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GASTROENTEROLOGIE
Kinderwunsch bei CED-Patienten
Krankheitskontrolle ist bei Schwangeren besonders wichtig
Foto: St. Mark’s Hospital, London
Befinden sich Menschen mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (IBD) in Remission, sind sie genauso fertil wie Gesunde. Allerdings sollten vor der Konzeption einige Dinge beachtet werden. Prinzipiell können die meisten – aber nicht alle – Therapien vor und während der Schwangerschaft und des Stillens beibehalten werden. Am ECCO in Kopenhagen gab Prof. Ailsa Hart aus London (GB) einen ausführlichen Überblick.
Ailsa Hart
Irgendwann stellt sich bei vielen jungen Menschen die Frage: Wollen wir ein Kind? Bei IBD-Patienten ist diese Frage mit sehr viel Unsicherheit verbunden. So wird nicht selten ein solcher Gedanke schnell wieder verworfen. Tatsächlich tritt ein freiwilliger Verzicht auf Nachwuchs bei 17 Prozent der IBD-Betroffenen auf und damit wesentlich häufiger als in der Allgemeinbevölkerung mit 6 Prozent. «Dieser Punkt ist mir sehr wichtig», erklärte Hart am ECCO in Kopenhagen: «Denn viele zögern vor allem, weil sie falsche Informationen zu IBD und Schwangerschaft erhalten haben. Deshalb ist eine gute Aufklärung noch nötiger.»
Grosse Ängste vor einer Schwangerschaft
An erster Stelle der Sorgen der jungen Erwachsenen steht die Befürchtung, dass durch die Krankheit und durch antientzündliche Medikamente gesundheitliche Konsequenzen für das Kind zu erwarten sind. Aber auch eine schwangerschaftsbedingte Aktivierung der eigenen Erkrankung wird bisweilen befürchtet. Viele bezweifeln überdies, dass sie prinzipiell die Fähigkeit besitzen, Nachwuchs zu bekommen. Das alles mache deutlich, dass die Betroffenen ein sehr grosses Bedürfnis nach Information hätten, so die britische Gastroenterologin. Allerdings sieht die Studienlage hinsichtlich Konzeption und Schwangerschaft vielfach noch dürftig aus, die meisten Untersuchungen beziehen ihre Ergebnisse nämlich aus Fallkontroll-, Kohorten- oder Registerstudien.
Vor der Konzeption
Wichtig sei es, vor der Konzeption Vorbereitungen zu treffen und ausführlich mit den Betroffenen zu sprechen. Die Patienten sollten darauf hingewiesen werden, dass sie alles dafür tun sollten, das Relapserisiko zu minimieren, ungesunde Verhaltensweisen (Rauchen, Alkohol) einzuschränken, den Ernährungsstatus zu optimieren sowie Folsäure zu supplementieren. Gerade die Ernährung sei enorm wichtig und werde häufig vergessen. Das Ziel soll es sein, drei bis sechs Monate vor der Konzeption in stabiler Remission zu sein. Im Folgenden werden die von den IBD-Patienten mit Kinderwunsch gestellten häufigsten Fragen behandelt.
«Können wir überhaupt Kinder bekommen?»
Ist die Krankheit inaktiv, bestehen hinsichtlich der Fertilität keinerlei Einschränkungen. Ist sie jedoch aktiv, speziell bei Morbus Crohn, nimmt die Fruchtbarkeit ab. Medikamente wie Steroide, Thiopurine, Biologika oder 5-ASA besitzen keinen Einfluss auf die Fertilität. Grössere chirurgische Eingriffe können hingegen die Empfängnisfähigkeit beeinflussen.
Wie gross ist das Risiko, dass das Kind betroffener Eltern ebenfalls eine IBD entwickelt?
Tatsächlich ist die Familiengeschichte ein starker Prädiktor für die Entwicklung einer IBD. Leidet ein Elternteil unter IBD, ist das Risiko für die Nachkommen, ebenfalls eine entzündliche Darmerkrankung zu entwickeln, vier- bis achtmal höher als in der Allgemeinbevölkerung. Trotzdem bleibe das absolute Risiko gering, betonte Hart. Wenn ein Elternteil unter Colitis ulcerosa (CU) oder Morbus Crohn (MC) leidet, beträgt das Risiko für den Nachwuchs, ebenfalls daran zu erkranken, 2 Prozent (CU) respektive 3–5 Prozent (MC). Sind hingegen Mutter und Vater betroffen, wird rund jedes dritte Kind eine IBD entwickeln.
Welche Effekte haben die antiinflammatorischen Medikamente beim Mann auf die Gesundheit des Fötus?
