Transkript
Leichter bis moderater Morbus Crohn
Tipps zur Therapiestrategie
GASTROENTEROLOGIE
Foto: vh
Die Behandlung des Morbus Crohn bedarf einer langfristigen Strategie. An deren Beginn im leichten bis moderaten Stadium bewähren sich die konventionellen Medikamente. Erst danach sieht Prof. Dr. med. Dr. phil. Gerhard Rogler, Direktor der Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie, Universitätsspital Zürich, den Einsatz für Biologika gerechtfertigt, wie er an der UEG-Week in Barcelona erklärte.
Trotz der mittlerweile grossen Auswahl an Bio-
logika sei es wichtig, die Therapie des Morbus
Crohn in den Anfangsstadien (bei leichtem Ver-
lauf gegebenenfalls mit hoch dosiertem Mesa-
lazin) mit hoch dosiertem Budesonid (9 mg)
oder Kortikosteroiden zu beginnen, eröffnete
Rogler seinen Vortrag. Eine Netzwerkmetaana-
lyse attestiert diesen drei Substanzen im Ver-
gleich zu Plazebo eine gute Wirksamkeit für die
Prof. Gerhard Rogler
Induktion einer Remission bei einem milden bis moderaten Morbus Crohn, wobei das hoch
dosierte Budesonid gleich stark wirkt wie Kor-
tikosteroide (1). Eine Step-up-Therapie scheint wichtig und
richtig zu sein, wie eine Auswertung der EPI-IBD-COHORT-
Studie nahelegt.
In dieser prospektiv laufenden Beobachtungsstudie, an der 31
Zentren in Europa mit 1289 Patienten mit neu diagnostizier-
ter chronisch entzündlicher Darmerkrankung teilnahmen,
KURZ & BÜNDIG
� Leichter bis moderater Morbus Crohn sollte zunächst konventionell behandelt werden.
� Die konventionelle Therapie sollte immer optimiert werden, bevor ein Therapiewechsel erfolgt. Dazu gehört zum Beispiel für die Thiopurintherapie eine Messung der 6-TGN-Spiegel.
� Die Entscheidung für Biologika sollte rechtzeitig getroffen werden.
� Es gibt kein Biologikum der ersten Wahl für alle. Die Wahl richtet sich nach Begleiterkrankungen, Alter, Infektionsrisiko, Schwere und Befall der chronisch entzündlichen Darmerkrankung.
� Bei Wirkungsverlust auch bei Biologika einen Optimierungsversuch starten, bevor ein Wechsel erfolgt.
� Nach Erreichen der Remission eine Rückfallprävention einrichten.
darunter 488 mit Morbus Crohn, wurde die Erkrankungsaktivität des indolenten Morbus Crohn (n = 97) und der damit einhergehenden Medikation während 28 Monaten beobachtet. 303 Crohn-Patienten (62%) erhielten 5-ASA (5-Aminosalicylsäure) im Verlauf des Beobachtungszeitraums. 97 Patienten (20%) wurden im ersten Jahr nach Diagnose mit 5-ASA behandelt, und 80 Patienten (82%) erhielten gar keine Medikamente. Während des Follow-up benötigten 15 Prozent der indolenten Gruppe mit 5-ASA eine Step-up-Therapie: 4 Prozent im Maximum Kortikosteroide, 12 Prozent Immunmodulatoren und 1 Prozent Biologika. Die meisten Patienten (80%) der indolenten Gruppe und 15 Prozent der gesamten Kohorte benötigten zu keinem Zeitpunkt eine Intensivierung der Therapie. Das bedeutet, dass eine substanzielle Gruppe nur eine milde oder keine Therapie während des Beobachtungszeitraums von 28 Monaten benötigte und einen stillen Krankheitsverlauf durchlebte. Damit bewahre eine gute Patientenstratifizierung nicht nur vor Unter-, sondern auch vor Übertherapie, so das Fazit der Autoren (2). «Daraus muss man schliessen, dass eine Top-down-Strategie für alle Morbus-Crohn-Patienten einer Übertherapie gleichkommt», betonte Rogler. Eine Step-up-Strategie für milde, moderate und schwere chronisch entzündliche Darmerkrankungen fasste er in einem Algorithmus zusammen, der gemeinsam von einer Schweizer Expertengruppe erarbeitet wurde (Abbildung).
