Transkript
GERIATRIE/SCHMERZ
Diagnose und Therapie
Arthrose im Überblick
Die Arthrose ist die häufigste Gelenkerkrankung bei Erwachsenen. Ein Grund für den Rheumatologen pract. med. Erik Deman, Universitätsspital Basel, am Forum für Medizinische Fortbildung in Basel die grundlegenden Fakten zu dieser degenerativen Erkrankung in Erinnerung zu rufen.
Die Inzidenz der symptomatischen Arthrose zeigt eine eindeutige Reihenfolge: Knie, Hüfte, Finger. Betroffene klagen vor allem über Belastungsschmerzen, die bei Ruhe wieder abklingen, aber auch über Anlaufschmerzen, die oft mit einer kurzzeitigen Morgensteifigkeit verbunden sind. Allerdings seien dabei weder systemische Symptome noch ausgeprägte Entzündungen festzustellen, erklärte Deman. Weitere Kennzeichen einer Arthrose sind: knöcherne Gelenkverdickungen, Gelenkinstabilität, reduzierte Beweglichkeit und Muskelatrophie. Letztere macht gerade Patienten mit Fingerpolyarthrosen zu schaffen. Auch Crepitus kann nicht nur ein Hinweis auf eine bestehende, sondern auch auf eine kommende Arthrose sein. So wurden in einer amerikanischen Studie rund 3500 asymptomatische Probanden befragt, ob im Knie ein «Knirschen, Knacken oder irgendein anderes Geräusch» zu vernehmen sei (1). Zudem wurden alle Teilnehmer radiologisch untersucht. Nach drei Jahren zeigte sich eine signifikante Korrelation zwischen dem subjektiv wahrgenommenen Crepitus und der späteren Entwicklung einer symptomatischen Arthrose.
Zurückhaltung bei der Bildgebung
Typische Lokalisationen der primären Arthrose (ohne bekannten Auslöser) sind die zervikalen und lumbalen Facettengelenke, Daumensattelgelenke, die proximalen und distalen Interphalangealgelenke, AC-Gelenke, Hüft- und Kniegelenke sowie an den Füssen die Meta-Tarso-Phalangeal-1-Gelenke (2).
KURZ & BÜNDIG
s Arthrose ist eine häufige Krankheit. s Primäre oder sekundäre Formen beachten. s Bildgebung nur bei atypischen Verläufen, Differenzial-
diagnostik oder vor einer Operation. s Therapie zunächst konservativ mit Physiotherapie und
Analgetika. s Chirurgische Therapie als letzte Option.
Die sekundäre Arthrose tritt hingegen infolge von Begleiterkrankungen oder erlittenen Schäden auf. Dabei können sowohl angeborene Dysplasien, Verletzungen oder Operationen als auch postentzündliche, metabolische, endokrinologische oder durchblutungsbedingte Ursachen die Auslöser sein. Liegt ein Arthroseverdacht vor, kann je nach Symptomatik die Bestimmung spezieller diagnostischer Laborparameter sinnvoll sein. Dazu gehören CRP, BSR, Rheumafaktor, antiCCP, Harnsäure, Ferritin und anderes. Bei der Bildgebung rät die europäische Rheumatologen-Gesellschaft (EULAR) in ihren Empfehlungen von 2017 hingegen zur Zurückhaltung (3). Wenn sich die Arthrose mit ihren typischen Symptomen präsentiere, sei keine Bildgebung notwendig. Bei unerwartet rascher Verschlechterung oder Änderung der Symptomatik (Verdacht auf Fehldiagnose) soll jedoch zunächst auf Röntgen, bei möglichen anderen Diagnosen oder zur Beurteilung der Weichteile auch auf Ultraschall oder MRT zurückgegriffen werden. Typisch für eine Handarthrose sind Schmerzen, Gewebsverdickungen an den proximalen und distalen Fingergelenken, Fehlstellungen und Steifigkeitsgefühle. Für Coxarthrose kennzeichnend sind Schmerzen in Hüfte und Leiste, eine eingeschränkte Innenrotation sowie Morgensteifigkeit (weniger als 60 min). Auch im Röntgenbild sichtbare Osteophyten an Kopf oder Pfanne sowie eine Gelenkspaltverschmälerung oben, lateral und/oder medial sind Hinweise auf eine Coxarthrose. «Allerdings muss man sich immer in Erinnerung rufen, dass das Ausmass der Veränderungen auf den Bildern nicht korreliert mit dem Ausmass der Beschwerden der Patienten. Wir haben immer wieder Patienten mit wüsten Röntgenbildern von Hüften oder Knien, die keine Beschwerden haben. Wiederum andere, mit geringen Veränderungen, klagen über starke Schmerzen», berichtete Deman.
