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MIKROBIOTA UND PROBIOTIKA
Ernährungsinterventionen mit Mikrobiota und Probiotika bei spezifischen Erkrankungen
Die intestinale Mikrobiota ist in den letzten Jahren in den
Fokus des wissenschaftlichen Interesses gerückt. Dies ist
begründet durch grundlagenwissenschaftliche Erkennt-
nisse, die eine Veränderung des Mikrobioms bei einer
Reihe von Erkrankungen nachweisen. Dem gegenüber
steht jedoch eine sehr dünne Datenlage für eine Vielzahl
von Erkrankungen. Für verlässliche Daten bleibt deshalb
nur der Weg über klinische Studien.
Gerhard Rogler
Die intestinale Mikrobiota, das «Mikrobiom» oder die «Darmflora», ist in den letzten Jahren in den Fokus des Interesses gerückt. Hierzu haben zwei Entwicklungen beigetragen. Zum einen konnte nachgewiesen werden, dass eine sogenannte Stuhltransplantation zumindest bei der pseudomembranösen Kolitis oder Clostridienkolitis eine sehr hohe Erfolgsquote aufweist. Zum anderen konnten durch neue Sequenzierungstechniken und Analysemethoden Zusammenhänge zwischen einer ganzen Reihe verschiedener Erkrankungen und der Zusammensetzung der Darmflora hergestellt werden. Diese Erkenntnisse haben der Untersuchung von Ernährungsinterventionen mit Mikrobiota und Probiotika wieder neuen Auftrieb gegeben. Eine Reihe von Studien wurde initiiert, deren Ergebnisse jedoch mit Vorsicht interpretiert werden müssen. Probiotische Interventionen sind bei der Colitis ulcerosa und der Vorbeugung antibiotikaassoziierter Durchfälle sinnvoll und mit guter Evidenz belegt, nicht jedoch beim Morbus Crohn. Die Mikrobiotatransplantation hat bei der Kolitis widersprüchliche Ergebnisse erzielt. Daher sollten solche Interventionen weiterhin in Studien untersucht werden, um eine bessere Datenlage zu bekommen. Für eine breite, undifferenzierte Anwendung ist es sicherlich zu früh.
Erkrankungen mit einer Veränderung des Mikrobioms Das Mikrobiom ist offensichtlich bei einer Reihe von Darmerkrankungen verändert, bei denen durchaus eine solche Veränderung zur erwarten war. Hierzu zählen chronisch entzündliche Darmerkrankungen (1–3), aber auch Erkrankungen wie die Zöliakie (4–6) oder verschiedene Lebererkrankungen (7–10). Darüber hinaus konnte gezeigt werden,
dass die intestinale Mikrobiota bei Patienten mit Gefässerkrankungen wie Arteriosklerose (11–13) und koronarer Herzkrankheit verändert ist (14). Auch bei der rheumatoiden Arthritis (15–17) und anderen rheumatologischen Erkrankungen findet sich eine Veränderung des intestinalen Mikrobioms. Erstaunlicherweise konnte auch mehrfach eine Veränderung des Darmmikrobioms bei psychiatrischen Erkrankungen wie Autismus (18) oder Depressionen (19–21) nachgewiesen werden. Auch beim Alkoholismus scheint eine bestimmte Veränderung des Darmmikrobioms vorhanden zu sein (22). Sicherlich ist dabei zu bedenken, dass in keiner dieser Arbeiten, bei der das intestinale Mikrobiom durch das sogenannte «16s-RNA Sequencing» in der Zusammensetzung untersucht wurde, ein ursächlicher Zusammenhang wirklich belegt ist. Im besten Fall kann man von einer stichhaltigen Assoziation zwischen bestimmten Krankheiten und einer bestimmten Veränderung des Mikrobioms sprechen. Zu schnell wird leider in vielen Publikationen, zum Teil auch in wissenschaftlichen Fachzeitschriften, auf einen ursächlichen Zusammenhang geschlossen. Oft bleibt es unklar, was hier «die Henne und was das Ei» ist. So kann man davon ausgehen, dass es bei Autismus und Depressionen auch zu einer Veränderung der Essgewohnheiten kommt. Veränderte Essgewohnheiten führen aber dann zu einer Veränderung der Zusammensetzung des Darmmikrobioms (23, 24). So könnte in diesem Fall auch die zugrunde liegende psychiatrische Erkrankung über die Veränderung der Ernährungsgewohnheiten zu einer Veränderung der Zusammensetzung des Mikrobioms führen. Die Details sind hier unklar und bedürfen einer weiteren Analyse.
