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KARDIOLOGIE
Prävention von Hirnschlag
NOAK auch bei Niereninsuffizienz einsetzbar
Neue orale Antikoagulanzien (NOAK) sind heute zur Schlaganfallprävention Standard. Klärende Erkenntnisse gab es bei den Fragen zum Einsatz bei Niereninsuffizienz, zur Triple-Therapie bei Koronarsyndrom und zum Vorgehen bei elektiven Eingriffen und bei den Antidoten. Sie wurden am Prevention Summit in Zürich vorgestellt.
Zwar hatten sich die Empfehlungen der European Society of Cardiology (ESC) schon 2012 für den Einsatz von NOAK ausgesprochen, zu einer IA-Indikation wurde die Verschreibung von direkten Thrombinhemmern, wie Dabigatran (Pradaxa®), oder Faktor-Xa-Inhibitoren, wie Rivaroxaban (Xarelto®), Apixaban (Eliquis®) oder Edoxaban (Lixiana®), endgültig mit den ESC-Guidelines von 2016 (1). In diesen Guidelines wurde auch die Abgrenzung der Indikation zur Hirnschlagprävention bei Vorhofflimmern präzisiert, wie Prof. Michael Kühne, Universitätsspital Basel, ausführte. NOAK sollen demnach bei mechanischen Herzklappen oder mittelschwerer bis schwerer Mitralstenose nicht eingesetzt werden. In allen anderen Fällen, bei denen mit
«Auch bei deutlich eingeschränkter Nierenfunktion sind die NOAK gegenüber den VKA die bessere Alternative.»
einem ChA2DS2-Vasc-Score ≥ 2 eine orale Antikoagulation angezeigt ist, sollen die NOAK den Vitamin-K-Antagonisten (VKA) vorgezogen werden. Begründung ist die Auswertung der grossen klinischen Studien zu den NOAK, die im Vergleich zu VKA bei kardiovaskulärer Sterblichkeit und Gesamtmortalität (−10%), Hirnschlag und systemischen Embolien (−20% bis −30%) signifikante Vorteile ergab (2). Für die Praxis sei vor allem der Sicherheitsaspekt von Bedeutung, betonte Kühne. So treten ischämische Hirnblutungen wesentlich seltener (−50% bis −60%) auf. Für die grösseren Blutungen ist die Gesamthäufigkeit zwar nicht signifikant geringer, aber die Verteilung der Blutungen ist günstiger, indem weniger Hirnblutungen, weniger kritische Organblutungen und weniger tödliche Blutungen auftreten, hingegen vermehrt gastrointestinale Blutungen.
Mehr Mut zum NOAK-Einsatz bei Niereninsuffizienz
Ein Problemfeld, in dem die letzten Jahre Klärung gebracht haben, ist die Verwendung von NOAK bei Patienten mit Vorhofflimmern und eingeschränkter Nierenfunktion, eine durchaus häufige Konstellation. Besondere Vorsicht ist angesichts der zu über 80 Prozent über die Nieren erfolgenden Ausscheidung bei Dabigatran gegeben. Gemäss dem neuesten «Practical Guide» der European Heart Rhythm Association (EHRA) soll ab einer Kreatinin-
clearance von 50 ml/min eine Dosisreduktion von Dabigatran auf 2 110 mg/Tag erfolgen, unter 30 mg/ml ist der direkte Thrombininhibitor nicht mehr indiziert (3). Für Rivaroxaban wird jenseits der 50-ml/min-Grenze der Kreatininclearance ebenfalls zu einer Dosisreduktion (auf 1 15 mg/ Tag) geraten, ebenso für Edoxaban (auf 30 mg/Tag). Bei Apixaban ist mit abnehmender Nierenfunktion keine Dosisanpassung notwendig, ausser bei Vorliegen von zwei dieser drei Faktoren: hohes Alter (≥ 80 Jahre), geringes Körpergewicht (≤ 60 kg) oder Kreatinin ≥ 1,5 mg/dl. Bei schwerer Niereninsuffizienz (Kreatininclearance < 15 ml/ min) sind die Faktor-Xa-Hemmer nicht mehr indiziert. Die heutige, mutigere Haltung zur Blutverdünnung mit NOAK bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz stützt sich