Transkript
GASTROENTEROLOGIE
Funktionelle Dyspepsie
Aktuelle Therapiemöglichkeiten im Überblick
Fotos: vh
Die Behandlung der funktionellen Dyspepsie sei eine Herausforderung und richte sich vorzugsweise nach ihren Leitsymptomen, wie Prof. Jan Tack, Mitherausgeber der Rom-IV-Kriterien, Head of Clinic, Department of Gastroenterology, University of Leuven (B), an der UEG-Week in Barcelona erklärte. Auch alternative Behandlungen wie Phytotherapien, Akupunktur oder Hypnose können einen Versuch wert sein, die Evidenz dazu ist jedoch unterschiedlich stark.
Prof. Jan Tack
Die momentan aktuellste Empfehlung zum Management der funktionellen Dyspepsie ist jene des American College of Gastroenterology. Sie rät als ersten Schritt zur Eradikation von Helicobacter pylori bei positiver Testung oder zur Säurehemmung mit Protonenpumpenhemmern (PPI). Sollten diese Massnahmen nicht die erhoffte Wirkung zeigen, sind sequenziell trizyklische Antidepressiva, Prokinetika oder Psychotherapie empfohlen (1). Diese Empfehlungen seien sehr amerikanisch, denn sie gewichteten Prokinetika zu stark, kommentierte Tack. Wirkungsnachweise von im amerikanischen Markt erhältlichen Prokinetika seien in der Literatur nur sehr spärlich vorhanden, die positive Bewertung in einem systematischen Review mit Metaanalyse vorwiegend Cisaprid geschuldet (2), das wegen proarrhythmischer Nebenwirkungen schon vor Jahren vom Markt genommen worden sei.
PD Dr. Jutta Keller
Europäisch aufgeteilt
Nach europäischer Sichtweise unterteilen die
Rom-IV-Kriterien (Kasten) gemäss Tack, Mitherausgeber der
Guideline, die funktionelle Dyspepsie nach den Leitsympto-
men in zwei Untergruppen: mahlzeitenabhängige postpran-
diale Symptome (postprandial distress syndrome, PDS) mit
beispielsweise vorzeitiger Sättigung oder Völlegefühl sowie
mahlzeitenunabhängige Symptome (epigastric pain syndrome,
EPS) wie epigastrische Schmerzen oder Magenbrennen (3).
Die Untergruppen werden unterschiedlich behandelt (Abbil-
dung). Bei PDS kann ein Therapieversuch mit Prokinetika
unternommen werden. Prucaloprid, ein selektiver 5-Hydro-
xytryptamin-4-Rezeptor-Agonist, habe in einer kleinen, dop-
pelblind randomisierten Cross-Over-Studie bei 35 Gastro-
paresepatienten im Vergleich zu Plazebo eine signifikante Ver-
besserung der Symptome, gemessen mit dem Gastroparesis
Cardinal Symptom Index, sowie der Halbwertszeit der
Magenentleerung gezeigt, so Tack. Drei Patienten der Pruca-
lopridgruppe beendeten die Studie wegen Nausea und Kopf-
schmerzen vorzeitig. Bei Patienten mit vorwiegend idiopathi-
scher Gastroparese beziehungsweise verzögerter Magenentleerung verbesserte das Prokinetikum die Symptome wie auch die Lebensqualität der Patienten signifikant und beschleunigte die Magenentleerung (4). Bei EPS ist dagegen eine Säurehemmung sinnvoll. Die beiden Therapieschritte lassen sich gemäss Tack auch kombinieren.
Neuromodulation kann helfen
Bei ungenügendem Erfolg besteht der nächste Schritt im Einsatz von Antidepressiva wie Trizyklika oder Serotoninwiederaufnahmehemmern (SSRI). «Man muss nicht an einer Depression leiden, um von Antidepressiva profitieren zu können. Deshalb werden die Antidepressiva in dieser Indikation Neuromodulatoren genannt», erklärte Tack den neuen Ansatz. Gemäss einer Metaanalyse bringen Neuromodulatoren bei funktioneller Dyspepsie einen Nutzen bei einer NNT (number needed to treat) von 6 (5). Bei Patienten, die aufgrund des frühen Sättigungsgefühls problematisch Gewicht verlieren, kann die Neuromodulation mit Mirtazapin von Nutzen sein. In einer kleinen doppelblind randomisierten, plazebokontrollierten Studie mit 34 Patienten erfuhren die Patienten aus der Verumgruppe nach 8 Wochen Mirtazapin 15 mg täglich eine signifikante Verbesserung von Dyspepsiesymptomen und Gewicht (6).
