Transkript
GYNÄKOLOGIE
Präeklampsie und Biomarker
Fragen aus der Praxis – Antworten aus dem Expertenboard
An einem Expertenboard haben sich Spezialisten zum Thema Präeklampsie (PE) und Biomarker ausgetauscht. Wichtige Fragen aus der Praxis wurden von den Schweizer Spezialisten beantwortet.
Wann wird in der Praxis mit den Schwangeren über das Thema Präeklampsie gesprochen? In den ersten drei Schwangerschaftsmonaten wird darüber – gerade bei der ersten Schwangerschaft – eher selten gesprochen. Die Schwangeren fragen kaum nach, warum ihr arterieller Blutdruck gemessen wird oder Urintests durchgeführt werden. Vermutlich wird zu wenig über den Grund oder den Sinn dieser Massnahmen gesprochen.
Die Biomarker sind eine wertvolle Unterstützung und Ergänzung der klinischen D iagnostik, insbesondere im Sinne des «rule-out» einer Präeklampsie bei unklaren Zeichen und Symptomen.
In manchen Zentren wird heute bereits die Möglichkeit einer Präeklampsierisikostratifizierung (Präeklampsiescreening) etwa in der 12. Schwangerschaftswoche angeboten. Viele Schwangere begrüssen das und verlangen die entsprechenden Untersuchungen, obwohl die Kassenvergütung noch nicht geklärt ist.
Wie funktioniert die Präeklampsierisikostratifizierung im 1. Trimester? Das Risiko wird mittels eines Algorithmus berechnet, der folgende Daten miteinbezieht: maternale Faktoren, Anamnese, mittlerer arterieller Blutdruck (MAP), Pulsatilitätsindex der Uterusarterien (UTPI) und den Biomarker PlGF (= placental growth factor). In einigen Zentren wird das Risiko mithilfe des Algorithmus der Londoner Fetal Medicine Foundation berechnet.
Was sind die klinischen Konsequenzen des Ergebnisses aus diesem Algorithmus? Als Ergebnis erhält man eine Berechnung des Präeklampsierisikos, aufgrund dessen eine präventive Behandlung gemäss ASPRE-Studie (1) abgeleitet wird. Ist das Risiko für eine frühe Präeklampsie (< 37. Schwangerschaftswoche) grösser als 1:100, wird eine tägliche niedrige Acetylsalicylsäure(ASS-)-
Dosis – schnellstmöglich, insbesondere vor der 16. bis zur 36. Schwangerschaftswoche – empfohlen. Die empfohlene Acetylsalicylsäure(ASS-)-Dosis beträgt 100 bis 150 mg, jeweils eine Dosis abends. Zusätzlich erhält die Patientin eine Risikoschwangerschaftsbetreuung. Gibt der Algorithmus ein Risiko kleiner als 1:100 an, wird keine Intervention empfohlen. Die ASS-Gabe reduziert das Risiko für eine frühe Präeklampsie (< 37. Schwangerschaftswoche) um 62 Prozent. Das Auftreten einer Präeklampsie in der späten Schwangerschaft scheint mit der ASS-Prophylaxe nicht reduziert werden zu können.
Wie sollen Schwangere betreut werden, bei denen Anzeichen von Präeklampsie nach der 20. Schwangerschaftswoche auftreten? Alle Schwangeren werden weiterhin mit den üblichen Routinekontrollen überwacht. Es wird regelmässig der arterielle Blutdruck gemessen und der Urin auf eine Proteinurie kontrolliert. Wenn erste Anzeichen einer Präeklampsie auftreten, kann zur Unterstützung der Diagnostik die Ratio sFlt-1/PlGF(= soluble fms-like tyrosine kinase-1/placental growth factor) hinzugezogen werden. Diese Ratio hat insbesondere einen sehr guten negativen prädiktiven Wert. Hat die Schwangere einen Wert von ≤ 38, kann eine Präeklampsie mit grosser Wahrscheinlichkeit für die nächsten Wochen ausgeschlossen werden – gemäss PROGNOSIS-Studie (2, 3): einen negativ prädiktiven Wert für 1 Woche zu 99,3 Prozent, für 2 Wochen zu 97,9 Prozent, für 3 Wochen zu 95,7 Prozent, für 4 Wochen zu 94,3 Prozent. Somit ist dieser Test insbesondere als Ruleout-Test klinisch sinnvoll und vertretbar.
