Transkript
MEDIZIN IM ALTER
Wenn nichts mehr läuft
Wann eine Testosteronsubstitution sinnvoll ist
Foto: zVg
Zu jung gebliebenen Männern will eine schwindende Libido oder eine sexuelle Dysfunktion so gar nicht passen. Der Wunsch nach hormoneller Korrektur wird von diesen häufig an den Arzt herangetragen. Was möglich und was sinnvoll ist, erklärte Prof. Beat Müller, Chefarzt und Leiter Medizinische Universitätsklinik, Kantonsspital Aarau, am Jahreskongress des Kollegiums für Hausarztmedizin (KHM) in Luzern.
Mit steigendem Alter sinken die Knochen-
dichte, die Libido, die sexuelle Aktivität wie
auch die Stimmungslage. Auch der Ge-
schlechtshormonspiegel fällt. Es ergebe sich
die Frage, ob das Alter die Hauptursache sei
oder, umgekehrt, der sinkende Hormonspiegel
dafür sorge, dass man sich alt fühle, stellte
Prof. Müller in den Raum.
Patienten dieser Altersklasse klagen mitunter
Prof. Beat Müller
über schwindende Energie, sie scheinen dem in der Werbung suggerierten Bild dieser als aktiv
dargestellten Altersklasse nicht mehr zu ge-
nügen. Ist das alles «natürlich» zu akzeptieren als «alternder
Mann» oder eine abklärungs- und therapiebedürftige Abän-
derung im Sinne eines «Klimakterium virile», auch «Andro-
pause» genannt. Menopause und Andropause sind komplett
unterschiedliche physiologische Phänomene.
Die Menopause ist durch die Einstellung der Ovarfunktion
charakterisiert, mit der die Fruchtbarkeit endet. In der Folge
fällt der Östrogenspiegel in den folgenden Jahren auf das
Niveau von Männern steil ab. Bei Männern dagegen würden
die Hoden nie altersschwach, sie erhielten ihre Funktion kom-
plett, erklärte Müller. Der Testosteronspiegel sinkt zwar mit
KURZ & BÜNDIG
� Die erektile Dysfunktion ist nur bei einem Teil der Betroffenen durch einen Testosteronmangel zu erklären.
� Differenzierung von primärem oder sekundärem Hypogonadismus bei Frau oder Mann und dementsprechend gezielte Abklärung sind wichtig.
� Eine Substitution kann bei seriöser Indikationsstellung mit Messung der Testosteronwerte die Lebens- und Liebesqualität erhöhen.
� Ein unkritischer Einsatz von Testosteron als Lifestyle- oder Anti-Aging-Medikament kann schädlich – mitunter sogar tödlich – sein.
steigendem Alter, doch ist dies der abnehmenden S timulation der Hoden durch Hormondrüsen im Gehirn im Hypothalamus und der Hypophyse geschuldet, die Stimulationshormone – sogenannte Gonadotropine – bilden. Die zurückgehende männliche Hormonproduktion in den Hoden ist potenziell durch Gabe dieser Gonadotropine reversibel und kann bei Bedarf wieder auf früheres Niveau hochgefahren werden.