Phytotherapie als Alternative beliebt
Mehr als die Hälfte der Patienten mit funktioneller Dyspepsie wendete ausschliesslich oder zusätzlich zu ihrer Therapie komplementäre oder alternative Therapien an, berichtete PD Dr. Jutta Keller, Israelitisches Krankenhaus, Hamburg (D), an der UEG-Week. Dabei handle es sich um medizinische Therapien, die weder breit gelehrt noch in öffentlichen Spitälern breit verfügbar seien. Phytotherapien sind bei den Patienten beliebt, viele sind Gemische aus mehreren Arzneipflanzen. Von einigen Phytotherapeutika gibt es randomisierte, plazebokontrollierte Studien, die jeweils eine signifikant höhere Responserate oder Verbesserung gegenüber Plazebo zeigen. Darunter sind Curcuma, Menthacarin (Pfefferminz- plus Kümmelöl), Artischockenblätterextrakt, Capsaicin, STW-5 (Iberogast®), Rikkunshito sowie getrocknetes Bananenpulver (7).
36 ARS MEDICI DOSSIER VI+VII | 2020
GASTROENTEROLOGIE
chronische dyspeptische Symptome
funktionelle Dyspepsie
Eradikation H. pylori
70%
Endoskopie organische Dyspepsie
PDS (postprandial distress syndrome)
EPS (epigastric pain syndrome)
Prokinetika bei Gewichtsverlust: Mirtazapin bei vorzeitiger Sättigung: Buspiron/Tandospiron
Säurehemmung bei Schmerz: Amitryptilin
bei refraktärer verlangsamter Magenentleerung
verzögert: Prucaloprid
Quelle: modifiziert nach Prof. Tack, UEG-Week 2019, Barcelona
bei refraktärer Symptomatik: Hypno- und Psychotherapie? Ernährungberatung
Abbildung: Europäischer Behandlungsalgorithmus der funktionellen Dyspepsie
Rom-IV-Kriterien der funktionellen Dyspepsie
• ≥ 3 Monate, innerhalb der letzten 6 Monate anhaltend persistierende beziehungsweise rezidivierende Dyspepsie
• Ausschluss einer organischen Ursache bei der endoskopischen Abklärung, die die Beschwerden erklären könnte
• kein Hinweis darauf, dass die Dyspepsie ausschliesslich durch die Stuhlentleerung erleichtert wird oder im Zusammenhang mit Stuhlunregelmässigkeiten steht
Untergruppen der funktionellen Dyspepsie nach ihren Leitsymptomen: • epigastrischer Schmerz (EPS) – dominierend Oberbauchschmerzen
oder -brennen • postprandiales Distress-Syndrom (PDS) – Völlegefühl und vorzei-
tige Sättigung
Quelle: mod. nach (4)
STW-5 ist ein Gemisch aus acht Arzneipflanzen, darunter Iberis amara, Pfefferminze und Schöllkraut. In einer Studie mit 315 Teilnehmern waren die Symptome, gemessen anhand des Gastrointestinal Symptom Score (GIS), nach 28 und 56 Tagen Einnahme jeweils signifikant besser als unter Plazebo (8). STW-5 solle allerdings bei Patienten mit Lebererkrankungen und während der Schwangerschaft wegen der hepatotoxischen Eigenschaft des Schöllkrauts nicht verabreicht werden, so Keller.
KURZ & BÜNDIG
Studien zu Colitis ulcerosa
� Die funktionelle Dyspepsie wird nach ihren Leitsymptomen in die zwei Untergruppen PDS und EPS aufgeteilt, diese werden unterschiedlich behandelt.
� Phytotherapie ist eine gute Alternative, doch müssen auch die Nebenwirkungen berücksichtigt werden.
� Hypnotherapie scheint bei Patienten mit funktioneller Dyspepsie zu wirken, weitere Studien werden benötigt.
Ein weiteres interessantes Gemisch aus ätherischen Ölen der Pfefferminze und des Kümmels ist Menthacarin. In einer doppelblind randomisierten Studie versus Plazebo wurde dieses in einer Dosierung von 2 × 1 Kapsel pro Tag während 4 Wochen bei 114 Patienten mit funktioneller Dyspepsie untersucht. Nach 2 und 4 Wochen war das Verumgemisch dem Plazebopräparat in der Linderung von Abdominalschmerzen und Unwohlsein sowohl bei PDS- als auch EPS-Patienten signifikant überlegen, die Lebensqualität verbesserte sich (9). Bei Rikkunshito, einem Gemisch aus acht Arzneipflanzen, ist die Datenlage nicht so eindeutig. Ein systematischer Review mit Metaanalyse über 24 Studien (n = 2175) zeigte negative Ergebnisse, wenn die Symptome mit dem GIS erhoben wurden, positive dagegen bei Symptommessung mit der 5-PunktLikert-Skala (10). Auch Cannabis findet in dieser Indikation immer mehr Anhänger. Plazebokontrollierte, randomisierte Studien gibt es dazu aber nicht. Medizinische Anwendungsgebiete von Cannabis seien chronische neuropathische Schmerzen, Spasmen bei Multipler Sklerose, Appetitverlust, Nausea und Erbrechen, so Keller. In einer kürzlich publizierten Studie wurden 197 Patienten mit Gastroparese über einen allfälligen Cannabiskonsum befragt. Fast die Hälfte gab an, Cannabisprodukte anzuwenden. Die dabei erreichte Symptomlinderungsrate war bei Produkten mit Tetrahydrocannabinol höher (94%) als mit Cannabidiol (81,3%) und Dronabinol (47,2%) (11).
