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PNEUMOLOGIE/ALLERGOLOGIE
Neue Leitlinie zur medikamentösen Asthmatherapie
Empfehlungen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene
Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin und die Deutsche Atemwegsliga haben in Zusammenarbeit mit weiteren Fachgesellschaften eine aktualisierte Leitlinie zur Diagnostik und Therapie bei Patienten mit Asthma herausgegeben. Die Empfehlungen zur medikamentösen Behandlung gelten für Kinder ab dem 6. Geburtstag sowie für Jugendliche und Erwachsene.
Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin
Bei Asthma handelt es sich um eine multifaktorielle, meist chronisch entzündliche Atemwegserkrankung, die durch eine bronchiale Hyperreaktivität und/oder eine variable Atemwegsobstruktion gekennzeichnet ist. Zu den häufigsten Symptomen gehören Luftnot, Brustenge, Giemen und Husten in wechselnder Intensität und Häufigkeit. Das Ziel der medikamentösen Behandlung besteht in der Kontrolle des Asthmas durch eine Suppression der Entzündung, eine Verminderung der bronchialen Hyperreaktivität und eine Reduktion der variablen Atemwegsobstruktion. Dieses Behandlungsziel soll mit so wenigen Medikamenten wie möglich in optimaler Dosierung und mit so wenigen Nebenwirkungen wie möglich erreicht werden.
Medikamentöse Langzeittherapie
Die medikamentöse Langzeitbehandlung wird bei Erwachsenen sowie bei Kindern und Jugendlichen nach einem Stufenplan durchgeführt (Abbildung 1 und 2). Die Anzahl der Medikamente, die Dosis und die Applikationshäufigkeit richten sich nach dem Grad der Asthmakontrolle (Tabelle 1) und dem Schweregrad der Erkrankung (Tabelle 2). Der Schweregrad der Erkrankung wird anhand des Therapieansprechens beurteilt und kann deshalb bei der Erstdiagnose noch nicht bestimmt werden. Die Behandlung wird stufenweise intensiviert, wenn mit dem aktuellen Management keine ausreichende Kontrolle erzielt werden kann. Liegen mehrere Darreichungsformen antiasthmatischer Wirkstoffe vor, sollten nicht inhalative Varianten nur in begründeten Ausnahmefällen angewendet werden. Bei inhalati-
MERKSÄTZE
Die Behandlung von Asthma erfolgt gemäss einem 5-stufigen Plan.
Die Behandlung wird stufenweise intensiviert, wenn mit dem aktuellen Management keine ausreichende Asthmakontrolle erzielt werden kann.
ver Applikation können mit geringeren Wirkstoffmengen höhere topische Konzentrationen bei oft rascherem Wirkungseintritt und geringeren systemischen Nebenwirkungen erzielt werden.
Initiale Behandlung
Zur initialen Therapie von neu diagnostiziertem Asthma bei Erwachsenen, bei dem der Schweregrad noch nicht ermittelt werden konnte, stehen zwei Strategien zur Verfügung. Bei der Step-down-Therapie richtet sich die Behandlung zunächst nach einem wahrscheinlich höheren Schweregrad, um rasch eine gute Asthmakontrolle zu erzielen. Im weiteren Verlauf wird die Intensität dann dem tatsächlichen Schweregrad angepasst. Beim Step-up-Konzept wird mit einer Medikation entsprechend dem wahrscheinlichen Schweregrad begonnen, die im Verlauf dann ebenfalls an den tatsächlichen Schweregrad angepasst wird. Mit beiden Vorgehensweisen werden langfristig vergleichbare Ergebnisse erzielt. Für Kinder und Jugendliche empfehlen die Experten entsprechend der initialen Präsentation eine Therapie mit einem niedrig oder mittelhoch dosierten inhalativen Glukokortikoid (ICS).