Sulfasalazin verursacht eine reversible Infertilität und kann möglicherweise kongenitale Abnormalitäten hervorrufen. Der Ratschlag lautet daher, mindestens vier Monate vor der Konzeption dieses Medikament abzusetzen. Thiopurine bergen laut einer Metaanalyse keine erhöhten Risiken für kongenitale Abnormalitäten. Methotrexat kann möglicherweise die Spermaqualität herabsetzen. Daher sollte mindestens drei Monate vor der Konzeption dieses Medikament abgesetzt werden. TNF-Inhibitoren können eventuell die Keimzellapoptose beschleunigen und die Beweglichkeit und Morphologie der Spermien reduzieren. Hingegen sind keine Schwangerschaftskomplikationen zu erwarten. Deshalb kann die Anti-TNF-Monotherapie beim Mann weitergeführt werden. Krankheitsaktivität: Diese beeinträchtigt die Libido und die sexuelle Funktion des Mannes.
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Welche Effekte hat die Schwangerschaft auf die Erkrankung der Mutter?
Es ist ein Mythos, dass sich chronisch entzündliche Darmerkrankungen durch die Schwangerschaft reduzieren. Befindet sich die Frau während der Empfängnis in Remission, besteht bei MC ein Risiko von 20 Prozent und bei CU von 33 Prozent, dass es zu einem Relapse kommt. Insgesamt ist das Risiko für Krankheitsaktivität während der Schwangerschaft bei CU höher als bei MC. Leidet die Patientin während der Konzeption unter einer aktiven IBD, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass dieser Zustand während der Schwangerschaft so bleibt oder dass es sogar zu einer Verschlechterung kommt. Ein unsachgemässer Therapieabbruch ist mit vermehrter Krankheitsaktivität verbunden. Prinzipiell kann eine aktive Erkrankung die Schwangerschaft gefährden.
Welche Effekte haben Krankheit und Medikamente der Frau auf das Baby?
Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung existiert ein höheres Risiko für Komplikationen, wie Frühgeburt, Untergewicht, Totgeburt, Präeklampsie, vorzeitigen Blasensprung oder venöse Thromboembolie. Eine aktive IBD ist der stärkste Prädiktor für einen unerwünschten Ausgang der Schwangerschaft. So ist das Risiko für eine Frühgeburt im Vergleich zu Gesunden zweifach erhöht, für ein geringeres Geburtsgewicht zwei- bis dreifach erhöht und für eine Totgeburt – bei MC – vier- bis fünffach erhöht. Dagegen ist das Komplikationsrisiko bei inaktiver Krankheit ähnlich wie bei gesunden Kontrollpersonen (Rate für Fehlgeburt: 12 bis 15 Prozent).
Welche Effekte haben Medikamente auf die Schwangerschaft?
Mesalazin/Sulfasalazin Topische 5-ASA-Präparate (z.B. Klysma und Rektalschaum) dürfen auch während der Schwangerschaft weiter verwendet werden. Vor der Schwangerschaft sollte die Dosierung des nur topisch aktiven Mesalazins (5-ASA) erhalten bleiben. Bei einer Sulfasalazintherapie ist eine Supplementierung mit 2 mg Folsäure/Tag notwendig.
Welche Effekte haben Medikamente auf die Schwangerschaft?
(nach ECCO-Guidelines und Hart)
Medikament
während Schwangerschaft
Mesalazin
geringes Risiko
Sulfasalazine
geringes Risiko
Kortikosteroide
geringes Risiko
Thiopurine
geringes Risiko
Methotrexat kontraindiziert
Thalidomid kontraindiziert
TNF-Inhibitoren
geringes Risiko
Vedolizumab
limitierte Datenlage
Ustekinumab
limitierte Datenlage
Tofacitinib
limitierte Datenlage, vermeiden
Kortikosteroide Können verwendet werden, um Flares zu behandeln. Sie sind jedoch mit Schwangerschaftskomplikationen verbunden (Frühgeburt, geringeres Geburtsgewicht, Schwangerschaftsdiabetes, Hypertonie) sowie mit Adrenalininsuffizienz bei Neugeborenen. Bei Budesonid wurden solche Risiken bislang nicht beobachtet. Hinweise auf Risiken von Lippen-Kiefer-Gaumensegel-Spalten sind in den vergangenen Jahren seltener geworden. So wurde nach 2003 keine Studie mehr veröffentlicht, die ein solches Risiko beschreibt. Praktischer Tipp: Achten Sie bei Kortikosteroiden auf die geringstmögliche effektive Dosierung und kürzestmögliche Behandlungsdauer.