Hypogonadismus abklären
Diesbezügliche Klagen von Männern sollen aufgrund des Leidensdruckes für Patienten und Partnerinnen ernst genommen und gezielt abgeklärt werden. Ein Hypogonadismus mit einem totalen Testosteron < 12 nmol/l tritt bei Männern zwischen 40 und 60 Jahren mit einer Häufigkeit von 7 Prozent auf, zwischen 60 und 80 Jahren zu 21 Prozent und bei über 80-Jährigen zu 35 Prozent (1). Der Schwellenwert für eine verminderte Häufigkeit sexueller Gedanken liegt bei Männern zwischen 40 und 79 Jahren gemäss EAU-Guideline bei 8 nmol/l Gesamttestosteron, für eine erektile Dysfunktion bei 8,5 nmol/l, für eine schwächere morgendliche Erektion bei 11 nmol/l und für ein vermindertes Energieniveau bei 13 nmol/l. Der aussagekräftigste Prädiktor für Hypogonadismus in dieser Altersgruppe sind drei sexuelle Symptome: verminderte sexuelle Gedanken, schwächere Morgenerektion und erektile Dysfunktion (2). Die klinische Abklärung des Hypogonadismus beim älteren Mann erfolgt zunächst mit dem ADAM-Fragebogen (ADAM: androgen deficiency of the aging male) mit zehn Fragen (3). Beantwortet der Patient eine von zwei bestimmten Fragen (Libidoabfall? Schwächere Erektion?) oder drei andere Fragen positiv, suggeriert dies einen klinisch relevanten Testosteronmangel. Dieser korreliert jedoch nicht immer mit dem tatsächlichen Vorliegen eines hormonellen Hypogonadismus, wie Untersuchungen bei Männern zwischen 51 und 75 Jahren zeigten (4). Metabolische, vaskuläre wie auch psychosoziale Faktoren können gemäss Müller für eine verminderte sexuelle Aktivität und Lust ebenso verantwortlich sein. Für die Abwägung des therapeutischen Vorgehens, vor allem vor einer eventuellen Testosteronsubstitution, ist der nächste
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Tabelle 1:
ADAM-Score
1. Haben Sie einen Abfall der Libido? 2. Haben Sie weniger Energie? 3. Haben Sie weniger Kraft und/oder Ausdauer? 4. Sind Sie kleiner geworden? 5. Haben Sie weniger Lebensfreude? 6. Sind Sie traurig und/oder launisch? 7. Haben Sie weniger starke Erektionen? 8. Haben Sie mehr Mühe, Sport zu treiben? 9. Schlafen Sie nach dem Abendessen sofort ein? 10. Haben Sie mehr Mühe zu arbeiten? Auswertung: positiv bei Ja zu Frage 1 oder 7 oder zu 3 anderen Fragen.
(Quelle: modifiziert nach [3])
Tabelle 2:
Präparate zur Testosteronsubstitution
Dosierung
Andriol® g 40–120 mg/Tag
Testoviron® 50–250 mg i.m. 3–4 x/Woche
Nebido®
i.m. alle 3 Monate
Testogel®
Topisch, 1 x/Tag
Tostran®
Topisch, 1 x/Tag
Androgel® Topisch, 1 x/Tag
(Quelle: Prof. B. Müller, KMH 2019, Luzern, swissmedic.ch)
Schritt deshalb die Gesamttestosteronmessung. Diese unterliege starken zirkadianen Schwankungen von bis zu 15 Prozent, so Müller. Die Serumprobe soll dafür deshalb am besten frühmorgens abgenommen werden, wenn die Spiegel am höchsten und am besten reproduzierbar sind (2). Doch auch die absolute Höhe des Testosteronspiegels ist nicht Mass der sexuellen Aktivität, denn es kommt auch auf die Empfindlichkeit der Rezeptoren an. Männer mit tieferem Spiegel sind ebenso «flotte Kerle» und können aufgrund dieser Schwankungsbreite genauso aktiv sein wie Männer mit hohem Spiegel, erklärte Müller.
Andropause als tertiäre Insuffizienz
Ein männlicher Hypgonadismus kann seinen Ursprung auf der Ebene von Hypophyse oder Hypothalamus haben, was als sekundärer beziehungsweise tertiärer Hypogonadismus bezeichnet wird. In diesem Fall sind bei tiefen Testosteronwerten die Gonadotropine fälschlicherweise nicht erhöht, sondern «falsch normal», insbesondere die Werte des luteinisierenden Hormons (LH). Bei einem primären Hypogonadismus liegt die Ursache in den Hoden wie beispielsweise bei einem Klinefelter-Syndrom, nach Mumpsorchitis oder aufgrund von Operationen nach Hodentumoren. Die Konzentration des LH ist erhöht, doch resultiert daraus keine vermehrte Testosteronsekretion.
Während das Klimakterium bei der Frau ein primärer Hypogonadismus mit hohen FSH- und LH-Spiegeln ist, ist die männliche Andropause ein anderes Phänomen, denn FSHund LH-Spiegel sind nicht erhöht. Eine Untersuchung mit Hobbyfussballern mit Testosteronwerten > 11,7 und < 11,7 nmol/l zeigte, dass sich die basalen FSH- und LH-Werte in beiden Gruppen nicht unterschieden (5). «Sie unterscheiden sich aber in der Stimulierbarkeit des Gonadotropin-Releasing-Hormons. Damit ist das ‹Klimakterium virile› ein tertiärer Hypogonadismus», erklärt Müller.
Welche Männer soll man substituieren?
