Transkript
EDITORIAL NOBELPREISTRÄGER DER PHYSIOLOGIE ODER MEDIZIN
1912: Alexis Carrel (Frankreich)
Der erste bart- und schnäuzerlose Nobelpreisträger für Physiologie oder Medizin «… als Anerkennung seiner Arbeiten über die Gefässnaht sowie über Gefäss- und Organtransplantationen»
Alexis Carrel (1873–1944)
Alexis Carrel wurde 1873 als Sohn des Kaufmanns Alexis Carrel in der Nähe von Lyon geboren. Sein Vater starb, als er noch sehr jung war. Im Jahr 1890 erwarb Carrel seine licence des sciences, ein Jahr vorher bereits die licence de lettres an der Universität Lyon. Im Jahr 1900 promovierte er zum Doktor der Medizin. Seine ärztliche Tätigkeit begann er am Krankenhaus von Lyon, daneben unterrichtete er als Prosektor an der Universität Anatomie und Chirurgie. 1902 spezialisierte er sich auf den Bereich der experimentellen Chirurgie. Carrel wechselte 1904 an die Abteilung für Physiologie der University of Chicago. Von 1906 bis 1912 führte er seine Arbeiten am Rockefeller-Institute für Medizinische Forschung fort. Alexis Carrel konzentrierte sich vor allem auf die experimentelle Chirurgie und die Transplantation von Geweben und gesamten Organen. Bereits 1902 hatte er eine Methode zur Verbindung von Blutgefässen veröffentlicht und 1910 zeigte er, wie man Blutgefässe über lange Zeiträume aufbewahren kann. 1908 demonstrierte er die ersten Ergebnisse zur Organtransplantation. Gemeinsam mit dem französischen Chirurgen Theodore Tuffier führte er erfolgreich eine Reihe von Herzklappenoperationen durch und konnte Herzmuskelzellen in Kultur züchten.
1912 erhielt Carrel den Nobelpreis für Medizin als Anerkennung für seine Arbeiten über die Gefässnaht sowie über Gefäss- und Organtransplantationen. Verheiratet war Carrel mit Anne-Marie-Laure Gourlez de La Motte. Das Paar hatte keine Kinder. Im Ersten Weltkrieg und bis 1919 diente Carrel als Major im Medizinischen Armeekorps Frankreichs. In dieser Zeit verbesserte er vor allem die bekannte Wundbehandlung. Er kehrte als Professor in die Vereinigten Staaten zurück. Im Jahr 1932 wurde er zum Mitglied der Leopoldina gewählt. Im Februar 1937 trat er öffentlich als apologetischer Katholik auf, während er zuvor während seines Studiums und seit 1902 als Agnostiker mit der Gottesfrage gerungen hatte. 1939 kehrte Carrel nach Frankreich zurück und übernahm 1941 einen Posten im Gesundheitsministerium des Vichy-Regimes in Paris. 1940 wurde er Direktor der Fondation Française pour l’Etude des Problèmes Humains, die nach der Befreiung von Paris aufgelöst wurde. Carrel verstarb im November 1944 in Paris.
Richard Altorfer
Die Deutsche Verlags-Anstalt in Stuttgart verlegte bis 1957 sein nicht medizinisches Hauptwerk «Der Mensch, das unbekannte Wesen» auf Deutsch. Auch Carrels begeistertes Lob für die energischen Massnahmen der Nationalsozialisten gegen die Vermehrung der Minderwertigen, Geisteskranken und Verbrecherischen wurde unkommentiert nachgedruckt. Carrel orientierte sich teilweise an der Rassenlehre und Eugenetik des frühen 20. Jahrhunderts. Im Buch heisst es, die «weissen Rassen» hätten die Vorherrschaft in der Welt durch ein überlegenes Nervensystem erlangt. Bis 1994 trug die medizinische Fakultät der Universität Lyon seinen Namen (Faculté Alexis Carrel), dann wurde der Name gelöscht.
ARS MEDICI DOSSIER X | 2018
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