Therapiestufe 1
Für Patienten der Therapiestufe 1 erachten die Experten die bedarfsweise Anwendung eines kurz wirksamen inhalativen Beta-2-Sympathomimetikums (SABA) als beste Option. Diese Behandlung ist jedoch nur für Patienten mit gelegentlichen (seltener als 2-mal/Monat) oder kurz dauernden (wenige Stunden) Asthmabeschwerden ohne nächtliches asthmabedingtes Erwachen und mit normaler Lungenfunktion geeignet. Bei häufigeren Symptomen, erhöhtem Exazerbationsrisiko oder bei einer Exazerbation im zurückliegenden Jahr sollte zusätzlich eine regelmässige Erhaltungstherapie mit einem niedrig dosierten ICS verordnet werden. Zur Symptomkontrolle können in begründeten Fällen alternativ Ipratropium (Atrovent®, Rhinovent® und Generika), orale Beta-2-Sympathomimetika oder rasch wirksames Theophyllin (Unifyl®, Aminophyllin®) angewendet werden.
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Tabelle 1:
Grad der Asthmakontrolle
Kontrolliertes Asthma bei Kindern
Symptome tagsüber
Keine
Symptome nachts
Keine
Bedarfsmedikation
Keine
Aktivitätseinschränkung Keine
FEV1 Normal
Exazerbation
Keine
FEV1 = Einsekundenkapazität
Kontrolliertes Asthma bei Erwachsenen
≤ 2-mal/Woche Keine ≤ 2-mal/Woche Keine Normal Keine
Teilweise kontrolliertes Asthma
Unkontrolliertes Asthma
1–2 Kriterien erfüllt
≥ 3 Kriterien erfüllt
> 2-mal/Woche
Jedes Symptom
> 2-mal/Woche
Jede Einschränkung
Vermindert
≥ 1-mal/Jahr
In der aktuellen Woche
des Exazerbationsrisikos sollte es jedoch nicht ohne ICS-Begleittherapie zur Bedarfsmedikation angewendet werden.
Abbildung 1: Asthmastufentherapie für Erwachsene (ISC: inhalatives Glukokortikoid; LABA: lang wirksames Beta-2-Sympathomimetikum; IgE: Immunglobulin G; IL-5 Interleukin-5; LTRA: Leukotrienrezeptorantagonist)
Therapiestufe 2
Im Rahmen der Therapiestufe 2 werden eine regelmässige Behandlung mit einem niedrig dosierten ICS – aufgeteilt in zwei Applikationen täglich oder als Einmaldosis – sowie eine Bedarfsbehandlung mit einem SABA als Option der ersten Wahl empfohlen. ICS lindern die Entzündung in der Atemwegsschleimhaut und verringern die bronchiale Hyperreaktivität. Dadurch verbessert sich die Lungenfunktion, und die Frequenz der Asthmabeschwerden nimmt ab. Exazerbationen treten weniger häufig auf und verlaufen weniger schwer. Patienten, die ICS ablehnen, nicht mit ICS behandelt werden können oder unter komorbider allergischer Rhinitis leiden, kann der Leukotrienrezeptorantagonist (LTRA) Montelukast (Singulair® und Generika) als weniger effektive Alternative angeboten werden. Als weitere Alternative steht für Patienten, die bisher nicht mit regelmässigen Erhaltungsmedikamenten behandelt wurden, eine freie oder fixe Kombination eines niedrig dosierten ICS mit einem lang wirksamen Beta-2-Sympathomimetikum (LABA) zur initialen Langzeitbehandlung zur Verfügung. Für Kinder und Jugendliche empfehlen die Experten diese Kombinationstherapie erst ab der Therapiestufe 3. Theophyllinpräparate mit verzögerter Freisetzung wirken nur schwach antiasthmatisch und sind im Vergleich mit den empfohlenen Medikamenten mit einem hohen Nebenwirkungsrisiko verbunden. Bei Kindern ist eine Behandlung mit ICS im Rahmen der Therapiestufe 2 die erste Wahl. Alternativ kann Montelukast angewendet werden.
