Transkript
GYNÄKOLOGIE/UROLOGIE
Adäquate Kontrazeption bei Übergewicht und Adipositas
Ein Update
Wie in allen Ländern der westlichen Welt steigt die Prävalenz von Übergewicht und Adipositas auch in der Schweiz. Zugleich zeigt sich, dass adipöse Frauen häufiger unerwartet und ungewollt schwanger werden als normalgewichtige Frauen (1). Die unzureichende Applikation effektiver Kontrazeptionsmethoden liegt zum einen an pathophysiologischen Besonderheiten, zum anderen aber auch an psychosozialen Faktoren. All das ist bei einer adäquaten Kontrazeptionsberatung zu berücksichtigen.
Charlène Insam, Katharina Unterhuber, Gabriele Merki-Feld, Brigitte Leeners
Gemäss Bundesamt für Statistik beträgt die Prävalenz von Übergewicht und Adipositas bei Frauen in der Schweiz 33 Prozent. Bei den 15- bis 24-Jährigen liegt diese bei 15 Prozent, wobei die Tendenz mit dem Alter stetig steigt (2). Mit zunehmendem BMI steigt aufgrund von Kontrazeptionsversagen oder fehlender Anwendung eines Kontrazeptivums auch die Rate ungeplanter Schwangerschaften (1). Eine zuverlässige Schwangerschaftsplanung ist aber vielfach schwierig umzusetzen, zumal die mit Adipositas assoziierten Komorbiditäten während der Schwangerschaft und Geburt zusätzliche Risiken für Mutter und Kind bedeuten.
MERKSÄTZE
� Die Datenlage zu Effizienz und Sicherheit der Kontrazeption ist bei adipösen Frauen, insbesondere mit einem BMI > 35 kg/m2, sehr spärlich.
� Mit steigendem BMI erhöht sich das Risiko für thromboembolische und kardiovaskuläre Ereignisse multiplikativ.
� Intrauterine Verhütungsmethoden sind bei übergewichtigen und adipösen Frauen wirksam, sicher und bieten zusätzlich eine protektive Wirkung auf das Endometrium. Sie sind deshalb sehr zu empfehlen.
� Eine kombinierte orale Kontrazeption kann angewendet werden, sofern keine weiteren Risikofaktoren vorliegen. Eine Dosierung von 30 µg EE erhöht die kontrazeptive Sicherheit bei unverändertem Thromboserisiko.
� Aufgrund des verzögerten Erreichens des «steady state» bei oralen Kontrazeptiva wird bei adipösen Frauen die zusätzliche Verhütung mit Kondom über 14 Tage ab Anwendungsbeginn empfohlen.
Besonderes Setting bei Adipositas
Die Assoziation zwischen Adipositas und Komorbiditäten wie kardiovaskulären und thromboembolischen Erkrankungen ist bekannt (3) und muss bei der Verhütungsberatung berücksichtigt werden. Neben der Abschätzung von Risikofaktoren sollte eine ausreichende Effizienz hormonaler Methoden bei Adipositas beachtet werden. Die erhöhte Körpermasse und der erhöhte Körperfettanteil beeinflussen die Pharmakokinetik mit Veränderungen der renalen, hepatischen und endokrinen Funktion. Daraus resultiert eine Erhöhung des Basalmetabolismus und der Arzneimittelclearence mit entsprechender Fluktuation des Plasmalevels der Hormone (4, 5). Bariatrische Eingriffe können die Absorption oraler Antikonzeptiva reduzieren. Medikamentöse Therapien zur Gewichtsreduktion wie Lipasehemmer oder GLP-1-Rezeptor-Agonisten können ebenso die Verhütungssicherheit beeinträchtigen. Neben den pathophysiologischen Herausforderungen spielen auch psychosoziale Faktoren eine Rolle. Die Fertilität adipöser Frauen wird oft unterschätzt, da Adipositas mit reduzierter Fertilität bei Anovulation, polyzystischem Ovarialsyndrom und Insulinresistenz assoziiert ist (6). Die Mehrheit der adipösen Frauen hat jedoch zyklisch Ovulationen mit dem Potenzial für einen Eintritt einer Schwangerschaft. Die Datenlage zu Wirksamkeit und Sicherheit verschiedener Antikonzeptionsmethoden für übergewichtige und adipöse Frauen ist spärlich, da Frauen mit hohem BMI typischerweise aus den grossen Studien zur Untersuchung des Pearl-Index ausgeschlossen werden. Sie stellen ein Risikokollektiv dar. Die WHO hat Kategorien definiert, welche die Anwendung verschiedener Kontrazeptiva je nach Grunderkrankung oder Risikofaktoren einschätzt (WHO Medical Eligibility Criteria for Contraceptive Use) (7). Des Weiteren hat die Expertengruppe «European Society of Contraception» unter Berücksichtigung der vorhandenen Datenlage und der genannten WHO-Kriterien ein Statement mit Empfehlungen zur Kontrazeption bei Adipositas publiziert (8).