auf die Beobachtung, dass bei tieferen Werten der Kreatininclearance zwar auch unter NOAK mehr klinische Ereignisse auftreten, wie Hirnschlag oder systemische Embolien, jedoch in geringerem Ausmass als mit VKA und gleichzeitig auch die Zunahme von Blutungen unter NOAK tiefer ausfällt als unter VKA. Damit bleiben NOAK auch in dieser klinischen Situation die bessere Alternative. «Bridging» ist out Bei elektiven operativen Eingriffen wurde früher zur Überbrückung der Einsatz von Heparin oder niedermolekularen Heparinen empfohlen. Davon ist man heute in den neuesten EHRA-Empfehlungen ganz abgekommen, das «Bridging» gilt nicht mehr als indiziert (3). Einfach ist das Vorgehen bei den Faktor-Xa-Hemmern: Für alle drei gilt das Absetzen 24 Stunden vor dem geplanten Eingriff bei geringem, 48 Stunden vorher bei hohem Blutungsrisiko. Bei einer Kreatininclearance von 15 bis 29 ml/min und geringem Blutungsrisiko soll das Absetzen schon 36 Stunden vorher erfolgen. Etwas komplizierter sind die Empfehlungen für Dabigatran (siehe Tabelle). Allerdings haben auch viele Spitäler und Chirurgen ihre eigenen Regeln. Es empfehle sich daher der direkte Kontakt und die Diskussion des Einzelfalls mit dem Operateur, sagte Kühne. Auch bei den Antidoten für NOAK ist eine Entwicklung feststellbar. Nachdem ein Gegenmittel für Dabigatran (Idarucizumab [Praxbind®]) bereits seit einiger Zeit verfügbar ist, hat die US-amerikanische Zulassungsbehörde mit Andexanetalpha jetzt auch für die Faktor-Xa-Hemmer einem Antidot grünes Licht gegeben. Dieses dürfte auch bald in der Schweiz zugelassen werden. 10 ARS MEDICI DOSSIER XI + XII | 2018 KARDIOLOGIE Tabelle: Absetzen von NOAK vor geplanten Operationen und invasiven Eingriffen Kreatininclearance (CrCl) CrCl ≥ 80 ml/min CrCl 50–79 ml/min CrCl 30–49 ml/min CrCl 15–29 ml/min CrCl < 15 ml/min Dabigatran tiefes Blutungsrisiko hohes Blutungsrisiko ≥ 24 Stunden ≥ 48 Stunden ≥ 36 Stunden ≥ 72 Stunden ≥ 48 Stunden ≥ 96 Stunden nicht indiziert nicht indiziert keine offizielle Indikation zum Einsatz Apixaban, Edoxaban, Rivaroxaban tiefes Blutungsrisiko hohes Blutungsrisiko ≥ 24 Stunden ≥ 48 Stunden ≥ 24 Stunden ≥ 48 Stunden ≥ 24 Stunden ≥ 48 Stunden ≥ 36 Stunden ≥ 48 Stunden s falls kein gewichtiges Blutungsrisiko und/oder adäquate lokale Hämostase möglich: Bestimmung eines Tal-Blutspiegels (12 oder 24 Stunden nach letzter Einnahme) s kein «Bridging» mit Heparin oder niedermolekularen Heparinen 1+11-Regel bei Vorhofflimmern und PCI Zwischen Vorhofflimmern und koronarer Herzkrankheit (KHK) gibt es in der Praxis eine ausgedehnte Überlappung. Solche Patienten bedeuten wegen der sehr hohen Blutungsgefahr eine besondere Herausforderung, wenn eine TripleTherapie mit oraler Antikoagulation, Clopidogrel und Aspirin zu diskutieren ist. Die neueste ESC-Guideline empfiehlt daher eine Minimierung der Triple-Therapie (1). Bei Patienten, die nach einer perkutanen Koronarintervention (PCI) eine orale Antikoagulation benötigen, soll die Triple-Therapie 1 Monat dauern. Bei geringem Blutungsrisiko schliesst sich eine duale Therapie (mit NOAK plus Clopidogrel oder Aspirin) an, ab 12 Monaten ist allein mit der oralen Antikoagulation fortzufahren. Bei hohem Blutungsrisiko wird die Phase der dualen Therapie auf 6 Monate verkürzt. Bei Patienten nach akutem Koronarsyndrom und Indikation zur Antikoagulation empfiehlt die Guideline eine Triple-Therapie