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PNEUMOLOGIE/ALLERGOLOGIE
Leichtes Asthma
Symptome, Exazerbationen, Tod – die trügerische Leichtigkeit
Leichtes oder «mildes» Asthma wird häufig als trivial wahrgenommen. Dabei zeigen Studiendaten, dass die betroffenen Patienten nicht selten erheblich unter ihrer Erkrankung leiden, Exazerbationen erleben und sogar am Asthma versterben können. Ein erhebliches Problem stellt der Übergebrauch kurz wirksamer Betaagonisten (SABA) dar.
Gemäss GINA-Leitlinie spricht man von leichtem Asthma, wenn die Symptome mit Therapien der Stufen 1 und 2, also entweder mit Reliever oder einem zusätzlichen Controller mit niedriger Intensität, also vor allem mit niedrig dosierten inhalativen Kortikosteroiden, kontrolliert werden können. Leichtes Asthma wird häufig in seiner Relevanz unterschätzt. Prof. Mark Fitzgerald aus Vancouver (British Columbia/Kanada) wies allerdings darauf hin, dass selbst Todesfälle durch «leichtes» Asthma vorkommen. Laut britischem «National Review of Asthma Deaths» (NRAD) war bei 9 Prozent der an Asthma Verstorbenen zunächst leichtes Asthma diagnostiziert worden (1). Fitzgerald: «Angesichts dieser Daten muss man die Frage stellen, ob man nicht Probleme bei der Diagnostik und Therapie des leichten Asthmas hat.» NRAD-Daten zeigen, dass es bei den meisten an Asthma verstorbenen Patienten in den 12 Monaten vor ihrem Tod zu einer starken Zunahme des Relievergebrauchs (kurz wirksame Bronchodilatatoren – SABA) gekommen ist. Gleichzeitig wurden ICS zu wenig verwendet (2). Fitzgerald verweist auch auf Kohortendaten, die bei Patienten mit leichtem Asthma insgesamt ein Exazerbationsrisiko von rund 20 Prozent pro Jahr fanden. Eine chinesische Studie fand bei Patienten mit leichtem Asthma (GINA 1 und 2) ebenfalls Exazerbationsraten von 20 Prozent. Allerdings zeigen diese Daten auch, dass die häufigen Exazerbierer durch eingeschränkte
KURZ & BÜNDIG
Leichtes Asthma wird in seiner Gefährlichkeit tendenziell unterschätzt.
Rund 20 Prozent der Patienten mit leichtem Asthma erleben mindestens eine Exazerbation pro Jahr.
Häufiger Gebrauch von SABA ist mit erhöhter Mortalität assoziiert.
SABA-Übergebrauch führt oft zu ICS-Untergebrauch. Laut GINA stellen ICS bereits bei Asthma Stufe 1
eine Therapieoption dar.
Adhärenz auffallen (3). Fitzgerald: «Das ist ein häufiges Problem beim leichten Asthma. Die Patienten tendieren dazu, ihre Krankheit nicht ernst zu nehmen. Tatsächlich sind die Patienten oft nicht gut kontrolliert. Wir konzentrieren uns häufig auf das schwere Asthma und kümmern uns zu wenig um die scheinbar einfachen Patienten.» Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob beziehungsweise wie häufig es zu einer Progression des leichten zum schweren Asthma kommt. Daten aus einer Kohortenstudie mit mehr als 70 000 Patienten zeigen, dass exzessiver SABA-Einsatz einen wichtigen Risikofaktor für die Progression zu schwereren Asthmaformen darstellt. Ebenso erwiesen sich höheres Alter und Komorbiditäten als Risikofaktoren. Allerdings führen diese Faktoren nur zu Risikoerhöhungen im einstelligen Prozentbereich. Gleichzeitig erwiesen sich ICS/LABAKombinationstherapien als protektiv in Bezug auf das Progressionsrisiko. Rhinitis zeigte hingegen keinen Einfluss auf das Progressionsrisiko (5). Fitzgerald: «Diese Daten legen nahe, dass SABA weder für die aktuelle Krankheitskontrolle noch für die Prävention von Progression hilfreich sind.»