Akupunktur und Hypnose
Als nicht pharmakologische Alternativen sind Akupunktur
und Hypnotherapie zu nennen. Bezüglich Akupunktur stellte
eine Metaanalyse über 24 randomisierte und plazebokontrol-
lierte Studien mit 3097 Patienten eine signifikante Verbesse-
rung von Symptomen und Lebensqualität fest (12). Der ein-
zige Schönheitsfehler liege allerdings darin, dass alle Studien
aus China positiv und alle Studien aus dem Westen negativ
gewesen seien, was einen möglichen Publikationsbias anzei-
gen könne, relativierte Keller.
Die Hypnotherapie wird bei Reizdarmpatienten bereits er-
folgreich angewendet. Daten zur funktionellen Dyspepsie gibt
es nur wenige. Eine Studie mit 126 Patienten untersuchte die
Wirkung einer Hypnotherapie (12 Sitzungen) versus unter-
stützende Therapie plus Plazebomedikation versus Medika-
mententherapie während 16 Wochen. Nach Studienende
waren Symptome und Lebensqualität in der Hypnosegruppe
besser als in den beiden anderen Gruppen. Die Wirkung der
Hypnose war nachhaltig, diese war auch noch nach 56 Wo-
chen besser als die von Medikation oder Unterstützung. Kein
Patient mit Hypnotherapie fuhr während des Follow-up mit
einer Medikation fort, während dies bei 82 bis 90 Prozent der
anderen beiden Gruppen der Fall war (13). Die Hypnothera-
pie scheine bei Patienten mit funktioneller Dyspepsie Linde-
rung zu bringen, für eine definitive Aussage brauche es jedoch
noch weitere randomisiert kontrollierte Studien, fasste Keller
zusammen.
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Valérie Herzog
Quelle: «Therapy update: Dyspepsia»; United European Gastroenterology Week (UEGW) 2019, 21. bis 23. Oktober in Barcelona.
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Referenzen: 1. Moayyedi P et al.: ACG and CAG Clinical Guideline: Management of Dy-
spepsia. Am J Gastroenterol 2017; 112: 988–1013. 2. Pittayanon R et al.: Prokinetics for Functional Dyspepsia: A Systematic
Review and Meta-Analysis of Randomized Control Trials. Am J Gastroenterol 2019; 114: 233–243. 3. Stanghellini V et al.: Rome-IV – Gastroduodenal disorders. Gastroenterology 2016; 150: 1380–1392. 4. Carbone F et al.: Prucaloprid in gastroparesis: a randomized placebo-controlled crossover study. Am J Gastroenterol 2019; 114: 1265–1274. 5. Ford AC et al.: Efficacy of psychotropic drugs in functional dyspepsia: systematic review and meta-analysis. Gut 2017; 66: 411–420. 6. Tack J et al.: Efficacy of mirtazapine in patients with Functional dyspepsia and weight loss. Clin Gastroenterol Hepatol 2016; 14: 385–392. 7. Chiarioni G et al.: Complementary and alternative treatment therapy in functional dyspepsia. United European Gastroenterol J 2018; 6: 5–12. 8. Von Arnim U et al.: STW 5, a phytopharmacon for patients with functional dyspepsia: results of a multicenter, placebo-controlled double-blind study. Am J Gastroenterol 2007; 102: 1268–1275. 9. Rich G et al.: A randomized placebo-controlled trial on the effects of menthacarin, a proprietary peppermint- and caraway-oil-preparation, on symptoms and quality of life in patients with functional dyspepsia. Neurogastroenterol Motil 2017; 29(11). Doi: 10.2222/nmo.13132. 10. Hoshino N et al.: Rikkunshito for upper gastrointestinal symptoms: a systematic review and meta-analysis. Complement Ther Med 2019; 42; 255–263. 11. Jehangir A et al.: Cannabinoid use in patients with gastroparesis and related disorders: prevalence and benefit. Am J Gastroenterol 2019; 114: 945–953. 12. Zhou W et al.: Efficacy and Safety of Acupuncture for the Treatment of Functional Dyspepsia: Meta-Analysis. J Altern Complement Med 2016; 22: 380–389. 13. Calvert EL et al.: Long-term improvement in functional dyspepsia using hypnotherapy. Gastroenterology 2002; 123: 1778–1785.
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