Transkript
EDITORIAL NOBELPREISTRÄGER DER PHYSIOLOGIE ODER MEDIZIN
1999: Günter Blobel (US-Amerikaner mit deutschen Wurzeln)
«… für die Entdeckung der in Proteinen eingebauten Signale, die ihren Transport und die Lokalisierung in der Zelle steuern»
Günter Blobel (Quelle: https://de.wikipedia.org)
Günter Klaus-Joachim Blobel wurde 1936 in Waltersdorf, Schlesien, als Sohn eines Veterinärs geboren. Blobels grosse Familie flüchtete Ende Januar 1945 vor der anrückenden Roten Armee. Auf der Flucht durchquerte sie das noch unzerstörte Dresden, das – vor allem die Frauenkirche – bei dem Neunjährigen einen bleibenden Eindruck hinterliess. Wenige Tage danach erlebten die Blobels aus wenigen Kilometern Entfernung die Zerstörung der Stadt durch die alliierten Luftangriffe. Nach Kriegsende liessen sich die Blobels im mittelalterlichen Städtchen Freiberg in Sachsen (damals DDR) nieder, wo Günter Blobel 1954 das Abitur machte. Wegen Problemen mit dem Regime begann er das Medizinstudium im vor dem Mauerbau noch erreichbaren Frankfurt am Main und beendete es in Tübingen. Bereits zu dieser Zeit interessierte er sich mehr für die ungeklärten Fragen der Medizin als für ihre Ausübung in der Praxis. Blobels Bruder, der mit einem Stipendium in Madison, Wisconsin, Veterinärmedizin studierte, verhalf Günter Blobel 1962 zu einer Forschungsstelle an der University
of Wisconsin, wo er 1966 promovierte. Später wechselte Günter Blobel an die Rockefeller University, New York, wo er mit dem späteren Nobelpreisträger George Emil Palade (Nobelpreis 1974, Begründer der Zellbiologie) zusammenarbeitete. Palades Institut war führend in der nach Erfindung des Elektronenmikroskops boomenden Zellforschung. 1987 erhielt Blobel die US-Staatsbürgerschaft. 1992 wurde er zum ordentlichen Professor an der Rockefeller University ernannt. Blobel entdeckte, dass viele Proteine eine sogenannte Signalsequenz besitzen, die ihren Transport und ihre Verteilung innerhalb der Körperzelle steuert. Für diese Entdeckung erhielt er im Jahr 1999 den Nobelpreis. Seine Erkenntnisse erlauben es, bestimmte Erbkrankheiten zu erklären. In New York heiratete Blobel Laura Maioglio, die Geschichte studiert hatte, später aber das Restaurant ihres Vaters übernahm. Blobel stellte das gesamte Nobel-Preisgeld (800 000 Dollar) zum Gedenken an seine im Krieg mit 19 Jahren getötete Schwester Ruth seiner von ihm 1994 gegründeten Stiftung «Friends of Dresden» für den Wiederaufbau der Frauenkirche zur Verfügung. Blobel setzte sich daneben für den Erhalt der Dresdner Elbwiesen ein. Auf seine Initiative hin liess die UNESCO untersuchen, ob das Weltkulturerbe Dresdner Elbtal durch den Bau der Waldschlösschenbrücke gefährdet sei. Das Elbtal wurde denn auch auf die «Rote Liste des gefährdeten Welterbes» gesetzt, 2009 wurde dem Tal der Titel aberkannt. 2018 erlag Günter Blobel 81-jährig in New York einem Krebsleiden.
Richard Altorfer
ARS MEDICI DOSSIER V | 2021
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