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«Die MS ist leider immer noch mit einem Stigma behaftet»
Was Hausärzte über Multiple Sklerose wissen sollten
NEUROLOGIE
In den letzten Jahren hat sich auf dem Gebiet der MS-Therapie viel getan, zahlreiche neue Medikamente wurden neu zugelassen. Wir sprachen mit Prof. Tobias Derfuss über die Wirksamkeit spezifischer MS-Therapien, nützliche Strategien gegen Symptome wie die Fatigue und die Rolle des Hausarztes bei der Betreuung von MS-Patienten.
ARS MEDICI: Herr Prof. Derfuss, vor gut 20 Jahren kamen die Interferone als neue therapeutische Option für MS-Patienten auf den Markt. Was hat sich seither getan? Prof. Tobias Derfuss: Es gibt bis heute kein MS-Medikament, das wirklich neuroprotektiv wirkt, aber bei den antiinflammatorischen Substanzen gab es eine erhebliche Erweiterung der Palette, die es uns heute ermöglicht, das Immunsystem bei MS über verschiedene Mechanismen zu beeinflussen. Ein Beispiel hierfür ist Natalizumab, das die Migration von Lymphozyten ins Gehirn reduziert. Es ist immer noch eines der effektivsten MS-Medikamente, und es wäre wahrscheinlich das am meisten verwendete, wenn es bei dieser Substanz nicht die Nebenwirkung der progressiven multifokalen Leukenzephalopathie (PML) gäbe. Unter Natalizumab ist die Schubrate extrem niedrig, und man sieht nur wenige neue Entzündungsherde im Kernspin. Wenn man früh genug mit dieser Therapie beginnt, kann man wahrscheinlich das Risiko der sekundären Progression beeinflussen. Letzteres gilt vermutlich für alle MS-Medikamente, wenn man nur früh genug mit ihnen anfängt. Das wird zurzeit in Langzeitstudien mit den Interferonen untersucht, die am längsten auf dem Markt sind und dementsprechend die längsten Verlaufsbeobachtungen ermöglichen. Auch mit Interferonen kann der Eintritt der sekundären Progression hinausgezögert werden. Wenn man konsequent früh therapiert, hat das einen langfristigen Effekt. Das hatten sich alle erhofft, aber erst jetzt kann man es in den grossen, langfristigen Ko-
Wenn man konsequent früh therapiert, hat das einen langfristigen Effekt.
hortenstudien auch tatsächlich sehen. Der prinzipielle Wirkmechanismus beruht darauf, dass die Inflammation reduziert und damit auch die diffuse Entzündung im ZNS und damit die Schädigung vermindert werden. Beginnt man mit der Therapie aber erst spät, das heisst im progredienten Stadium, haben die antiinflammatorischen Therapien keinen grossen Nutzen mehr.
Zur Person
Prof. Dr. med. Tobias Derfuss ist Leitender Arzt an der Neurologischen Klinik und Poliklinik, Department Innere Medizin, Universitätsspital Basel
Wenn man nun bedenkt, dass die Interferone nur eine relativ moderat wirksame MS-Therapie sind, im Vergleich mit neuen Substanzen wie beispielsweise Cladribin, Dimethylfumarat oder Fingolimod, darf man schon davon ausgehen, dass die neueren MS-Medikamente wahrscheinlich einen noch stärkeren Effekt auf die sekundäre Progression haben. Für die sekundär progrediente MS erhielt kürzlich Siponimod die Zulassung in der EU. Für Patienten mit primär progredienter MS wurde bereits vor einiger Zeit Ocrelizumab in der Schweiz zugelassen.
