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DIABETOLOGIE/ENDOKRINOLOGIE
SGLT2-Hemmer
Zeit, Bilanz zu ziehen: Was sie können und was nicht
Foto: vh
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Mit heutigem Erkenntnisstand können SGLT2-Hemmer als Antidiabetika bezeichnet werden, wovon einige kardio- und renoprotektive Eigenschaften besitzen und auch bei Herzinsuffizienz eingesetzt werden können, zum Teil sogar unabhängig von der Diabeteserkrankung. Prof. Darren McGuire, University of Texas Southwestern Medical Center, Dallas (USA), zog nach fünf Jahren Bilanz über die verfügbare Evidenz.
Prof. Darren McGuire Prof. Christoph Wanner
Noch vor fünf Jahren sah die antidiabetische Therapie ganz anders aus. Seit diesem Zeitpunkt, mit der Präsentation der kardiovaskulären Langzeitdaten des ersten SGLT2-Hemmers Empagliflozin in der EMPA-REG-OTCOMEStudie (1), begann der Siegeszug der SGLT2Hemmer und vor allem die Entdeckung von immer mehr nutzbringenden Eigenschaften ausserhalb der Diabetestherapie. Nach vier weiteren plazebokontrollierten Langzeitstudien mit den SGLT2-Hemmern Canagliflozin (2, 3), Dapagliflozin (4) und Ertugliflozin (5) gebe es jetzt genügend Evidenz, dass diese Substanzklasse bei Patienten mit Typ-2-Diabetes das kardiovaskuläre Risiko senke, unabhängig vom Effekt auf den Blutzucker, so McGuire. Bei allen Studien, ausser der CREDENCE-Studie, die einen kombinierten renalen Endpunkt hatte, war einer der primären Endpunkte eine Kombination aus Herzinfarkt, kardiovaskulärem Tod und Hirnschlag (major adverse cardiovascular events, MACE). Alle Studien dau-
KURZ & BÜNDIG
� 6 Outcome-Studien mit 4 SGLT2-Hemmern haben kardiovaskuläre Sicherheit gezeigt.
� Während es bei MACE und kardiovaskulärem Tod Unterschiede zwischen den einzelnen SGLT2-Hemmern gibt, ist die Wirkung bei Herzinsuffizienz bei allen vier konsistent.
� 2 Studien zeigten für Dapagliflozin und Empagliflozin einen Nutzen für HFrEF-Patienten mit und ohne Typ-2-Diabetes.
� 2 Studien mit harten renalen Endpunkten zeigten eine renoprotektive Eigenschaft.
� Nach initialem eGFR-Abfall unter SGLT2-Hemmern erholt und stabilisiert sich die eGFR. Eine Kontrolle der eGFR alle 3 Monate genügt.
erten zwischen 2,4 und 4,2 Jahren, und in allen Studien waren die Teilnehmer mindestens zur Hälfte kardiovaskulär vorerkrankt, zwischen 10 und 20 Prozent litten an einer Herzinsuffizienz. Je nach Studie hatte bis über die Hälfte der Teilnehmer eine beeinträchtigte Nierenfunktion mit einer geschätzten glomerulären Filtrationsrate (eGFR) < 60 ml/min/1,73 m2. Von der kardiovaskulären Sicherheit zur Protektion Ziel dieser kardiovaskulären Langzeitstudien – und seit den kardialen Nebenwirkungen von Rosiglitazon auch Vorbedingung für eine Marktzulassung – war der Beweis, dass diese Medikamente keine kardialen Nebenwirkungen induzieren. In einer aktuellen Metaanalyse zog McGuire Bilanz über den bisherigen Wissenstand zu den SGLT2-Hemmern (6). Alle vier erhältlichen SGLT2-Hemmer haben diese Bedingung erfüllt: Sie provozieren nicht mehr schwere kardiovaskuläre Ereignisse als Plazebo. Darunter reduzierten zwei SGLT2Hemmer (Empagliflozin und Canagliflozin) die Rate solcher Ereignisse