16 ARS MEDICI DOSSIER I | 2021
GYNÄKOLOGIE/UROLOGIE
Im Folgenden werden spezifische Merkmale einzelner Verhütungsmethoden dargestellt, wobei wir uns auf die Besonderheiten der jeweiligen Methode beschränken.
Kontrazeptionsmethoden
Kombinierte Kontrazeptiva Kombinierte Kontrazeptiva (KK) haben nicht kontrazeptive Benefits wie eine Zyklusregulierung oder die signifikante Reduktion des Risikos für Endometrium- und Ovarialkarzinome (9). Davon profitieren adipöse Frauen umso mehr, da die Prävalenz von Zyklusstörungen sowie die Inzidenz des Endometriumkarzinoms bei einer Adipositas steigen (10, 11). Das mit der Anwendung von KK assoziierte erhöhte thromboembolische und kardiovaskuläre Risiko limitiert die Anwendung dieser Hormone bei Frauen mit Übergewicht. Letztere sind dann absolut kontraindiziert, wenn neben der Adipositas weitere Risikofaktoren wie Alter ≥ 35 Jahre, arterielle Hypertonie ≥ 160/100 mmHg, Migräne mit Aura, Thrombose oder arterielle Ereignisse in der Eigen- oder der Familienanamnese bestehen (12). Adipositas verdoppelt das Thromboserisiko per se (13).
Kombinierte orale Kontrazeptiva (KOK) Pharmakokinetische Studien zum Plasmaspiegel von KOK liegen bei Frauen mit einem BMI von 30–39,9 kg/m2 nur für Präparate mit dem Gestagen Levonorgestrel (LNG) vor. Diese Studien ergaben im Vergleich zu normalgewichtigen Frauen, dass die LNG-Konzentration im Plasma vergleichbar, die Ethinylestradiol-(EE-)Konzentration aber vermindert ist (14, 15). Die Gestagen-Konzentration ist entscheidend für die Verhütungssicherheit. Auch dauert es bei Anwendungsneustart bei adipösen Frauen länger, bis der Steady-State-Plasmaspiegel von LNG erreicht ist (16). Deshalb ist bei höhergradiger Adipositas in den ersten zwei Anwendungswochen die zusätzliche Anwendung eines Kondoms zu überlegen. Klinische Studien zeigen gemäss Cochrane Review von Lopez und Kollegen keine Hinweise für eine reduzierte Wirksamkeit von KOK mit steigendem BMI (17); ein geringer Wirkungsverlust bei einem BMI ≥ 35 kg/m2 wird aber auch hier nicht ausgeschlossen (18). Deshalb sind zur Verbesserung der Verhütungseffizienz KOK mit 30 µg EE statt mit 20 µg zu empfehlen. Das Risiko für thromboembolische Ereignisse steigt mit dem BMI: Adipöse Frauen haben ein Baseline-ThromboseRisiko von 6 bis 11/10 000 Frauenjahre (women years; WY), welches sich durch Einnahme eines KOK im Vergleich zu Normalgewichtigen 2- bis 3-fach erhöht (8). Das Risiko für einen Apolex oder Myokardinfarkt ist gering und beträgt bei KOK-Einnahme 21,4/100 000 Personenjahre (person years; PY) respektive 10,1/100 000 PY (19). Generell steigen kardiovaskuläre Risikofaktoren mit dem Alter an, weshalb KOK bei adipösen Frauen ab einem Alter ≥ 35 Jahre nur nach sorgfältiger Abwägung der Risiken gegen den Benefit angewendet werden sollten (7).