Inwiefern ist diese Ausschlussdiagnostik in der Praxis hilfreich? Die Präeklampsiediagnose aufgrund der Symptome ist häufig schwierig. Rund 7 bis 8 Prozent der Schwangeren weisen Zeichen oder Symptome einer Präeklampsie auf, doch nur ein Teil davon entwickelt tatsächlich eine Präeklampsie. Hinzu kommt, dass Symptomatik und Verlauf dieser Erkrankung sehr unterschiedlich und sprunghaft verändert sein können und der Blutdruck sowie die Proteinurie nicht sehr spezifisch für Präeklampsie sind. Die sFlt-1/PlGF-Ratio ist spezifischer für plazentare Erkrankungen, sodass der Cut-off-Wert von
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≤ 38 helfen kann, die Schwangere zu beruhigen und auf weitergehende kostspielige Untersuchungen und Massnahmen zu verzichten. Besonders hilfreich ist die sFlt-1/PlGF-Ratio, wenn es um die Frage der stationären oder ambulanten Betreuung geht: Liegt die Ratio unter 38, kann in der Regel auf einen stationären Aufenthalt und auf weitere Massnahmen verzichtet und eine ambulante Verlaufskontrolle in 1 bis 2 Wochen geplant werden. Damit werden unnötige und teure Spitalaufenthalte vermieden.
Wie gehen Sie vor, wenn der sFlt-1/PlGF-Wert über 38 liegt? Werte über 38 geben Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für eine sich entwickelnde Präeklampsie oder auch eine plazentabedingte Erkrankung (Beispiel: intrauterine Wachstumsretardierung); sie können ferner eine Präeklampsiediagnose unterstützen. Zudem können die Werte helfen, die Schwere der Erkrankung besser abzuschätzen und das Management anzupassen. Je nach klinischer Situation können eine weitere stationäre Abklärung und/oder Behandlung sinnvoll sein. Hier ist allerdings zu berücksichtigen, dass der positive prädiktive Wert hinsichtlich einer manifesten Präeklampsie eher gering ist (36,7 Prozent), weshalb erhöhte Werte zurückhaltend und mit Vorsicht interpretiert werden müssen und nicht vorschnell Massnahmen eingeleitet werden dürfen. Insbesondere darf nicht aufgrund eines erhöhten sFlt-1/PlGF-Werts die Entscheidung für eine Beendigung der Schwangerschaft mittels Geburtseinleitung oder Kaiserschnitt getroffen werden. Grund dafür ist, dass die Ratio schon sehr früh auch bei Patientinnen erhöht ist, welche erst einige Wochen später das Vollbild einer Präeklampsie entwickeln.
Hypertonie oder eingeschränkter Nierenfunktion sowie bei
systemischen Erkrankungen (z.B. Lupus erythematodes).
Generell gilt: Je früher die Diagnose einer Präeklampsie ge-
stellt und bestätigt wird, desto besser sind die klinische Be-
handlung und letzten Endes die Prognose für Mutter und
Kind.
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Korrespondenz: Prof. Dr. med. Daniel Surbek Chefarzt Geburtshilfe und feto-maternale Medizin Universitäts-Frauenklinik Bern 3010 Bern E-Mail: daniel.surbek@insel.ch
Literatur: 1. Rolnik DL et al.: ASPRE trial; performance of screening for preterm pre-ec-
lampsia. Ultrasound Obstet Gynecol (UOG) 2017; 50(4): 492–495. 2. Zeisler H et al.: PROGNOSIS, predictive value of the sFlt-1:PlGF Ratio in
women with suspected preeclampsia. N Engl J Med 2016; 374: 13–22. 3. Zeisler H et al.: Soluble fms-like tyrosine kinase-1 to placental growth
factor ratio: ruling out pre-eclampsia for up to 4 weeks and value of retesting. UOG 2019; 53: 367–375.
Würden Sie sagen, dass die Biomarker bei der Diagnose Präeklampsie und dem Management nützlich sind? Die Biomarker sind eine wertvolle Unterstützung und Ergänzung der klinischen Diagnostik, insbesondere im Sinne des «rule-out» einer Präeklampsie bei unklaren Zeichen und Symptomen oder auch bei Patientinnen mit vorbestehender
Expertenboard:
s Prof. Dr. med. Daniel Surbek, Chefarzt Geburtshilfe und fetomaternale Medizin, Universitätsklinik für Frauenheilkunde, Inselspital Bern
s Prof. Dr. med. Olav Lapaire, Stv. Chefarzt Geburtshilfe, Universitätsspital Basel
s Prof. Dr. med. Sevgi Tercanli, FMH Gynäkologie und Geburtshilfe, Inhaberin Ultraschallpraxis, Freie Strasse, Basel
s Dr. med. Markus Hodel, Chefarzt Geburtshilfe, Luzerner Kantonsspital
s Prof. Dr. med. David Baud, Chef du service d’obstétrique, Département Femme-Mère-Enfant, Centre Hospitalier Universitaire Vaudoise (CHUV), Lausanne
s Dr. med. Katja Ludin, Laborleiterin FAMH, Labormedizinisches Zentrum Dr. Risch
Das Expertenboard wurde logistisch unterstützt von Roche Diagnostics (Schweiz) AG.
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