erst wenn die Beschwerden unerträglich sind und als bedrohlich empfunden werden, suchen die Menschen einen Arzt auf.
fragen. Auch psychiatrische Erkrankungen können einen Pruritus induzieren. Die Basisbehandlung bei Hämorrhoiden besteht aus dem Venentonikum Diosmin (Daflon®), das den Pruritus, die Blutung und die Sekretion reduziert. Eine Stuhlregulation bei hartem Stuhl verbessert zusätzlich die Blutung, auf den Prolaps hat sie dagegen keinen Einfluss. Die Anwendung von Salben ist bei Patienten beliebt, es gibt aber gemäss Heinrich keine Studien, die einen Nutzen für die Patienten zeigen. Bei therapieresistenten Hämorrhoiden kommen Gummibandligaturen oder eine Hämorrhoidektomie zum Einsatz. Es ist jedoch zu bedenken, dass für Pruritus oder Blut ab ano auch spezielle Situationen verantwortlich sein können. Dazu zählen beispielsweise Schwangerschaft oder chronisch entzündliche Darmerkrankungen, was eine rasche interdisziplinäre Behandlung erfordert.
Wenn̕s juckt
Ein juckender Anus kann beispielsweise sehr störend sein, die Gründe dafür sind vielfältig. Etwa 5 Prozent der Bevölkerung leiden darunter, mehrheitlich Männer über 60 Jahre. Häufigste Ursachen für einen Pruritus sind Hämorrhoiden; diese werden sichtbar, wenn man den Patienten pressen lässt. Abszesse, Fissuren oder Fisteln können auch ein Grund sein. Erstere lassen sich durch leichtes Spreizen des Analkanals, bei gleichzeitigem Pressen durch den Patienten, erkennen. Bei Fisteln kann ein Eiteraustritt durch die digitale Palpation erreicht werden. Andere Ursachen wie Karzinome, Präkanzerosen oder Hauterkrankungen wie zum Beispiel Psoriasis lassen sich mit der Inspektion meist gut erkennen. Infektionen, beispielsweise Geschlechtskrankheiten, sind weitere wichtige Differenzialdiagnosen. Hautfetzchen (skin tags), die am Anus häufig nach einer Mariskektomie oder Fissur entstehen, seien dagegen meist kein Grund für den Juckreiz am Anus, so Heinrich. Ein Juckreiz kann auch durch Stuhlunregelmässigkeiten entstehen, durch starkes Reiben mit Toilettenpapier oder durch die Verwendung von Feuchttüchern. Deshalb ist es laut der Gastroenterologin wichtig, nach den Stuhlgewohnheiten zu
Stuhlinkontinenz– eine Frage der Definition
Ein häufiges Problem ist die Stuhlinkontinenz. Etwa 9 Prozent der Gesamtbevölkerung leiden daran (1, 2). Der Einfluss auf die Lebensqualität ist enorm. Vitalität, Sozialleben wie auch die mentale Gesundheit sind gegenüber Personen ohne Stuhlinkontinenz signifikant eingeschränkt (3). Um eine Therapie beginnen zu können, muss das Problem auf die Ausprägung eingegrenzt werden: Ist der Darm zu schnell? Ist der Stuhl zu flüssig? Ist der Speicher zu klein? Spürt der Speicher zu viel? Ist der Sphinkter defekt? Stuhlinkontinenz ist auch eine Frage der Definition. Oft verstehen Patienten etwas anderes unter diesem Begriff als Ärzte. Dazu sind die Anzahl der Stuhlgänge pro Woche und die Stuhlform wichtig. Zwischen 3 und 14 Stuhlgängen gelten als normal (4), die häufigste «normale» Stuhlform auf der Bristol Stool Scale liegt zwischen 3 und 4.
Therapiemöglichkeiten bei Stuhlinkontinenz
Als Akuttherapie hilft Loperamid. Bei zu flüssigem Stuhl können Stuhlweichmacher und Binder die Situation entschärfen. Bei zu kleinem Speicher oder Sensibilitätsproblemen, beispielsweise nach Rektumresektion, lässt sich mit
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GASTROENTEROLOGIE
Abbildung: Bei der rechtwinkligen Sitzposition ist die Muskulatur (rote Schlinge) nur teilweise entspannt und schnürt das Rektum etwas ab (links), bei der spitzwinkligen Sitzposition ist sie ganz entspannt, wodurch das Rektum eine gerade Form erhält (rechs).
