Transkript
UROLOGIE
Behandlung von komplizierten Harnwegsinfektionen
Neue Antibiotika gegen resistente Keime
Während bei unkomplizierten Harnwegsinfekten die gebräuchlichen Therapien noch funktionieren, bereiten die komplizierten, im Spital erworbenen Harnwegsinfektionen zunehmend Sorgen. Neu entwickelte Antibiotika verschaffen im Kampf gegen die resistenten Keime eine kleine Atempause.
Die weltweite Überwachungsstudie zum Auftreten von Harnwegsinfektionen GPIU (global prevalence of infections in urology), die seit 2003 jährlich erhoben wird, liefert die Grundlage zur Resistenzüberwachung bei im Spital erworbenen Harnwegsinfektionen (HAUTI, healthcare associated urinary tract infections) (1). Die Resistenzrate bezüglich gramnegativer Uropathogene steigt demzufolge weltweit: Bei Fluorochinolonen beträgt sie 10 bis 80 Prozent, bei Cephalosporinen 5 bis 70 Prozent, bei Carbapenemen ist sie noch am tiefsten mit 0 bis 35 Prozent (2). Besorgniserregend ist ausserdem die Tatsache, dass die Schwere der Infektionen im Steigen begriffen ist, der Urosepsisanteil liegt gemäss GPIU bereits bei einem Viertel (1). Für unkomplizierte Blaseninfekte sind die «alten» Antibiotika wie Fosfomycin, Nitrofurantoin, Pivmecillinam und Nitroxolin von den EAU-Guidelines als First-line-Therapie 2018 noch immer empfohlen und ausreichend (3, 4), erklärte Prof. Kurt Naber, Urologie, Klinikum St. Elisabeth, Straubing (D), am Jahreskongress der European Association of Urology (EAU). Für komplizierte, im Spital erworbene Infekte braucht es dagegen neue Antibiotika. In der Entwicklung werden dazu folgende Strategien verfolgt: Kombinationen von Betalaktamasehemmern mit Cephalosporinen und Carbapenemen, Vertreter davon sind zum Teil bereits registriert. Siderophore, das heisst eisenbindende Antibiotika, sind in Entwicklung, ebenso wie neue Aminoglykoside, neue Fluorochinolone und neue Tetrazykline (Tabelle).
KURZ & BÜNDIG
Neue Antibiotika bestehen meist aus Kombinationen von alten Cephalosporinen plus neuen Betalaktamasehemmern oder umgekehrt, wie auch aus alten Carbapenemen plus Betalaktamasehemmern.
Bei Cephalosporinen, Aminoglykosiden und Fluorochinolonen gibt es ebenso Neuentwicklungen.
Die Dringlichkeit des Resistenzproblems ist damit nur aufgeschoben, nicht aufgehoben.
Ein vernünftiger Umgang mit Antibiotika ist weiterhin gefordert.
Ceftolozan/Tazobactam
Die Kombination neues Cephalosporin (Ceftolozan) plus «alter» Betalaktamasehemmer (Tazobactam) ist bereits registriert. In einer Phase-3-Studie erhielten 1083 hospitalisierte Patienten mit kompliziertem Harnwegsinfekt oder akuter Pyelonephritis während 7 Tagen entweder Ceftozolan/Tazobactam 1,5 g i.v. alle 8 Stunden oder Levofloxazin 750 mg i.v. Die Nichtunterlegenheit von Ceftozolan/Tazobactam gegenüber Levofloxacin punkto mikrobieller und klinischer Heilung wurde nicht nur erreicht (77 vs. 68%; 95%-KI: 2,3–14,6), sondern sogar übertroffen. Die Nebenwirkungen waren in beiden Vergleichsgruppen ähnlich und hauptsächlich von nicht schwerer Natur (5). Die Responseraten unter der Kombination waren im Vergleich zu einer Hochdosis-Levofloxacin-Therapie somit besser bei Patienten mit kompliziertem Harnwegsinfekt oder akuter Pyelonephritis, stellte Naber fest. Das Präparat ist unter dem Namen Zerbaxa® erhältlich.
Ceftazidim/Avibactam
Ein «altes» Cephalosporin wird hier mit einem neuen Betalaktamasehemmer kombiniert. Avibactam ist ein Nicht-Betalaktam-Betalaktamasehemmer. In den RECAPTURE-1- und -2-Phase-3-Studien war diese Kombination versus Doripenem bei 1033 Patienten mit komplizierten Harnwegsinfekten oder akuter Pyelonephritis ebenfalls nicht unterlegen betreffend klinischer und mikrobiologischer Heilung (71 vs. 64%). Beide Behandlungen zeigten eine ähnliche Wirksamkeit gegenüber ceftazidimunempfindlichen Stämmen. Die Kombination hatte ähnliche Nebenwirkungen wie unter Ceftazidim allein (6). Sie ist hochwirksam in der empirischen Behandlung eines komplizierten Harnwegsinfektes oder einer akuten Pyelonephritis. Die Kombination ist in der EU registriert, in der Schweiz jedoch nicht erhältlich.