Vaginalring Zum Vaginalring (EE/Etonogestrel) zeigen zwei pharmakokinetische Analysen vergleichbare Serumlevel von Etonogestrel bei normal- und übergewichtigen Frauen. Somit scheint die Wirkung des Vaginalrings durch einen erhöhten BMI nicht beeinträchtigt zu sein (20, 21). Das Thromboserisiko ent-
spricht den Pillen der dritten Generation, ist also höher als mit EE/LNG-haltigen Präparaten (12, 19). Der Vaginalring sollte bei adipösen Frauen nur dann angewendet werden, wenn weitere Risikofaktoren, die ein kardiovaskuläres Ereignis begünstigen, ausgeschlossen sind.
Transdermales Verhütungspflaster Auch wenn keine pharmakokinetische Daten zum transdermalen Verhütungspflaster (EE/Norelgestromin) und Adipositas vorliegen, zeigen klinische Studien eine reduzierte Wirksamkeit ab einem Körpergewicht ≥ 90 kg beziehungsweise einem BMI ≥ 30 kg/m2. Deshalb wird von dessen Anwendung bei einem Körpergewicht ≥ 90 kg abgeraten (22, 23). Bezüglich des Risikos für thromboembolische und kardiovaskuläre Ereignisse gelten dieselben Richtlinien wie für den Vaginalring.
Gestagenhaltige Monopräparate Gestagenhaltige Monopräparate erhöhen das Risiko für thromboembolische Ereignisse nicht (24). Einige, wie die LNG-20-Spirale (Mirena®) oder die Dreimonatsspritze, können zur Behandlung einer Hypermenorrhö, von Myomen und der Endometriose therapeutisch eingesetzt werden (25–27). Die ovulationshemmende Gestagen-Pille (Desogestrel) hat ausserdem positive Auswirkungen auf menstruationsassoziierte und nicht menstruationsassoziierte Migränen (28, 29).
Reine Gestagen-Pille (Desogestrel) Zur Pharmakokinetik der reinen Gestagen-Pille (Desogestrel 75 µg) bei Adipositas liegen keine gezielten Studien vor. In einer Beobachtungsstudie zeigte sich keine Assoziation zwischen steigendem BMI und einer erhöhten Rate ungewollter Schwangerschaften unter Einnahme der Gestagen-Pille (30). Des Weiteren gibt es keinen Hinweis auf ein erhöhtes Risiko für thromboembolische oder kardiovaskuläre Ereignisse (31, 19).
Dreimonatsspritze (Depo-Provera®) Der Plasmaspiegel von Depomedroxyprogesteron (DMPA) sinkt mit steigendem BMI (32, 33). Bei Werten von über 200 pg/ml ist die effiziente Inhibition der Ovulation dennoch gewährleistet (34). Es gibt keine Hinweise auf ein erhöhtes thromboembolisches oder kardiovaskuläres Risiko unter DMPA (35). Zu bedenken ist eine womöglich erschwerte, tiefe intramuskuläre Applikation bei Adipositas. Deshalb kann eine Applikation im Musculus deltoideus oder eine subkutane Applikation vorteilhaft sein.