Loperamid der Ruhedruck des inneren Sphinkters steigern und die Sensibilität des Rektums reduzieren. Die Dosierung kann nach Bedarf bis auf 20 mg pro Tag gesteigert werden. Eine weitere Option ist Amitriptylin (20 mg, zur Nacht), das die Anspannung beseitigt und ebenfalls die viszerale Sensibilität herabsetzt. Zusätzlich zur medikamentösen Therapie werde auch gern Biofeedback eingesetzt, eine der bestuntersuchten Methoden mit dem grössten Nutzen, so Heinrich. Die sakrale Neurostimulation ist ebenfalls eine valable Methode; die tibiale Neurostimulation, die in der Praxis durchgeführt werden kann, ist aufgrund des hohen Plazeboeffekts dagegen sehr umstritten. Bei einer trotz allem persistierenden Stuhlinkontinenz ist auch an ein Gallensäureverlustsyndrom zu denken, vor allem bei cholezystektomierten Patienten. Ein Therapieversuch mit Colestyramin (2–6 mg/Tag) schaffe Klärung, so Heinrich. Wichtige Begleitmassnahmen sind Hautpflege und Einlagen wie auch Ernährungsberatung, gerade bei Patienten mit vermutetem diarrhölastigen Reizdarmsyndrom (5). Rektektomierte Patienten profitieren beispielsweise von morgendlichen Einläufen zur Entleerung des linken Hemikolons, was tagsüber ein längeres Zeitfenster ohne Inkontinenz ermöglicht.
Volkskrankheit Obstipation
Einer Verstopfung, an der bis zu 10 Prozent der Gesamtbevölkerung leiden, können mehrere Ursachen zugrunde liegen. Der Darm kann zu langsam oder der Stuhl zu hart sein, der Enddarm spürt nichts (z. B. wegen einer Operation), der Speicher kann zu gross (Megarektum) oder der Ausgang verlegt sein (z. B. durch Tumor, Rektozele), oder der Sphinkter öffnet sich nicht (funktionelle Entleerungsstörung). Mit folgenden Fragen kann herausgefunden werden, was das Problem ist: s Muss stark gepresst werden? s Ist der Stuhlgang zu hart? s Erfolgt eine unvollständige Entleerung? s Besteht ein Blockadegefühl? s Bestehen Blähungen? s Erfolgen < 3 Stuhlgänge pro Woche? s Muss manuell nachgeholfen werden?
In einer Studie wurden unter anderem diese Parameter bei 1149 Patienten abgefragt. 27,3 Prozent bezeichneten sich als verstopft in den vorangegangenen 3 Monaten, 15 Prozent erfüllten die Rom-Kriterien. Die meisten von ihnen beklagten sich über starkes Pressen und harten Stuhlgang (ca. 70–80%), aber weniger als die Hälfte über < 3 Stuhlgänge pro Woche (6). Das Empfinden des Patienten für die Schwere der Beschwerden stimmt häufig nicht mit der Einschätzung des Arztes überein. Um herauszufinden, wovon der Patient spricht, wenn er Verstopfung sagt, muss nach verschiedenen Fakten gefragt werden. Dazu gehören Frequenz, Konsistenz und andere Symptome, Einsatz von Laxanzien, Dauer des Problems (seit der Kindheit?, bei Frauen seit der Geburt des Kindes?), Vorerkrankungen, Sozialanamnese wie auch die Frage nach sonstigen Medikationen, die als Nebenwirkung zu einer Verstopfung führen können. Eine digital-rektale Untersuchung, eine Laboruntersuchung sowie die Information über eine bereits erfolgte Koloskopie vervollständigen das Bild. Die digital-rektale Untersuchung ist eine einfache, aber sehr aussagekräftige Methode, um das Vorhandensein von strukturellen Problemen zu klären. Damit lässt sich sehr sensitiv eine paradoxe Kontraktion entdecken wie auch die Normalität des analen Ruhedrucks, des analen Klemmdrucks und der Analmuskelspannung überprüfen (7). Bleibt die Ursache weiterhin unklar, kann eine Funktionsdiagnostik zu einer definitiven Diagnose führen.