Was geben Sie heute einem Patienten, bei dem erstmals eine MS diagnostiziert wird? Derfuss: Es gibt mehr als ein Dutzend Medikamente, die man ihm geben kann. Sie haben unterschiedliche Wirkmechanismen, unterschiedliche Nebenwirkungsspektren und unterschiedliche Anwendungswege: Injektion, Infusion oder Tabletten. Für die Auswahl des ersten MS-Medikaments bei einer Neudiagnose kommt es darauf an, wie aktiv die Erkrankung ist, das heisst, wie viele Schübe in einem Jahr auftreten. Da wir inzwischen bereits häufig nach dem ersten Schubereignis mit der Behandlung beginnen, fehlt uns diese Information aber. Wir richten uns deshalb nach der «Schwere» des Schubs:
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Gibt es motorische Ausfälle? Wie gut bilden sich die Sym ptome zurück? Wie hoch ist die Läsionslast im MRI? Gibt es eine Beteiligung des Kleinhirns, des Hirnstamms und des Rückenmarks? Wie hoch sind die Entzündungsmarker im Liquor? Je aktiver eine MS ist, desto eher tendiert man dazu, eine hochwirksame Substanz zu wählen, die dann aber auch mehr Nebenwirkungen oder ein höheres langfristiges Sicherheitsrisiko mit sich bringt. Patienten mit einer weniger aktiven Erkrankung gibt man hingegen tendenziell moderat wirksame Substanzen, die mit einem geringeren Sicherheitsrisiko einhergehen – wie zum
Heute steht die MS-Diagnose bei den meisten Patienten bereits nach dem ersten Schub.
Beispiel Interferone oder Glatirameracetat. Auch falls eine Schwangerschaft besteht oder erwünscht ist, kann man diese beiden Substanzklassen geben. Ebenfalls eine Rolle spielt natürlich der Wunsch des Patienten. Bei den einen steht der Sicherheitsaspekt im Vordergrund. Bei anderen ist die Wirksamkeit am wichtigsten: Sie wollen das effektivste Medikament, das es gibt, und sie nehmen die potenziellen Risiken und Nebenwirkungen dafür in Kauf. Übrigens gibt es auch Patienten, die lieber injizieren als Tabletten schlucken.
Welches ist das beste und effektivste Medikament? Derfuss: Leider gibt es für eine Antwort auf diese Frage nur sehr begrenzte Daten aus randomisierten, kontrollierten Studien. Von der klinischen Erfahrung her sind es die drei Antikörper Natalizumab, Ocrelizumab und Alemtuzumab, wobei wir aufgrund des Nebenwirkungsspektrums Natalizumab und Ocrelizumab bevorzugen.
Sie sagten, man solle möglichst früh mit der Therapie anfangen. Ist die Diagnose nach dem ersten Schub wirklich sicher? Derfuss: Als Diagnosekriterien gelten die zeitliche und räumliche Dissemination typischer MS-Befunde, zum Beispiel in der Liquoruntersuchung oder im Kernspin. Wenn ein Patient einen Schub hat, das heisst neurologische Symptome, die dem ZNS zuzuordnen sind, und wir im Liquor die oligoklonalen Banden finden, dann ist das Kriterium der zeitlichen Dissemination erfüllt. Im Kernspin kann man die räumliche Dissemination nachweisen: Auch wenn der Patient nur ein Kribbeln im Fuss verspürte, aber im ZNS mehrere Herde zerebral wie auch spinal zu finden sind, ist die MS-Diagnose gestellt. Durch die Kombination aus klinischer Untersuchung, Anamnese, MRI und Liquordiagnostik ist die Diagnosestellung bei der überwiegenden Mehrheit der Patienten sehr verlässlich, auch in frühen Stadien der Erkrankung.
Aber woher weiss man, dass nach einem ersten Schub tatsächlich irgendwann weitere Schübe folgen werden? Derfuss: Für die allermeisten Patienten ist der erste Schub der Beginn einer chronischen Erkrankung, es bleibt nicht bei diesem einen Ereignis. Und bei den allermeisten Patienten wird
die MS zu einer Behinderung führen, wenn man nichts dagegen tut. Es gibt bestimmte Merkmale, die auf einen schweren Krankheitsverlauf hinweisen: Männer haben tendenziell eine schlechtere Prognose als Frauen. Bei Patienten mit einem Erkrankungsbeginn später im Leben geht die MS schneller in die Progredienz über als bei Patienten, die früher ihren ersten MS-Schub haben. Motorische Symptome sind mit einer schlechteren Prognose verbunden als sensible Symptome. Wenn sich Symptome wieder zurückbilden, ist das natürlich ebenfalls ein gutes Zeichen. Spinale Läsionen im Kernspin bedeuten meist eine schlechtere Prognose als rein zerebrale Läsionen, und die Läsionslast spielt eine Rolle. Letztlich ist das natürlich alles Statistik, und es gibt Ausreisser in jeder Gruppe. Zum Beispiel kennen wir das sogenannte klinisch-kernspintomografische Paradoxon, bei dem ein Patient im ZNS sehr viele Läsionen aufweist, es ihm aber trotzdem klinisch gut geht. Insgesamt helfen die genannten Kriterien aber schon, eine neu diagnostizierte MS richtig einzuordnen und das passende Medikament auszuwählen.
