Transkript
Häufigkeit (%)
DIABETES
80 70 60 50 40 30 20 10 0
0
Plasma-Thiamin (nmol/l)
n Median Spanne
Kontrollen 20 61,4 44,6–93,7
Typ 1
26 11,7
4,8–43,7
Typ 2
49 13,7
2,5–53,3
p – < 0,001 < 0,001 20 40 60 80 100 120 Plasma-Thiamin (nmol/l) Typ-2-Diabetes Typ-1-Diabetes Kontrollen Abbildung 5: Vitamin-B1-Plasmaspiegel bei Diabetikern im Vergleich zu Nichtdiabetikern (nach Thornalley [8]) teraktionen und die Abhängigkeitsgefahr. Zudem gibt es nicht selten Compliance-Probleme. Deshalb sollten ergänzende Therapien wie verhaltensmedizinische Interventionen, etwa zur Stressreduktion, oder alternative Verfahren wie Elektrotherapie oder Akupunktur nicht ausser Acht gelassen werden. L Prof. Dr. med. Hilmar Stracke Facharzt für Innere Medizin, Endokrinologie und Stoffwechsel Medizinisches Versorgungszentrum Agaplesion, Evangelisches Krankenhaus D-35398 Giessen Interessenlage: Prof. Stracke hält Vorträge für Wörwag Pharma. Literatur unter www.rosenfluh.ch Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 15/2017. Der leicht bearbeitete Nachdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor. Erhöhtes Risiko für Krebs, Infektionen, Arthritis und Osteoporose Diabetiker sind viel ärmer dran, aber es gibt Hoffnung Einen Typ-2-Diabetes von Beginn an rigoros mit allen Mitteln zu bekämpfen, lohnt sich. Denn diese Patienten haben ein erhöhtes Risiko für Krebserkrankungen, für Infektionen, rheumatoide Arthritis und Osteoprose. Doch je kürzer die Krankheitsdauer, desto höher ist die Chance auf Remission durch eine rigorose Gewichtsreduktion, wie am EASD-Kongress zu erfahren war. Typ-2-Diabetiker haben ein höheres Risiko als Nichtdiabetiker, an Krebs zu erkranken, und eine schlechtere Chance, diesen zu überleben. Diese Erkenntnis kommt aus einer Beobachtungsstudie aus dem schwedischen Nationalregister mit 450 000 Personen mit Typ-2-Diabetes und über 2 Millionen gematchten Kontrollen. Für die Entwicklung eines kolorektalen Tumors haben die Diabetiker ein um 20 Prozent höheres Erkrankungsrisiko, für Brustkrebs ist es um 5 Prozent höher. Typ-2-Diabetiker mit bereits diagnostiziertem Brustoder Prostatakrebs haben ein 25 beziehungsweise 29 Prozent höheres Risiko, an der Krebserkrankung zu sterben. Im Vergleich zu Nichtdiabetikern war das Erkrankungsrisiko bei Typ-2-Diabetikern auch höher in Bezug auf Tumoren in Leber (231%), Pankreas (119%), Uterus (78%), Penis (56%), Nieren (45%), Gallenblase und Gallengängen (32%), Magen (21%) und Blase (20%) (1). Ein höheres Mortalitätsrisiko haben Typ-2-Diabetiker auch im Zusammenhang mit adipositasbedingtem Krebs, wie beispielsweise Darm-, Nieren- oder Pankreaskrebs bei Männern und Frauen sowie Brust- und Endometriumtumoren bei Frauen. Das zeigte eine weitere Beobachtungsstudie mit knapp 177 000 Typ-2-Diabetikern und 853 gematchten Kon- trollen. Gemäss den Resultaten hatten nach 7 Jahren Nachbeobachtung übergewichtige oder adipöse Männer mit Typ2-Diabetes ein um 22 Prozent (Frauen 31%) höheres Risiko, an adipositasbedingten Krebsleiden zu sterben, als ohne Diabetes, doch galt das auch für nicht adipositasbedingte Tumorerkrankungen. Ausserdem korrelierte die Höhe des BMI (35–39) mit