Transkript
KARDIOLOGIE
Neue Optionen bei Herzinsuffizienz
Wenn Kardiologen auch auf die Niere achten
Am Jahreskongress der American Heart Association (AHA) bestätigte sich, dass die SGLT2-Hemmer zu einer weiteren Säule der Therapie bei Herzinsuffizienz mit reduzierter Ejektionsfraktion (HFrEF) werden. Darüber hinaus wurden Studien zu Eisen i.v. und zu Omecamtiv-Mecarbil bei HFrEF vorgestellt. Mit dem nicht steroidalen Mineralokortikoidantagonisten Finerenon kommt eine weitere, auf die Niere zielende Substanz mit einem zusätzlichen kardiologischen Nutzen ins Spiel.
SGLT2-Hemmer bei Herzinsuffizienz
In der SOLOIST-WHF-Studie wurde für einen weiteren SGLT2-Hemmer, das Sotagliflozin, ein Nutzen für Herzinsuffizienzpatienten mit reduzierter Ejektionsfraktion (HFrEF) nachgewiesen (1). In die Studie wurden 1222 Typ-2-Diabetiker mit HFrEF aufgenommen, die kürzlich wegen Verschlechterung ihrer Herzinsuffizienz ins Spital beziehungsweise in die Notaufnahme kamen. Ursprünglich sollten rund 4000 Patienten aufgenommen werden. Weil sich die Rekrutierung von Patienten und die Durchführung der Studie wegen der Coronaviruspandemie verzögerten, brachen die Sponsoren Sanofi und Lexicon Pharmaceuticals die Finanzierung der Studie vorzeitig ab. Die Studienärzte führten die Studie mit einem modifizierten primären Endpunkt dennoch zu Ende. Zum primären Endpunkt zählten sie kardiovaskulär bedingten Tod, kardiovaskulär bedingte Hospitalisierung oder eine dringende Konsultation wegen Herzinsuffizienz. 608 Patienten erhielten Sotagliflozin, 614 Plazebo. Die mittlere Follow-up-Dauer betrug 9 Monate. In dieser Zeit trat eines der drei genannten Ereignisse bei 600 Patienten
KURZ & BÜNDIG
� SGLT2-Hemmer etablieren sich als weitere Säule der Behandlung bei Herzinsuffizienz mit reduzierter Ejektionsfraktion (HFrEF).
� Eisen i.v. kann die Hospitalisationsrate bei Patienten nach einer akuten Herzinsuffizienz vermutlich senken.
� Die Wirksamkeit von Omecamtiv-Mecarbil aus der neuen Substanzklasse der Myosinaktivatoren ist bei HFrEF-Patienten geringer als erhofft; möglicherweise könnten bestimmte Patientenkollektive stärker profitieren als der Durchschnitt.
� Der nicht steroidale Mineralokortikoidrezeptorantagonist Finerenon senkt bei Typ-2-Diabetikern mit eingeschränkter Nierenfunktion sowohl das renale als auch das kardiovaskuläre Risiko.
auf, 245 in der Sotagliflozin- und 355 in der Plazebogruppe. Hochgerechnet auf 100 Patientenjahre waren es 51 Fälle mit Sotagliflozin und 76,3 mit Plazebo (Hazard Ratio [HR]: 0,67; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,52–0,85; p < 0,001). Die Mortalitätsrate pro 100 Patientenjahre betrug 13,5 vs. 16,3 (HR: 0,82; 95%-KI: 0,59–1,14). Zu den mit Sotagliflozin im Vergleich zu Plazebo häufigeren Nebenwirkungen gehörten Diarrhö (6,1% vs. 3,4%) und schwere Hypoglykämie (1,5% vs. 0,3%). Die ebenfalls am AHA-Kongress präsentierte SCORED-Studie (2) zeigt, dass die kardiovaskuläre Wirksamkeit von Sotagliflozin auch bei Diabetikern mit chronischer Niereninsuffizienz nachweisbar ist. Auch die Finanzierung dieser Studie wurde wegen der Coronaviruspandemie vorzeitig beendet und von den Studienärzten mit einem modifizierten primären Endpunkt zu Ende geführt. Ingesamt hatte man 10 584 Patienten aufgenommen, je 5292 erhielten Sotagliflozin oder Plazebo. Die mittlere Follow-up-Dauer betrug 16 Monate. Der primäre Endpunkt (kardiovaskulär bedingter Tod, kardiovaskulär bedingte Hospitalisierung oder dringende Konsultation wegen Herzinsuffizienz) trat mit Sotagliflozin seltener ein als mit Plazebo (5,6 vs. 7,5 Fälle pro 100 Patientenjahre; HR: 