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Neue ESC-Guideline
Stabile KHK heisst neu chronisches Koronarsyndrom
KARDIOLOGIE
Die European Society of Cardiology (ESC) hat in ihren aktualisierten Guidelines die stabile koronare Herzkrankheit (KHK) in chronisches Koronarsyndrom (CCS) unbenannt. Mit dem neuen Begriff soll dem progredienten Verlauf der Erkrankung bei klinischen Ausprägungen besser Rechnung getragen werden. Prof. Juhani Knuuti, Turku University Hospital (FIN), hat die Guideline am ESC-Kongress vorgestellt.
«Eine KHK kann jahrelang stumm bleiben und plötzlich zu einem akuten Koronarsyndrom (ACS) führen. Danach ist sie wieder stumm bis zum nächsten Ereignis. Zwischen diesen Ereignissen ist die KHK aber alles andere als stabil, sie schreitet in Form einer Plaqueakkumulierung oder Veränderung der Plaquezusammensetzung fort. Wie und wie schnell, ist abhängig von der Lebensstilmodifikation, der Ernährung, der Pharmakotherapie oder einer Revaskularisation», beschreibt Mitautor Prof. William Wijns, die Ausgangslage. Bei dieser Erkrankungsform können verschiedene klinische Syndrome mit unterschiedlicher Klinik auftreten, die unterschiedlich behandelt werden müssen. Deshalb wurden unter dem Begriff «chronisches Koronarsyndrom» (CCS) sechs verschiedene Szenarien definiert: ▲ Verdacht auf KHK mit Symptomen einer «stabilen» An-
gina pectoris mit oder ohne Dyspnoe ▲ Verdacht auf KHK bei einer neu aufgetretenen Herzinsuf-
fizienz oder linksventrikulären Dysfunktion ▲ stabilisierte Symptome < 1 Jahr nach ACS oder nach kürz-
lich durchgeführter Revaskularisation ▲ > 1 Jahr nach KHK-Erstdiagnose oder Revaskularisation
WAS IST NEU?
� Mit der Umbenennung der stabilen KHK in CCS wird der dynamische Charakter der Erkrankung berücksichtigt. Die klinische Präsentation einer KHK wird entweder als ACS oder CCS bezeichnet.
� Die neue Guideline enthält Empfehlungen zu den häufigsten sechs klinischen Szenarien bei CCS-Patienten.
� Vor einer KHK-Diagnose soll die Vortestwahrscheinlichkeit ermittelt werden. Als zusätzlicher Parameter gilt neu die Dyspnoe. Für die Diagnosestellung wurde die Bildgebung aufgewertet.
� In der medikamentösen Thromboseprävention wird bei Patienten mit mittlerem bis hohem Risiko für ischämische Ereignisse eine DAPT empfohlen.
▲ Angina pectoris und Verdacht auf Vasospastik oder mikrovaskuläre Erkrankung
▲ asymptomatische Patienten, bei denen durch Screening eine KHK entdeckt wurde.
Für die Diagnose einer obstruktiven KHK wird die Vortestwahrscheinlichkeit herangezogen, die sich aus der Klinik mit typischen, atypischen oder nicht anginösen Symptomen, dem Alter, dem Geschlecht und neu auch der Dyspnoe ergibt (Tabelle 1). Bei einer Vortestwahrscheinlichkeit von > 15 Prozent ist eine nicht invasive Abklärung empfohlen. Bei Werten zwischen 5 und 15 Prozent muss im Einzelfall abgewogen werden, ob und wann eine nicht invasive Abklärung sinnvoll ist. Ein normales Belastungs-EKG sowie fehlender Koronarkalk im CT verringern die Vortestwahrscheinlichkeit, während das Vorhandensein von kardiovaskulären Risikofaktoren, Veränderungen im Ruhe-EKG, linksventrikuärer Dysfunktion, abnormalem Belastungs-EKG oder im CT sichtbarem Konorarkalk diese weiter erhöht.