der Höhe des Mortalitätsrisikos – am stärksten beim Endometriumtumor mit einem 4-fachen Risiko verglichen mit normalgewichtigen Diabetikern. Das legt gemäss den Studienautoren die Vermutung nahe, dass Adipositas das Tumormortalitätsrisiko bei Typ-2-Diabetikern erhöht (2). Nicht nur endokriner Einfluss Typ-2-Diabetes scheint eine Erkrankung zu sein, die nicht nur endokrine Abläufe beeinflusst. Daten aus dem dänischen Health Survey von über 109 000 Personen förderten bei Typ2-Diabetikern eine höhere Wahrscheinlichkeit zutage, an einer Osteoporose (um 33% höher), einer rheumatoiden Arthritis (um 70% höher) oder an einer Osteoporose (um 29% höher) zu erkranken als Personen ohne Diabetes. Die Resultate zeigten auch, dass Personen mit Diabetes vermehrt Rücken-, Schulter- oder Nackenschmerzen hatten, was sie ARS MEDICI DOSSIER IV | 2019 25 DIABETES daran hinderte, körperlich aktiv zu sein. Umgekehrt zeigte sich mit steigender körperlicher Aktivität ein vermindertes Schmerzrisiko. Diabetespatienten mit Arthritis sollten trotzdem dazu angehalten werden, sich aktiv zu bewegen, was sich positiv auf die Blutzuckerkontrolle wie auch die muskuloskelettalen Schmerzen auswirken kann, so der Rat der Studienautoren (3). Mehr infektionsbedingte Hospitalisierungen Eine Auswertung von amerikanischen Daten bezüglich infektbedingter Spitaleinweisungen des Center for Disease Control (CDC) zeigte einen Trend für Typ-2-Diabetiker auf: Die infektionsbedingten Spitaleinweisungen stiegen zwischen 2010 und 2015 bei Typ-2-Diabetikern um 52 Prozent, bei Nichtdiabetikern um 17 Prozent an. Spitzenreiter waren Infekte der Atemwege, von Haut und Bindegewebe bei Diabetikern und Nichtdiabetikern. Den grössten Anteil an der Steigerung hatten Infekte des Urogenitaltrakts und Spitalinfekte bei Diabetikern und Nichtdiabetikern sowie von Haut und Bindegewebe bei jungen Diabetikern. Diabetiker werden öfter infektbedingt hospitalisiert. Um dieses Risiko zu senken, muss die Betreuung dieser Patienten verbessert werden, so das Fazit der Studienleiterin Dr. Jessica Harding vom CDC, Atlanta (USA) (4). In der neuen Studie interessierte die Frage, wie der Gewichts- verlust eine Remission bewirken kann und warum diese bei manchen Patienten funktioniert und bei anderen nicht. Dazu wurde in einer Substudie der Fettgehalt in Leber und Pan- kreas bei 58 Studienteilnehmern untersucht, unter ihnen bei 40 Respondern, die eine Remission erreicht hatten, und bei 18 Nonrespondern, bei denen die Erkrankung geblieben war. Beide Gruppen hatten etwa gleich viel Gewicht verloren (16,2 vs. 13,4 kg) und hatten nach dem Gewichtsverlust auch eine ähnlich hohe Reduktion von Fettgehalt in Leber und Pankreas und der Triglyzeridkonzentration. Als einer der Unterschiede zwischen den Gruppen kristalli- sierte sich die Krankheitsdauer heraus. Die Remittierten waren durchschnittlich 2,7 Jahre von Typ-2-Diabetes betrof- fen, die Nichtremittierten im Durchschnitt 3,8 Jahre. Das legt die Vermutung nahe, dass, je länger die Krankheit besteht, desto kleiner die Chance wird, dass sich die Betazelle je wie- der erholen kann, so Prof. Taylor. Seine Botschaft ist damit klar: Bei