Thiopurine Die meisten Studien zu Thiopurinen waren beeinflusst durch aktive Flares. Es besteht eine Kontroverse über mögliche Frühgeburten sowie neonatale Anämien. Laut dem grossen US-amerikanischen PIANO-Register besteht kein erhöhtes Risiko hinsichtlich kongenitaler Abnormitäten oder Schwangerschaftskomplikationen, jedoch ein erhöhtes Infektionsrisiko (1,5- bis 3-fach) bei Kindern mit Kombinationstherapie (Anti-TNF/Thiopurine). Praktische Tipps: Bei Monotherapie Behandlung fortführen, aber TGN/6MMP-Spiegel checken. Bei Kombinationstherapie einen Stopp der Thiopurinbehandlung in Erwägung ziehen, Allopurinol vermeiden. Eher andere Optionen prüfen, anstatt eine Thiopurin-Therapie während der Schwangerschaft zu beginnen.
Methotrexat Kontraindikation während Konzeption und Schwangerschaft wegen Teratogenität! Drei bis sechs Monate vor der Empfängnis Methotrexat absetzen. Bei ungeplanter Schwangerschaft der Patientin dazu raten, das Medikament abzusetzen und auf hohe Folsäuredosierungen sowie mit Ultraschall auf Fehlbildungen achten.
Anti-TNF-Therapie IgG1-Antikörper werden im 2. und 3. Trimester aktiv durch die Plazenta transportiert. Die Dosierung vor der Konzeption soll als Erhaltungstherapie während der Schwangerschaft beibehalten werden. Die Vorteile einer Therapiefortführung sind höher zu bewerten als ein mögliches Behandlungsrisiko. Die meisten verfügbaren Daten stammen von Infliximab und Adalimumab. Es wurden keine kongenitalen Abnormitäten beschrieben. Da die Anti-TNF-Spiegel im mütterlichen Serum eine hohe Varianz zeigen, sollte auf eine personalisierte Therapie inklusive der Kontrolle der Medikamentenspiegel während der gesamten Schwangerschaft geachtet werden. Zu beachten ist, dass die Spiegel von Infliximab (IFX) während der Schwangerschaft, vor allem zum Ende hin, stark ansteigen, während bei Adalimumab (ADA) ein nur geringer Anstieg beobachtet wird. Möglicherweise habe der Wirkstoffspiegel von ADA daher über einen längeren Zeitraum keinen Einfluss auf das Baby, sagte Hart. Tatsächlich können Anti-TNF-Spiegel im Kind zum Ende der Schwangerschaft vierfach erhöht sein. Es besteht ein inverses Verhältnis zwischen Medikamentenspie-
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gel und dem Timing der letzten Dosierung vor der Geburt. Anders ausgedrückt: Je früher die letzte Dosierung gegeben wird, desto weniger TNF-Inhibitoren sind im Baby nachweisbar. Während IFX bis zu sieben Monate im Neugeborenen nachgewiesen werden kann, sind dies bei ADA vier Monate. Zudem wurden in Studien hämatologische und immunologische Abweichungen bei manchen Säuglingen festgestellt. Praktische Tipps: Um eine aktive Erkrankung zu vermeiden, sollte die Anti-TNF-Therapie als Erhaltungstherapie während der Schwangerschaft beibehalten werden. Keine Kombinationstherapien (Anti-TNF plus Thiopurine) wegen erhöhter Infektionsgefahr. Bei stabiler Remission (> 12 Monate) kann unter Abwägung der Vor- und Nachteile ein früherer Stopp der Therapie (Woche 22/24 bei IFX und Woche 32/34 bei Adalimumab) in Betracht gezogen werden. Nach der Geburt ist ein baldiger Therapiestart – in ein bis zwei Tagen, wenn keine Infektion vorliegt - sinnvoll.
Vedolizumab (VDZ) In sechs VDZ-Studien mit 24 Schwangerschaften wurden 11 Lebendgeburten, eine kongenitale Abnormität (Corpus-callosum-Agenesie), 4 Spontanaborte und 5 Abbrüche registriert. In einer derzeit laufenden weiteren Analyse kam es bei 81 Schwangerschaften zu 4 Lebendgeburten und 11 Spontanabgängen. 66 Schwangerschaften sind derzeit noch nicht beendet. Hier zeige sich «ein kleines Signal», berichtete Hart. In einer aktuellen Studie mit 24 Schwangerschaften kam es nach 6 Wochen zu einer Fehlgeburt, einem Schwangerschaftsabbruch, einer Totgeburt nach 22 Wochen sowie 3 kongenitalen Besonderheiten (Hüftdysplasie, Lungenstenose und Hirschsprung-Krankheit). Es ist bis heute unbekannt, ob eine Therapiefortführung zu Infektionen beim Baby führen könnte.