Ein falsches Gefühl der Sicherheit
Auch Prof. Helen Reddel aus Sydney (Australien) betonte, dass Symptome und Risiko bei Asthma bronchiale nicht immer gleichermassen ausgeprägt sind. Das wird besonders bei Patienten zum Problem, die bei relativ geringer Symptomatik ein hohes, oftmals unterschätztes Risiko aufweisen. Reddel: «Es wird oft behauptet, dass Patienten ihre Asthmakontrolle überschätzen oder die Schwere ihrer Erkrankung unterschätzen, aber ich denke, dass wir ein anderes Problem haben. In Umfragen geben zahlreiche Patienten an, dass sie auf der Suche nach besseren Methoden sind, ihr Asthma zu kontrollieren. Ebenso äussern viele Patienten die Sorge, dass sie zu viele Medikamente einnehmen, wenn es ihnen gut geht. Auch die Angst vor schweren Attacken ist verbreitet. Jeder zweite Patient denkt, dass sein Reliever ein Lebensretter sei. Der Reliever gibt den Patienten das Gefühl, Kontrolle über ihre Erkrankung zu haben.» Das Gegenteil könnte der Fall sein. Denn seit den Neunzigerjahren zeigen Studiendaten, dass häufiger SABA-Gebrauch mit erhöhter Asthmamortalität einhergeht (5).
18 ARS MEDICI DOSSIER II | 2019
PNEUMOLOGIE/ALLERGOLOGIE
Die NRAD zeigte, dass mehr als 40 Prozent der verstorbenen Patienten im Jahr vor ihrem Tod mehr als 12 Verschreibungen für SABA-Inhaler erhalten hatten. In manchen Fällen waren es mehr als 50 Inhalatoren. Gleichzeitig erfolgten die Controller-Verschreibungen zögerlich. Fast 40 Prozent der Asthmaopfer hatten im Jahr vor ihrem Tod nur maximal 3 Verschreibungen erhalten (1). Dementsprechend werden hoher SABA-Gebrauch und geringer ICS-Gebrauch in der GINA-Leitlinie mittlerweile als Risikofaktoren für Exazerbationen gelistet. Neuere Studiendaten zeigen, dass eine Verschreibung von mehr als 3 SABA-Inhalatoren im Jahr mit einem erhöhten Risiko von Exazerbationen assoziiert ist. Und dieses Problem ist häufig, zumal in den USA 23 Prozent der Patienten mindestens 3 SABA-Inhaler im Jahr verbrauchen (6). Eine Studie mit elektronischer Inhaler-Überwachung zeigte, dass 45 Prozent der Patienten mindestens einmal in 6 Monaten mehr als 32 Hübe innerhalb von 24 Stunden benötigen (7). In den zwei Wochen vor einer Hospitalisierung wegen Asthma verabreichten sich Patienten im Median 46 Hübe pro Tag, in Extremfällen waren es 95 Hübe (8). Reddel: «Das ist extremer Übergebrauch.»
Vielfältiger Schaden durch Übergebrauch von SABA
Ein naheliegender Grund für die Assoziation von SABAÜbergebrauch und Exazerbationsrisiko liegt im reduzierten ICS-Gebrauch von Patienten, die sich zu sehr auf ihren Reliever verlassen. Hinzu kommt die Indikation als Störfaktor: Patienten, die mehr SABA benötigen, haben in der Regel auch schwereres Asthma. Doch das erklärt die Zusammenhänge nur zum Teil. Mittlerweile wurden auch zahlreiche Theorien zu mechanistischen und kausalen Zusammenhängen von SABA-Gebrauch und Exazerbationen präsentiert. So könnte es zu einer Downregulation von Beta-2-Rezeptoren kommen, in deren Folge der SABA seine Wirkung zunehmend verliert, was zu häufigerem Gebrauch führt. Diskutiert werden auch proinflammatorische Effekte. Die sympathikomimetische Wirkung kann Angst verstärken – was wiederum dazu führt, dass die Patienten zu viele Hübe anwenden. Reddel: «Dabei machen die Patienten ja nur, was wir ihnen sagen. Wir weisen sie an, immer ihren Reliever bei sich zu tragen und ihn zu verwenden, wenn sie Symptome haben. Oft erhalten Patienten bei Entlassung aus der Notaufnahme den Ratschlag, den SABA häufig anzuwenden. Dabei beschränkt sich die Angst der Patienten vor Medikamentenübergebrauch in der Regel auf die ICS. In Australien haben wir noch eine besondere Situation, weil SABA als OTC-Produkte frei verkäuflich sind.» Eine britische Studie mit jungen Erwachsenen fand auch eine Reihe typischer Persönlichkeitsmerkmale bei Asthmapatienten mit häufigem Reliever-Gebrauch. Diese kamen generell schlecht mit ihrer Erkrankung zurecht und äusserten Wut und Frustration angesichts der Limitationen, die ihr Asthma in ihrem Leben mit sich brachte. Sie fühlten sich stigmatisiert und gaben an, panisch zu werden, wenn sie ihren Reliever nicht bei sich hatten. Der Reliever wurde als einfache Lösung für das Problem Asthma wahrgenommen. Die Betroffenen waren auch überzeugt, dass Asthma vor allem durch Bronchokonstriktion definiert wird (9). In Ländern, in denen Patienten selbst für ihre Medikamentenkosten aufkommen
müssen, steht hinter dem Übergebrauch des Relievers häufig
auch das Kostenargument. Dabei geht es den Patienten nicht
gut. Eine Studie auf Basis von Tagebucheinträgen zeigt, dass
SABA-Overuser am meisten durch ihre Symptome belastet
waren, die höchste Zahl von Tagen mit Symptomen, die
schlechteste Asthmakontrolle und am häufigsten depressive
Symptome zeigten (10).