allen, insbesondere bei neu diagnostizierten Typ-2- Diabetikern, sollte ein effizientes Gewichtsverlustprogramm durchgeführt werden (5). Ob die Betazellen ihre wiedererlangte Kraft auch länger bei- behalten können, wird in einer zurzeit laufenden Langzeit- nachbeobachtung untersucht. s Heilung durch Gewichtsreduktion möglich Die Aussichten, dass man mit einer Typ-2-Diabetes-Erkrankung mit den Jahren nicht nur diabetesbedingte Komplikationen, sondern auch ein erhöhtes Risiko für Krebs- und Gelenkerkrankungen und Infektionen hat, sollte die Motivation verstärken, weil es Hoffnung gibt, diese Erkrankung loswerden zu können. Dazu braucht es jedoch viel Durchhaltewillen. In der 2017 publizierten DIRECT-Studie konnte nämlich gezeigt werden, dass bei gewissen erwachsenen Patienten nach einem intensiven Gewichtsreduktionsprogramm die Typ-2Diabetes-Erkrankung rückgängig gemacht werden konnte. Warum das möglich war, war bisher nicht klar. Am diesjährigen Kongress präsentierte Prof. Roy Taylor, Newcastle University (GB), weitere Evidenz, wonach eine Remission möglich ist, sofern die insulinproduzierenden Betazellen sich erholen und wieder volle Funktionsfähigkeit erlangen können. Das steht im Gegensatz zur bisherigen Auffassung, dass der Funktionsverlust der Betazelle irreversibel sei. Gemäss der neuen Erkenntnis kann sich die Betazelle erholen und die Insulinproduktion wieder starten, wenn Leber und Pankreas Fett verlieren. In der DIRECT-Studie hatten sich 298 20- bis 65-jährige Typ2-Diabetiker mit einer Erkrankungsdauer bis zu 6 Jahren einer Schlankheitskur mit 825 bis 853 kcal/Tag während 3 bis 5 Monaten unterzogen. Danach erfolgten eine Umstellung zu gesunder Ernährung und eine Langzeitunterstützung zur Gewichtserhaltung. Fast die Hälfte der Teilnehmer (46%) konnte innerhalb eines Jahres eine Remission erreichen, verglichen mit 4 Prozent in der Kontrollgruppe. Nach dem Gewichtsverlust zeigten Responder eine frühe und anhaltende Verbesserung der Betazellfunktion, bei den Nonrespondern dagegen trat keine Veränderung in der Insulinproduktion ein. Valérie Herzog Quelle: Jahreskongress der European Association for the Study of Diabetes (EASD) 2018, 1. bis 5. Oktober in Berlin. Referenzen: 1. Bjornsdottir HH et al.: Cancer incidence and mortality among 457,473 persons with type 2 diabetes compared to 2 287 365 matched controls in Sweden: an observational study. Presented at EASD Annual Meeting 2018; Abstract 1211. 2. Alam NN et al.: Type 2 diabetes, body mass index and cancer mortality: a population-based matched cohort study. Presented at EASD Annual Meeting 2018; Abstract 1117. 3. Molsted S et al.: Diabetes is associated with elevated risks of osteoarthritis, osteoporosis and rheumatoid arthritis. Presented at EASD Annual Meeting 2018; Abstract 1112. 4. Harding J et al.: Trends of infections in adults with and without diabetes, U.S. 2000–2014. Presented at EASD Annual Meeting 2018; Abstract 1109. 5. Taylor T et al.: Remission of type 2 diabetes: underlying mechanisms revealed by the Diabetes Remission Clinical Trial (DiRECT). Presented at EASD Annual Meeting 2018; Abstract 512. 26 ARS MEDICI DOSSIER IV | 2019