Meropenem/Vaborbactam
Vaborbactam ist ein Betalaktamasehemmer, der in Kombination mit dem Carbapenem-Antibiotikum Meropenem bei komplizierten Harnwegsinfektionen eingesetzt wird. In der Phase-3-Studie TANGO-1 wurde Meropenem/Vaborbactam mit Piperacillin/Tazobactam bei 550 Patienten verglichen. Nach durchschnittlich 8 Tagen waren 98 Prozent aus der Meropenem/Vaborbactam-Gruppe klinisch geheilt (vs. 95%),
ARS MEDICI DOSSIER III | 2019
27
UROLOGIE
Tabelle:
Neue Antibiotika bei komplizierten Harnwegsinfektionen
Substanzklasse Cephalosporine + Betalaktamasehemmer neues Cephalosporin (Ceftolozan) + «alter» Betalaktamasehemmer (Tazobactam) altes Cephalosporin (Ceftazidim) + «neuer» Betalaktamasehemmer (Avibactam) alte Carbapeneme + Betalaktamasehemmer Imipenem + Relebactam
Meropenem + Vaborbactam
Siderophore Cephalosporine: Cefiderocol Aminoglykoside: z.B. Plazomicin Fluorochinolone: z.B. Finafloxin, Delafloxin Tetrazykline: z.B. Eravazyklin, Omadazyklin
Präparat/Phase
Zerbaxa®
Zavicefta® (in der Schweiz nicht erhältlich)
Phase 3, noch nicht abgeschlossen Vabomere® (in der Schweiz nicht erhältlich) Phase 2 Phase 3 Phase 2 Phase 3
die mikrobiologische Eradikation war bei 98 vs. 92 Prozent erreicht (7). Die häufigsten Nebenwirkungen waren Kopfschmerzen, infusionsbedingte Reaktionen und Diarrhö. Schwere allergische Reaktionen und Krampfanfälle können unter Meropenem/Vaborbactam auftreten (8). Die TANGO2-Studie, in der Meropenem/Vaborbactam gegen die bestmöglich verfügbare Therapie bei carbapenemresistenten Enterobacteriaceae getestet worden war, wurde wegen Überlegenheit der neuen Kombination vorzeitig abgebrochen. Die neue Kombination ist in den USA registriert, in der Schweiz aber noch nicht erhältlich.
Imipenem/Relebactam
Während Imipenem ein alter Bekannter ist, der mit Cilastatin zwecks Blockade des Imipenem-Metabolismus in der Niere verabreicht wird, ist Relebactam ein Nicht-Betalaktam-Betalaktamasehemmer, ähnlich dem Avibactam. Die Phase-3-Studie RESTORE-IMI-1, die Imipenem/Cilastatin/Relebactam mit Relebaktam/Colistin bei Patienten mit komplizierten Harnwegsinfekten oder akuter Pyelonephritis vergleicht, ist derzeit am Laufen. Die Behandlung soll 5 bis 21 Tage dauern. . Auf die Resultate darf man gespannt sein, so Naber.
Weitere Antibiotika in der Pipeline
Auf der Ebene von Phase-2- und -3-Studien befinden sich weitere neue Antibiotika in Entwicklung. Cefciderol ist ein sogenannt siderophores, das heisst eisenbindendes Cephalosporin, das gegen resistente Pseudomonas-aeruginosa-
Stämme wirkt. Unter Cefiderocol erreichten 73 Prozent der
Patienten mit komplizierten Harnwegsinfekten oder akuter
Pyelonephritis die klinische und mikrobiologische Heilung,
während dies unter Imipenem/Cilastatin nur bei 54,6 Prozent
der Fall war. Die Verträglichkeit war besser als unter Imipe-
nem/Cilastatin (Nebenwirkungen bei 40 vs. 50% der Patien-
ten) (9). Die Rekrutierungsphase für die Phase 3 ist angelaufen.
Plazomicin, ein neues Aminoglykosid, wirkt wie alle anderen
Aminoglykoside durch Inhibition der Proteinsynthese. Plazo-
micin ist strukturverwandt mit Amikacin, Gentamycin und
Tobramycin, wurde aber abgewandelt, um Resistenzen gegen
aminoglykosidmodifizierende Bakterien auszuschalten. Pla-
zomicin hat eine gute In-vitro-Aktivität gegen carbapenem-
resistente Isolate von Klebsiella pneumoniae, Escherichia coli
sowie Enterobacter species. Plazomicin inhibiert Entero-
bacteriaceae stärker als andere Aminoglykoside (10, 11). In
einer Phase-3-Studie bei Patienten mit komplizierten Harn-
wegsinfekten oder akuter Pyelonephritis wurde Plazomicin
i.v. mit Meropenem i.v. verglichen. Die Therapie war auf
4 bis 7 Tage angesetzt, danach folgte eine optionale orale Be-
handlung, gesamthaft zwischen 7 und 10 Tagen. Mikro-
biologische und klinische Heilung erreichten unter Plazo-
micin 79 Prozent (vs. 69%) der Patienten. Die Inzidenz von
Nebenwirkungen, auch schweren, die zum Therapieabbruch
führten, war niedrig und zwischen den Studienarmen ver-
gleichbar (12).