Therapie
Bei obstipierten Patienten mit zu langsamem Darm oder zu hartem Stuhl können Stuhlweichmacher/Binder (Fasern, Quellmittel/PEG, Lactulose) oder prokinetische Laxanzien einzeln oder kombiniert Linderung bringen. Natruimpicosulfat (Laxoberon®) beispielsweise stimuliert nach bakterieller Spaltung im Kolon die Kolonschleimhaut und regt die Peristaltik an. Es induziert als Notfallmedikament eine Entleerung und ist kombinierbar mit anderen Stuhlregulanzien. Bei Sensibilitätsproblemen kann das Arsenal um Biofeedback mit speziellem Sensoriktraining ergänzt werden. Bei ausbleibendem Erfolg dieser kombinierten Massnahmen sind die neuen Prokinetika Prucaloprid und Linaclotid eine Option. Sie werden von den Patienten wegen ihrer Nebenwirkung (Diarrhö) geschätzt. Mit einem verlängerten Intervall zwischen den Verabreichungen (z. B. alle 2 Tage) könne die Kontrollierbarkeit des Stuhls etwas verbessert werden, so der Tipp der Expertin. Pflanzliche Mittel wie Feigensirup oder Zwetschgensaft sind oft sehr effektiv, jedoch schlecht erforscht. Bei multimorbiden Patienten mit langen Medikationslisten ist das sicher eine gute Option, ebenso der Weichmacher Sterculia (Normacol®), der auch bei Inkontinenz eingesetzt werden kann. Magnesium, das aufgrund seiner stuhlerweichenden Eigenschaft geschätzt wird, ist für den erwünschten Effekt nicht einfach zu dosieren, und es muss auch auf Elektrolytverschiebungen geachtet werden. Bei Patienten mit opiatinduzierter Obstipation kann der Versuch einer Dosisreduktion des Opiats oder einer Umstellung auf ein darmschonendes Opioid unternommen werden. Wenn das nicht möglich ist, können Macrogol (Movicol®, Moviprep®) oder Natriumpicosulfat zur Anwendung kom-
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men. Auch Einläufe können helfen. Chirurgische Massnah-
men sollten eher zurückhaltend eingesetzt werden.
Bei Patienten mit schwerer oder neurogener Obstipation kann
die transanale Irrigation, die sie nach eingehender Instruktion
selbst vornehmen, effektive Linderung verschaffen und die
Lebensqualität verbessern. Patienten, die sich das zutrauen,
können beispielsweise morgens damit (z. B. Peristeen®) einen
Teil des Darms entleeren und sind für den Rest des Tages
symptomfrei. Die Komplikationsrate ist laut einer Studie mit
507 Anwendern sehr tief, die Drop-out-Rate jedoch be-
trächtlich (34%) (8).
Die Evidenz für begleitende Lebensstilmodifikationen wie re-
gelmässige Toilettengänge oder vermehrte Flüssigkeitsaufnah-
me sei mager bis gar nicht vorhanden, so Heinrich, für Sport
gebe es dagegen wenige Studien, die zeigten, dass regelmässige
Bewegung die Stuhlunregelmässigkeiten verbessere (9, 10).
Was möglicherweise wirklich hilft, ist, den rektoanalen Win-
kel bei der Defäkation zu verändern. Denn eine Entleerung
ist bei einem Sitzwinkel von 90 Grad erschwert, während sie
in Kauerstellung bei spitzem Winkel leichter fällt, weil sich
der Enddarm in einer Linie mit dem Anus befindet (Abbil-
dung). Diese Hockstellung kann beim Sitzen auf der Toilette
durch eine erhöhte Lage der Füsse simuliert werden. Ein
Fussschemel (Toilettenhocker) vor der Toilettenschüssel
kann wahre Wunder wirken.
s
Quelle: «Abklärungen bei Problemen mit dem Stuhlgang», 60. Ärztekongress von Lunge Zürich, 11. bis 12. Februar 2021, virtuell.
Referenzen: 1. Rothbarth J et al.: What is the impact of fecal incontinence on quality of
life? Dis Colon Rectum. 2001;44(1):67-71. 2. Lahr CJ: Evaluation and treatment of incontinence. Practical Gastro-
enterol. 1988;12:27–35. 3. Parés D et al.: Prevalence of faecal incontinence and analysis of its im-
pact on quality of life and mental health. Colorectal Dis. 2011;13(8):899905. 4. Johanson JF, Kralstein J: Chronic constipation: a survey of the patient perspective. Aliment Pharmacol Ther. 2007;25(5):599-608. 5. Wald A: Update on the Management of Fecal Incontinence for the Gastroenterologist. Gastroenterol Hepatol (N Y). 2016;12(3):155-164. 6. Pare P et al.: An epidemiological survey of constipation in canada: definitions, rates, demographics, and predictors of health care seeking. Am J Gastroenterol. 2001;96(11):3130-3137. 7. Rao SS: Advances in diagnostic assessment of fecal incontinence and dyssynergic defecation. Clin Gastroenterol Hepatol. 2010;8(11):910-919. 8. Juul T, Christensen P: Prospective evaluation of transanal irrigation for fecal incontinence and constipation. Tech Coloproctol. 2017;21(5):363371. 9. Nakaji S et al.: Relationship between lifestyle factors and defecation in a Japanese population. Eur J Nutr. 2002;41(6):244-248. 10. Sesboüé B et al.: Colonic transit in soccer players. J Clin Gastroenterol. 1995;20(3):211-214.
Valérie Herzog