Kann man die MS-Medikation absetzen, wenn ein Patient dann zwei, drei Jahre lang gar keine Schübe mehr hat? Derfuss: Zurzeit beginnen erste Studien, die dieser Frage nachgehen. Könnte man beispielsweise mit einer B-ZellDepletion irgendwann aufhören, auf ein Interferon zurückgehen oder ganz auf MS-Medikamente verzichten? Das ist bisher ebenso wenig untersucht wie das komplette Stoppen von MS-Medikamenten. Das Problem ist, dass wir das Risiko für eine später einsetzende schleichende Progression wahrscheinlich nie so richtig gut abschätzen können, weil die Korrelation zu den Schüben schlecht ist. Es gibt immer wieder Patienten, die nur einen Schub und danach für Jahre oder Jahrzehnte nichts hatten und dann trotzdem eine langsame Verschlechterung entwickeln. Auf der anderen Seite kann man aber auch nicht sagen, dass jemand, der viele Schübe erleidet, ein höheres Risiko für die MS-Progression hat. Nur in den ersten beiden Jahren der Erkrankung korrelieren Schubhäufigkeit und eine spätere Progression.
Sind die MS-Schübe sozusagen eine andere Krankheit als die schleichende MS-Progression? Derfuss: Man teilt die MS immer in schubförmige und sekundär progrediente Stadien auf, als ob es eine klare Grenze gäbe zwischen diesen beiden Krankheitsverläufen. In der klinischen Praxis dauert es aber ein bis zwei Jahre, bis man diesen Übergang überhaupt erkennt, und dann ist es meistens so, dass die Gehfähigkeit langsam abnimmt. In Studien, in denen die Patienten häufig neurologisch untersucht werden, sieht man hingegen, dass es bereits relativ früh zwischen den Schüben eine subtile Progression gibt, die klinisch kaum auffällt. Leichte Veränderungen in neurologischen Funktionssystemen sind aber auch dann bereits vorhanden. Man nennt sie PIRA, das heisst «progression independent of relapse activity». Diese Progression tritt nicht bei allen Patienten auf, aber sie beginnt relativ früh im Krankheitsverlauf. MS-Schübe könnten eher die Folge einer fokalen Entzündungsaktivität in einem klinisch relevanten Areal sein, und
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die Progression der MS ist vielleicht eher Ausdruck einer diffusen Gewebeschädigung im ZNS. Man kann sich diese Progression als globale Entzündung im Gehirn mit Beteiligung auch kortikaler Areale vorstellen, die nicht akut auffällt, aber im Lauf der Zeit die Vernetzung im Gehirn beeinträchtigt. Zunächst kann das Gehirn diese Störungen noch kompensieren, aber im Verlauf funktioniert das nicht mehr, und dann sieht man diese langsame Progression.
Oft heisst es, die Prävalenz der MS nehme zu. Stimmt das wirklich, oder wird sie heutzutage nur häufiger diagnostiziert? Derfuss: Es stimmt, dass das Bewusstsein für die MS gewachsen ist. Sicher spielt es auch eine Rolle, dass man aufmerksamer wird, wenn eine Erkrankung behandelbar ist. Auch die diagnostischen Möglichkeiten haben sich verändert, vor allem in der Bildgebung, und es braucht weniger Kriterien, um eine MS zu diagnostizieren. Früher konnte man die Diagnose nur klinisch stellen. Der Patient musste erst mehrere Schübe erleiden, und unterschiedliche Funktionssysteme mussten betroffen sein. Heute steht die MS-Diagnose bei den meisten
Mein Wunsch ist, dass die Patienten offener mit ihrer MS umgehen können.
Patienten bereits nach dem ersten Schub. Daneben scheint es aber auch so zu sein, dass die Häufigkeit der MS, wie die von anderen Autoimmunerkrankungen, über die letzten Jahrzehnte hinweg tatsächlich zunimmt.