Finafloxacin, ein neuartiges Fluorochinolon, wirkt gut gegen
grampositive wie auch gramnegative anaerobe Keime und
kann sowohl intravenös als auch oral verabreicht werden. In
saurem Urin ist es besonders wirksam (13). In der Phase-2-
Studie wurden 5 oder 10 Tage Therapie mit Finafloxacin ver-
sus 10 Tage Ciprofloxacin verglichen. Der Behandlungser-
folg, das heisst die mikrobiologische und klinische Heilung,
trat nach 5 Tagen Finafloxacin bei 70 Prozent, nach 10 Tagen
bei 68 Prozent und unter Ciprofloxacin bei 57 Prozent der
Patienten ein. Die Nebenwirkungen waren in allen drei Stu-
dienarmen äquivalent und die Mehrheit der Nebenwirkun-
gen mild bis moderat (13).
Trotz voller Pipeline muss man sich jedoch vor Augen halten,
dass diese neuen Antibiotika den alten insgesamt ähnlich
sind. Das Prinzip ist gleich, die Gefahr der Resistenzbildung
auch. «Deshalb muss auch mit den neuen ‹Waffen› der Anti-
biotikaeinsatz vernünftiger werden, und die Antibiotika soll-
ten wirklich nur noch dort eingesetzt werden, wo es wirklich
nötig ist», plädierte Naber abschliessend.
L
Valérie Herzog
Quelle: «Novel antibiotics in the treatment of urinary tract infections», 33. Jahreskongress der European Association of Urology (EAU), 16. bis 20. März 2018 in Kopenhagen.
Referenzen in der Onlineversion des Beitrags unter www.arsmedici.ch
28 ARS MEDICI DOSSIER III | 2019
Referenzen: 1. Zafer Tandogdu et al.: Resistance patterns of nosocomial uri-
nary tract infections in urology departments: 8-year results of the global prevalence of infections in urology study. World J Urol 2014; 32: 791–801. 2. Zowawi HM et al.: The emerging threat of multidrug-resistant Gram-negative bacteria in urology. Nat Rev Urol 2015; 12: 570–584. 3. Bonkat G et al.: EAU guidelines on urological infections. European Association of Urology 2017, Arnhem, The Netherlands. http://uroweb.org/guideline/urological-infections/ 4. Kranz J et al.: The 2017 update of the German clinical guideline on epidemiology, diagnostics, therapy, prevention and management of uncomplicated urinary tract infections in adult patients. Part II: Therapy and prevention. Urol Int 2018 (submitted). 5. Wagenlehner FM et al.: Ceftolozane-tazobactam compared with levofloxacin in the treatment of complicated urinary-tract infections, including pyelonephritis: a randomised, doubleblind, phase 3 trial (ASPECT-cUTI). Lancet 2015; 385: 1949–1956. 6. Wagenlehner FM et al.: Ceftazidime-avibactam Versus Doripenem for the Treatment of Complicated Urinary Tract Infections, Including Acute Pyelonephritis: RECAPTURE, a Phase 3 Randomized Trial Program. Clin Infect Dis 2016; 63: 754–762. 7. Walsh TJ et al.: Meropenem-vaborbactam vs. piperacillin-tazobactam in TANGO I (a Phase 3 randomized, double-blind trial): outcomes by baseline MIC in adults with complicated urinary tract infections or acute pyelonephritis. Poster, IDSA 2017. Open Forum Infectious Diseases 2017; 4(suppl.1). 8. U.S. Food & Drug Administration. FDA approves new antibacterial drug. Press Release August 29, 2017. www.fda.gov/NewsEvents/Newsroom/PressAnnouncements/ucm573955.htm 9. Shionogi Press Release Jan. 12, 2017. Positive Top-Line Results For Cefiderocol Pivotal cUTI Clinical Trial. www.shionogi.com/newsroom/article.html#122507 10. Galani I et al.: Activity of plazomicin (ACHN-490) against MDR clinical isolates of Klebsiella pneumoniae, Escherichia coli, and Enterobacter spp. from Athens, Greece. J Chemother 2012; 24: 191–194. 11. Zhanel GG et al.: Comparison of the next-generation aminoglycoside plazomicin to gentamicin, tobramycin and amikacin. Expert Rev Anti Infect Ther 2012; 10: 459–473. 12. Cloutier DJ et al.: Plazomicin Versus Meropenem for the Treatment of Complicated Urinary Tract Infection and Acute Pyelonephritis: Results of the EPIC Study. Poster 1855. 27th European Congress of Clinical Microbiology and Infectious Diseases (ECCMID), Vienna, Austria, April 22–25, 2017. 13. Wagenlehner F et al.: Efficacy and Safety of Finafloxacin versus Ciprofloxacin in the Treatment of Complicated Urinary Tract Infections: An Explorative Randomized Phase II Clinical Study. Antimicr Agents Chemother 2017 submitted.
UROLOGIE
ARS MEDICI DOSSIER III | 2019