Etonogestrel-Implantat (Implanon®) Die Serumspiegel von Etonogestrel sind bei Frauen mit BMI ≥ 30 kg/m2 zwar tendenziell geringer als bei Normalgewichtigen, jedoch liegen diese stets über 90 pg/ml, dem erforderlichen Schwellenwert zur Inhibition der Ovulation (36). In klinischen Studien wurden keine erhöhten Versagerquoten bei adipösen Frauen festgestellt (37). Bezüglich der Wirksamkeit sind die Erfahrungswerte bei Adipositas gemäss Hersteller im dritten Anwendungsjahr limitiert. Deshalb kann ein frühzeitiger Wechsel zum Beispiel nach 24 statt 36 Monaten evaluiert werden (8, 38).
ARS MEDICI DOSSIER I | 2021
17
GYNÄKOLOGIE/UROLOGIE
Intrauterine Verhütungsmethoden Kupfer- und hormonhaltige Spiralen sind sehr sichere Verhütungsmethoden für übergewichtige und adipöse Frauen, da sie ihre kontrazeptive Wirkung über lokale Mechanismen im Uterus erzielen und zudem unabhängig von der Compliance der Anwenderin sind. Die Hormonspirale wirkt durch die lokal induzierte Endometriumatrophie protektiv auf die Endometriumschleimhaut und senkt das Risiko für das bei adipösen Frauen gehäuft auftretende Endometriumkarzinom (39). Auch die Kupferspirale ist mit einem reduzierten Risiko für ein Endometriumkarzinom assoziiert, wobei der Wirkmechanismus hier unklar und der kausale Zusammenhang unsicher ist (39). Ein erhöhtes Expositionsrisiko bezüglich sexuell übertragbarer Erkrankungen oder ein deutlich vergrösserter Uterus (> 9 cm Sondenlänge) sollten vor Anwendung einer intrauterinen Verhütungsmethode jedoch immer ausgeschlossen werden (8).
Kupferspirale Die Kupferspirale ist bei übergewichtigen und adipösen Frauen die Methode der Wahl. Aufgrund des lokalen Wirkmechanismus ist die Wirksamkeit bei Adipositas nicht beeinträchtigt, und dank Hormonfreiheit besteht kein zusätzliches Risiko für thromboembolische oder kardiovaskuläre Ereignisse.
Levonorgestrel-Spirale In einer Subgruppenanalyse einer Phase-III-Studie zeigte der BMI keinen Einfluss auf die Effizienz der LNG-Spirale (40). Es besteht kein Hinweis für eine Assoziation mit erhöhtem thromboembolischen oder kardiovaskulären Risiko. Durch vermehrte Östrogen-Produktion in den Fettzellen tritt bei adipösen Frauen häufig ein hormonelles Ungleichgewicht auf, welches Blutungsstörungen im Sinne einer Hypermenorrhö zur Folge hat. Die Anwendung der LNG-Spirale ist in diesem Setting besonders hilfreich (41).
Notfallverhütung
Die Kupferspirale ist bei Adipositas, aber auch generell die zuverlässigste Methode zur Notfallkontrazeption. Ein erhöhter BMI hat keinen Einfluss auf ihre Wirksamkeit. Das Risiko eines Schwangerschaftseintritts bei einem BMI ≥ 30 kg/m2 ist im Vergleich zu normal- oder untergewichtigen Frauen bei Einnahme von LNG (Norlevo®) bis zu 4-fach und bei Einnahme von Ulipristalacetat (Ellaone®) bis zu 2-fach erhöht (42). Trotz dieser Resultate ist die Gesamtschwangerschaftsrate aber so gering, dass gemäss WHO keine Restriktion in der Anwendung erfolgen soll (43, 44). Adipositas stellt auch bezüglich des Thrombose- oder arteriellen Risikos keine Kontraindikation dar.
