Transkript
GASTROENTEROLOGIE
Vedolizumab und Ustekinumab
Neue Optionen für Patienten mit Colitis ulcerosa
Neben den Tumornekrosefaktor-(TNF-)Hemmern sind mittlerweile auch Biologika mit anderen Wirkmechanismen für Patienten mit Colitis ulcerosa verfügbar. In einer kürzlich publizierten Head-to-HeadStudie wurde die Wirksamkeit von Vedolizumab im Vergleich mit dem TNF-Hemmer Adalimumab in dieser Indikation untersucht. In einer weiteren Studie ging es um die Wirksamkeit von Ustekinumab im Vergleich mit Plazebo bei Patienten mit Colitis ulcerosa.
New England Journal of Medicine
Die Zulassung von TNF-Hemmern, wie Infliximab (Inflectra®, Remicade®, Remsima®), Adalimumab (Amgevita®, Humira®, Hyrimoz®) oder Golimumab (Simponi®), zur Behandlung von Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Colitis ulcerosa (CU) gilt als grosser therapeutischer Fortschritt. Bei einem erheblichen Anteil der CU-Patienten bleibt die gewünschte Wirkung der TNF-Hemmer jedoch aus, oder sie lässt
Mayo-Score
Es können 0 bis 12 Punkte erreicht werden. Je höher die Punktzahl, desto höher die Krankheitsaktivität. 2 bis 5 Punkte entsprechen einer milden Erkrankung, ab 6 Punkten liegt eine mittelschwere bis schwere Erkrankung vor (4).
1. Stuhlfrequenz pro Tag normal 1 bis 2 Stühle mehr als normal 3 bis 4 mehr als normal > 5 mehr als normal
Punkte
0 1 2 3
2. Rektale Blutungen kein Blut Blutschlieren deutliche Blutbeimengung hauptsächlich Blut
0 1 2 3
3. Endoskopische Befunde normal leicht spröde Schleimhaut moderat spröde Schleimhat spontane Blutungen
0 1 2 3
4. Einschätzung des Arztes normal leichte Erkrankung mittelschwere Erkrankung schwere Erkrankung
0 1 2 3
mit der Zeit nach, sodass nach einem Jahr nur 17 bis 34 Prozent der Patienten mit TNF-Hemmern in klinischer Remission sind (1). Der für die Indikationen Morbus Crohn (MC) und CU zugelassene Antikörper Vedolizumab (Entyvio®) hat einen anderen Wirkmechanismus als die TNFHemmer. Vedolizumab blockiert ein Adhäsionsmolekül, das für den Übertritt entzündlich aktiver T-Lymphozyten in die Schleimhaut von Magen und Darm notwendig ist. Auch die Wirkung des Antikörpers Ustekinumab (Stelara®), welcher zurzeit in der Schweiz in den Indikationen Psoriasis und MC zugelassen ist, basiert nicht auf einer TNF-Blockade, sondern er blockiert die Interleukine 12 und 23, die eine wichtige Rolle bei vielen autoimmunen Entzündungsprozessen spielen. Zu beiden Biologika wurden kürzlich neue Studien mit CU-Patienten publiziert: Vedolizumab wurde in einer Head-to-Head-Studie mit dem TNFHemmer Adalimumab verglichen (2). Für Ustekinumab erfolgte eine klassische Zulassungsstudie mit Plazebo als Vergleichssubstanz (3). In beiden Studien war die klinische Remission primärer Endpunkt. Als klinische Remission galt ein Mayo-Score ≤ 2, wobei in keiner der vier Komponenten der Mayo-Skala mehr als 1 Punkt erreicht werden durfte (s. Kasten).
