Transkript
KARDIOLOGIE/ANGIOLOGIE
Immer mehr Hypertonie
Systolischer Blutdruck als wichtiger Präventionsansatz
Um zukünftige Präventionsstrategien und -interventionen zu planen, ist die Quantifizierung der Verbreitung von systolischen Blutdruckniveaus von grossem Interesse. Eine Studie untersuchte die Beziehungen zwischen systolischen Blutdrücken ab 110 bis 115 mmHg sowie hypertonen Werte ab 140 mmHg und der Last verschiedener Todesursachen in 195 Ländern.
JAMA
Vor 1990 nahm man allgemein an, dass der diastolische Blutdruck (BD) ein besserer Prädiktor für die Gesundheitsgefährdung sei, später zeigten jedoch epidemiologische Studien eine bessere Vorhersagevalidität für den systolischen BD. Da diastolischer und systolischer BD eng korrelieren, dient heute nur der systolische BD zur Definition der Hypertonie.
Risikoabschätzung auf Basis von 844 Studien
Die vergleichende Risikoabschätzung der gesundheitlichen Beeinträchtigung im Zusammenhang mit dem systolischen BD-Niveau basiert auf 844 Studien aus 154 Ländern, die zwischen 1980 und 2015 publiziert wurden und total 8,69 Millionen Teilnehmende betrafen. In die primäre Analyse wurden Krankheiten mit ausreichender Evidenz für eine kausale Beziehung zum systolischen BD (z.B. ischämische Herzleiden, ischämischer und hämorrhagischer Hirnschlag) eingeschlossen. Als wichtige Messparameter wurden mittlerer systolischer BD, ursachenspezifische Todesfälle sowie die gesundheitliche Last durch den systolischen BD in Abhängigkeit von Alter, Geschlecht, Land und Jahr definiert.
Zunahme der Prävalenz zwischen 1990 und 2015
Zwischen 1990 und 2015 nahm die Rate der systolischen BD-Niveaus ab mindestens 110 bis 115 mmHg von 73 119 pro 100 000 auf 81 373 pro 100 000 zu. Hypertone systolische BD-Werte von 140 mmHg oder höher nahmen von 17 307 pro 100 000 auf 20 526 pro 100000 zu. Die geschätzte jährliche Todesrate pro 100 000, die mit einem
systolischen BD von 100 bis 115 mmHg assoziiert war, erhöhte sich von 135,6 auf 145,2, diejenige, die mit einem BD von 140 mmHg oder höher assoziiert war, stieg von 97,9 auf 106,3. Auch der Verlust von behinderungsadjustierten Lebensjahren (disability-adjusted life years, DALY) nahm für systolische Blutdrücke ab 110 bis 115 mmHg von 148 auf 211 Millionen zu, derjenige für systolische Blutdrücke ab 140 mmHg von 95,9 auf 143 Millionen. Die grösste Anzahl von mit dem systolischen BD assoziierten Todesfällen wurde durch ischämische Herzerkrankungen (4,9 Mio.), hämorrhagischen Hirnschlag (2,0 Mio.) und ischämischen Schlaganfall (1,5 Mio.) verursacht. Im Jahr 2015 wurde mehr als die Hälfte der globalen jährlichen, mit dem systolischen BD assoziierten DALY in China, Russland, Indonesien und den Vereinigten Staaten gezählt.
Systolischer BD führender Beitrag für verhütbare Todesfälle
Diese Studie zeigt, dass im Jahr 2015 systolische Blutdrücke von mindestens 110 bis 115 mmHg mit über 10 Millionen Todesfällen und dem Verlust von über 212 Millionen DALY assoziiert waren – eine 1,4-fache Zunahme im Vergleich zu 1990. Damit war der systolische BD weltweit der führende Beitrag für verhütbare Todesfälle. Diese Feststellung gibt Anlass zur Sorge, denn für das Jahr 2015 werden 3,5 Milliarden Menschen geschätzt, die einen systolischen BD von mindestens 110 bis 115 mmHg haben. Sowohl die absoluten Zahlen als auch die Prävalenzraten für erhöhte BD-Niveaus dürften weltweit weiter ansteigen. Dies rechtfertigt weitere Anstrengungen, um
die durch den systolischen BD verursachte Krankheitslast zu senken. Die Mehrheit der durch ischämische Herz- und Hirnerkrankungen bedingten Verluste an DALY entfällt auf hypertone systolische Blutdrücke, immerhin 30 Prozent aber auch auf systolische BD-Niveaus zwischen 115 und 140 mmHg. Mit dem systolischen BD assoziiert waren neben den führenden Herz- und Hirnerkrankungen auch zahlreiche weitere Leiden, insbesondere das chronische Nierenversagen.
Erhöhte systolische Werte als wichtiger Risikofaktor
Welches die Ursachen der steigenden
Verbreitung der Hypertonie weltweit
sind, war nicht Gegenstand dieser Stu-
die. Aus anderen Untersuchungen ist
aber bekannt, dass es im selben Zeitraum
zu grossen Veränderungen bei Salzkon-
sum, Verzehr von Früchten und Ge-
müse, Übergewicht und Fettsucht sowie
körperlicher Aktivität gekommen ist.
Die Ergebnisse dieser Studie können
nicht direkt als Richtschnur für das
Ausmass einer medikamentösen Senkung
des systolischen BD dienen. Entspre-
chende neuere Studien wie SPRINT
und HOPE-3 haben dazu widersprüch-
liche Resultate ergeben. Sie stützen
aber das Konzept, dass erhöhte systoli-
sche Blutdrücke ein sehr wichtiger Risi-
kofaktor sind, der präventiv angegan-
gen werden muss.
L
Halid Bas
Quelle: Forouzanfar MH et al.: Global burden of hypertension and systolic blood pressure of at least 110 to 115 mmHg, 1990–2015. JAMA 2017; 317(2): 165–812.
Interessenlage: Die referierte Originalstudie wurde von der Bill und Melinda Gates Foundation unterstützt.
12 ARS MEDICI DOSSIER V | 2018