Was genau die MS auslöst, weiss man bis heute nicht, oder? Derfuss: Die Entstehung der MS ist sicher multifaktoriell bedingt. MS ist keine klassische Erberkrankung, die nur auf einem einzigen Gen beruht, aber mehrere spezifische Genvarianten erhöhen das Risiko, eine MS zu entwickeln, wobei jede einzelne Variante jeweils nur mit einem kleinen Risikozuwachs verbunden ist. Grundsätzlich gibt es zwei unterschiedliche Hypothesen zur Entstehung der MS. Die eine Hypothese besagt, dass die MS primär neurodegenerativ sei und die Inflammation die Folge der Neurodegeneration. Die andere Hypothese sieht es genau andersherum und nimmt an, dass der Verlauf der MS primär inflammatorisch sei und die Neurodegeneration die Folge der Inflammation. Ich glaube eher das Zweite, dass es primär eine inflammatorische Erkrankung ist. Als Ursachen für die Inflammation kommen viele Faktoren infrage. Man kann sich gut vorstellen, dass eine initiale Virusinfektion die Inflammation triggert. Dafür gibt es einige Anhaltspunkte, wobei für das Triggern einer MS wahrscheinlich kein spezifisches Virus verantwortlich ist, sondern viele verschiedene Viren und auch Bakterien daran beteiligt sein können. In epidemiologischen Studien sieht man, dass Patienten, die eine Meningitis oder Enzephalitis hatten, ein höheres Risiko tragen, später eine MS zu entwickeln. Aber das gilt nur für einen Teil der Patienten, sicher nicht für alle. Es ist bei der MS wie bei anderen Autoimmunerkrankungen: Ob Rheuma, Diabetes Typ 1, Lupus oder Sklerodermie – für keine dieser Erkrankungen kennt man eine einzige, alles entscheidende Ursache.
Welche Rolle spielt der Hausarzt bei der Betreuung von MS-Patienten? Derfuss: Er sollte zunächst typische Symptome zu Beginn einer MS erkennen. Dazu gehören Sehnerventzündungen und Taubheitsgefühle – diese neurologische Symptomatik ist typisch, vor allem wenn sie bei jungen Frauen auftritt, für ein paar Wochen anhält und dann wieder verschwindet. Beispielsweise muss man bei einer Zwanzigjährigen, die plötzlich schlechter auf einem Auge sieht, an MS denken. Bei MS-Patienten in Behandlung spielen die Hausärzte eine grosse Rolle beim Therapiemonitoring, vor allem bezüglich der Sicherheit, denn die Therapien haben unterschiedliche Nebenwirkungen. Der Hausarzt kann das Monitoring der Laborwerte sicherstellen, die Fäden in der Hand halten und kontrollieren, ob alles auch so umgesetzt wird, wie der Neurologe das empfohlen hat. Ebenfalls mit an Bord ist der Hausarzt, wenn es darum geht, die Wirkung symptomatischer Therapien zu beurteilen und diese gegebenenfalls anzupassen. Ein Beispiel hierfür ist die antispastische Medikation, die nur langsam gesteigert werden darf. Gibt man zu viel, wird der Patient zu schwach, und er kann die Spastik vielleicht nicht mehr nutzen, um zu stehen. Dann muss man die Dosis wieder etwas senken, und die Rücksprache zwischen Arzt und Patient läuft beim Hausarzt oft besser als beim Spezialisten. Viele Patienten haben mit ihrem Hausarzt ein gutes Vertrauensverhältnis und wollen auch die Vorschläge, die wir ihnen geben, zunächst einmal mit ihm besprechen. Und selbstverständlich ist der Hausarzt der Fachmann für die allgemeinmedizinischen Aspekte und Komorbiditäten, die für jeden relevant sind, nicht nur für MS-Patienten.
