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EDITORIAL NOBELPREISTRÄGER DER PHYSIOLOGIE ODER MEDIZIN
1904: Iwan Petrowitsch Pawlow (Russland)
Der vierte überhaupt – und einer der bekanntesten Nobelpreisträger
«In Anerkennung seiner Arbeit über die Physiologie der Verdauung, die das Wissen über wesentliche Aspekte dieses Bereichs verbessert und erweitert hat.»
Iwan Petrowitsch Pawlow (Quelle: Unbekannt)
Iwan Petrowitsch Pawlow wurde 1849 als ältestes von zehn Kindern in Rjasan, südöstlich von Moskau, geboren. Sein Vater wirkte als Priester an einer russisch-orthodoxen Kirche. Er begann früh, sich für Naturwissenschaften zu interessieren. 1870 zog er nach St.Petersburg und studierte zunächst Theologie, wechselte aber bald an die physikalische Fakultät. Sein erstes Examen legte er bei Mendelejew, dem Entdecker des Periodensystems, ab. 1875 trug sich Pawlow an der Kaiserlichen Militärmedizinischen Akademie (WMA) ein, um sich für den Lehrstuhl für Physiologie zu qualifizieren. Er arbeitete danach inverschiedenen Laboratorien in St. Petersburg und in Deutschland. 1883 reichte er seine Dissertation ein undwurde zum Doktor der Naturwissenschaften promoviert. In diese Zeit fiel auch seine Heirat mit der Pädagogikstudentin Serafima Wassiljewna. Aus der Ehe gingen drei Söhne und eine Tochter hervor. Die Finanzlage der jungen Familie war sehr angespannt, denn Pawlow gab alles Geld für Versuche aus. Er lehnte sogar gut dotierte Stellenangebote ab, weil diese nicht seinen Vorstellungen entsprachen. Ab 1884 studierte Pawlow in Deutschland. 1890 wurde er endlich Professor für Pharmakologie an der WMA. 1891
wurde Pawlow eingeladen, im Kaiserlichen Institut für Ex-
perimentelle Medizin in St. Petersburg das neue Laborato-
rium für Physiologie einzurichten und zu leiten. Sein Haupt-
forschungsgebiet war schon länger der Verdauungstrakt, die
innere Sekretion und deren nervale Steuerung.
Pawlow war überzeugt, dassVerhalten auf Reflexen beruht.
Er entdeckte das Prinzip der klassischen Konditionierung.
Sein bekanntestes Experiment war der pawlowsche Hund,
bei dem er nachweisen konnte, dass die Speichelsekretion
des Hundes nicht erst mit dem Fressvorgang beginnt, son-
dern bereits beim Anblick der Nahrung. Er fand aber nicht
nur den bedingten Reflex, sondern beschrieb auch die Ge-
setzmässigkeiten von Hemmungs- und Erregungsprozes-
sen im Nervensystem und ihre Rolle bei der Analyse der
äusseren Umgebung und der inneren Organe.
Für seine Leistungen erhielt er 1904 den Nobelpreis zuge-
sprochen.
Die Entdeckung des bedingten Reflexes, der sogenannten
Konditionierung, beeinflusste später auch die physiologisch
orientierten behavioristischen Theorien in der Psychologie
nachhaltig. John B. Watson führte den Begriff Konditionie-
rung in die amerikanische Fachterminologie ein und machte
ihn zu einem Grundbegriff des Behaviorismus .
Nach der Oktoberrevolution musste Pawlow mehrere Jahre
ohne staatliche Finanzierung auskommen. Erst 1921 wür-
digte ihn Lenin, wodurch seine Zukunft gesichert war. 1925
wurde sein Laboratorium zum Institut für Physiologie der
Akademie der Wissenschaften der UdSSR. 1923 und 1929
besuchte er die USA. Er blieb zeitlebens kritisch dem Sowjet-
system gegenüber.
Pawlow starb 1936 in Leningrad an den Folgen einer Lungen-
entzündung.
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Richard Altorfer
ARS MEDICI DOSSIER VII | 2019
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