signifikant bei Patienten mit atherosklerotisch bedingter kardiovaskulärer Erkrankung (ASCVD) oder chronischer Nierenerkrankung (Canagliflozin) (6). Einem kardiovaskulären Tod vermag nur Empagliflozin signifikant vorzubeugen (Tabelle). Anders bei der Herzinsuffizienz: Alle vier erhältlichen SGLT2-Hemmer reduzierten die herzinsuffizienzbedingten Hospitalisierungen signifikant und in ähnlichem Ausmass (32%), unabhängig davon, ob eine ASCVD als Vorerkrankung bestanden habe (30% mit ASCVD, 37% ohne ASCVD) (6), so McGuire. Interessanterweise wies eine weitere Analyse der DECLARETIMI-58-Studie auf eine andere, unerwartete Eigenschaft hin: Unter Dapagliflozin traten signifikant weniger Vorhofflimmer- und auch -flatterepisoden auf (7). Eigenständiger Nutzen bei Herzinsuffizienz Die grossen kardiovaskulären Outcomestudien wiesen in Subanalysen auf weitergehende Vorteile hin, die dann in separaten Studien untersucht wurden. So zum Beispiel die Frage, ob die zusätzlichen Vorteile der SGLT2-Hemmer auch 8 ARS MEDICI DOSSIER IV | 2021 DIABETOLOGIE/ENDOKRINOLOGIE Kardiovaskulärer Outcome mit SGLT2-Hemmern EMPA-REG OUTCOME (Empagliflozin) CANVAS-Programm (Canagliflozin) DECLARE-TIMI 58 (Dapagliflozin) VERTIS-CV (Ertugliflozin) MACE (HR [95%-KI]) 0,86 (0,74–0,99) 0,86 (0,75–0,97) 0,93 (0,84–1,03) 0,97 (0,85–1,11) CV-Tod (HR [95%-KI]) 0,62 (0,49–0,77) 0,87 (0,72–1,06) 0,98 (0,82–1,17) 0,92 (0,77–1,11) HHF (HR [95%-KI]) 0,65 (0,50–0,85) 0,67 (0,52–0,87) 0,73 (0,61–0,88) 0,70 (0,54–0,90) Abkürzungen: MACE: major adverse cardiovascular event; HR: Hazard Ratio; KI: Konfidenzintervall; CV: Kardiovaskulär; HHF: hospitalization for heart failure Grün: signifikantes Resultat Quelle: D. McGuire, EASD 2020 virtuell Patienten mit Herzinsuffizienz mit reduzierter Auswurffraktion (HFrEF) mit und ohne Typ-2-Diabetes zugutekommen. Die 2019 präsentierte DAPA-HF-Studie hatte zum Ziel, die Wirkung von Dapagliflozin bei 4744 HFrEF-Patienten (EF ≤ 40%, eGFR ≥ 30 ml/min/1,73 m2) mit und ohne Typ-2-Diabetes zu untersuchen. Nach 18 Monaten hatte Dapagliflozin den kombinierten Endpunkt aus kardiovaskulärem Tod, herzinsuffizienzbedingter Hospitalisierung oder Arztkonsultation gegenüber Plazebo um 26 Prozent signifikant gesenkt (Hazard Ratio [HR]: 0,74; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,65–0,85; p = 0,00001, NNT [number needed to treat] = 21) (8). Am Kongress 2020 wurde mit EMPEROR-Reduced eine ähnliche Studie vorgestellt, bei der die Wirkung von Empagliflozin bei 3730 HFrEF-Patienten (EF ≤ 40%, eGFR ≥ 20 ml/min/1,73 m2) mit und ohne Typ-2-Diabetes untersucht wurde. Als primärer Endpunkt war die Kombination aus kardiovaskulärem Tod oder herzinsuffizienzbedingter Hospitalisierung definiert. Dieser wurde im Vergleich zu Plazebo unter Empagliflozin nach 16 Monaten signifikant um 25 Prozent reduziert (HR: 0,75; 95%-KI: 0,65–0,86; p = 0,0001) (9). Die Resultate der Studien DAPA-HF und EMPEROR-Reduced sind fast identisch, bei beiden erfolgte die Risikoreduktion unabhängig von der Typ-2-Diabetes-Erkrankung. Die damit gewonnenen Erkenntnisse hätten Einfluss auf die Praxis, so Darren: Im Fall von Dapagliflozin führte das zur Indikationserweiterung, bei