Transkript
KARDIOLOGIE
Stabile KHK
Tipps für die Behandlungsstrategie
Eine stabile koronare Herzerkrankung (KHK) erfordert eine zweigleisige Therapie. Einerseits müssen die Symptome gelindert werden, andererseits braucht es eine Prävention, um die Auswirkungen einer Krankheitsprogression in Grenzen zu halten. Am Jahreskongress der European Society of Cardiology (ESC) erklärte Prof. Joao Morais, Head of Cardiology Department and Research Center, Leiria (P), worauf es dabei ankomme.
Eine stabile Atherosklerose kann einer Zeitbombe gleich jederzeit instabil werden. Die 1-Jahres-Rate für kardiovaskulären Tod, Herzinfarkt, Hirnschlag oder atherosklerosebedingte Hospitalisation ist gemäss REACH-Register (n = 64 977) bei Patienten mit manifester Atherosklerose doppelt so hoch wie bei Patienten mit mehreren kardiovaskulären Risikofaktoren. Die Inzidenz dieser Ereignisse beträgt bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit 15 Prozent. Daher konzentrieren sich die Behandlungsziele darauf, die Symptome zu lindern und die Krankheitsprogression wie auch die Entwicklung einer linkventrikulären Dysfunktion, einer Herzinsuffizienz und das Erleiden eines vorzeitigen kardiovaskulären Todes zu verhindern. Treten Anginasymptome auf, ist die erste Massnahme gemäss ESC-Guidelines (2) die Gabe von kurz wirksamen Nitraten plus Betablocker oder Kalziumkanalblockern (CCB), um die Herzfrequenz zu drosseln. Spricht etwas gegen die Senkung der Herzfrequenz, sollten CCB vom Dihydropyridintyp (DHP) (z.B. Amlodipin, Lercanidipin, Nifedipin) eingesetzt werden. Bei starken Anginasymptomen braucht es die Kombination von Betablockern und CCB-DHP. Absicht dieser Massnahmen sei die Förderung der Sauerstoffbereitstellung und die Drosselung des Sauerstoffverbrauchs durch Senkung der Nachlast, erklärte Prof. Joao Morais. Ist die Symptomlinderung damit trotzdem noch ungenügend, können als Alternative oder zusätzlich Ivabradin, lang wirksame
KURZ & BÜNDIG
Die stabile KHK ist eine Form der Atherosklerose mit individuell unterschiedlicher Prognose.
Zusätzlich zur Symptomlinderung soll die Prognose mit präventiven Massnahmen verbessert werden.
Dazu ist ein Cocktail verschiedener Medikamente notwendig.
Nitrate, Nicorandil oder Ranolazin eingesetzt werden. Eine Revaskularisierung perkutan oder mittels Bypass sollte ebenfalls erwogen werden. Um einem kardiovaskulären Ereignis vorzubeugen, ist es wichtig, neben der Symptomtherapie auch eine Lebensstilkorrektur zu erwirken und die Risikofaktoren anzugehen. Dies mit Plättchenhemmung durch Acetylsalicylsäure (ASS) oder Clopidogrel, Kontrolle der Dyslipidämie durch Statine und Kontrolle des Blutdrucks mittels ACE-Hemmern oder Sartanen sowie einer Patientenaufklärung (Abbildung).
Herzfrequenz drosseln
Mit steigender Herzfrequenz treten über die Zeit auch mehr kardiovaskuläre Ereignisse auf. Das hat eine Analyse aus Daten der grossen Studien wie ONTARGET und TRANSCEND gezeigt (3). Mit dem Einsatz von Betablockern ist in einer prospektiven Kohortenstudie mit 4149 Teilnehmern eine signifikante Reduktion der Rate tödlicher kardiovaskulärer Ereignisse beobachtet worden, jene der nicht tödlichen Ereignisse sank dagegen nicht (4). Andere Studien beurteilten den Effekt auf die kardiovaskuläre wie auch auf die Gesamtsterblichkeit etwas kontroverser, so Morais. Ivabradin als Zweitlinienmedikament verbessere die Anginasymptome, jedoch nicht die Prognose (5), dasselbe gelte auch für Ranolazin (6).