Diagnoseverfahren je nach Profil
Zur Diagnose ist bei hoher Vortestwahrscheinlichkeit eine invasive Abklärung mittels Koronarangiografie, bei mittlerer Vortestwahrscheinlichkeit eine funktionelle nicht invasive Diagnostik via SPECT (single photon emission computed tomography) oder Stress-Echokardiografie und bei niedriger Vortestwahrscheinlichkeit eine CT-Angiografie zur Primärdiagnostik empfohlen. «Die enormen technologischen Fortschritte und die Möglichkeit, funktionelle wie anatomische Informationen nicht invasiv erhalten zu können, haben zur Aufwertung der Diagnose mittels Bildgebung geführt», so Wijns. Das Belastungs-EKG spielt nur noch eine Rolle, wenn für die Diagnose keine Bildgebung zur Verfügung steht oder zur Symptomkontrolle bei Patienten unter Therapie. Je nach Symptomschwere und Ansprechen auf die Therapie kann auch direkt eine invasive Koronarangiografie zum Einsatz kommen.
Antianginöse Behandlungsoptionen
Kernpunkt der Therapie bleibt die Lebensstilmodifikation mit Rauchstopp, gesunder Ernährung, möglichst täglicher mo-
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KARDIOLOGIE
Tabelle 1: Vortestwahrscheinlichkeit für obstruktive KHK
Typisch
Atypisch
Nicht anginös
Alter (Jahre) Männer Frauen
Männer
Frauen
Männer
Frauen
30–39
3%
5%
4%
3%
1%
1%
40–49
22%
10%
10%
6%
3%
2%
50–59
32%
13%
17%
6%
11%
3%
60–69
44%
16%
26% 11%
22% 6%
70+ 52% 27% 34% 19% 24% 10%
Quelle: modifiziert nach ESC-Guideline 2019 (1)
Neu: Dyspnoe
Männer
Frauen
0% 3%
12% 3%
20% 9%
27% 14%
32% 12%
Tabelle 2: Behandlungsoptionen für DAPT in Kombination mit niedrig dosierter ASS
Substanz
Dosis
Indikation
Zu bedenken
Clopidogrel
1 x 75 mg
nach Myokardinfarkt, wenn DAPT für 1 Jahr toleriert wurde
Prasugrel
1 x 10 mg oder 1 x 5 mg bei Gewicht nach PCI infolge Myokardinfarkt, wenn DAPT
< 60 kg oder Alter > 75
für 1 Jahr toleriert wurde
Alter > 75 Jahre
Rivaroxaban 2 x 2,5 mg
nach Myokardinfarkt > 1 Jahr oder Mehrgefässerkrankung
eGFR 15–29 ml/min/1,73 m2
Ticagrelor
2 x 60 mg
nach Myokardinfarkt, wenn DAPT für 1 Jahr toleriert wurde
Abkürzungen: ASS: Acetylsalicylsäure; DAPT: duale Antiplättchentherapie; PCI: perkutane Intervention; eGFR: geschätzte glomeruläre Filtrationsrate Quelle: modifiziert nach ESC-Guideline 2019 (1)
derater Bewegung während 30 bis 60 Minuten, Gewichtsreduktion oder -erhaltung auf BMI < 25 kg/m2 und Medikamenteneinnahme gemäss Vorschrift. Die stufenweise medikamentöse antiischämische Langzeitbehandlung richtet sich nach der Klinik. Bei Patienten mit linksventrikulärer Dysfunktion oder Herzinsuffizienz, hoher oder tiefer Herzfrequenz oder tiefem Blutdruck sind von der Standardtherapie abweichende Kombinationen empfohlen (Tabelle 3). In erster Linie kommen Betablocker zum Einsatz, je nach klinischer Ausprägung zusammen mit Kalziumantagonisten, ausser bei Herzinsuffizienz. Abhängig von der Herzfrequenz können lang wirksame Nitrate, Ivabradin, Ranolazin, Nicorandil oder Trimetazidin (in der Schweiz nicht im Handel) dazugegeben werden. Ereignissen vorbeugen Zur Vorbeugung von künftigen kardiovaskulären Ereignissen sollte bei CCS-Patienten im Sinusrhythmus eine antithrombotische Therapie eingerichtet werden. Entweder mit Acetylsalicylsäure (ASS) 75 bis 100 mg oder bei Unverträglichkeit