Abbildung 2: Asthmastufentherapie für Kinder und Jugendliche (ISC: inhalatives Glukokortikoid; LABA: lang wirksames Beta-2-Sympathomimetikum; IgE: Immunglobulin G; IL-5; Interleukin -5, LTRA: Leukotrienrezeptorantagonist)
Diese Medikamente sind jedoch mit einem langsameren Wirkungseintritt und/oder einem höheren Nebenwirkungsrisiko verbunden. Formoterol (Foradil®, Oxis®) weist einen raschen Wirkungseintritt auf und ist ebenso effektiv wie ein SABA. Aufgrund
Therapiestufe 3
In der Therapiestufe 3 erhalten die Patienten bevorzugt eine regelmässige Langzeittherapie mit einer fixen Kombination aus einem niedrig dosierten ICS und einem LABA. Zur Bedarfsanwendung dienen weiterhin SABA. Alternativ können die Patienten eine Fixkombination aus niedrig dosiertem ICS (Budesonid oder Beclometason) mit dem LABA Formoterol (Budesonid/Formoterol: Symbicort® Turbuhaler, Vannair® Dosieraerosol; Beclometason/Formoterol: als Fixkombination nicht im AK der Schweiz) zur Langzeit- und Bedarfsbehandlung anwenden. Als weitere Option gilt ein ICS in mittlerer Dosierung.
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Tabelle 2:
Asthmaschweregradeinteilung bei Erwachsenen
Asthmaschweregrad Charakteristika
Leicht
Gute Asthmakontrolle unter Medikation
der Therapiestufe 1 oder 2 erreichbar
Mittelgradig
Gute Asthmakontrolle unter Medikation
der Therapiestufe 3 oder 4 erreichbar
Schwer
Nicht gut kontrolliertes Asthma unter hoch
dosierter ICS-LABA-Therapie oder Verlust
der Asthmakontrolle bei Reduktion dieser
hoch dosierten ICS-LABA-Therapie, Notwen-
digkeit der Therapiestufe 5
ICS-LABA = inhalatives Glukokortikoid + lang wirksames Beta-2-Sympatho-
mimetikum
Tabelle 3: Definition der Hochdosis bei erwachsenen Patienten gemäss ERS/ATS-Konsensus zum schweren Asthma 2014
Wirkstoff Beclometason (DPI) (Beclo Orion Easyhaler®) Beclometason (HFA-DA) (Qvar Autohaler®) Budesonid (z.B. Budenid Sterinebs®) Ciclesonid (Alvesco®) Fluticasonpropionat (z.B. Arnuity®, Axotide®) Mometasonfuroat (Nasonex® und Generika) DA = Dosieraerosol; DPI = Trockenpulverinhalator;
HFA = Treibgas Hydrofluoralkane
Tagesgesamtdosis ≥ 2000 µg ≥ 1000 µg ≥ 1600 µg ≥ 320 µg ≥ 1000 µg ≥ 800 µg
Alternativ zu LABA können LTRA angewendet werden. Für Erwachsene stehen auch Theophyllinpräparate mit verzögerter Wirkstofffreisetzung zur Verfügung. Kinder erhalten in der Therapiestufe 3 ein ICS in mittlerer Dosis als Monotherapie. Kann damit keine ausreichende Kontrolle erzielt werden, wird die Therapie mit einem LABA oder einem LTRA erweitert. Für Kinder stehen die Fixkombinationen Budesonid/Formoterol und Fluticason/Salmeterol (Flutiform®) zur Verfügung. Theophyllinpräparate sollen bei Kindern und Jugendlichen auf Stufe 3 nicht angewendet werden. Generell sind fixe ICS/LABA-Kombinationen mindestens ebenso effektiv wie die Einzelkomponenten. Bei Kindern und Jugendlichen wird mit Fixkombinationen eine bessere Asthmakontrolle erzielt. Bevor ein Wechsel zu einer höheren Therapiestufe erwogen wird, sollten immer die Inhalationstechnik, die Compliance und eine potenzielle Exposition gegenüber bis anhin unerkannten inhalativen Noxen überprüft werden. Bei Kindern und Jugendlichen sollte in Stufe 3 bei unzureichender Asthmakontrolle die Vorstellung in einem spezialisierten Zentrum oder bei einem Kinderpneumologen zur Mitbeurteilung und, falls erforderlich, zur weiteren differenzialdiagnostischen Klärung erwogen werden.
