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UROLOGIE
Erektile Dysfunktion
Wenn’s nicht mehr geht
Foto: KD
Dem Wunsch nach Sex im Alter steht bei älteren Männern häufig ihre erektile Dysfunktion im Wege. Die Gründe dafür können sehr vielfältig sein, in den meisten Fällen liegen jedoch organische Ursachen vor. Den meisten Betroffenen könne geholfen werden, sagte Dr. Damian Weber, Spital Limmattal, Schlieren, bei seinem gut besuchten Vortrag an der KHM-Tagung in Luzern.
Dr. Damian Weber
Auch viele ältere Menschen haben noch den Wunsch nach Geschlechtsverkehr, allerdings scheitert dies mit zunehmendem Alter nicht selten an der Potenzschwäche der Männer. Das Positive: «Das Bewusstsein, solche Themen ohne Peinlichkeit anzusprechen, hat sich in den vergangenen 10 bis 20 Jahren gewandelt», erklärte Damian Weber an der KHM-Tagung. Zu diesem Wandel hätten sowohl das veränderte gesellschaftliche Umfeld als auch neue Medikamente beigetragen.
Alter als Risikofaktor
Tatsächlich zeigt eine Befragung von Männern aus Deutschland, dass die erektile Dysfunktion sehr stark mit dem Alter korreliert (1). Sind es bei den 30- bis 39-Jährigen nur 2,3 Prozent, die Probleme mit der Potenz angeben, geben bei den 60bis 69-Jährigen rund ein Drittel und bei den 70- bis 79-Jährigen 53 Prozent an, unter einer erektilen Dysfunktion zu leiden. In einer multinationalen Untersuchung mit knapp 13 000 Befragten klagten bei den 60- bis 69-Jährigen sogar 55,1 Prozent über eine reduzierte oder fehlende Erektion (2). Insgesamt nimmt die Tendenz zur erektilen Dysfunktion zu. So wird weltweit von einer Verdoppelung des Problems in naher Zukunft ausgegangen, von 152 Millionen Männern 1995 bis auf 322 Millionen Männer im Jahr 2025. Auch in der Schweiz, wo heute etwa 350 000 Männer betroffen sind, nimmt die Prävalenz der erektilen Dysfunktion zu. Hauptursache für diesen Anstieg scheine das Bevölkerungswachstum und die höhere Lebenserwartung zu sein, so Weber. So wird
KURZ & BÜNDIG
Steigendes Alter ist ein Risikofaktor für erektile Dysfunktion. Häufigste Ursache sind organische Erkrankungen. Potenzprobleme sind in vielen Fällen behandelbar.
sich die Zahl der 75- bis 79-jährigen Männer zwischen 1995 und 2025 verdoppelt haben. Allerdings suchen nur 2 von 10 Männern mit Potenzproblemen einen Arzt auf, daher der Appell an die Ärzte, auch solche Dinge offensiv anzusprechen, so Weber. Dass sich Erektionsdauer und -stärke vermindern und die Erholungszeit zunimmt, ist ein natürlicher Prozess, der durch Krankheiten, psychische Zustände oder Medikamente gefördert wird. In einer multinationalen Untersuchung mit knapp 13 000 Befragten wurde festgestellt, dass sexuelle Aktivitäten unter den 50- bis 59-Jährigen 7,6-mal, unter den 60- bis 69-Jährigen 5,3-mal und unter den 70- bis 80- Jährigen 3,0-mal pro Monat stattfinden (2). «Das sind Zahlen, die auch mir so nicht bewusst waren», sagte Weber.