oder peripherer arterieller Verschlusskrankheit mit Clopidogrel 75 mg. Neu ist die Empfehlung der CCS-Guideline, dass ESC-Guideline für chronisches Koronarsyndrom (CCS) https://www.escardio.org/Guidelines/Clinical-Practice-Guidelines/ Chronic-Coronary-Syndromes für Patienten mit mittlerem bis hohem Risiko für ischämische Ereignisse und niedrigem Blutungsrisiko eine duale Plättchenhemmung (DAPT) zum Einsatz kommt (Tabelle 2). Bei CCS-Patienten im Sinusrhythmus nach Revaskularisation ist in den ersten Monaten nach einer perkutanen Intervention (PCI) die Kombination von ASS und Clopidogrel empfohlen, solange das Risiko für lebensbedrohliche Blutungen nicht zu einer Verkürzung der DAPT zwingt. Bei CCS-Patienten mit Vorhofflimmern ist eine orale Antikoagulation empfohlen, vorzugsweise mit einem direkten oralen Antikoagulans (DOAK) wie Rivaroxaban, Dabigatran, Apixaban und Edoxaban. Bei Patienten mit Vorhofflimmern und Myokardinfarkt und hohem Risiko für ischämische Rezidive kann eine Kombination aus DOAK und ASS 75 bis 100 mg oder Clopidogrel 75 mg in der Langzeittherapie erwogen werden, sofern das Blutungsrisiko tief ist. Das Blutungsrisiko wird als hoch bezeichnet, wenn in der Vorgeschichte bestimmte Bedingungen erfüllt sind, wie beispielsweise intrazerebrale Blutung oder ischämischer Hirnschlag, andere intrakraniale Pathologien, gastrointestinale Blutungen, hämorrhagische Diathese oder Koagulopathie, Leberinsuffizienz, dialysepflichtige Niereninsuffizienz oder Kreatinin-Clearance < 15 ml/min/1,73 m3 sowie sehr hohes Alter oder Gebrechlichkeit. Zur allgemeinen Ereignisprävention gehört eine Senkung des LDL-Cholesterins mit Statinen. Kann das Ziel mit der höchstmöglichen Statindosierung nicht erreicht werden, ist die Zugabe von Ezetimibe empfohlen. Bei Patienten mit sehr hohem 4 ARS MEDICI DOSSIER III | 2020 KARDIOLOGIE Tabelle 3: Antiischämische Langzeittherapie Standardtherapie Hohe Herz- Tiefe Herz- frequenz > 80 bpm frequenz < 50 bpm 1. Stufe Betablocker oder Kalziumantagonist Betablocker oder Nicht-DHPKalziumantagonist DHPKalziumantagonist 2. Stufe Betablocker + DHPKalziumantagonist 3. Stufe + Zweitlinienmedikament 4. Stufe Betablocker + Nicht-DHP-Kalziumantagonist + Ivabradin lang wirksames Nitrat DHP-Kalziumantagonist + lang wirksames Nitrat + Nicorandil, Ranolazin oder Trimetazidin Linksventrikuläre Dysfunktion Herzinsuffizienz Tiefer Blutdruck Betablocker tief dosierter Betablocker oder tief dosierter Nicht-DHPKalziumantagonist + lang wirksames + tief dosiertes, lang Nitrat oder Ivabradin wirksames Nitrat + ein weiteres Zweitlinienmedikament + Ivabradin, Ranolazin oder Trimetazidin Abkürzung: DHP: Dihydropyridin Quelle: modifiziert nach ESC-Guideline 2019 (1) Risiko, bei denen die Zweierkombination keine befriedigende Senkung bewirkt, empfehlen die Guidelines die Hinzunahme eines PCSK9-Hemmers. Prävention bei CCS-Patienten mit Herzinsuffizienz ACE-Hemmer oder Angiotensin-II-Rezeptor-Antagonisten (ARB) kommen bei CCS-Patienten mit Herzinsuffizienz, Hypertonie oder Diabetes zum Einsatz. Bei CCS-Patienten mit sehr hohem kardiovaskulären Risiko sollten sie jedoch auch erwogen werden. Bei CCS-Patienten mit linksventrikulärer Dysfunktion oder systolischer Herzinsuffizienz