VARSITY: Vedolizumab vs. Adalimumab
In der VARSITY-Studie wurde Vedolizumab i.v. mit Adalimumab s.c. bei Patienten mit aktiver mittelschwerer bis schwerer CU verglichen, bei denen kon-
ventionelle Therapien versagt hatten. Rund 20 Prozent der Patienten in beiden Gruppen waren zuvor bereits erfolglos mit einem anderen TNF-Hemmer behandelt worden. Keiner der Patienten hatte jemals zuvor Vedolizumab erhalten. Insgesamt wurden 769 Patienten in die Studie aufgenommen, 383 in die Vedolizumab- und 386 in die Adalimumabgruppe. Um die Verblindung zu garantieren, erhielten alle Patienten sowohl Infusionen als auch subkutane Injektionen: Die Patienten in der Vedolizumabgruppe erhielten subkutane Plazeboinjektionen und diejenigen in der Adalimumabgruppe Plazeboinfusionen. Es erfolgten insgesamt 8 Infusionen mit je 300 mg Vedolizumab (bzw. Plazebo) zu Beginn der Studie sowie in den Wochen 2, 6, 14, 22, 30, 38 und 46. Adalimumab (bzw. Plazebo) wurde subkutan injiziert zu Beginn der Studie (4 Spritzen à 40 mg), in Woche 2 (2 Spritzen à 40 mg) und danach alle 2 Wochen (je 1 Spritze à 40 mg) bis zur 50. Studienwoche. Eine Erhöhung der Dosis war in keinem der Studienarme erlaubt. Dies könnte zu einer Verzerrung der Daten zulasten von Adalimumab geführt haben, heisst es in einem Editorial in der gleichen Ausgabe des «New England Journal of Medicine» (1), weil Dosiserhöhungen in der Praxis bei Adalimumab häufiger vorkommen als bei Vedolizumab.
Vedolizumab besser bei Remission, Endoskopie und Infektionen
Der Anteil an Patienten in klinischer Remission in der 52. Studienwoche war mit Vedolizumab statistisch signifikant höher als mit Adalimumab (31,3% vs.
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22,5%). Auch bei den endoskopischen Befunden erwies sich Vedolizumab in der 52. Studienwoche als überlegen (39,7% vs. 27,7%). Wer zuvor bereits einmal erfolglos mit einem anderen TNF-Hemmer behandelt worden war, hatte generell schlechtere Erfolgsaussichten (Remission: 20,3% vs. 16%) als diejenigen, die zuvor noch nie mit einem TNF-Hemmer behandelt worden waren (Remission: 34,2% vs. 24,3%); das galt auch für die anderen Endpunkte. Infektionen waren mit Vedolizumab im Allgemeinen seltener als mit Adalimumab (23,4 vs. 34,6 Fälle pro 100 Patientenjahre); das galt auch für schwere Infektionen (1,6 vs. 2,2 pro 100 Patientenjahre). Während Herpes-Zoster-Infektionen mit Vedolizumab seltener beobachtet wurden (0,5 vs. 4,2 pro 100 Patientenjahre), waren Infektionen mit Clostridium difficile mit Adalimumab seltener (1,1 vs. 0,6 pro 100 Patientenjahre).
Adalimumab besser bei steroidfreier Remission
Bezüglich des Kortikosteroidbedarfs schnitt Adalimumab im Vergleich mit Vedolizumab besser ab. Eine klinische Remission ohne gleichzeitige Kortikosteroidgabe erreichten in der 52. Studienwoche 21,8 Prozent der Patienten mit Adalimumab und 12,6 Prozent der Patienten mit Vedolizumab. Das bedeutet, dass ein grosser Teil der Remissionen unter Vedolizumab offenbar von der gleichzeitigen Steroidgabe abhängig war.
UNIFI: Ustekinumab vs. Plazebo
Die UNIFI-Studie mit Ustekinumab hatte ein komplexes Studiendesign mit zwei Abschnitten: der Induktionphase (Woche 0 bis 8) mit einer einmaligen i.v.-Gabe von Ustekinumab und der sich daran anschliessenden Erhaltungsphase mit s.c.-Gaben von Ustekinumab (44 Wochen), die Gesamtstudiendauer betrug somit in der Regel 52 Wochen. In der Erhaltungsphase gab es zwei Patientenkollektive: ein zuvor neu randomisiertes und ein nicht randomisiertes Kollektiv. In den randomisierten Teil der Erhaltungsphase wurden nur Patienten aufgenommen, die auf eine i.v.-Gabe von Ustekinumab angesprochen hatten. Nur
die Daten dieser Patienten wurden zur Analyse der Wirksamkeit am Ende der Studie berücksichtigt. In das nicht randomisierte Kollektiv kamen alle, die in der Induktionsphase nicht oder nur verzögert auf Ustekinumab angesprochen hatten, sowie diejenigen, die auf Plazebo angesprochen hatten. Sie erhielten weiterhin s.c. Ustekinumab oder s.c. Plazebo; die Daten der Patienten im nicht randomisierten Kollektiv gingen nur in die Sicherheitsanalyse ein. Insgesamt 961 Patienten mit mittelschwerer bis schwerer CU (Mayo-Score ≥ 6) wurden in die UNIFI-Studie aufgenommen. Sie durften zuvor noch nie einen Interleukin-12- oder Interleukin-23-Hemmer erhalten haben. TNFHemmer mussten mindestens8 Wochen vor Eintritt in die Studie abgesetzt werden, Vedolizumab mindestens 4 Monate vorher. Etwa die Hälfte der eingeschlossenen Patienten hatte in der Vergangenheit bereits ohne Erfolg mindestens einen TNF-Hemmer erhalten, ein Drittel hatte es mit einem TNF-Hemmer und mit Vedolizumab versucht, einige wenige Patienten hatten zuvor nur Vedolizumab bekommen (1,2%).