Weiteres Vorgehen: die Hände
Ausführliche Empfehlungen zur nicht pharmakologischen und pharmakologischen Behandlung von Arthrosen in Hand, Knie und Hüfte finden sich in den von Deman vorgestellten Guidelines der nord- und südamerikanischen Fachgesellschaften (4, 5). Bei der Handarthrose wird demnach empfohlen, zuerst mit einem Ergotherapeuten über Entlastungen der Gelenke im Haushalt und Möglichkeiten ergo-
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therapeutischen Trainings zu sprechen. Auch Hilfsmittel, beispielsweise zum besseren Öffnen einer Flasche oder spezielle Scheren, sind dabei sinnvoll. Zudem soll mit Übungen versucht werden, die Funktion, Beweglichkeit und Muskelkraft in den Händen zu erhalten. Sind die Daumensattelgelenke betroffen, können spezielle Rhizarthroseschienen für Entlastung sorgen. Auch mit einer Low-dose-Strahlentherapie lassen sich, vor allem wenn entzündliche Schübe auftreten, die Schmerzen reduzieren. Pharmakologisch sollte bei Fingergelenksarthrose mit einer topischen Therapie, beispielsweise mit topischen NSAR, begonnen werden. Auch systemische NSAR sind eine Option, allerdings ist darauf zu achten, sie möglichst kurz und möglichst niedrig dosiert einzusetzen. Als längerfristige Therapie ist daher eher Paracetamol geeignet. Auch ein Versuch mit Chondroitinsulfat ist eine Option. Obwohl es kein «Wundermittel» sei, würden manche Patienten recht gut darauf ansprechen, so der Basler Rheumatologe. Infiltrationen mit Kortikosteroiden sollten möglichst vermieden werden, es sei denn, die Patienten litten unter starken Schmerzen, und das stets am gleichen Gelenk. Zwar erreiche man damit manchmal für ein paar Monate einen gewissen Effekt, man sollte solche Infiltrationen aber nicht zur Regel machen. Ausserdem: «Starten Sie auf keinen Fall Therapieversuche mit Methotrexat oder Biologika, denn die sind nicht wirksam», erklärte Deman. Halten die Schmerzen an den Händen trotz konservativer Therapie an, kann auch über einen chirurgischen Eingriff in Form einer Trapeziektomie, Arthoplastie oder Arthrodese nachgedacht werden. Durch eine solche Operation lassen sich klare Schmerzreduktionen erzielen.
Vorgehen bei Gonarthrose
Bei der Gonarthrose stehen punkto nicht pharmakologischer Behandlung physiotherapeutische Massnahmen an erster Stelle. Tatsächlich lässt sich über die Kräftigung der Beinmuskulatur das Knie gut stabilisieren, respektive die auf das Gelenk wirkenden Kräfte lassen sich so reduzieren. Neben der Bewegung, entweder durch einfache Spaziergänge oder durch Wassergymnastik, ist auch eine Reduktion des Körpergewichts ein klarer Vorteil. Die Evidenz für die meisten nicht pharmakologischen Empfehlungen ist jedoch schlecht. Dazu gehören Patella-Taping, Einlagen mit medialer Erhöhung bei lateraler Arthrose, Wärme- und Kältebehandlungen, TaiChi, Akupunktur oder transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS). «Ich persönlich habe noch niemanden getroffen, dem TENS geholfen hätte», so der Spezialist. Allerdings seien in Einzelfällen auch solche Massnahmen einen Versuch wert. Auch für pharmakologische Interventionen ist die Evidenz schwach. So werden lediglich eingeschränkte Empfehlungen für Paracetamol, topische und orale NSAR, Tramadol, intraartikuläre Kortikosteroide, Glukosamin, Chondroitin oder Capsaicin gemacht. Nicht empfohlen werden Duloxetin, Opioidanalgetika, orale Hyaluronsäure, orale Kortikosteroide oder plättchenreiches Plasma (platelet rich plasma, PRP). Zu Letzterem existieren zwei Metaanalysen. Sie sehen hilfreiche Effekte von intraartikulär injiziertem PRP im Vergleich zu Kochsalzlösung respektive im Vergleich zu Hyaluronsäure bei Patienten mit milder bis moderater Gonarthrose (6, 7). Zu bedenken sei jedoch, dass man jedes Mal in ein Ge-
lenk steche und damit jedes Mal das Risiko für Komplikationen bestehe, so Deman. Hat ein Patient trotz konservativer Behandlungen unvermindert grosse Schmerzen, können chirurgische Massnahmen zum Zug kommen. Dabei sollte nicht arthroskopiert werden, beispielsweise zum «Ausputzen», sondern gleich eine Knieprothese in Erwägung gezogen werden. Gemäss S2-Leitlinien müssen folgende Hauptkriterien vorliegen (8): Knieschmerzen, Nachweis eines Strukturschadens, Versagen konservativer Therapiemassnahmen, Einschränkung der Lebensqualität und ein subjektiver Leidensdruck.
