Transkript
EDITORIAL NOBELPREISTRÄGER DER PHYSIOLOGIE ODER MEDIZIN
1947: Gerty Cori (USA, geb. in Prag, damals Österreich-Ungarn)
Die erste weibliche Nobelpreisträgerin für Physiologie oder Medizin
«… für ihre Entdeckung des Verlaufs des katalytischen Glykogen-Stoffwechsels»
Gerty Cori (1896–1957)
Gerty Theresa Cori wurde 1896 als älteste von drei Töchtern von Martha und Otto Radnitz, Leiter einer Zuckerfabrik, in Prag geboren. Bis zu ihrer Einschulung mit zehn Jahren erhielt sie gemeinsam mit ihren Schwestern Privatunterricht. Nach dem Abitur studierte sie von 1914 bis 1920 Medizin an der Deutschen Universität in Prag. Während des Studiums freundete sie sich mit ihrem Kommilitonen Carl Ferdinand Cori an, den sie 1920, nach Studienabschluss, heiratete. Wie Carl interessierte sich auch Gerty mehr für die medizinische Grundlagenforschung als für die ärztliche Praxis. Nur zwei Jahre lang praktizierte sie im Karolinen-Kinderspital in Wien als Assistenzärztin und bildete sich in Pädiatrie fort. 1922 wanderten Carl Ferdinand und Gerty Cori in die USA aus und erhielten 1928 die amerikanische Staatsbürgerschaft. Obwohl Gerty und Carl immer gemeinsam forschten, machte vorerst nur er eine akademische Karriere. Ihm wurde an einer Universität sogar eine Professur nur unter der Bedingung angeboten, dass seine Frau nicht mehr mit ihm zusammenarbeite. Von 1931 an leitete Carl die Pharmakologie-Abteilung der Universität in Saint Louis, und Gerty arbeitete als seine Forschungsassistentin. Sie bekam jedoch kein Gehalt dafür. 1936 kam ihr Sohn Thomas zur Welt. Bald wechselte das Paar in die Biochemie-Abteilung. 1936 gelang es den Coris, Glucose-1-phosphat (genannt «Cori-Ester») und in der Folge die Phosphorylase zu identifizieren und zu isolieren. 1940 formulierten die Coris in St. Louis einen Stoffwechselkreislauf, den «Cori-Zyklus». Der Cori-Zyklus beschreibt den Kreislauf von Glukose und deren Abbauprodukten zwischen Skelettmuskel und Leber. Der Skelettmuskel ist nämlich auch unter aeroben Bedingungen nicht in der Lage,
Laktat wieder in Glukose umzuwandeln: es fehlen ihm die Enzyme der Glukoneogenese. Aus diesem Grunde besteht eine Zirkulation von Metaboliten zwischen Muskel und Leber. Letztere verfügt über das entsprechende EnzymRepertoire. Bei Muskelbetätigung entsteht schnell ein Sauerstoffmangel im Muskel. Unter diesen Bedingungen verlangsamt sich die Atmungskette im Mitochondrium und Energie wird hauptsächlich durch Glykolyse erzeugt. Es entsteht Pyruvat und aus Pyruvat wird Laktat. Laktat wird an den Blutkreislauf abgegeben. Die Leber nimmt Laktat auf und wandelt es in Glukose zurück. Diese Glukose kann dem Energiespeicher der Leber als Glykogen zugeführt oder an den Blutkreislauf abgegeben werden, um den Muskel erneut zu versorgen. Im Jahr 1947 erhielten Gerty und Carl Cori gemeinsam mit Bernardo Alberto Houssay den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin für ihre Arbeiten über den Zucker-Stoffwechsel. Gerty Cori war damit die erste Frau mit einem Nobelpreis für Medizin und zugleich die dritte Frau und erste Amerikanerin, die einen Nobelpreis in den Disziplinen Physik, Chemie oder Medizin/Physiologie erhielt. Im gleichen Jahr erhielt sie eine Professur für Biochemie. 1948 wurde sie ferner in die National Academy of Sciences aufgenommen. 1953 wurde Cori in die American Academy of Arts and Sciences gewählt. 1948 wurde bei Gerty Cori Myelofibrose, eine seltene Krankheit des Knochenmarks, festgestellt. Trotz ihrer schweren Krankheit arbeitete sie bis zu ihrem Tod mit 61 Jahren weiter, unter anderem an der Erforschung von Glykogenspeicherkrankheiten. Gerty Cori starb 1957 in Saint Louis, Missouri.
Richard Altorfer
Der Nobelpreis für Physiologie oder Medizin wird seit 1901 jährlich vergeben und ist seit 2012 mit 8 Millionen schwedischen Kronen (ca. 813 000 Euro) dotiert. Die Auswahl der Laureaten unterliegt dem Karolinska-Institut. Der Stifter des Preises, Alfred Nobel, verfügte in seinem Testament (1895), der Nobelpreis für Physiologie oder Medizin solle demjenigen zuerkannt werden, «der die wichtigste Entdeckung in der Domäne der Physiologie oder Medizin gemacht hat». Der Nobelpreis wird jedes Jahr am Todestag Alfred Nobels, dem 10. Dezember, vom schwedischen König überreicht. Seit der ersten Nobelpreis-Verleihung wurden (Stand 2017) insgesamt 211 Personen ausgezeichnet, 199 Männer und 12 Frauen. Der Preis wurde 39-mal ungeteilt an eine Person vergeben, 32-mal wurde er zwischen zwei und 36-mal zwischen drei Personen aufgeteilt. 9-mal wurde der Preis nicht verliehen.
ARS MEDICI DOSSIER V | 2018
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