0,74; 95%-KI: 0,63–0,88; p < 0,001). Zu den mit Sotagliflozin im Vergleich mit Plazebo häufigeren Nebenwirkungen gehörten in der SCORED-Studie Diarrhö, genitale Pilzinfektionen, Hypovolämie und diabetische Ketoazidose. Fazit für die Praxis: «Die SGLT2-Hemmer haben sich klar als fünfte Säule der Therapie bei HFrEF etabliert», sagte Prof. Dr. Rolf Wachter, Internist und Kardiologe am Universitätsklinikum Leipzig. Bis anhin sei noch nicht definiert, welche der fünf Optionen – ACE-Hemmer, Betablocker, Mineralokortikoidrezeptorantagonisten (MRA), Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitoren (ARNI) oder SGLT2-Hemmer – bei welchen Patienten zuerst infrage komme. Für alle fünf sei im Gegensatz zu anderen Medikamenten eine lebensverlängernde Wirkung für HFrEF-Patienten nachgewiesen. Eine Polypille für Herzinsuffizienzpatienten werde es trotzdem nicht geben, weil die Erkrankung individuell sehr unterschiedlich verlaufe, so Wachter. ARS MEDICI DOSSIER III | 2021 3 KARDIOLOGIE Was bringt Eisen i.v. bei akuter Herzinsuffizienz? In die AFFIRM-AHF Studie (3) wurden Patienten mit akuter HFrEF (LVEF < 50%) und Eisenmangel (Serumferritin < 100 ng/ml oder 100–299 ng/ml bei Transferrinsättigung < 20%) aufgenommen. Die Patienten erhielten für 24 Wochen entweder ein Plazebo (n = 550) oder Eisencarboxymaltose i.v. (n = 5 58) in einer vom individuellen Eisenmangel abhängigen Dosierung. Als primärer Endpunkt zählten alle Hospitalisierungen wegen Herzinsuffizienz und kardiovaskulär bedingter Tod. Nach 52 Wochen waren es 293 Fälle mit Eisen i.v. und 372 Fälle mit Plazebo (57,2 vs. 72,5 Fälle auf 100 Patientenjahre; Rate Ratio [RR]: 0,79; 95%-KI: 0,62–1,01; p = 0,059). Der primäre Endpunkt wurde somit knapp verpasst. Der Unterschied zwischen Plazebo und Eisen i.v. beruhte auf den Hospitalisierungen, nicht auf der Mortalität. Die Mortalitätskurven hatten in beiden Gruppen den gleichen Verlauf. Auch diese von Vifor Pharma finanzierte Studie wurde durch die Coronaviruspandemie beeinträchtigt. Deshalb erfolgte neben der üblichen Auswertung eine zweite, in die nur die Daten bis zum Beginn der Coronaviruspandemie einbezogen wurden. In dieser Auswertung war der Unterschied zwischen Plazebo und Eisen i.v. statistisch signifikant. Man zählte für den primären Endpunkt 274 Ereignisse mit Eisen i.v. und 363 mit Plazebo (55,24 vs. 73,48 auf 100 Patientenjahre; RR: 0,75; 95%-KI: 0,59–0,96; p = 0,024). Fazit für die Praxis: Nach heutigem Stand des Wissens sei Eisen i.v. eine symptomatische Behandlung für HFrEF-Patienten, mit der Hospitalisierungen vermindert werden könnten, fasste Wachter die Schlussfolgerungen aus der Studie zusammen. Neue Substanzklasse bewirkt bei HFrEF relativ wenig Omecamtiv-Mecarbil gehört zu einer neuen Substanzklasse, den Myosinaktivatoren. Durch ihre Bindung an Myosin verlängert die Substanz die Auswurfdauer und bewirkt damit eine Steigerung der Kontraktilität und der Auswurfleistung. In die Phase-III-Studie GALACTIC-HF (4) wurden 8256 Patienten mit HFrEF (LVEF ≤ 35%) aufgenommen und in 4 Gruppen randomisiert. Sie erhielten zusätzlich zu ihrer Standardtherapie 3 verschiedene Dosen Omecamtiv-Mecarbil oder Plazebo. Die mittlere Follow-up-Dauer betrug 21,8 Monate. Primärer Endpunkt war das erste Herzinsuffizienzereignis (Hospitalisierung oder Notfallkonsultation) oder kardiovaskulär bedingter Tod. In der Omecamtiv-Mecarbil-Gruppe waren etwas weniger Patienten betroffen als in der Plazebogruppe (37% vs. 39,1%; HR: 0,92; 95%-KI: 0,86–0,99; p = 0 ,03). Der Unterschied beruht lediglich auf der verminderten Anzahl von Hospitalisationen