Prognose verbessern
In der Primärprävention bieten sich verschiedene Massnahmen an, um die Risikofaktoren zu verbessern. Die lange Zeit angewendete ASS hat zwar in der SAPAT-Studie bei Patienten mit stabiler Angina pectoris einen positiven Nutzen in Bezug auf vaskuläre Ereignisse gezeigt (7), doch wird das NutzenRisiko-Verhältnis in der Primärprävention kontrovers diskutiert. Die am Kongress präsentierte ARRIVE-Studie brachte auch keine wirkliche Klarheit. Sie prüfte bei 12 546 Teilnehmern im Alter von 55 bis 60 Jahre während 60 Monaten, ob die präventive Einnahme von ASS 100 mg/Tag versus Plazebo zur Verhinderung eines kardiovaskulären Erstereignisses von Nutzen ist. Das ist nicht der Fall, der Unterschied zwischen beiden Gruppen war nicht signifikant (8).
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Verringerung pektanginöser Beschwerden
Medikamente 1. Wahl
Kurz wirksame Nitrate plus
Prävention unerwünschter
Ereignisse
Eine weitere Massnahme zur Prognoseverbesserung einer KHK ist die Blutverdünnung. Eine Kombination von täglich Rivaroxaban 2,5 mg plus ASS 100 mg konnte in der COMPASS-Studie gegenüber Rivaroxaban oder ASS allein eine Reduktion von 22 Prozent für kardiovaskulären Tod und von 42 Prozent für Hirnschlag erzielen. Die Gesamtmortalität konnte um 18 Prozent reduziert werden. Der Preis der Kombination war erwartungsgemäss eine erhöhte Blutungsrate, jedoch ohne Anstieg der tödlichen, intrakraniellen oder kritischen Organblutungen (13).
• Betablocker oder Kalziumantagonisten mit herzfrequenzsenkender Wirkung
• Kalziumantagonisten vom Dihydropyridintyp erwägen,
falls niedrige Herzfrequenz oder
Intoleranz/Kontraindikationen • Kombination von Betablockern
und Kalziumantagonisten vom Dihydropyridintyp erwägen,
falls Angina CCS > II
• Lebensstiländerungen • Kontrolle der Risikofaktoren
+ Patientenaufklärung
ggf. zusätzlich oder Wechsel auf (sind Medikamente der 1. Wahl bei einigen Patienten)
Medikamente 2. Wahl
• ASSb • Statine • ACE-Hemmer oder Angio-
tensinrezeptorblocker erwägen
Ivabradin Langwirksame Nitrate Nicorandil Ranzolazina Trimetazidina + invasive Koronarangiografie erwägen,
ggf. Revaskularisierung (PCI oder ACB-OP)
a Daten für Diabetiker b Bei Intoleranz Clopidogrel in Erwägung ziehen
(mod. nach [2])
Abbildung: Medikamentöse Therapie bei Patienten mit stabiler KHK
ESC-Guidelines Coronary artery disease
https://www.rosenfluh.ch/qr/coronary-artery-disease-guidelines
Entzündung eindämmen
Dass es sich bei der Atherosklersose um ein entzündliches Geschehen handelt, ist schon länger bekannt. Trotzdem hat es bislang kein antiphlogistischer Ansatz geschafft, die Auswirkungen der Atherosklerose zu beeinflussen. Mit dem Interleukin-(IL-)1b-Inhibitor Canakinumab könnte sich dieses Blatt wenden. Der IL-1b-Inhibitor blockiert das proinflammatorische Zytokin und entfaltet so antientzündliche Eigenschaften. Zurzeit wird Canakinumab bei Fiebersyndromen und bei juveniler idiopathischer Arthritis eingesetzt. In der CANTOS-Studie wurde der IL-1b-Inhibitor nun bei über 10 000 Patienten mit vormaligem Herzinfarkt und hohen Werten des CRP (C-reaktives Protein) getestet. Die Patienten erhielten drei subkutane Canakinumab-Injektionen oder Plazebo im Abstand von drei Monaten. Nach 48 Monaten war der CRP-Wert in der Canakinumab-Gruppe je nach Dosis (150 und 300 mg) um 37 bis 41 Prozent tiefer als in der Plazebogruppe und die Inzidenzrate des primären Endpunktes (nicht tödlicher Myokardinfarkt, nicht tödlicher Hirnschlag, kardiovaskulärer Tod [MACE]) um 15 Prozent signifikant abgesunken (150 mg; HR: 0,85). Der sekundäre Endpunkt MACE plus Revaskularisation infolge instabiler Angina pectoris sank um 17 Prozent (HR: 0,83). Die Gesamtmortalität wurde nicht reduziert, was möglicherweise an den unter Canakinumab vermehrt tödlichen Infektionen als Nebenwirkungen liegt (14). Die Studie zeigt, dass mit Entzündungshemmung doch eine kardiovaskuläre Ereignisreduktion möglich ist, und ebnet weiteren Forschungsmöglichkeiten in diese Richtung den Weg, so Morais abschliessend. L
Valérie Herzog
Dies ist ganz anders bei den Statinen. Eine Lipidsenkung mit Statinen zeigt bei Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren, aber ohne Herzerkrankung, praktisch in allen Studien einen positiven Effekt auf die Gesamtsterblichkeit und durchwegs eine Senkung von schweren kardiovaskulären Ereignissen, wie eine Metaanalyse darlegt (9). Inzwischen gibt es neue Behandlungsmöglichkeiten. Beispielsweise ist mit den PCSK2-Hemmern Alirocumab und Evolocumab eine noch stärkere Senkung des LDL-Cholesterins als mit Statinen zu erreichen. Beide Vertreter dieser Substanzklasse reduzieren das Auftreten von schweren kardiovaskulären Ereignissen, Alirocumab reduziert zusätzlich auch die Gesamtsteblichkeit (10, 11). Gemessen am Rückgang des Atheromvolumens sind die potentesten, aber auch die teuersten Lipidsenker zurzeit die PCSK-9-Hemmer, gefolgt von den Statinen Rosuvastatin und Atorvastatin (12), so Morais.