Stimuli, Nerven und Hormone
Die Mechanismen der Erektion sind mehrstufig. Nach einem Stimulus (z.B. optisch, olfaktorisch, haptisch) kommt es unter Beteiligung einer Reihe von Reflexbögen der sympathischen und parasympathischen Zentren zur neuronalen Einleitung und zu einer Ausschüttung von Stickstoffmonoxid an den Synapsen. Über eine Kaskade mit GMP und cGMP wird Ca2+ ausgeschüttet, was wiederum zu einer Relaxation der glatten Muskelzellen und zu einer Erweiterung der Gefässe führt. Dies hat einen erhöhten Bluteinstrom im Penis zur Folge. Durch das vom Schwellkörper verursachte Abdrücken bestimmter abfliessender Venen wird zusätzlich der Blutrückstrom gedrosselt, was zur Erektion führt.
Oft Gefässerkrankungen ursächlich
Verantwortlich für die erektile Dysfunktion ist häufig eine Kombination unterschiedlicher Gründe. Zu 70 Prozent liegen jedoch organische Ursachen vor, die restlichen Fälle gehen auf psychische Probleme wie beispielsweise Belastungssituationen, Depression oder negative Erfahrungen zurück. Innerhalb der organischen Ursachen leidet ein Drittel unter einer Gefässerkrankung (artheroskletotische Verengungen, nicht mehr ausreichend schliessende Venen u.a.), daneben können neurogene Verletzungen und Erkrankungen,
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UROLOGIE
hormonelle (Hypogonadismus, Testosteronmangel) oder strukturelle Ungleichgewichte (z.B. Induratio Penis plastica durch Bindegewebsumbau) verantwortlich sein. Bekanntlich sind Patienten mit Diabetes mellitus von einem besonderen Risiko für erektile Dysfunktion betroffen, sie leiden fünfmal öfter an Potenzstörungen als Nichtdiabetiker. Auch kardiovaskuläre Erkrankungen erhöhen das Risiko, eine erektile Dysfunktion zu entwickeln, deutlich. Umgekehrt haben junge Männer (bis 50 Jahre) mit artherosklerotisch verursachten Potenzproblemen ein 50-fach erhöhtes Risiko, später kardiale oder zerebrale Gefässverkalkungen zu entwickeln (3). Deshalb gilt gemäss neuerer Guidelines die erektile Dysfunktion als unabhängiger Risikofaktor und Prädiktor für kardiovaskuläre Erkrankung. Vor allem jüngere Männer mit Potenzproblemen sollten sich daher kardiologisch genau abklären lassen, empfahl Weber. Daneben kann eine Vielzahl von Medikamenten Einfluss auf die Potenz nehmen. Dazu gehören bestimmte Psychopharmaka, Anticholinergika, Tranquilizer, Antiandrogene, Antihypertensiva, Herzmedikamente, Hormone, Diuretika, H2Blocker, Lipidsenker, Chemotherapuetika und weitere Substanzen.
Übergewicht und Testosteron
Für die Anamnese der erektilen Dysfunktion existieren schon seit Längerem Fragebögen, mit denen zwischen milden, moderaten oder schweren Potenzstörungen unterschieden werden kann (Kasten) (4). Für die körperliche Untersuchung sollten Habitus mit Abdomenumfang, sekundäre Körperbehaarung (Hormonstatus), Brustentwicklung (Hormonveränderungen), Blutdruck, Puls (kardiovaskuläres Risiko), Penis (Lage, Grösse) berücksichtigt werden. Kleine Hoden, phänotypische Besonderheiten (z.B. weibliche Fettverteilung), Hor-