und Notfallkonsultationen. Bezüglich der kardiovaskulären Mortalität bestand kein Unterschied (in beiden Gruppen rund 19%). Fazit für die Praxis: Omecamtiv-Mecarbil wirkt bei HFrEF, aber die 8-prozentige, relative Risikominderung für Hospitalisationen und Notfallkonsultationen ist kein allzu grosser Effekt. Möglicherweise besteht ein spezieller Nutzen für ganz bestimmte HFrEF-Patienten. Wachter erwähnte in diesem Zusammenhang Patienten mit besonders schlechter LVEF (< 28%), die gemäss einer Subgruppenanalyse stärker profitierten als der Durchschnitt, sowie Patienten mit niedrigem Blutdruck, weil Omecamtiv-Mecarbil den Blutdruck, anders als andere Herzinsuffizienzbehandlungen, nicht beeinflusst. Kardiovaskulärer Nutzen von Finerenon bei Diabetes und Niereninsuffizienz Bei Typ-2-Diabetikern mit Niereninsuffizienz (geschätzte glomeruläre Filtrationsrate [eGFR]: 25–75 ml/min/1,73 m2; Albumin-Kreatinin-Quotient: 30–5000 mg/g) war mit Finerenon, einem nicht steroidalen selektiven MRA, sowohl ein renaler als auch ein kardiovaskulärer Nutzen nachweisbar (5). Die von Bayer finanzierte FIDELIO-DKD-Studie umfasste 5734 Patienten. Sie erhielten entweder Finerenon oder ein Plazebo. Anders als in einigen der oben erwähnten Studien ging es hier ausdrücklich nicht um HFrEF-Patienten, sie waren von dieser Studie ausgeschlossen. Rund 46 Prozent der Teilnehmer hatten zu Studienbeginn eine kardiovaskuläre Erkrankung. Zum primären Endpunkt zählten Nierenversagen, anhaltender Rückgang der GFR um mindestens 40 Prozent und nierenbedingter Tod. Die mittlere Follow-up-Dauer betrug 2,6 Jahre. In diesem Zeitraum trat bei 504 Patienten in der Finerenon- und bei 600 in der Plazebogruppe (17,8 vs. 21,1%; HR: 0,82; 95%-KI: 0,73–0,93; p = 0,001) eines dieser Ereignisse ein. Als wichtiger sekundärer Endpunkt war die Kombination folgender kardiovaskulärer Ereignisse definiert: kardiovaskulär bedingter Tod, Herzinfarkt, Schlaganfall und Spitalaufnahme wegen Herzinsuffizienz. Eines dieser Ereignisse trat bei 13 Prozent der Teilnehmer mit Finerenon und bei 14,8 Prozent unter Plazebo ein (HR: 0,86; 95%-KI: 0,75– 0,99; p = 0,03). Ein Absetzen der Medikation wegen Hyperkaliämie erfolgte bei 2,3 Prozent der Finerenon- und bei 0,9 Prozent der Plazebopatienten. Fazit für die Praxis: «Vielleicht haben wir als Kardiologen auf die Nierenfunktion im noch erhaltenen GFR-Bereich bisher nicht so sehr geachtet, weil wir kaum therapeutische Konsequenzen daraus zu ziehen hatten», sagte Prof. Ulrich Laufs, Leitender Kardiologe am Universitätsklinikum Leipzig. Das habe sich mit den SGLT2-Hemmern und der FIDELIO-DKD-Studie geändert. Künftig sollten auch die Kardiologen die Niere im Blick haben. Bezüglich der Hyperkaliämie unter Finerenon wies Laufs darauf hin, dass diese in der Studie bei Weitem nicht so ausgeprägt gewesen sei, wie man das von den steroidalen MRA kenne, wie zum Beispiel von Spironolacton oder Epleneron.s Renate Bonifer Quellen: American Heart Association: Scientific Sessions 2020. 13. bis 17. November 2020. A virtual experience. https://professional.heart.org/es/meetings; abgerufen am 18. Dezember 2020. AHA Scientific Sessions 2020: Late-breaking Science Wrapup. https://www. youtube.com/watch?v=vizJYbgmdms&feature=youtu.be; abgerufen am 18. Dezember 2020. Videokonferenz von Experten der Universitätsklinik und des Herzzentrums Leipzig: Expertenrückblick auf den AHA- und TCT-Kongress – das Wichtigste für Ihre Praxis. www.kardiologie.org; abgerufen am 17. Dezember 2020. Literatur in der Onlineversion des Beitrags unter www.arsmedici.ch 4 ARS MEDICI DOSSIER III | 2021