Quelle: «Stable CAD: Review, update, state of the art», Jahreskongress der European Society of Cardiology (ESC) 2018, 25. bis 29. August in München.
Referenzen in der Onlineversion unter www.rosenfluh.ch
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Referenzen: 1. Steg PG et al.: One-year cardiovascular event rates in outpatients
with atherothrombosis. JAMA 2007; 297: 1197–1206. 2. Montalescot G et al.: 2013 ESC guidelines on the management of
stable coronary artery disease: the Task Force on the management of stable coronary artery disease of the European Society of Cardiology. Eur Heart J 2013; 34, 2949–3003. 3. Lonn EM et al.: Heart rate is associated with increased risk of major cardiovascular events, cardiovascular and all-cause death in patients with stable chronic cardiovascular disease: an analysis of ONTARGET/TRANSCEND. Clin Res Cardiol 2014; 103: 149–159. 4. Bauters C et al.: Prognostic impact of ß-blocker use in patients with stable coronary artery disease. Heart 2014; 100: 1757–1761. 5. Fox K et al.: Ivabradine in stable coronary artery disease without clinical heart failure. N Engl J Med 2014; 371: 1091–1099. 6. Morrow D et al.: Effects of ranolazine on recurrent cardiovascular events in patients with non-ST-elevation acute coronary syn- dromes: the MERLIN-TIMI 36 randomized trial. JAMA 2007; 297: 1775–1783. 7. Juul-Moller S, Double-blind trial of aspirin in primary prevention of myocardial infarction in patients with stable chronic angina pectoris. The Swedish Angina Pectoris Aspirin Trial (SAPAT) Group. Lancet 1992; 340: 1421–1425. 8. Gaziano JM et al.: Use of aspirin to reduce risk of initial vascular events in patients at moderate risk of cardiovascular disease (ARRIVE): a randomised, double-blind, placebo-controlled trial. Lancet 2018 Aug 26; Epub ahead of print. 9. Brugts JJ et al. The benefits of statins in people without established cardiovascular disease but with cardiovascular risk factors: metaanalysis of randomised controlled trials. BMJ 2009; 338: b2376. 10. Sabatine MS et al.: Evolocumab and clinical outcomes in patients with cardiovascular disease. N Engl J Med 2017; 376:1713–1722. 11. StegPGetal.:ODYSSEYOutcomes:evaluationofcardiovascular outcomes after an acute coronary syndrome during treatment with Alirocumab: Presented at the American College of Cardiology Annual Scientific Session (ACC 2018), Orlando, FL, March 10, 2018. 12. Puri R et al.: Impact of PCSK9 inhibition on coronary atheroma progression: Rationale and design of Global Assessment of Plaque Regression with a PCSK9 Antibody as Measured by Intravascular Ultrasound (GLAGOV). Am Heart J 2016; 176: 83–92. 13. Eikelboom JW et al.: Rivaroxaban with or without aspirin in stable cardiovascular disease. N Engl J Med 2017; 377: 1319–1330. 14. Ridker PM et al.: Antiinflammatory therapy with Canakinumab for atherosclerotic disease. N Engl J Med 2017; 377: 1119–1131.
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