Transkript
FOKUS PHARMAKOTHERAPIE
Ginkgo biloba bei Demenz
Verbesserung neuropsychiatrischer Symptomatik
Bei Patienten mit Morbus Alzheimer oder vaskulärer Demenz treten häufig Störungen des Verhaltens und der Psyche auf. Diese beeinträchtigen nicht nur die Lebensqualität der Patienten und belasten deren Betreuer, sondern erhöhen auch das Risiko der Patienten, in ein Pflegeheim aufgenommen zu werden.
International Psychogeriatrics
Bei Patienten mit milder bis mittelschwerer Demenz und klinisch signifikanten «behavorial and psychological symptoms of dementia» (BPSD) hat der Ginkgo-bilobaSpezialextrakt EGb 761® versus Plazebo bereits in mehreren randomisiert-kontrollierten, doppelblinden Untersuchungen das NPI (Neuropsychiatrisches Inventar nach J. L. Cummings) signifikant verbessert und die Belastung der Betreuer damit verringert. Ziel der vorliegenden Metaanalyse war die Untersuchung der Behandlungseffekte des Spezialextrakts hinsichtlich Reduktion der Gesamtsymptomatik durch Reduktion einzelner BPSD-Symptome, der Prävention neu auftretender Symptome und der Auswirkungen auf die Betreuer (1).
Nutzen für Patient und Betreuer
Primäre Endparameter waren die Einzelposten des NPI, einer 12-teiligen Skala zur Beurteilung von Verhaltensänderungen bei Demenzpatienten (u.a. Wahnvorstellungen, Halluzinationen, Depression, Agitation, Apathie, Reizbarkeit). Die Autoren kalkulierten für jedes Symptom beziehungsweise jede Störung aufgrund von Häufigkeit und Schweregrad einen Gesamtscore; die Belastung der Betreuer wurde auf einer Skala von 0 bis 5 eingestuft (je höher, desto stärker die Belastung). Eingeschlossen waren vier Studien mit insgesamt 1628 Patienten (mittleres Alter 66
Jahre, rund 67% Frauen). Die Patienten erhielten 22 beziehungsweise 24 Wochen lang täglich den Ginkgo-biloba-Spezialextrakt in einer Dosierung von 240 mg (n = 814) oder Plazebo (n = 814). Die häufigsten Symptome zu Beginn waren gestörtes Schlafverhalten/nächtliches Verhalten, Apathie, Angstzustände, Reizbarkeit und Depression.
Stärkste Verbesserungen bei Schlaf, Apathie und Depression
Die Patienten der Verumgruppe zeigten sowohl für den Gesamt- als auch für den Betreuerscore signifikant grössere Veränderungen zwischen Beginn und Ende der Behandlungsperiode als die Patienten der Plazebogruppe. Die stärksten Nettoeffekte waren für Apathie zu beobachten (Differenz der Quadratmittelwerte: −0,82), danach folgten Schlafverhalten/nächtliches Verhalten (−0,64), Depression (−0,59), Angst (−0,58) und Reizbarkeit (−0,48) (alle p < 0,001). Auf der Betreuer-BelastungsSkala zeigten sich die stärksten Nettoeffekte im Vergleich zu Plazebo bezüglich Depression (−0,40), Schlaf-/nächtlichen Verhaltens (−0,38), Apathie (−0,37), Angst (−0,36) und Reizbarkeit (−0,28) (alle p < 0,001). Hinsichtlich Wahnvorstellungen, Halluzinationen oder Euphorie waren hingegen nur wenige Veränderungen zu beobachten.
Ginkgo biloba: das Wirkspektrum
Zum komplexen Muster der pharmakodynamischen Aktivität des Ginkgo-biloba-Spezialextrakts zählen Neuroprotektion, Förderung der Neurogenese und Synaptogenese sowie Modulierung von Neurotransmittersystemen. Auch serotonerge Effekte könnten in der Verbesserung der Depression eine Rolle spielen, während die Hemmung der Stressachse die Angststörungen beeinflussen könnte. Gestörte Verhaltensweisen wie etwa die Agitation könnten zumindest teilweise auf die kognitive Störung dementer Patienten zurückzuführen sein, denn diese führte häufig zu einer Fehlinterpretation der Umgebung. Eine Verbesserung der Kognition könnte daher auch zu einer Verbesserung der gestörten Verhaltensweisen beitragen.
Die mittlere Verbesserung für bereits zu Beginn vorliegende Symptome war am deutlichsten bei gestörter Motorik (−1,05), Apathie (−0,96), Depression (−0,83), Agitation (−0,82), Schlaf-/nächtlichem Verhalten (−0,78) und Angst (−0,74), alle zugunsten des Spezialextrakts versus Plazebo. Die Belastung des Betreuers wurde wenig überraschend hinsichtlich derselben Symptome verbessert, wenn auch in leicht abgeänderter Reihenfolge: Die stärksten Verbesserungen ergaben sich im Zusammenhang mit Agitation (−0,62), Depression (−0,57), gestörter Motorik (−0,50), Schlaf-/nächtlichem Verhalten (−0,49) Angst (−0,48) und Apathie (−0,42) (alle p < 0,001 zugunsten des Verums).
Studie bestätigt frühere Ergebnisse
Das Fazit lautet daher: Eine 22- bis 24-wö-
chige Behandlung mit dem Ginkgo-biloba-
Spezialextrakt EGb 761® führt bei den Pa-
tienten zu einer Verbesserung der BPSD
(mit Ausnahme psychoseähnlicher Merk-
male) und trägt damit zur Entlastung der
Betreuer bei. Diese Ergebnisse entsprechen
den Resultaten früherer Studien bei Patien-
ten mit Demenz und vaskulärer kognitiver
Störung, in denen ebenfalls Verbesserungen
vor allem von Depression, Angst und Reiz-
barkeit nachgewiesen wurden.
LU L
Quelle: 1. Savaskan E et al.: Treatment effects of Ginkgo biloba extract EGb 761® on the spectrum of behavioral and psychological symptoms of dementia: meta-analysis of randomized controlled trials. Int Psychogeriatr 2017; doi: 10.1017/S1041610217001892
Interessenkonflikt: E. Savaskan, A. von Gunten und S. Gauthier haben für ihre Teilnahme an der vorliegenden Studie keine finanzielle Unterstützung erhalten; sie haben für frühere Referate Honorare von der Dr. Willmar Schwabe GmbH & Co KG erhalten.
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