Geschichte der Mikrobiota-/Probiotikatherapie
Erste Beschreibungen einer «Mikrobiotatherapie» gab es bereits im historischen China im 4. Jahrhundert durch G. Hong (25). Er beschrieb eine «upper route» mit einer sogenannten «yellow soup» insbesondere bei Nahrungsmittelvergiftungen. In der Veterinärmedizin wird eine sogenannte «Transfaunation» schon seit Jahrhunderten in der Nutztierhaltung insbesondere bei Kühen und Rindern angewendet. Ein Pionier der Transfaunation war Hieronymus Fabricius (1537–1619). Beim Menschen wurde bereits 1958 ein erster Bericht einer Mikrobiotatransplantation bei fulminanter pseudomembranöser Kolitis von Eiseman in der Zeitschrift «Surgery» publiziert. Bei einfacher Clostridium-difficile-Infektion wurde der erste Bericht 1983 durch Schwan im «Lancet» publiziert.
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MIKROBIOTA UND PROBIOTIKA
Definition Probiotika
Unter Probiotika werden lebende, nicht pathogene, mikrobielle Nahrungsbestandteile verstanden (26, 27). Sie beeinflussen normalerweise transient das intestinale Mikrobiom und führen zu keiner permanenten Veränderung der Zusammensetzung des Mikrobioms. Dies steht im Gegensatz zur Stuhltransplantation oder Mikrobiotatransplantation, bei der das Mikrobiom vermutlich dauerhaft verändert wird und zum Teil bestimmte Stämme des Stuhlspenders sich dauerhaft ansiedeln. Probiotika sind normalerweise empfindlich gegenüber der Magensäure, den Gallensäuren und Pankreasenzymen. Das würde es theoretisch notwendig machen, sie entsprechend zu verkapseln, da sonst ein Grossteil der probiotischen Keime – wenn sie zum Beispiel einfach über Nahrungsmittel zugeführt werden – durch die genannten Milieus (Magensäure, Gallensäure, Pankreasenzyme) abgetötet und damit wirkungslos gemacht werden. Typische Beispiele probiotischer Organismen sind die Laktobazillen und Bifidobakterien (die auch Milchsäurebakterien genannt werden), einzelne Stämme von Escherichia coli, Enterokokken, Bazillus oder Saccharomyces, hier insbesondere Saccharomyces cerevisiae und Saccharomyces boulardii. Die Voraussetzung zur Benennung «probiotisch» ist der «Nachweis der Wirksamkeit und Sicherheit unter den empfohlenen Zufuhrbedingungen». Häufig werden Probiotika mit sogenannten Präbiotika kombiniert. Präbiotika sind im Allgemeinen unverdauliche Polysaccharide, die in den Dickdarm gelangen und dort unspezifisch die Vermehrung entweder aller Mikroorganismen oder einer spezifischen Gruppe von Mikroorganismen erlauben. Zu diesen unverdaulichen Oligosacchariden gehören zum Beispiel die Raffinose, die als Trisaccharid in Pflanzen vorkommt, das Inulin, das ebenfalls als Mehrfachsaccharid in Pflanzen vorkommt, die Galactooligosaccharide als Tribis Pentasaccharide in der Milch, die Sojabohnen-Oligosaccharide (z.B. Stachyose oder Raffinose) oder die Lactosucrose, ein synthetisches Trisaccharid.
Auch bei der rheumatoiden Arthritis und anderen
rheumatologischen Erkrankungen findet sich eine
Veränderung des intestinalen Mikrobioms.
Diese Präbiotika sind in der Lage, unverdaut in den Dickdarm zu gelangen. Dort werden sie im Allgemeinen von den vorhandenen Bakterien zu Monomeren gespalten. Teilweise werden sie zu kurzkettigen Fettsäuren wie Formiat, Acetat, Propionat, N-Butyrat, Laktat und Succinat fermentiert. 90 Prozent dieser kurzkettigen Fettsäuren oder Short Chain Fatty Acids (SCFA) werden dann im Kolon absorbiert. Butyrat kann hierbei als Energiesubstrat dienen, Acetat und Propionat können bis ins Pfortaderblut gelangen. Die Kombination von Pro- und Präbiotika wurde in den vergangenen Jahren häufig als sogenannte Symbiotika beworben und vermarktet. Primär scheint dieses Konzept sinnvoll zu sein. Die Einführung der sogenannten FODMAP-Diät lässt dies jedoch fragwürdig erscheinen. FODMAP steht für «Fermentierbare Oligo-, Di- oder Monosaccharide und Polyole». Eine FODMAP-arme Diät konnte eine deutliche
Verbesserung bei Patienten mit Reizdarmsyndrom hervorrufen (28–30). Aus dem Namen der FODMAP-Diät, bei der die genannten Nahrungsmittel ausgeschlossen werden müssen, geht schon hervor, das Oligo- und Disaccharide, also Präbiotika, zu den Symptomen des Reizdarmsyndroms beitragen können. Dies würde bedeuten, dass Substanzen, die in den Symbiotika vorhanden sind, gegebenenfalls die Darmbeschwerden verschlimmern können.