Besondere Beratungssituationen bei Übergewicht und Adipositas
Jugendliche Falls keine weiteren Risikofaktoren vorliegen und eine regelmässige Abbruchblutung erwünscht wird, können KOK initiiert werden. Eine Pille mit 30 µg EE hat im Vergleich zu einer Dosierung von 20 µg EE eine höhere Wirksamkeit, ohne dass ein erhöhtes Thromboserisiko nachgewiesen ist (45). Bezüglich der Wahl des Gestagens ist LNG aufgrund des niedrigeren
Thromboserisikos zu bevorzugen. Aufgrund der Verzögerung bis zum Erreichen des Steady-State-Plasmalevels kann eine zusätzliche Verhütung mittels Kondom in den ersten 14 Tagen ab Anwendungsbeginn empfohlen werden (8).
Frauen > 40 Jahre Da das Thrombose- und Myokardinfarkrisiko mit dem Alter steigt, sind bei Frauen > 40 Jahre gestagenhaltige Monopräparate oder hormonfreie Kontrazeptiva wie die Kupferspirale indiziert. Aufgrund des protektiven Effekts auf das Endometrium und der Reduktion perimenopausaler Blutungsstörungen kann die LNG-Spirale als Verhütungsmethode empfohlen werden (7). Bei abgeschlossener Familienplanung ist auch eine Vasektomie oder Tubenligatur zu diskutieren.
Raucherinnen Aufgrund des erhöhten thromboembolischen und kardiovaskulären Risikos wird von einer Verhütung mittels KOK, unabhängig vom quantitativen Nikotinkonsum, abgeraten. Gestagenhaltige Monopräparate oder die intrauterinen Verhütungsmethoden sind bei Raucherinnen bessere Alternativen (7).
Antikonzeption nach bariatrischer Chirurgie Eine sichere Antikonzeption sollte bereits vor der Durchführung eines bariatrischen Eingriffs besprochen werden. Die Einnahme eines KOK muss mindestens 4 Wochen vor einer Operation sistiert werden. Verschiedene Operationstechniken führen aufgrund ihrer Auswirkungen auf die Resorption oraler Präparate zu unterschiedlichen kontrazeptiven Optionen. Bei restriktiven Eingriffen wie dem Einsetzen eines Magenbands oder einer Sleeve-Gastrektomie können postoperativ orale Präparate eingesetzt werden. Bei malabsorptiven Eingriffen wie einem jejunoilealen oder Roux-en-Y-Bypass ist hingegen die Wirksamkeit einer oralen Kontrazeption nicht sicher gewährleistet. Intrauterine Verhütungsmethoden und DMPA-Applikation sind möglich. Da die bariatrische Chirurgie mit reduzierter Knochendichte assoziiert ist, sollte die Applikation von DMPA zurückhaltend erfolgen. Nach ausreichender Gewichtsreduktion und ohne weitere kardiovaskuläre Risikofaktoren kann auch mittels Vaginalring oder kombiniertem Verhütungspflaster verhütet werden. Bei einer Notfallantikonzeption ist die Kupferspirale zu bevorzugen.
Antikonzeption und Gewichtszunahme Viele Frauen lehnen eine hormonelle Kontrazeption aus Sorge vor einer Gewichtszunahme ab oder sistieren eine solche frühzeitig wieder (46). Insbesondere bei Frauen mit erhöhtem BMI ist eine weitere Gewichtszunahme aufgrund der assoziierten Komorbiditäten zu vermeiden. Die Datenlage zur Gewichtszunahme unter hormoneller Kontrazeption ist spärlich: Die Beobachtungszeiten in den vorhandenen Studien sind mit 6 bis 24 Zyklen kurz, es besteht ein Bias bei vorzeitigem Anwendungsabbruch bei beginnender Gewichtszunahme oder bei Anwendungsabbruch aus nicht gewichtsabhängigen Gründen (z. B. Blutungsstörungen oder Stimmungsschwankungen). Ausserdem bestehen weitere Einflussfaktoren wie körperliche Aktivität, Ernährung und Genetik (47). Schliesslich besteht zusätzlich eine hormonunabhängige, altersbe-
18 ARS MEDICI DOSSIER I | 2021
GYNÄKOLOGIE/UROLOGIE
dingte Gewichtszunahme von etwa 0,3 kg/Jahr bis zur Menopause (48). Unter Berücksichtigung dieser Faktoren zeigt die aktuelle Datenlage keine signifikante Gewichtsänderung bei Anwendung von Kombinationspräparaten, Intrauterinpessaren oder der reinen Gestagen-Pille. Beim Etonogestrel-Implantat beträgt der umgerechnete Gewichtsanstieg etwa 1 kg/ Jahr, und bei DMPA-Applikation ergab sich eine mittlere Gewichtszunahme von etwa 2 kg/Jahr (bei einer Untergruppe mit starker Gewichtszunahme von bis zu 5 kg/Jahr) (47). Diese Berechnungen basieren auf den Daten normalgewichtiger Frauen, und derzeit ist unklar, ob sich diese Zahlen auf übergewichtige und adipöse Frauen übertragen lassen.