monveränderungen und nicht zuletzt genetische Abweichungen weisen auf ein Klinefelter-Syndrom hin, das oft zuvor gar nicht diagnostiziert worden war. Auch Symptome des unteren Harntraktes (LUTS) gelten als sehr eng mit erektiler Dysfunktion oder Ejakulationsstörungen vergesellschaftet (1). Viele Männer, die aufgrund einer Prostatahyperplasie Miktionsbeschwerden haben, leiden ebenfalls unter erektiler Dysfunktion. Wichtige Hinweise auf möglich Ursachen geben auch Blutuntersuchungen mit Testosteron-, LH-, HbA1c- und Lipidmessungen (5). Die Bestimmung des Testosteron(Grenzwerte: 12–10 nmol/l) und anderer Hormonspiegel sollte morgens erfolgen, da es tageszeitlich vor allem bei jüngeren Männern zu erheblichen Schwankungen kommen kann (6). Ein sehr starker Zusammenhang besteht zudem zwischen Übergewicht und Testosteronspiegel. So gibt die Messung des Bauchumfangs Auskunft über einen möglichen Testosteronmangel (7). Allerdings habe nicht jeder Mann mit einem Testosterongrenzwert auch Potenzprobleme, so der Spezialist. Letzteren gehe normalerweise ein Libidoverlust voraus. Zu beachten sei, dass Hypogonadismus auch die Wirksamkeit von PDE-5-Inhibitoren herabsetzen könne. Wann sollte nun Testosteron substituiert werden? «Aus ärztlicher Sicht müssen wir klar unterscheiden zwischen Lifestyle-Bedürfnissen und tatsächlichen medizinischen Indikationen», so Weber. Wenn ein Mangel nachgewiesen ist (< 12 nmol/l bzw. unterer Referenzbereich) und zusätzlich Hypogonadismussymptome vorhanden sind, kann eine Testosteronsubstitution (z.B. mit Nebido®, Testogel® oder Tostran®) sinnvoll sein. Auch bei einem Versagen von PDE-5-Hemmern könne sich die Situation durch eine Testosterongabe massiv bessern, sagte Weber. Kontraindikation sind Männer mit Prostatakarzinom, erhöhten PSA-Werten und aktuellem Kinderwunsch. Definition der erektilen Dysfunktion Die vollständige oder teilweise Unfähigkeit, über einen Zeitraum von sechs Monaten eine für einen befriedigenden Geschlechtsverkehr oder andere sexuelle Aktivitäten ausreichende Erektion zu erreichen und aufrechtzuerhalten. Kasten: Anamnese der ED • Dauer der ED? • Beginn: schleichend oder akut? • Auslöser: Ereignis erinnerlich? • Situativ, mit unterschiedlicher Ausprägung? • Erektionsqualität: maximale Rigidität, vorzeitige Erschlaffung? • Penisdeviation (IPP)? • Libido, Orgasmusempfinden, Ejakulation (verfrüht)? • Miktionsanamnese • Lifestyle mit Ernährung, Sport • Noxen (Nikotin), Medikamente • Urogenitale Traumata, Voroperationen, Infektionen? PDE-5-Inhibitoren oft hilfreich Wie soll behandelt werden? Die Veränderung des Lebensstils mit mehr körperlicher Aktivität, Reduktion des Übergewichts, ausgewogener Ernährung, Nikotinstopp, weniger Stress und die Behandlung von Begleiterkrankungen wie Diabetes mellitus können die Situation mit zeitlicher Verzögerung durchaus verbessern. So zeigten die Teilnehmer einer Studie nach zwei Jahren 30 Prozent weniger erektile Dysfunktion (8). Sehr oft hilfreich sind PDE-5-Inhibitoren, von denen vier in der Schweiz derzeit verfügbar sind (Sildenafil, Tadalafil, Vardenafil, Avanafil). Sie hemmen den Abbau von cGMP, sodass dieses länger vorhanden bleibt, was dazu führt, dass der Kalziumausstrom weitergeht und die Schwellkörperfüllung aufrechterhalten bleibt. Unterschiede bestünden hinsichtlich der Halbwertszeit dieser Präparate, allerdings sei die Wirkung aller vier Substanzen gut. «Manche Patienten sprechen auf das eine, andere auf das andere Medikament besser an. Das darf man ruhig mal ausprobieren», so der Rat von Weber. Er verschreibe den Patienten zu Beginn der Therapie die Höchstdosierung, zum einen, um ein positives Erlebnis zu unterstützen, zum anderen, um das Nebenwirkungsprofil zu evaluieren. Stellen sich Nebenwirkungen ein, dies aber bei sehr guter Wirkung, kann die Dosierung vermindert werden. Auch sollte man beim ersten fehlgeschlagenen Versuch nicht gleich die Flinte ins Korn werfen und lieber noch zwei-, dreimal dasselbe Präparat ausprobieren. 