Optimieren vor Stufenwechsel
Bevor die nächste Therapiestufe mit Biologika zum Einsatz kommt, empfiehlt Rogler, eine mögliche Verbesserung der bestehenden Therapie durch Optimierung herbeizuführen. Wird beispielsweise Budesonid anstelle von systemischen Kortikosteroiden eingesetzt, sind die steroidabhängigen Nebenwirkungen schwächer (3). Dies, weil oral verabreichtes Budesonid einen 90-prozentigen First-Pass-Effekt in der Leber aufweist und nur 10 Prozent des Wirkstoffs in den gesamten Körper gelangen. Budesonid wirkt also im Darm und wird dann grösstenteils in der Leber inaktiviert. Einen Versuch wert sei auch die lokale Verabreichung von Budesonid als Schaum oder Einlauf bei Dickdarm-Crohn, so Rogler, auch wenn beides eigentlich nur bei Colitis ulcerosa zugelassen sei.
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GASTROENTEROLOGIE
milde Erkrankung (meist Kolon): 5-ASA oral oder rektal erwägen
–
Steroide +/–
AZA/6-MP/MTX
+ Antibiotika, wenn indiziert
Hochrisikopatienten für progressive Erkrankung
+ + –nach 2 Wochen Response bewerten, Steroide ausschleichen
keine Medikation, wenn indiziert
Erhaltungstherapie mit AZA/6-MP/MTX
alle 10–12 Wochen Response bewerten
–
steroidabhängig: bei erfolglosem Ausschleichen innert 16 Wochen oder einem
Rückfall innert 12 Wochen nach Steroidstopp
steroidrefraktär: Krankheitsaktivität trotz oraler Steroide
über 4 Wochen
bei extraintestinalen Manifestationen oder wenn schnellerer E ekt erwünscht: Anti-TNF erwägen
chirurgischen Eingriff erwägen
Anti-TNF
Anti-IL-23
– Anti-IL-23
Anti-Integrin
Anti-TNF +/–
AZA/6-MP/ MTX
alle 10–12 Wochen Response bewerten
+–
–+
inadäquate Response oder Responseverlust
Intoleranz
keine Response
Erhaltungstherapie mit
Anti-TNF
1. Optimierung durch Dosiseskalation 2. Kombination evaluieren + AZA/6-MP 3. auf anderes Biologikum
umsteigen
alle 10–12 Wochen Response bewerten, Pharmakokinetik
berücksichtigen
–Anti-IL-23
auf anderes Anti-TNF oder Anti-Integrin
umsteigen
chirurgischen Eingriff erwägen
–
Erhaltungstherapie mit Anti-TNF oder Anti-Integrin
–
Anti-IL-23
Abkürzungen: 5-ASA: 5-Aminosalicylsäure; AZA: Azathioprin; 6-MP: 6-Mercaptopurin; MTX: Methotrexat; TNF: Tumornekrosefaktor
+ Response/Remission – keine Response/keine Remission
Quelle: modifiziert nach «Swiss expert recommendation – based on ECCO-Guidelines 2010: Treatment algorithm für crohn’s disease», Prof. G. Rogler, UEGW 2019, Barcelona
Abbildung: Schweizer Algorithmus zur Behandlung des luminalen Morbus Crohn (ohne Fisteln)
Sind Thiopurine im Einsatz, so besteht eine Dosis-WirkungsBeziehung (4). Eine Azathioprin-Standarddosis von 2 bis 2,5 mg/kg kann bei ungenügender Wirkung erhöht werden, so auch die Standarddosis 6-Mercaptopurin 1 bis 1,5 mg/kg. Ein Wirkspiegel von 230 bis 260 pmol Thiopurinmetabolite (Thioguanin nukleotid, TGN)/8 × 108 Erythryozyten sollte erreicht werden. Werde Azathioprin nicht vertragen, könne auch ein Wechsel auf 6-Mercaptopurin eine Option sein, so Rogler. Mit der Messung nach 4 Wochen lassen sich ausserdem Nonadhärenz, Unterdosierung, Shunting und Wirkungslosigkeit voneinander unterscheiden, sodass die entsprechenden Massnahmen eingeleitet werden können, ohne erst 12 Wochen abwarten zu müssen (5). Auch bei Methotrexat sei eine Dosis-Wirkungs-Beziehung anzunehmen: Dosen unter 15 mg seien bei chronisch entzünd-
lichen Darmerkrankungen ineffektiv, und mehr als die Hälfte der Patienten, die mit 15 mg rückfällig würden, könnten mit einer Dosiseskalation auf 25 mg eine anhaltende Remission erreichen, erklärte Rogler. Auch höhere Dosierungen bis zu 35 mg seien möglich, limitierend sei die Verträglichkeit.