Schlussfolgerung
Bis heute sind übergewichtige und adipöse Frauen in Studien
zu Wirksamkeit und Sicherheit der verschiedenen Antikon-
zeptionsmethoden unterrepräsentiert. Vor dem Hintergrund
der Zunahme adipöser Frauen weltweit (49) und der mögli-
chen Wechselwirkungen zwischen Hormonen, dem Körper-
gewicht und dem Essverhalten (50) sollten zukünftige Studien
Frauen mit Übergewicht und Adipositas einschliessen, um so
die Grundlagen für eine adäquate Antikonzeptionsberatung
zu verbessern.
▲
Dr. med. Charlène Insam (Erstautorin)
Dr. med. Katharina Unterhuber E-Mail: katharina.unterhuber@usz.ch
Prof. Dr. med. Gabriele Merki-Feld
Prof. Dr. med. Brigitte Leeners E-Mail: brigitte.leeners@usz.ch
Universitäts-Frauenklinik Universitätsspital Zürich 8061 Zürich
Interessenkonflikte: keine.
Quellen: 1. Nguyen B et al.: Pregnancy intention and contraceptive use among wo-
men by class of obesity: results from the 2006–2010 and 2011–2013 National Survey of Familiy Growth. Womens Health Issues Off Publ Jacobs Inst Womens Health 2018; 28: 51–58. 2. Bundesamt für Statistik, https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/gesundheit/determinanten/uebergewicht.html 2017. [Online]. 3. Bethesda MD.: Managing Overweight and Obesity in Adults: Systematic Evidence Review from the Obesity Expert Panel- National Heart, Lung and Blood Institute; National Institutes of Health, Bd. U.S. Department of Health and Human Services 2013. 4. Patel S et al.: Are hormonal contraceptives less effective in overweight and obese women? JAAPA 2018 Jan; 31(1): 11–13. 5. Jusko W et al.: Clarification of contraceptive drug pharmacokinetics in obesity. Contraception 2017; 95(1): 10–16. 6. Gesink D et al.: Obesity and time to pregnancy. Hum Reprod 2007 Feb; 22(2): 414–420. 7. WHO: Medical Eligibilty Criteria for Contraceptive Use, fifth edition. World health organization, 2015. 8. Merki-Feld G et al.: European society of contraception statement on contraception in obese women. Eur J Contracept Reprod Health Care 2015 Feb; 20(1): 19–28.
9. Collaborative Group on Epidemiological Studies on Endometrial Cancer: Endometrial cancer and oral contraceptives: an individual participant meta-analysis of 27 276 women with endometrial cancer from 36 epidemiological studies. Lancet Oncol 2015 Sep; 16(9): 1061–1070.