Versprechen der Probiotikahersteller
Zu Probiotika gibt es viele Versprechungen und sogenannte «Health claims». Ein Teil dieser «Health claims» ist jedoch durch die Regelungen der European Food Safety Administration (EFSA) nur mehr eingeschränkt zulässig. Behauptungen wie jene, dass Probiotika zu einer Verbesserung des Immunsystems führen oder Infekten vorbeugen, dürfen für medizinische Produkte nicht mehr verwendet werden. Auch die Behauptung, dass sie der Arteriosklerose vorbeugen oder bei psychischen Erkrankungen helfen könnten, ist für medizinische Produkte nicht mehr zulässig.
Indikation für probiotische Präparate
In der Gastroenterologie wurde eine Reihe von Indikationen für Probiotika beschrieben. Hierzu gehören die Rezidivprophylaxe bei Colitis ulcerosa durch Escherichia coli Nissle 1917, die sich auch in den entsprechenden Therapieleitlinien niedergeschlagen hat (31–32). Das Bakterienmischpräparat VSL#3 wurde in seiner Wirksamkeit bei Colitis ulcerosa (33) und zur Remissionserhaltung bei Pouchitis untersucht (34) und in Studien für wirksam befunden. Akuter Durchfall kann mit Lactobacillus rhamnosus GG, Lactobacillus reuteri, Enterococcus faecium SF68, Escherichia coli Nissle 1917 oder Bifidobacterium bifidum behandelt werden (35–37). Die genannten Bakterien können auch zur Durchfallprävention eingesetzt werden, ebenso wie Saccharomyces boulardii (36, 37). Auf die einzelnen Studien wird noch einzugehen sein. Zur Prävention von durch Antibiotika induziertem Durchfall können Lactobacillus rhamnosus GG, Lactobacillus acidophilus, Bifidobacterium longum, Enterococcus faecium SF68 und Saccharomyces boulardii eingesetzt werden (36, 37). Die Rezidivprophylaxe bei Clostridium-difficile-Colitis kann durch Saccharomyces boulardii durchgeführt werden. Die genannten Probiotika sind in Tabelle 1 aufgeführt. Hier handelt es sich um relativ gesicherte Daten.
Probiotika und CED
Eine der qualitativ besten Studien zu Probiotika und chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED) wurde von Kruis und Mitarbeitern in «Gut» im Jahr 2004 publiziert (31). In dieser Studie erhielten 222 Patienten zur Remissionserhaltung der Colitis ulcerosa entweder 5-Aminosalicylsäure in einer Dosierung von 1,5 g oder doppelblind randomisiert E. coli Nissle (Mutaflor®) 200 mg. Endpunkt der Studie war das Auftreten von akuten Erkrankungsschüben innerhalb von 12 Monaten. Bei der Gabe von E. coli Nissle trat bei 36 Prozent der Patienten innerhalb des genannten Zeitraums ein akuter Schub auf (31). Bei Patienten mit 5-Aminosalicylsäure bei 33 Prozent. Der Unterschied war nicht signifikant. Es wurde daraus geschlossen, dass E. coli Nissle gleich effektiv zur Remissionserhaltung bei Colitis ulcerosa ist wie das
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MIKROBIOTA UND PROBIOTIKA
Tabelle 1:
Probiotika bei akuten Durchfallerkrankungen
Behandlung
1. Orale Rehydratation 2. Lactobacillus casei
subsp. rhamnosus 3. Saccharomyces boulardii 4. Bacillus clausii 5. L. delbruecklii var bulgaricus,
L. acidophilus, Streptococcus thermophilus, B. bifidum 6. Enterococcus faecium SF 68
Mediane Dauer (95%-KI)
115,5 (95,2–127) GG 78,5 (56,5–104,5)
105,0 (90–104,5) 118,0 (95,2–128,7)
70,0 (49–101)
115,0 (89–144)