über 6 Monate mit anschliessender dualer Therapie für weitere 6 Monate. Bei hohem Blutungsrisiko soll die Triple-Therapie auch in dieser Situation auf 1 Monat verkürzt werden. Gegenüber den etwas komplizierten Vorgaben der Guidelines plädierte Kühne bei Vorhofflimmern und KHK für die 1+11-Regel. Diese bedeutet: 1 Monat Triple-Therapie (NOAK, jeweils in der niedrigen Dosierung + Aspirin + Clopidogrel) sowie 11 Monate duale Therapie mit NOAK (in normaler Dosierung) und Clopidogrel, anschliessend dauerhaft eine Monotherapie mit einem NOAK. NOAK nur bei Sekundärprävention kardial verursachter Hirnschläge Der kryptogene Hirnschlag werde heute als Stroke ohne erkennbare Ursache (embolic stroke of unknown source, ESUS) bezeichnet und sei für rund 20 Prozent der Hirnschläge verantwortlich, sagte Prof. Andreas Luft, Neurologische Klinik, Universitätsspital Zürich. Definitionsgemäss sind bei ESUS keine lakunären Läsionen im MRI nachweisbar. Gleichzeitig ist im Ultraschall auch keine signifikante (> 50%) proximale Arterienstenose zu dokumentieren, es gibt im Holter-EKG keinen Hinweis auf ein Vorhofflimmern, und auch echokardiografisch lässt sich keine andere kardiale Ursache eruieren.
Für diese besondere Gruppe von Hirnschlägen ist nicht klar, welche sekundärpräventive Therapie angezeigt ist. Behandelt man sie, als ob ein unerkanntes Vorhofflimmern dahintersteht und antikoaguliert? Oder therapiert man so, wie man es bei einer unerkannten Gefässerkrankung tun würde, also mit Aspirin? Soeben wurde zu dieser Frage eine Studie publiziert, die vorzeitig beendet wurde (4). Je 3600 Patienten mit ESUS erhielten randomisiert entweder Rivaroxaban (1 15 mg/Tag) oder Aspirin (1 100 mg/Tag). Nach anderthalb Jahren ergab sich zwischen den beiden Behandlungsgruppen beim primären Endpunkt (Hirnschlagrezidiv und systemische Embolien) keinerlei Unterschied. Auch bei den sekundären Endpunkten wurde keine Differenz zugunsten des NOAK registriert. In der Rivaroxabangruppe traten jedoch signifikant häufiger schwere Blutungsereignisse auf (Hazard Ratio 2,72; 95%-Konfidenzintervall 1,68–4,39). Diese Studie zeige, dass man mit der bisherigen Strategie, bei ESUS ASS zu geben, weiterfahren könne, aber auch, dass man die von den Gefässen abgeleiteten und die von den kardial verursachten Embolien hervorgerufenen Hirnschläge nicht über einen Kamm scheren könne, kommentierte Luft. Bei den kardial verursachten Hirnschlägen sind NOAK sehr effektiv, bei den Hirnschlagereignissen anderer Genese hingegen nicht. s
Halid Bas
Quelle: «Prävention von Hirnschlag», Prevention Summit 2018, 14. Juni 2018 in Zürich.
Literatur: 1. Kirchhof P et al.: 2016 ESC Guidelines for the management of atrial fibril-
lation developed in collaboration with EACTS. Eur Heart J. 2016; 37(38): 2893–2962. 2. Dentali F et al.: Efficacy and safety of the novel oral anticoagulants in atrial fibrillation: a systematic review and meta-analysis of the literature. Circulation. 2012; 126(20): 2381–2391. 3. Steffel J et al.: The 2018 European Heart Rhythm Association Practical Guide on the use of non-vitamin K antagonist oral anticoagulants in patients with atrial fibrillation. Eur Heart J. 2018; 39(16): 1330–1393. 4. Hart RG et al.: Rivaroxaban for stroke prevention after embolic stroke of undetermined source. N Engl J Med. 2018; 378(23): 2191–2201.
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