Angesichts dieser Daten stelle sich die Frage nach der Sinn-
haftigkeit einer SABA-Monotherapie beim leichten Asthma.
Auch die GINA-Leitlinie sieht die Kombination mit ICS
bereits auf Stufe 1 als Option vor. Reddel weist in diesem
Zusammenhang auf die Vorteile des MART-Konzepts
(Maintenance and Reliever Therapy) hin, bei dem der Beta-
2-Agonist Formoterol in Kombination mit Budesonid als
Bedarfsmedikation inhaliert wird. Durch diese Strategie
konnte eine Reduktion des Gebrauchs von Beta-2-Agonisten
bei vergleichbarer Asthmakontrolle (allerdings bei Patienten
mit deutlich schwererem Asthma) demonstriert werden (7).
Eine Alternative könnte auch die Kombination eines SABA
mit einem ICS darstellen, wie Prof. Dr. Guy Brusselle aus
Gent (Belgien) ausführte. Leider ist eine solche Kombination
gegenwärtig nicht als Single-Inhaler-Fixkombination auf
dem Markt. Nicht zuletzt unterstreicht Reddel jedoch die
Bedeutung nichtmedikamentöser Massnahmen, wie Atem-
und Entspannungstechniken. Vor allem müssten die Patien-
ten darüber aufgeklärt werden, dass der SABA nicht die
Lösung all ihrer Probleme sein kann.
L
Reno Barth
Referenzen 1. Levy ML et al.: Why asthma still kills. National Review of
Asthma Deaths (NRAD). Confidential Enquiry Report, May 2014. Online auf: www.rcplondon.ac.uk/sites/default/files/whyasthma-still-kills-full-report.pdf 2. Bloom CI et al.: Exacerbation risk and characterisation of the UK's asthma population from infants to old age. Thorax 2018; 73(4): 313–320. 3. Ding B, Small M: Disease burden of mild asthma in China. Respirology 2018; 23(4): 369–377. 4. Chen W et al.: Long-term trajectories of mild asthma in adulthood and risk factors of progression. J Allergy Clin Immunol Pract 2018; pii: S2213–2198(18)30304–0. [Epub ahead of print] 5. Suissa S et al.: A cohort analysis of excess mortality in asthma and the use of inhaled beta-agonists. Am J Respir Crit Care Med 1994; 149(3 Pt 1): 604–610. 6. Stanford RH et al.: Short-acting β-agonist use and its ability to predict future asthma-related outcomes. Ann Allergy Asthma Immunol 2012; 109(6): 403–407. 7. Patel M et al.: Efficacy and safety of maintenance and reliever combination budesonide-formoterol inhaler in patients with asthma at risk of severe exacerbations: a randomised controlled trial. Lancet Respir Med 2013; 1(1): 32–42. 8. Patel M et al.: Predictors of severe exacerbations, poor asthma control, and β-agonist overuse for patients with asthma. J Allergy Clin Immunol Pract 2014; 2(6): 751–758. 9. Cole S et al.: 'The blue one takes a battering' why do young adults with asthma overuse bronchodilator inhalers? A qualitative study. BMJ Open 2013; 3(2): pii: e002247 10. Gerald JK et al.: Albuterol overuse: a marker of psychological distress? J Allergy Clin Immunol Pract 2015; 3(6): 957–962.
Quellen: ERS 2018, Symposium: «GINA 2018 and beyond: shaping the future of asthma management» und «Hot topics: The complexities of managing mild asthma», 18. und 19. September 2018 in Paris.
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