Die Fatigue gilt als schwerwiegendes Symptom der MS. Was kann man dagegen tun? Derfuss: Die Fatigue ist schwierig zu behandeln. Nur wenige der immunmodulatorischen Therapien haben hier einen Effekt, am ehesten noch Natalizumab, das die Fatigue etwas reduzieren kann. Zur symptomatischen Therapie gegen Fatigue gibt es verschiedene Ansätze, aber keiner davon hat eine wirklich durchschlagende Wirkung. In der Schweiz ist gerade Fampridin auf die Spezialitätenliste gekommen, das die motorische Fatigue etwas verbessert. Die meisten anderen Medikamente sind bei MS «off-label», wie zum Beispiel SSRI, Amantadin, Modafinil oder Methylphenidat. Auch hoch dosierte Acetylsalicylsäure hat man in einer Studie getestet. Sie hatte einen gewissen Effekt, aber das ist bisher alles eher ein A usprobieren und keine strukturierte Suche nach Wirkstoffen gegen Fatigue. Wir bieten für MS-Patienten Kurse zum Energiemanagement an, in denen es eher in Richtung Coping und Verhaltensstrategien in Bezug auf die Fatigue geht. Zum Beispiel ist Sport nützlich, obwohl man spontan annehmen könnte, dass man davon noch rascher müde wird; der Sport aktiviert aber eher. In den Kursen lernen MS-Patienten unter anderem, wie man seine Energie einteilt und Pausen in den Arbeitsalltag einbaut. Verhaltensänderungen und Coping-Strategien bringen dem Patienten in Bezug auf die Fatigue tatsächlich etwas für den Alltag. Es muss nicht immer ein Medikament sein mit all seinen möglichen Nebenwirkungen.
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Wären Rehamassnahmen oder der Aufenthalt in einer Rehaklinik nützlich in Bezug auf die Fatigue? Derfuss: Für die Fatigue gilt das eigentlich weniger, aber in Bezug auf die Spastik, neuropathische Schmerzen oder urologische Probleme kann man mit Rehamassnahmen viel erreichen. Ergotherapie und die Anpassung von Hilfsmitteln sind ebenfalls wichtige Punkte. Es gibt sehr gute Rehakliniken in der Schweiz. Ein Aufenthalt in einer Rehaklinik ist nützlich, weil man dort auch mehr Zeit hat, um sich intensiv mit dem Patienten zu befassen. Viele Patienten sagen mir, dass der Aufenthalt in einer Rehaklinik einen guten Effekt hatte, der ihre Lebensqualität nicht nur während der Zeit der Reha verbesserte, sondern auch noch Monate danach.
Übernehmen die Krankenkassen die Kosten für den Aufenthalt in einer Rehaklinik? Derfuss: Meistens schon, wenn man nicht gleich mehrere stationäre Aufenthalte pro Jahr möchte. In den letzten Jahren hört man allerdings von den Rehakliniken, dass die Kassen bei der Übernahme der Kosten tendenziell restriktiver werden und dass es nicht mehr so einfach wie früher ist, jemanden länger in der Reha zu behalten.
Rollstuhl zu sitzen. Viele MS-Patienten wollen nicht, dass
dieses Bild mit ihnen verbunden wird, und sie befürchten
berufliche Probleme, wenn ihre MS bekannt wird. Hier sollte
sich endlich etwas ändern. Man kann von den Patienten nicht
verlangen, dass sie offensiver mit ihrer MS umgehen, aber
man darf fordern, dass die Gesellschaft anders damit umgeht.
Mein Wunsch ist, dass die Patienten offener mit ihrer MS
umgehen können und nicht befürchten müssen, von ihrem
Arbeitgeber entlassen zu werden, wenn die Erkrankung be-
kannt wird. Der Umgang von Arbeitgebern mit MS-Erkrank-
ten, wahrscheinlich mit Behinderten allgemein, ist hierzu-
lande übrigens sehr unterschiedlich – von vorbildlich bis
indiskutabel.
Ein weiterer Punkt ist die mangelnde Barrierefreiheit im All-
tag. Die Patienten sind oft jung und im gesellschaftlichen
Leben aktiv. Wenn sie dann einen Rollstuhl brauchen, be-
merken sie drastisch, wie schlecht die Schweiz hier aufgestellt
ist. Da sind überall noch Bordsteine und Treppen im Weg, und
auch das Reisen mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist schwie-
rig. Hier könnte die Gesellschaft ganz praktisch etwas tun,
was nicht nur den MS-Kranken, sondern allen Menschen mit
einem ähnlichen Handicap zugutekäme.
s
Was wäre für MS-Patienten im Alltag aus Ihrer Sicht besonders wichtig? Derfuss: Die MS ist leider immer noch mit einem Stigma behaftet, vielleicht weil mit der MS das Bild verbunden ist, im
Das Interview führte Dr. Renate Bonifer.
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