Geschätzte Differenz –
-32 (-41 bis -23) -5 (-13 bis -5) 1 (-7 bis 8)
-37 (-47 bis -25)
2 (-5 bis 11)
Signifikanz
– < 0,001
0,38 0,76 < 0,001
0,61
nach (37)
Standardpräparat 5-Aminosalicylsäure (31). Die probiotische Mischung VSL#3 wurde bei aktiver Colitis ulcerosa durch Bibiloni et al. untersucht (33). Dabei konnte bei 53 Prozent (n = 18) eine Remission erreicht werden, bei 24 Prozent (n = 8) ein Ansprechen, eine Verschlechterung zeigte sich bei 9 Prozent, kein Ansprechen ebenfalls bei 9 Prozent. Zu bedenken ist hier jedoch, dass die Studie open-label und nicht randomisiert und plazebokontrolliert durchgeführt wurde. Eine Studie zur Pouchitisprophylaxe von Gionchetti und Mitarbeitern zeigte, dass über einen Behandlungszeitraum von 12 Monaten unter der Behandlung von VSL#3 nur bei knapp 10 Prozent der Patienten ein Schub auftrat (34). Bei einer Plazebotherapie waren es bis zu 40 Prozent. Bei Morbus Crohn scheinen Probiotika jedoch keine Rolle zu spielen. Eine Studie von Bourreille et al. zu Saccharomyces boulardii zeigt keinen Vorteil hinsichtlich der Schubprophylaxe gegenüber Plazebo über einen Zeitraum von 60 Wochen (38).
Probiotika und kolorektale Karzinome Die Daten zur Prävention kolorektaler Karzinome durch eine probiotische Therapie sind widersprüchlich. Kampmann et al. 1994 und Kearney et al. 1996 belegten durch epidemiologische Untersuchungen eine Assoziation zwischen dem
Probiotika sind normalerweise empfindlich gegenüber der Magensäure, den Gallensäuren und Pankreasenzymen.
Konsum von fermentierten Milchprodukten und dem Darmkrebsrisiko (39, 40). Yong & Wolf 1988 ebenso wie Peters et al. 1992 fanden keine Korrelation (41, 42). Interventionsstudien sind hierzu nicht schlüssig. Ein abschliessendes Urteil ist nicht möglich.
Probiotika bei akuter Pankreatitis Grosse Beachtung fand 2008 eine Studie von Besselink und Mitarbeitern, in der eine probiotische Prophylaxe bei schwe-
rer akuter Pankreatitis zur Verhinderung von bakterieller Translokation eingesetzt wurde (43). Die Studie war randomisiert, doppelblind und plazebokontrolliert und erfüllte alle Qualitätskriterien für eine exzellente klinische Studie. In der Tat musste die Studie jedoch vorzeitig beendet werden. In einer Zwischenauswertung zeigte sich, dass die Mortalität innerhalb von 90 Tagen bei den mit Probiotika behandelten Patienten bei nahezu 15 Prozent lag, während sie bei den plazebotherapierten Patienten nur bei etwa 5 Prozent lag (43). Probiotika führten also zu einer Zunahme der Mortalität, die auch signifikant war (p < 0,01). Dies zeigt klar, dass der Einsatz von Probiotika nicht immer harmlos ist. Es sind durchaus Situationen denkbar, in denen eine Probiotikatherapie einen klinischen Schaden hervorrufen kann. In unserem eigenen Patientengut findet sich eine Patientin, die unter einer starken immunsuppressiven Therapie bei Colitis ulcerosa hohe Dosen von Lactobacillus acidophilus zu sich nahm. Unter der Immunsuppression bildeten sich Kopfschmerzen und Schmerzen in der Halswirbelsäule aus. Nach eingehender Diagnostik konnte ein Abszess im Bereich des Halsmarks nachgewiesen werden. Dieser Abszess enthielt ausschliesslich Lactobacillus acidophilus. Der Stamm war identisch mit dem konsumierten Joghurtstamm.