Ustekinumab besser als Plazebo
Für die Induktionsstudie wurden die Patienten in drei etwa gleich grosse Gruppen randomisiert. Alle erhielten eine einzige Infusion i.v.: Ustekinumab 6 mg/kg Körpergewicht oder Ustekinumab 130 mg oder Plazebo. Das therapeutische Ansprechen in Woche 8 war mit Ustekinumab in beiden Dosierungen gleich (15,5% bzw. 15,6%) und besser als in der Plazebogruppe (5,3%). In den randomisierten Teil der Erhaltungsstudie kamen nur Patienten, die in der Induktionsphase auf Ustekinumab angesprochen hatten. Zusätzlich aufgenommen wurden Plazebopatienten, die in der Induktionsphase nicht auf Plazebo angesprochen hatten, danach Ustekinumab i.v. 6 mg/kg erhielten und daraufhin ansprachen. Der randomisierte Teil der Erhaltungsstudie umfasste somit 523 Patienten, die alle auf i.v. Ustekinumab angesprochen hatten. Sie wurden neu in drei Gruppen randomisiert: 90 mg Ustekinumab s.c. alle 12 oder alle 8 Wochen oder Plazebo s.c. Das Resultat: Die Remissionsrate am Ende der UNIFI-Studie war am höchs-
ten mit Ustekinumab s.c. alle 8 Wochen (43,8%), danach folgen Ustekinumab s.c. alle 12 Wochen (38,4%) und Plazebo (24%). Wie in der VARSITY-Studie zeigte sich auch in der UNIFI-Studie, dass Patienten, die bereits einmal erfolglos mit einem Biologikum behandelt worden waren, generell schlechter abschnitten.
Nebenwirkungen von Ustekinumab
Die Häufigkeit von Nebenwirkungen lag mit Ustekinumab in der annähernd gleichen Grössenordnung wie mit Plazebo. In der Sicherheitsanalyse wurden alle Patienten als einzelne Fälle gezählt, die mindestens eine Dosis Ustekinumab oder Plazebo in der Induktionsphase oder in der Erhaltungsphase erhalten hatten. Das konnte beim gleichen Patienten in der Induktions- und der Erhaltungsphase unterschiedlich sein. Darum ist hier die Rede von 825 Patienten mit Ustekinumab und 319 Patienten mit Plazebo (obwohl insgesamt nur 951 Patienten in die Studie aufgenommen wurden). Bei den 825 Patienten mit Ustekinumab kam es zu 2 Todesfällen und 7 Tumorerkrankungen (darunter 3 Fälle mit nicht melanotischem Hautkrebs), bei den 319 Patienten mit Plazebo gab es keine Todesfälle und 1 Krebserkrankung. Potenziell opportunistische Infektionen (Herpes, Zytomegalievirus, Legionellenpneumonie) wurden bei 4 Patienten mit Ustekinumab verzeichnet. RBO s
Literatur: 1. Farrell RJ: Biologics beyond anti-TNF agents for
ulcerative colitis – efficacy, safety, and cost? N Engl J Med 2019; 381(13): 1279–1281. 2. Sands BE et al.: Vedolizumab versus adalimumab for moderate-to-severe ulcerative colitis. N Engl J Med 2019; 381(13): 1215–1226. 3. Sands BE et al.: Ustekinumab as induction and maintenance therapy for ulcerative colitis. N Engl J Med 2019; 381(13): 1201–1214. 4. Gemeinsamer Bundesausschuss der Leistungserbringer und Krankenkassen in Deutschland: www.g-ba.de; abgerufen am 24. Oktober 2019
Interessenlage: Die Vedolizumabstudie (2) wurde von Takeda finanziert, die Ustekinumabstudie (3) von Janssen-Cilag. Die jeweiligen Studienautoren deklarieren diverse Sponsorengelder, Referentenhonorare usw. verschiedener pharmazeutischer Unternehmen. Der Autor des Editorials (1) erklärt, dass keine Interessenkonflikte bestehen.
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