Therapiestufe 4
Für Patienten der Therapiestufe 4 empfehlen die Experten ein ICS in mittlerer bis hoher Dosis in freier oder fixer Kombina-
tion mit dem LABA Formoterol zur Langzeit- und Bedarfstherapie. Das Regime kann gegebenenfalls mit Tiotropium ergänzt werden. Alternativ kann eine regelmässige Langzeittherapie mit einer Fixkombination einer mittleren oder hohen ICS-Dosis und einem LABA mit zusätzlicher bedarfsweiser Anwendung eines SABA durchgeführt werden. Die Leitlinienexperten weisen darauf hin, dass derzeit keine einheitliche Definition einer hoch dosierten ICS-Therapie bei Erwachsenen vorliegt. Der Konsensus der internationalen Fachgesellschaften European Respiratory Society/American Thoracic Society (ERS/ATS) empfiehlt höhere ICS-Dosierungen als die Global Initiative for Asthma (GINA). Für Erwachsene empfehlen die Leitlinienexperten die Orientierung am Konsensus der ERS/ATS (Tabelle 3). Für Kinder ist im Rahmen der Therapiestufe 4 ein ICS in mittlerer bis hoher Dosis in fixer Kombination mit einem LABA und/oder einem LTRA am besten geeignet. Theophyllin sollte für Kinder nur ausnahmsweise als Add-on erwogen werden.
Therapiestufe 5: Additive Therapie
Für Patienten, bei denen Asthmasymptome und Exazerbatio-
nen unter einer medikamentösen Behandlung der Stufe 4
trotz adäquater Therapietreue und korrekter Inhalations-
technik persistieren, empfehlen die Experten eine Evaluation
durch einen erfahrenen Pneumologen.
In der Therapiestufe 5 sollen bei Patienten mit teilweise kon-
trolliertem oder unkontrolliertem Asthma zusätzlich zu den
Medikamenten der Stufe 4 Tiotropium und/oder Biologika
(Anti-IgE [Immunglobulin G] oder Anti-IL-[Interleukin-]5)
angewendet werden.
Der gegen IgE gerichtete Antikörper Omalizumab (Xolair®)
wird für Kinder ab 6 Jahren, Jugendliche und Erwachsene
mit schwerem allergischem Asthma empfohlen, das mit einer
Behandlung der Stufe 4 nicht ausreichend kontrolliert wer-
den kann. Die beiden gegen IL-5 gerichteten Antikörper Me-
polizumab (Nucala®) und Reslizumab (Cinqaero®) werden
für Patienten ab 18 Jahren mit schwerem eosinophilem
Asthma empfohlen, das mit einer Behandlung der Stufe 4
nicht ausreichend kontrolliert werden kann. Für Kinder und
Jugendliche < 12 Jahren liegen keine ausreichende Daten zur Wirksamkeit und Sicherheit der beiden IL-5-Antikörper vor. Eine additive Langzeitbehandlung mit systemischen Gluko- kortikosteroiden soll aufgrund des Risikos für schwere Ne- benwirkungen intermittierend oder dauerhaft nur empfohlen werden, wenn Biologika nicht indiziert sind, nicht ausrei- chend wirken oder das Asthma trotz kombinierten Einsatzes verschiedener Therapieoptionen in Stufe 4 und 5 nicht kon- trolliert werden kann. Für Kinder und Jugendliche empfehlen die Experten bei Ver- dacht auf schweres persistierendes Asthma eine Evaluation in einem spezialisierten Zentrum. L Petra Stölting Quelle: Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DPG): S2k-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie von Patienten mit Asthma. Stand: 12.9.2017, gültig bis 31.12.2020. AWMF-Registernummer: 020-009. Interessenlage: Zu den Interessenkonflikten der Autoren der referierten Leitlinie sind keine Informationen vorhanden. 18 ARS MEDICI DOSSIER X | 2018