24 ARS MEDICI DOSSIER III | 2019 UROLOGIE Ähnliche Nebenwirkungen Auch das Nebenwirkungsprofil sei bei allen recht ähnlich, so Weber. Hauptbeschwerden sind Kopfschmerzen, Hautrötungen, Sodbrennen und Nausea. Prinzipiell haben PDE-5-Inhibitoren eine leicht blutdrucksenkende Nebenwirkung. Eine Kombination mit Nitraten sollte man daher vermeiden, weil sich dieser Effekt dann sehr verstärken und zu einer ausgeprägten Hypotonie führen kann. Auch Männer, die in den vorausgegangenen 90 Tagen einen Herzinfarkt durchgemacht haben oder unter einer stabilen Angina pectoris leiden, müssen vorsichtig sein. Ebenfalls kontraindiziert sind ein vorausgegangener Schlaganfall, Herzinsuffizienz, unkontrollierte Arrhythmien, unkontrollierte Hypertonie oder Hypotonie (< 90/50 mmHg). Prostaglandine (MUSE®, Wirkstoff Alprostatil, Prostaglandin E1) zeigen keine systemischen Nebenwirkungen und besitzen eine Erfolgsrate von 27 bis 94 Prozent. Allerdings klagen manche Männer nach der Einführung des Stäbchens mit dem Wirkstoff in die Harnröhre über ein Brennen im Urintrakt. Vor der Einführung des Harnröhrenstäbchens sollte der Patient Wasser lassen, um die Einführung des Stäbchens zu erleichtern. Bei Patienten, deren PDE-5-Hemmer zu geringe Wirkung gezeigt hätten, sei Caverject® eine Option. Die erforderliche Injektion sei für die meisten Männer kein Problem, 87 bis 94 Prozent von ihnen seien mit dieser Form der Therapie zufrieden. Wichtige Hilfsmittel seien zudem Penispumpe und Penisring. «Man muss sich an solche Dinge her- antasten, aber vielen Patienten hilft das», erklärte Weber. Als Ultima Ratio bei der erektilen Dysfunktion gilt eine Penispro- these. Allerdings sei eine solche implantierte Pumpe anfällig für Infektionen, und die nicht geringen Kosten müsse der Pa- tient selbst tragen. L Klaus Duffner Referenzen: 1. Braun M et al.: Epidemiology of erectile dysfunction: results of the 'Cologne Male Survey'. Int J Impot Res 2000; 12: 305–311. 2. Rosen R et al.: Lower urinary tract symptoms and male sexual dysfunction: the multinational survey of the aging male (MSAM-7). Eur Urol 2003; 44: 637–649. 3. Inman BA et al.: A population-based, longitudinal study of erectile dysfunction and future coronary artery disease. Mayo Clin Proc 2009; 84: 108–113. 4. Heinemann LA et al.: A new «aging males» symptoms' rating scale. The Aging Male 1999; 2: 105–114. 5. Diver MJ et al.: Diurnal rhythms of serum total, free and bioavailable testosterone and of SHBG in middle-aged men compared with those in young men. Clin Endocrinol 2003; 58: 710–717. 6. Hackett G et al.: UK policy statements on testosterone deficiency. Int J Clin Pract 2017; 71(3–4). 7. Svartberg J et al.: Waist circumference and testosterone levels in community dwelling men. The Tromsø study. Eur J Epidemiol 2004; 19: 657–663. 8. Esposito K et al.: Effects of intensive lifestyle changes on erectile dysfunction in men. J Sex Med 2009; 6: 243–250. Quelle: «Wieder süsse Nächte – erektile Dysfunktion», 20. Fortbildungstagung des Kollegiums für Hausarztmedizin (KHM). 21. und 22. Juni 2018 in Luzern. 26 ARS MEDICI DOSSIER III | 2019