Empagliflozin sei Ähnliches zu erwarten. Unabhängige Wirkung auf die Niere Bei drei SGLT2-Hemmern (Canagliflozin, Dapagliflozin, Empagliflozin) seien nach renoprotektiven Hinweisen in den kardiovaskulären Outcomestudien separate Studien mit harten renalen Endpunkten durchgeführt worden, eine davon sei noch im Gang (EMPA-KIDNEY), erklärte Prof. Christoph Wanner, Nephrologie, Medizinisches Universitätsklinikum Würzburg (D). Die Teilnehmer der CREDENCE- beziehungsweise der DAPA-CKD-Studie waren Patienten mit fortgeschrittener Nierenfunktionsstörung mit einer eGFR von durchschnittlich 56,4 respektive 43 ml/min/1,73 m2 und einer UACR (urinary albumin creatinin ratio) von 927 beziehungsweise 965 (10, 11). Als Endpunkte galten meist eine Verdopplung des Kreatininspiegels, ein anhaltender Abfall der eGFR, das Erreichen einer terminalen Niereninsuffizienz oder ein renal bedingter Tod. In der DAPA-CKD-Studie erreichten die Patienten unter Dapagliflozin im Vergleich zu Plazebo eine signifikante Risikoreduktion von 44 Prozent (HR: 0,56; 95%-KI: 0,45–0,68; p < 0,001), unabhängig davon, ob zusätzlich eine Diabeteserkrankung bestand (10). In der CREDENCE-Studie reduzierte Canagliflozin den primären Endpunkt um 34 Prozent (HR: 66; 95%-KI: 0,53– 0,81; p < 0,001) (11). In allen Studien, ob kardiovaskuläre Outcome- oder Studien mit renalen Endpunkten, habe man unter den SGLT2-Hemmern im Vergleich zu Plazebo eine Reduktion des renalen Risikos von etwa 40 Prozent gesehen, unabhängig vom Ausmass der Nierenfunktionsstörung, wie Wanner errechnete. «Das ist doppelt so viel, wie man mit ACE-Hemmern oder Angiotensin-2-Rezeptor-Blockern erreichen kann.» Initialer «eGFR-Taucher» ist harmlos Bei einer Therapie mit SGLT2-Hemmern ist zu bedenken, dass die eGFR in den ersten 4 Wochen einer SGLT2-Hem- mer-Therapie sinkt, das im Gegensatz zu Plazebo, um dann wieder anzusteigen, sich zu stabilisieren und im Endeffekt (nach 4 Jahren) weit weniger abzufallen als unter Plazebo. Bei diesem initialen «Taucher» handle es sich um einen re- versiblen hämodynamischen Effekt (11–14), der auch bei Renin-Angiotensin-Aldosteron-Hemmern zu beobachten sei, so Wanner. Dieser Anfangseffekt hat jedoch zu Bedenken geführt, dass das Patienten für eine akute Nierenschädigung prädisponieren könnte. Der Referent hat diesbezüglich Daten der EMPA-REG-OUTCOME-Studie auf eine initiale Senkung der eGFR > 10 Prozent untersucht («dipping»): In
der Plazebogruppe sank die eGFR initial bei 13 Prozent der
Teilnehmer, in der Empagliflozingruppe bei 28 Prozent, also
bei mehr als doppelt so vielen. Die eGFR der «Dipper» habe
sich nach 3 Monaten jedoch wieder erholt, es zeigten sich
keine Unterschiede in den Endpunkten zwischen «Dippern»
und «Non-Dippern», so Wanner. Deshalb sei es vernünftig,
im Wissen dieses initialen «Tauchers» die eGFR nicht allzu
oft zu messen: Eine Messung alle 3 Monate sei ausreichend,
riet der Nierenspezialist abschliessend.
s
Valérie Herzog
Quelle: «Accumulated cv data from SGLT2 inhibitor outcome trials». Jahreskongress der European Association for the Study of Diabetes (EASD), 21. bis 25. September 2020, virtuell.
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