Ergibt die Abklärung die Notwendigkeit einer Substitution
eines hormonell relevanten Hypogonadismus, sind ver-
schiedene Testosteronpräparate in der Schweiz erhältlich (Ta-
belle 2). Wann soll substituiert werden? Gemäss einer Studie
steigt die Wahrscheinlichkeit von sexuellen Symptomen un-
terhalb eines Testosteronspiegels von 10 nmol/l (6).
Was eine Substitution bewirken kann, zeigte eine Studie mit
790 Männern über 65 Jahre mit sexuellen Symptomen und
einem Testosteronwert < 9,6 nmol/l. Die Männer erhielten
während eines Jahres ein Testosteron- oder ein Plazebogel. In
der Verumgruppe erhöhte sich der Testosteronspiegel auf das
Niveau von 19- bis 40-jährigen Männern. Damit verbunden
stiegen auch die sexuelle Aktivität, das Verlangen und die erek-
tile Funktion signifikant stärker an als in der Plazebo-
gruppe. Die Stimmung unter Testosteron verbesserte sich leicht,
die Vitalität und die physische Leistungsfähigkeit, gemessen mit
dem 6-Minuten-Gehtest, blieben dagegen unbeeinflusst (7).
Nebenwirkungen hat Testosteron viele, doch kommen diese
nur bei unphysiologisch hohen Werten zum Tragen. Wird ein
zu tiefer Wert therapeutisch in den physiologischen Bereich
korrigiert, hat dies keine Konsequenzen. Einschränkend sollte
man aber bedenken, dass der indiviuelle «physiologische»
Bereich enger ist als der in Laborblättern genannte «Norm-
wert» von Populationen, in der Regel vermeintlich gesunde,
junge männliche Blutspender, so Müller. Über diesen physio-
logischen Bereich hinaus kann es dagegen zu Nebenwirkungen
kommen. Männern, die trotz physiologischer Werte eine Tes-
tosterontherapie wünschten, müsse dies bewusst sein, so Mül-
ler. Beispielsweise kann das Risiko für ein Prostatakarzinom
oder kardiovaskuläre Ereignisse damit ansteigen.
Sei die Lebenssituation durch die Andropause allerdings stark
beeinflusst, könne eine Testosterontherapie gemäss Müller
unter einer Nutzen-Risiko-Abwägung angezeigt sein. Wenn
jemand darauf anspricht, kann seine Lebensqualität steigen,
dies aber jeweils in bescheidenem Ausmass und deutlich we-
niger, als Patient und Arzt sich meist erhoffen, wie eine rando-
misierte, kontrollierte Studie belegt (8). Dies spiegele sich auch
in der Therapieadhärenz wider, die sich nach ein paar Mona-
ten zu verschlechtern beginne, so Müller. Nach dem anfäng-
lichen Hype sinkt die Nachfrage gemäss amerikanischen
Zahlen seit ein paar Jahren wieder und hat sich auf ein thera-
peutisch wohl sinnvolles Niveau eingependelt (9).
s
Valérie Herzog
Quelle: «Wenn der Ofen kalt ist», Jahreskongress des Kollegiums für Hausarztmedizin (KHM), 27. bis 28. Juni in Luzern.
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Referenzen: 1. Vermeulen A et al.: Ageing of the hypothalamo-pituitary-testicular axis
in men. Horm Res 1995; 43: 25–28. 2. Dohle GR et al.: EAU-Guideline 2018 Male Hypogonadism. https://uro-
web.org/guideline/male-hypogonadism/. Letzter Zugriff: 9.8.2019. 3. Morley JE et al.: Validation of a screening questionnaire for androgen
deficiency in aging males. Metabolism 2000; 49: 1239–1242. 4. Christ-Crain M et al.: Is there a clinical relevance of partial androgen de-
ficiency of the aging male? J Urol 2004; 17: 624–627. 5. Christ-Crain M et al.: Value of gonadotropin-releasing hormone testing
in the differential diagnosis of androgen deficiency in elderly men. J Clin Endocrinol Metab 2005; 90: 1280–1286. 6. Wu FC et al.: Identification of late-onset hypogonadism in middle-aged and elderly men. N Engl J Med 2010; 363: 123–135. 7. Snyder PJ et al.: Effects of Testosterone Treatment in Older Men. N Engl J Med 2016; 374: 611–624. 8. Emmelot-Vonk MH et al.: Effect of testosterone supplementation on functional mobility, cognition, and other parameters in older men: a randomized controlled trial. JAMA 2008; 299: 39–52. 9. Baillargeon J et al.: Testosterone Prescribing in the United States, 20022016. JAMA 2018; 320: 200–202.
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