Und was tun bei Coxarthrose?
Auch bei der Hüftgelenksarthrose wird Physiotherapie emp-
fohlen, auch wenn sie wahrscheinlich weniger wirksam ist als
bei der Gonarthrose. Wassertherapie und Gewichtsabnahme
können ebenfalls hilfreiche Massnahmen sein. Eine schlechte
Evidenz gebe es für manuelle Therapien und supervidierte
Übungen, psychosoziale Interventionen sowie Kälte- und
Wärmeanwendungen. Auch die pharmakologischen Mög-
lichkeiten sind beschränkt. «Man kann es versuchen mit Pa-
racetamol, oralen NSAR, Tramadol oder intraartikulären
Kortikosteroiden», so Deman, die Datenlage hinsichtlich der
Evidenz solcher Massnahmen sei jedoch eher schlecht. Gern
und oft werde auch Hyaluronsäure intraartikulär verab-
reicht. Allerdings sei auch hier die Datenlage unsicher und
teilweise widersprüchlich (9). So wird der Einsatz von Hya-
luronsäure in verschiedenen Guidelines von «not recommen-
ded» bis zu «inconclusive » bewertet. Allerdings gebe es Hin-
weise darauf, dass eine solche Therapie bei bestimmten Sub-
gruppen eventuell wirksam sein könnte, so bei Menschen mit
moderater Arthrose, einem nicht zu hohen Lebensalter und
mit vielen Symptomen.
s
Klaus Duffner
Quelle: «Arthrose, Diagnostik und Therapie», Vortrag im Rahmen des Forums für Medizinische Fortbildung. Allgemeine und innere Medizin: 30. Januar 2019.
Referenzen: 1. Lo GL et al.: Subjective crepitus as a risk factor for incident symptomatic
knee osteoarthritis: data from the osteoarthritis initiative. Arthr Care Res 2017; https://doi.org/10.1002/acr.232462. 2. Wildi L: Arthrose: Was der Praktiker über die medikamentöse Therapie wissen sollte. Hessisches Ärzteblatt 2017; 2 (73): 74–82. 3. Sakellariou G et al.: EULAR recommendations for the use of imaging in the clinical management of peripheral joint osteoarthritis. Ann Rheum Dis 2017; 76(9): 1484–1494. 4. Rillo O et al.: PANLAR Consensus recommendations for the management in osteoarthritis of hand, hip, and knee. J Clin Rheumatol 2016; 22(7): 345–354. 5. Hochberg MC et al.: American College of Rheumatology 2012 recommendations for the use of nonpharmacologic and pharmacologic therapies in osteoarthritis of the hand, hip, and knee. Arthritis Care Res (Hoboken) 2012; 64(4): 465–474. 6. Khoshbin A et al.: The efficacy of platelet-rich plasma in the treatment of symptomatic knee osteoarthritis: a systematic review with quantitative synthesis. Arthroscopy 2013; 29(12): 2037–2048. 7. Kanchanatawan W et al.: Short-term outcomes of platelet-rich plasma injection for treatment of osteoarthritis of the knee. Knee Surg Sports Traumatol Arthrosc 2016; 24(5): 1665–1677. 8. Lützner J et al.: Langfassung: S2k-LL Indikation Knieendoprothese (AWMF Registernummer: 033–052) https://www.awmf.org/uploads/ tx_szleitlinien/033-052l_S2k_Knieendoprothese_2018-05.pdf 9. Jones IA et al: Intra-articular treatment options for knee osteoarthritis. Nature Reviews Rheumatology 2019; 15: 77–90.
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