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EDITORIAL NOBELPREISTRÄGER DER PHYSIOLOGIE ODER MEDIZIN
1986: Rita Levi-Montalcini (Italien/USA)
«… für die Entdeckung des Nervenwachstumsfaktors»
Rita Levi-Montalcini (Quelle: https://de.wikipedia.org)
Rita Levi-Montalcini wurde 1909 in Turin als jüngstes von vier Kindern einer wohlhabenden sephardischen Familie geboren. Ihre Eltern waren der jüdische Ingenieur Adamo Levi und seine Frau Adele Montalcini. Eigentlich wollte Rita Schriftstellerin werden, doch als ihr Kindermädchen unheilbar an Krebs erkrankte, beschloss die 19-jährige, Medizin zu studieren. 1936 beendete sie ihr Medizinstudium in Turin. Sie widmete sich anschliessend der neurologischen Grundlagenforschung. Da die italienischen Rassegesetze jüdische Frauen daran hinderten, als Ärztinnen zu praktizieren und zu forschen, zog Rita Levi 1936 nach Belgien und arbeitete als Gastwissenschaftlerin an einem neurobiologischen Institut in Brüssel. Kurz vor der deutschen Invasion kehrte sie nach Italien zurück, wo sie in ihrer Privatwohnung weiterforschte. Zwischen 1943 und 1945 lebte sie illegal in Florenz. Nach Kriegsende kämpfte Levi-Montalcini in Flüchtlingslagern gegen Seuchen und Epidemien. 1947 wurde sie an die Washington University von Saint Louis (WUSTL), Missouri, berufen. Sie folgte damit dem deutschen Entwicklungsbiologen Viktor Hamburger. In St. Louis entdeckte sie, dass in den Hühner-
embryonen Nervenzellen wuchsen, wenn sie Krebszellen hineinbrachte. Insgesamt blieb sie 30 Jahre lang an der WUSTL. Von 1969 bis 1979 leitete sie parallel dazu in Rom das Laboratorium für Zellbiologie des Nationalen Forschungsrates. Ihre Forschungsarbeit konzentrierte sich auf zelluläre Nachrichtenübertragung und Steuerungsmechanismen des Zell- und Gewebewachstums. Sie entdeckte dabei den Epidermal Growth Factor (EGF), den Nervenwachstumsfaktor (NGF), ein Polypeptid, und prägte zusammen mit Viktor Hamburger den Begriff «Neurotrophin». Für die Isolierung und Charakterisierung des Nervenwachstumsfaktors wurde sie 1986 gemeinsam mit Stanley Cohen mit dem Nobelpreis für Medizin und Physiologie ausgezeichnet. Die Atheistin Levi-Montalcini wurde 1974 von Papst Paul VI. als erste Frau überhaupt in die Päpstliche Akademie der Wissenschaften berufen. 2001 wurde sie von Staatspräsident Ciampi zur Senatorin auf Lebenszeit ernannt. Dass Rita Levi-Montalcini nie heiratete, kommentierte sie mit «I never had any hesitation or regrets in this sense. My life has been enriched by excellent human relations, work and interests. I have never felt lonely.» Und in einem Interview für «Scientific American» meinte sie: «Wenn ich nicht diskriminiert worden oder nicht verfolgt worden wäre, hätte ich niemals den Nobelpreis erhalten.» Seit 2005 war Levi-Montalcini die älteste lebende Nobelpreisempfängerin, seit 2008 zudem die älteste Nobelpreisträgerin überhaupt. Sie war die erste Person, die einen Nobelpreis erhielt und mindestens 100 Jahre alt wurde. Rita Levi-Montalcini schrieb viele populäre Bücher, einschliesslich ihrer Autobiografie und hielt bis ins hohe Alter Vorträge. Sie starb 2012 in Rom.
Richard Altorfer
ARS MEDICI DOSSIER VIII | 2021
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