Ustekinumab (UKB) IgG1-Antikörper werden im 2. und 3. Trimester aktiv durch die Plazenta transportiert. Dermatologische und rheumatologische Studien zeigen keine Fehlgeburten oder kongenitalen Fehlbildungen (bei geringerer Dosierung). Für IBD und Ustekinumab existieren nur sehr wenige Daten: Bei 5 schwangeren
KURZ & BÜNDIG
� Schwangerschaften bei IBD können positiv beeinflusst werden.
� Medizinische Hilfe in Verbindung mit Information und Schwangerschaftsberatung sollten alle IBD-Patienten im reproduktiven Alter erhalten.
� Vorsicht vor Fehleinschätzungen, immer gemeinsame Entscheidungen treffen.
� Optimaler Outcome ist zu erwarten, wenn die Krankheit vor und während der Schwangerschaft kontrolliert wird.
� Die meisten Therapien können während Schwangerschaft und Stillzeit beibehalten werden.
� Bei einem Relapse sollte man auch eine Schwangere sofort behandeln.
Frauen mit MC kam es zu einer Fehlgeburt und 4 erfolgreichen Lebendgeburten. Bei 36 schwangeren Frauen mit MC wurden überdies keine spezifischen Risiken registriert. Praktische Tipps: Zu Ustekinumab liegen nur wenige Daten vor. Dies kann bei jungen Menschen bei der Wahl der Medikation eine Rolle spielen. Es ist nicht zulässig, von den Anti-TNF-Daten zu extrapolieren. Werden Patientinnen mit VDZ oder UKB behandelt, sollte neben einer vorsichtigen Beratung auf die Wichtigkeit der Erhaltungtherapie und das richtige Timing der letzten Dosierung vor der Geburt geachtet werden.
Tofacitinib Sehr limitierte Datenlage. In Tierversuchen wurde ein Risiko für Fehlbildungen festgestellt. Eine Schwangerschaft unter diesem Medikament sollte daher vermieden werden.
Natürliche Geburt oder Kaiserschnitt?
Welche Form der Geburt gewählt wird, ist vor allem von den geburtlichen Voraussetzungen abhängig. Die meisten IBD-Patientinnen haben ihr Kind bislang vaginal geboren. Ein Kaiserschnitt ist bei aktiver perianaler IBD angezeigt, da das Risiko eines Dammrisses IV. Grades um den Faktor 10 erhöht ist. Ebenfalls eine Sectio caesarea sollte in Erwägung gezogen werden, wenn eine ileo-pouchanale Anastomose (IPAA) durchgeführt wurde oder ein Inkontinenzrisiko besteht. Die Behandlung mit Biologika kann 24 bis 48 Stunden nach Geburt wieder aufgenommen werden, wenn keine Infektion besteht. Insgesamt beeinflusst die Art der Geburt nicht das Risiko des Kindes, eine IBD zu entwickeln.
Soll das Kind gestillt werden?
Prinzipiell wird auch bei IBD empfohlen, die Kinder zu stillen. Dabei sollte auf eine adäquate Flüssigkeitszufuhr und Ernährung der Mutter geachtet werden. Es besteht bei 5-ASA-Therapie der Mutter jedoch ein potenzielles Diarrhörisiko für gestillte Kinder. Die geringen IBD-Medikamentenspiegel in der Muttermilch beeinträchtigen den Säugling nicht. So wurden bei Biologika weniger als 1 Prozent in der Muttermilch gefunden. Im PIANO-Register entwickelten sich gestillte Babys, deren Mütter mit Biologika behandelt wurden, ebenso wie andere Kinder. Auch ein erhöhtes Infektionsrisiko konnte nicht festgestellt werden.
Nach der Geburt: Impfungen und Infektionen
Bis heute gibt es nur wenige Daten zum Einfluss der Biologika
auf das neonatale Immunsystem. Die Kinder sollten nach
den Empfehlungen der einzelnen Länder geimpft werden.
Ausnahme: Lebendimpfungen (z.B. Rotavirus, Lebend-Rei-
sevakzine, BCG) sollten bei einer vorgeburtlichen Biologika-
exposition oder bei undetektierbaren Medikamentenspiegeln
in den ersten sechs bis zwölf Monaten vermieden werden.
Insgesamt sollten Langzeitstudien respektive internationale
Register hinsichtlich Impfungen und Infektionen noch mehr
Klarheit schaffen.
s
Klaus Duffner
Quelle: Scientific session 10: «The cycke of IBD life in clinical practice» beim 14. Kongress der European Crohn’s and Colitis Organisation (ECCO) am 9. März 2019 in Kopenhagen.
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