kommen Betablocker zum Einsatz, bei jenen mit vorangegangenem ST-Hebungs-Myokardinfarkt sollten sie zur Dauertherapie in Erwägung gezogen werden. Tritt die Herzinsuffizienz oder eine linksventrikuläre Dysfunktion bei CCS-Patienten neu auf, empfehlen die Guidelines eine Therapie mit Diuretika, Betablocker und ACE-Hemmern. Wird der ACE-Hemmer nicht vertragen oder lindert er nicht ausreichend die Symptome, kann alternativ ein ARB oder ein Angiotensinrezeptor-Neprilysin-Hemmer verwendet werden. Aldosteronantagonisten kommen zum Einsatz, wenn der Patient trotz ACE-Hemmern und Betablockern symptomatisch bleibt. Ein kurz wirksames Nitrat, oral oder transdermal, sollte nicht fehlen. Bei Patienten im Sinusrhythmus mit einer linksventrikulären Auswurffraktion von ≤ 35 Prozent und einer Herzfrequenz von > 70 bpm kann Ivabradin Linderung bringen, wenn die bisherige Therapie mit Betablockern, ACE-Hemmern und Aldosteronantagonisten die Symptome nicht beseitigt. Werden Betablocker nicht vertragen, kann auch Amlodipin zur Linderung der Anginasymptome herangezogen werden.
130 mmHg eingestellt werden, bei Personen über 65 Jahre
auf 130 bis 140 mmHg. Bei Patienten mit einem vorangegan-
genen Myokardinfarkt sind dazu Betablocker und
RAAS-Hemmer empfohlen, bei Patienten mit symptomati-
scher Angina können Betablocker oder Kalziumantagonisten
eingesetzt werden. Die gleichzeitige Gabe von ACE-Hemmern
und ARB ist zu vermeiden.
Besteht eine Tumorerkrankung, sollte die Therapie von der
verbleibenden Lebenserwartung und den Interaktionen mit
der Komedikation abhängig gemacht werden und bei not-
wendiger Revaskularisation die am wenigsten invasive Me-
thode gewählt werden.
Bei einer zusätzlich bestehenden Typ-2-Diabetes-mellitus-Er-
krankung ist es empfohlen, den Blutdruck, das LDL-Chole-
sterin und den HbA1c auf die Zielwerte einzustellen. Bei
asymptomatischen CCS-Patienten mit Diabetes ist ein perio-
disches Ruhe-EKG ratsam, um allfälliges Vorhofflimmern
oder einen stummen Infarkt aufzudecken. Zur Prävention
eines kardiovaskulären Ereignisses kommen ACE-Hemmer
zum Einsatz, bei vorhandener kardiovaskulärer Erkrankung
SGLT2-Hemmer wie Empagliflozin, Canagliflozin oder Da-
pagliflozin oder die GLP-1-Rezeptor-Agonisten Liraglutide
und Semaglutide.
Bei chronisch eingeschränkter Nierenfunktion und Patienten
höheren Alters müssen die Dosen der verwendeten Medika-
tionen je nach Präparat angepasst und möglicherweise auf-
tretende Nebenwirkungen speziell beachtet werden.
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Valérie Herzog
Quelle: «2019 ESC-Guideline on Chronic Coronary Syndromes», Jahreskongress der European Society of Cardiology (ESC) 2019, 31. August bis 4. September 2019 in Paris.
Optionen bei Komorbiditäten
Die neue Guideline bietet für viele Komorbiditäten und Begleitumstände ebenfalls Handlungsanleitungen. Der systolische Praxisblutdruck sollte beispielsweise zwischen 120 und
Referenz: 1. Knuuti J et al.: 2019 ESC Guidelines for the diagnosis and management of
chronic coronary syndromes: the task force for the diagnosis and management of chronic coronary syndromes of the European Society of Cardiology (ESC). Eur Heart J 2020; 41(3): 407–477.
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