Transkript
DIABETOLOGIE
Neuere Antidiabetika
So senken sie das kardiovaskuläre Risiko
Als vor rund drei Jahren erstmals ein handfester kardiovaskulärer Nutzen für ein neueres Antidiabetikum belegt werden konnte, war die Begeisterung unter den Diabetologen gross. Die Autoren einer neuen Metaanalyse gehen der Frage nach, welche Eigenschaften der neueren Antidiabetika dafür verantwortlich sind.
Diabetes, Obesity and Metabolism
Die Hypothese der Autoren war, dass sowohl das geringere Hypoglykämierisiko der neueren Antidiabetika als auch das Ausmass der HbA1c-Senkung für den kardiovaskulären Nutzen verantwortlich ist. In ihrer Metaanalyse berücksichtigten sie zehn Studien mit insgesamt gut 90 000 Typ-2-Diabetikern mit etablierter kardiovaskulärer Erkrankung oder einem erhöhen kardiovaskulären Risiko (s. Tabelle). Die Studienprobanden erhielten entweder Plazebo (bzw. Standardversorgung mit alten Antidiabetika) oder ein Medikament der folgenden Substanzklassen: Glitazone (Pioglitazon), DPP-4-Inhibitoren (Alogliptin, Saxagliptin, Sitagliptin), GLP-1-Rezeptor-Agonisten (Lixisenatid, Liraglutid, Semaglutid, Exenatid) oder SGLT-2-Hemmer (Canagliflozin, Empagliflozin). Primärer Endpunkt war die Kombination schwerer kardiovaskulärer Ereignisse (MACE: kardiovaskulär bedingter Todesfall, nicht tödlicher Herzinfarkt, nicht tödlicher Schlaganfall). Um ihre Hypothese zu überprüfen, verglichen sie die Resultate sodann mit einer ähnlichen Analyse der grossen Diabetesstudien UKPDS, ADVANCE, VADT und ACCORD, in denen traditionelle Antidiabetika zum Einsatz gekommen waren.
Ausmass der HbA1c-Senkung ist wichtig …
Betrachtet man alle zehn Studien zusammen, so erlitten mit Plazebo 109 von 1000 Patienten einen MACE gegenüber 103 von 1000 mit den neueren Antidiabetika. Bereinigt um diverse, die Statistik verzerrende Faktoren errechnen die Autoren der Metaanalyse, dass 3 bis 14 MACE pro 1000 Patienten mit den neuen Antidiabetika im
Vergleich mit Plazebo verhindert wurden. In den Studien betrug der Rückgang des HbA1c im Durchschnitt 0,46 Prozent (–0,27 bis –0,86%). Es zeigte sich, dass der positive kardiovaskuläre Effekt vom Ausmass der HbA1c-Senkung in den einzelnen Studien abhängig war. Betrug diese im Durchschnitt weniger als –0,3 Prozent, war keine statistisch signifikante kardiovaskuläre Risikoreduktion nachweisbar. Hochgerechnet auf einen Rückgang des HbA1c um 1 Prozent, sei während einer Follow-up-Dauer von 1,5 bis knapp 4 Jahren jedoch mit einer 30prozentigen Minderung des MACE-Risikos zu rechnen, so die Autoren der
Metaanalyse. In absoluten Zahlen: –1 Prozent HbA1c bedeutet somit 4,43 Prozent weniger MACE und 1,92 Prozent weniger Schlaganfälle während median 2,6 Jahren. In den zum Vergleich herangezogenen oben genannten Studien mit älteren Antidiabetika ist ein derartiger Effekt hingegen nicht zu erkennen.
… aber es darf kein Hypoglykämierisiko damit einhergehen
Ihre Metaanalyse sei die erste, welche den kardiovaskulären Nutzen der neuen Antidiabetika ohne übermässiges «Hintergrundrauschen» des durch alte Antidiabetika gesteigerten Hypoglykämierisikos dokumentiere, schrei-
Tabelle:
In die Metaanalyse einbezogene Studien
Substanz
Handelsname
Glitazone
Pioglitazon Actos®, Generika DPP-4-Hemmer
Alogliptin Saxagliptin
Vipidia® Onglyza®
Sitagliptin Januvia® GLP-1-Rezeptor-Agonisten
Exenatid
Byetta®, Bydureon®
Lixisenatid Lyxumia®
Liraglutid
Victoza®
Semaglutid* Ozempic® SGLT-2-Hemmer
Canagliflozin Invokana®
Empagliflozin Jardiance®
Studie
HbA1c-Senkung Follow-up
(mittel)
(median)
PROActive
–0,60
2,9 Jahre
EXAMINE SAVORTIMI 53 TECOS
–0,36 –0,27
–0,29
1,5 Jahre 2,1 Jahre
3 Jahre
EXSCEL
–0,53
2,4 Jahre
ELIXA LEADER SUSTAIN 6
–0,27 –0,40 –0,86
2,1 Jahre 3,8 Jahre 2,1 Jahre
CANVAS program EMPA-REG Outcome
–0,58 –0,45
2,4 Jahre 3,1 Jahre
* In der Schweiz nicht auf dem Markt.
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DIABETOLOGIE
ben die Autoren: «Eher als eine zusätzliche blutzuckersenkende Wirkung bestimmter Medikamente oder bestimmter Substanzklassen könnte die Reduktion der Blutglukose mittels Antidiabetika ohne Hypoglykämierisiko eine grössere Rolle für die Senkung des MACE-Risikos spielen als bisher angenommen.» Sie weisen darauf hin, dass die Patienten in den Plazebogruppen häufiger mit Insulin und Sulfonylharnstoffen behandelt werden, weil heutzutage bei allen Diabetesstudien eine akzeptable Blutzuckerkontrolle sichergestellt werden muss. Sul-
fonylharnstoffe und Insuline steigerten bekanntermassen das Risiko für Hypoglykämien, sodass zumindest ein Teil des beobachteten kardiovaskulären Nutzens der neuen Antidiabetika darauf zurückzuführen sei. Die Frage, welche Substanz denn nun die beste für Typ-2-Diabetiker mit hohem kardiovaskulären Risiko sei, kann auch diese Metaanalyse nicht beantworten, weil die einbezogenen Studien doch recht unterschiedlich bezüglich der ein- und ausgeschlossenen Patienten waren. Ohne den Zugriff auf die individuellen Patientendaten sei
eine vergleichende kardiovaskuläre
Wirksamkeitsbewertung der verschie-
denen Substanzen aber nicht möglich,
betonen die Autoren.
s
Renate Bonifer
Huang CJ et al.: Blood glucose reduction by diabetic drugs with minimal hypoglycaemia risk for cardiovascular outcomes: Evidence from metaregression analysis of randomized controlled trials. Diabetes Obes Metab 2018; doi: 10.1111/ dom.13342, epub ahead of print.
Interessenlage: Die Autoren der Studie geben an, dass keine potenziellen Interessenkonflikte bestehen.
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