Biologika: Mit welchem beginnen?
Weil direkte Vergleichsstudien zur Beantwortung dieser Frage fehlen, muss auf Metaanalysen zurückgegriffen werden, die die Remissionsraten der Biologika miteinander vergleichen. Bei biologikanaiven Patienten ist gemäss einer Netzwerkmetaanalyse die Wahrscheinlichkeit für eine Remission nach Induktion mit Infliximab mit 52,7 Prozent am höchsten. In der Erhaltungstherapie sinkt die Remissionsrate auf 45,7 Prozent aufgrund der Antikörperbildung gegen Infliximab. Die Wahr-
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scheinlichkeiten für eine Remission nach Induktion und Remissionserhalt liegen für Adalimumab bei 41,8 und 57,4 Prozent, für Certolizumab bei 20,5 und 38,3 Prozent, für Vedolizumab bei 33,7 und 37,7 Prozent sowie für Ustekinumab bei 34,2 und 35,8 Prozent (6). Bei Vedolizumab und Ustekinumab sind die Remissionsraten über die ganze Therapie konstant. Bei Patienten mit moderatem bis schwerem Morbus Crohn und Biologikaerfahrung beziehungsweise bereits erfolgter AntiTNF-Therapie (meist Infliximab) scheint die Remissionsinduktion unter Adalimumab und Ustekinumab gemäss einer weiteren Netzwerkmetaanalyse am aussichtsreichsten zu sein (7). Bei etwa einem Drittel der Patienten tritt unter einem AntiTNF im Therapieverlauf ein Responseverlust auf. In diesem Fall besteht mit einer Optimierung beziehungsweise einer Intervallverkürzung gemäss Rogler eine intakte Chance auf eine Wiedererlangung der Wirkung (8).
Was sollte das Ziel einer Behandlung sein?
Die klinische Remission kann ein realistisches Ziel sein. Die Mukosaheilung als Remissionsziel, wie in vielen Studien verwendet, wird gemäss Rogler mit Biologika nur selten erreicht. Nach einer chirurgisch induzierten Remission dagegen sei es das Ziel, einen Rückfall zu verhindern. Hier habe in einer kürzlich publizierten Cochrane-Netzwerkmetaanalyse von 20 randomisiert kontrollierten Studien 5-ASA die beste Evidenz für eine Rückfallprävention gezeigt (9), so Rogler abschliessend. ▲
Quelle: «Therapy update: Practical algorithms in Crohn’s disease – optimization when possible»; United European Gastroenterology Week (UEGW) 2019, 21. bis 23. Oktober in Barcelona.
Referenzen: 1. Coward S et al.: Comparative effectiveness of mesalamine, sulfasalazine,
corticosteroids, and budesonide for the induction of remission in Crohn’s disease: a Bayesian network meta-analysis: republished. Inflamm Bowel Dis 2017, May 1; 23: E26–E37; doi: 10.1097/MIB.0000000000001158. 2. Burisch J et al.: Course of indolent Crohn’s disease in a prospective European population-based inception cohort with five years follow-up. Abstract OP062, präsentiert an der UEG-Week 2019 in Barcelona. 3. Seow CH et al.: Budesonide for induction of remission in Crohn’s disease. Cochrane Database Syst Rev 2008; 3: CD000296. 4. Prefontaine E et al.: Azathioprine or 6-mercaptopurine for induction of remission in Crohn’s disease. Cochrane Database Syst Rev 2009; 4: CD000545. 5. Gearry RB et al.: Azathioprine and 6-mercaptopurine pharmacogenetics and metabolite monitoring in inflammatory bowel disease. J Gastro Hepatol 2005; 20: 1149–1157. 6. Singh S et al.: Network meta-analysis to inform positioning of biologics in patients with Crohn’s disease: promise and perils. Best Pract Res Clin Gastroenterol 2019; 38–39: 101614. 7. Singh S et al.: Systematic review and network meta-analysis: first- and second-line biologic therapies for moderate-severe Crohn’s disease. Aliment Pharmacol Ther 2018; 48: 394–409. 8. Ben-Horin S et al.: Review article: Loss of response to anti-TNF treatments in Crohn’s disease. Aliment Pharmacol Ther 2011; 33: 987–995. 9. Iheozor-Ejiofor Z et al.: Interventions for maintenance of surgically induced remission in Crohn’s disease: a network meta-analysis. Cochrane Database Syst Rev 2019; 9: CD013210.
Valérie Herzog
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