10. Seif M et al.: Obesity and menstrual disorders. Best Pract Res Clin Obstet Gynaecol 2015 May; 29(4): 516–527.
11. Shaw E et al.: Obesity and Endometrial Cancer. Recent Results Cancer Res 2016; 208: 107–136.
12. SGGG Expertenbrief No 35. www.sgggg.ch 2013. [Online]. 13. Pomp E et al.: Risk of venous thrombosis: obesity and its joint effect with
oral contraceptive use and prothrombotic mutations. Br J Haematol 2007 Oct; 139(2): 289–296. 14. Westhoff C et al.: Pharmacokinetics of a combined oral contraceptive in obese and normal-weight women. Contraception 2010 Jun; 81(6): 474– 480. 15. Edelmann A et al.: Prolonged monitoring of ethinyl estradiol and levonorgestrel levels confirms an altered pharmacokinetic profile in obese oral contraceptives users. Contraception 2013 Feb; 87(2): 220–226. 16. Edelman A et al.: Correcting oral contraceptive pharmacokinetic alterations due to obesity: a randomized controlled trial. Contraception 2014 Nov.; 90(5): 550–556. 17. Lopez L et al.: Hormonal contraceptives for contraception in overweight or obese women. Cochrane Database Syst Rev 2016 Aug 18; (8). 18. Dinger J et al.: Effectiveness of oral contraceptive pills in a large U.S. cohort comparing progestogen and regimen. Obstet Gynecol 2011 Jan; 117(1): 33–40. 19. Lidegaard O et al.: Thrombotic stroke and myocardial infarction with hormonal contraception. N Engl J Med 2012 Jun 14; 366(24): 2257–2266. 20. Westhoff C et al.: Pharmacokinetics and ovarian suppression during use of a contraceptive vaginal ring in normal-weight and obese women. Am J Obstet Gynecol 2012 Jul; 207(1): 39.e1–6. 21. Dragoman M et al.: Contraceptive vaginal ring effectiveness is maintained during 6 weeks of use: a prospective study of normal BMI and obese women. Contraception 2013 Apr; 87(4): 432–436. 22. Zieman M et al.: Contraceptive efficacy and cycle control with the Ortho Evra/Evra transdermal system: the analysis of pooled data. Fertil Steril 2002 Feb; 77(2 Suppl 2): S13–8. 23. Yamazaki M et al.: Effect of obesity on the effectiveness of hormonal contraceptives: an individual participant data meta-analysis. Contraception 2015 Nov; 92(5): 445–452. 24. Edelman A et al.: Obesity and hormonal contraception: safety and efficacy. Semin Reprod Med 2012 Dec; 30(6): 479–485. 25. Koh S et al.: The effect of levonorgestrel-releasing intrauterine system use on menstrual blood loss and the hemostatic, fibrinolytic/inhibitor systems in women with menorrhagia. J Thromb Haemost 2007 Jan; 5(1): 133–138. 26. L. Bahamondes et al.: Use of the levonorgestrel-releasing intrauterine system in women with endometriosis, chronic pelvic pain and dysmenorrhea. Contraception 2007 Jun; 75(6 Suppl): 134–139. 27. Cheewadhanaraks S et al.: Postoperative depot medroxyprogesterone acetate versus continuous oral contraceptive pills in the treatment of endometriosis-associated pain: a randomized comparative trial. Gynecol Obstet Invest 2012; 74(2): 151–156. 28. Merki-Feld G et al.: Headache frequency and intensity in female migraineurs using desogestrel-only contraception: a retrospective pilot diary study. Cephalalgia 2013 Apr; 33(5): 340–346. 29. Merki-Feld G et al.: Desogestrel-only contraception may reduce headache frequency and improve quality of life in women suffering from migraine. Eur J Contracept Reprod Health Care 2013 Oct; 18(5): 394–400. 30. Vessey M et al.: Oral contraceptive failures and body weight: findings in a large cohort study. J Fam Plann Reprod Health Care 2001 Apr; 27(2): 90–91. 31. Lidegaard O et al.: Risk of venous thromboembolism from use of oral contraceptives containing different progestogens and oestrogen doses: Danish cohort study, 2001–9. BMJ 2011 Oct 25; 343: 6423. 32. Jain J et al.: Contraceptive efficacy and safety of DMPA-SC. Contraception 2004 Oct; 70(4): 269–275. 33. Jain J et al.: Pharmacokinetics, ovulation suppression and return to ovulation following a lower dose subcutaneous formulation of Depo-Provera. Contraception 2004 Jul; 70(1): 11–8. 34. Segall-Gutierrez S et al.: Follicular development and ovulation in extremely obese women receiving depo-medroxyprogesterone acetate subcutaneously. Contraception 2010 Jun; 81(6): 487–495. 35. Goldstein J et al.: Effect of depomedroxyprogesterone acetate on coagulation parameter: a pilot study. Fertil Steril 2007 Jun; 87(6): 1267–1270. 36. Morrell K et al.: Relationship between etonogestrel level and BMI in women using the contraceptive implant for more than 1 year. Contraception 2016 Mar; 93(3): 263–265.
