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EDITORIAL NOBELPREISTRÄGER DER PHYSIOLOGIE ODER MEDIZIN
1948: Paul Hermann Müller (Schweiz)
Der zweite Schweizer Nobelpreisträger für Physiologie oder Medizin und der erste Nichtmediziner, der diesen Preis erhielt. «… für die Entdeckung der starken Wirkung von DDT als Kontaktgift gegen mehrere Arthropoden»
Paul Hermann Müller (1899–1965)
Paul Hermann Müller wurde 1899 in Olten/Solothurn geboren. Sein Vater war als Kaufmann bei den SBB angestellt. Seine frühe Kindheit verbrachte Müller in Lenzburg, bevor die Familie nach Basel zog. Hier besuchte Paul Hermann zunächst die Freie Evangelische Volksschule, später die Untere und die Obere Realschule. Wegen schlechter Noten verliess er 1916 die Schule und arbeitete zwei Jahre als Laborant bei der Cellonitgesellschaft Dreyfuss & Cie. und der Firma Lonza. Erst ab 1918 besuchte er wieder die Realschule und machte 1919 die Matura. Vom Wintersemester 1919/1920 an studierte er Chemie und in den Nebenfächern Physik und Botanik an der Universität Basel. 1925 promovierte er bei Friedrich Fichter mit Summa cum laude über chemische und elektrochemische Oxydation des m-Xylidins. Am 25. Mai 1925 begann Paul Hermann Müller seine Tätigkeit als Forschungschemiker für die J.R. Geigy AG in Basel. Hier beschäftigte er sich zunächst mit pflanzlichen und synthetischen Farbstoffen. Erst von 1935 an suchte man bei Geigy auch nach Textil- und Pflanzenschutzmitteln. Nach vier Jahren gelang es Paul Müller, die Substanz Dichlordiphenyltrichlorethan (DDT) zu entwickeln, für die er 1940 das Schweizer Patent bekam. Tatsächlich wurde DDT bereits 1873 von einem österreichischen Studenten hergestellt, dies hatte damals jedoch keinerlei Aufmerk-
samkeit bekommen – erst Paul Müller erkannte als Mitglied einer Arbeitsgruppe des Geigy-Forschungsleiters Paul Läuger die insektizide Wirkung im ganzen Ausmass. In Feldversuchen zeigte sich, dass DDT nicht nur gegen die gewöhnliche Stubenfliege wirksam war, sondern auch gegen eine ganze Anzahl weiterer Schädlinge wie etwa Läuse, Kartoffelkäfer und Mücken. 1948 erhielt Müller «für die Entdeckung der starken Wirkung von DDT als Kontaktgift gegen mehrere Arthropoden (Gliederfüsser)» den Nobelpreis für Medizin. Es war das erste Mal, dass dieser Preis an einen Nichtmediziner vergeben wurde. Müller war bis zu seiner Pensionierung 1961 für Geigy tätig, von 1946 an als Vizedirektor, ab 1959 als stellvertretender Direktor. Seit 1927 war Müller mit Friedel Rüegsegger verheiratet. Aus der Ehe gingen zwei Söhne und eine Tochter hervor. Paul Hermann Müller starb 1965 in Basel.
Richard Altorfer
«Wundermittel» DDT
1942, mitten im Zweiten Weltkrieg, kam DDT unter den Markennamen Gesarol und Neocid auf den Markt. Im Deutschen Reich wurde es in grossem Umfang gegen den Kartoffelkäfer eingesetzt. 1943 zeigte sich bei einer Typhusepidemie in Neapel der medizinische Nutzen. Die Krankheit wurde von Läusen übertragen und liess sich mit DDT rasch eindämmen. Die Hoffnung, dass sich mit DDT auch die Malaria ausrotten liesse, erfüllte sich hingegen nicht. Zwar reduzierte sich beispielsweise in Indien die Zahl der Ansteckungen zunächst von 1 Million auf 50 000. Die Krankheitsüberträger (Anopheles) wurden jedoch mit der Zeit resistent, und die Wirkung war damit dahin. Lange Zeit war man der Meinung, dass DDT für Menschen und Säugetiere harmlos ist, und liess die Substanz deshalb tonnenweise auf Felder und Wälder ausbringen, um Schädlinge zu vernichten. Ab Mitte der 1950er-Jahre stellte man dann aber fest, dass DDT ein lang wirkendes Umweltgift ist, das vor allem Vögel, aber auch Fische schädigte und einige Arten an den Rand der Ausrottung brachte (u.a. den Wanderfalken und den Weisskopfseeadler). Ende der 1970er-Jahre wurde der Einsatz des Mittels in Europa und den USA verboten. In zahlreichen Entwicklungsländern wird es allerdings noch heute eingesetzt.
ARS MEDICI DOSSIER VII | 2018
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