20 ARS MEDICI DOSSIER I | 2021
GYNÄKOLOGIE/UROLOGIE
37. Xu H et al.: Contraceptive failure rates of etonogestrel subdermal implants in overweight and obese women. Obstet Gynecol 2012 Jul;120(1): 21–26.
38. Lazorwitz A et al.: Influence of Genetic Variants on Steady-State Etonogestrel Concentrations Among Contraceptive Implant Users. Obstet Gynecol 2019 Apr; 133(4): 783–794.
39. Curtis K et al.: Neoplasia with use of intrauterine devices. Contraception 2007 Jun; 75(6 Suppl): S60–69.
40. Gemzell-Danielsson K et al.: The Effect of Age, Parity and Body Mass Index on the Efficacy, Safety, Placement and User Satisfaction Associated With Two Low-Dose Levonorgestrel Intrauterine Contraceptive Systems: Subgroup Analyses of Data From a Phase III Trial. PLoS One 2015 Sep 17; 10(9): e0135309.
41. Irvine G et al.: Randomised comparative trial of the levonorgestrel intrauterine system and norethisterone for treatment of idiopathic menorrhagia. Br J Obstet Gynaecol 1998 Jun; 105(6): 592–598.
42. Jatlaoui T et al.: Safety and effectiveness data for emergency contraceptive pills among women with obesity: a systematic review. Contraception,2016 Dec; 94(6): 605–611.
43. Festin M et al.: Effect of BMI and body weight on pregnancy rates with LNG as emergency contraception: analysis of four WHO HRP studies. Contraception 2017 Jan; 95(1): 50–54.
44. Glasier A et al.: Can we identify women at risk of pregnancy despite using emergency contraception? Data from randomized trials of ulipristal acetate and levonorgestrel. Contraception 2011 Oct; 84(4): 363–367.
45. European Society of Contraception and Reproductive Health (ESCRH): https://escrh.eu/wp-content/uploads/2019/03/MC-Obestity-VTE-Family-history-21_03-2019-notes.pdf – 2019. [Online].
46. Wellings K et al.: Attitudes towards long-acting reversible methods of contraception in general practice in the UK. Contraception 2007 Sep; 76(3): 208–214.
47. Häni D et al.: Gewichtsveränderung unter hormonalen Kontrazeptiva: Mythos oder Wahrheit? Gynäkol Geburtshilfliche Rundsch 2009; 49: 87–93.
48. Flegal K et al.: Changes in the distribution of body mass index of adults and children in the US population. Int J Obes Relat Metab Disord 2000 Jul; 24(7): 807–818.
49. NCD Risk Factor Collaboration: Trends in adult body-mass index in 200 countries from 1975 to 2014: a pooled analysis of 1698 population-based measurement studies with 19·2 million participants. Lancet 2016 Apr 2; 387(10026): 1377–1396.
50. Leeners B et al.: Ovarian hormones and obesity. Hum Reprod Update 2017 May 1; 23(3): 300–321.
ARS MEDICI DOSSIER I | 2021
21