Prophylaxe von antibiotikaassoziierter Diarrhö
Probiotika sind wirksam in der Prophylaxe von akuten Durchfallerkrankungen. Eine Untersuchung von Canani et al. zeigte 2007 im «British Medical Journal» an 571 Kleinkindern mit sechs verschiedenen Probiotikaregimen einen signifikanten Effekt für Lactobacillus rhamnosus GG und eine Mischung von Lactobacilli und Streptokokken (44). Saccharomyces boulardii kann sowohl bei Erwachsenen wie auch bei Kindern zur Prophylaxe der Antibiotika-assoziierten Diarrhö eingesetzt werden. Bei Erwachsenen wurde der Effekt im Rahmen der Helicobacter-Eradikation (45) und bei Kindern unter Antibiotikatherapien wegen respiratorischer Infekte nachgewiesen (46). Zum Effekt der probiotischen Prophylaxe bei antibiotikaassoziierter Diarrhö gibt es auch eine Metaanalyse aus dem
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MIKROBIOTA UND PROBIOTIKA
Tabelle 2:
Probiotika und ihre Wirkung bei Durchfallerkrankungen
Akut Prävention Antibiotika
E. coli Nissle 1917
Enterococcus faecium
Saccaromyces boulardii
Lactobacilli (4), Bifidobacterium (3)
Steptococcus (1)
Lactobacillus LGG Lactobacillus casei
Jahr 2002, die eindeutig zeigt, dass eine probiotische Prophylaxe sinnvoll ist. Tabelle 2 zeigt die aus den Studien ableitbare Evidenz zu verschiedenen Präparaten hinsichtlich der Prävention und der Therapie der akuten Diarrhö.
Probiotika und Reizdarm
In einer grossen Metaanalyse, die im Jahr 2008 publiziert wurde, zeigt sich ein gewisser Effekt einer probiotischen Therapie bei Reizdarm (47). Möglicherweise sind unterschiedliche Effekte von verschiedenen probiotischen Keimen hier zu verzeichnen. Detaillierte Analysen liegen jedoch nicht vor.
Clostridienkolitis und Fäkaltransplantation
Bei der Clostridienkolitis handelt es sich um die häufigste Form einer «hospital-acquired diarrhea». Die geschätzten Kosten liegen allein in den USA bei über 1 Milliarde Dollar. Clostridien bilden zwei Toxine: Toxin A ist ein Enterotoxin, das die Sekretion der Zellen erhöht; Toxin B ist ein Zytotoxin, das zu Entzündung führt. Neue virulentere Stämme sind beschrieben, die verschiedene Antibiotikaresistenzen aufweisen und über eine Gendeletion eine erhöhte Toxinproduktion haben. Clostridieninfektionen führen zu sechsmal mehr Todesfällen in den USA, als durch alle anderen Enteropathogene zusammen verursacht werden. Ein besonderes medizinisches Problem ist die rezidivierende Clostridienkolitis. Sie ist gekennzeichnet durch die Rekurrenz von Symptomen innerhalb von 8 Wochen nach zuvor erfolgreicher Antibiotikatherapie. Diese Rekurrenz ist ein häufiges Problem. Nach der initialen Infektion tritt sie bei etwa 10 bis 25 Prozent der Patienten auf. Wenn jedoch schon ein Rezidiv vorhanden war, ist bei 40 bis 65 Prozent der Patienten mit einem weiteren Rezidiv zu rechnen. Nach einem zweiten Rezidiv steigt die Rezidivwahrscheinlichkeit auf bis zu 80 bis 90 Prozent. Im Jahr 2013 wurde im «New England Journal» eine erste Studie zur Fäkaltransplantation bei Clostridienkolitis publiziert (48). Hierbei wurde die Fäkaltransplantation über eine Duodenalsonde oral verabreicht. Es konnte eine Erfolgsquote nach der ersten Fäkaltransplantation von bis zu
81 Prozent nachgewiesen werden, nach der zweiten Fäkaltransplantation waren es bis zu 94 Prozent (48). Im Gegensatz hierzu hatten die klassischen Vancomycinschemata nur eine Erfolgsquote von 23 bis 30 Prozent. Diese Studie wurde im Gegensatz zur Pankreatitisstudie vorzeitig abgebrochen, weil das Ergebnis für die Fäkaltransplantation so positiv war, dass es ethisch nicht verantwortbar war, weiterhin Patienten nur mit Vancomycin zu behandeln. Ob eine solche Fäkaltransplantation noch bei anderen Erkrankungen wie zum Beispiel chronisch entzündlichen Darmerkrankungen eine Rolle spielen könnte, ist derzeit heftig umstritten. Von entscheidender Bedeutung ist hierbei die Auswahl des Donors. Eine kürzlich publizierte kanadische Studie zeigte, dass zunächst bei der Verwendung von sechs Spendern kein signifikantes Ergebnis zu erreichen war (49). Ein Spender, der vorübergehend ausgeschlossen war, weil er eine Antibiotikatherapie durchmachen musste, konnte sich später wieder an der Studie beteiligen. Er wurde zum «Superspender» und führte dann am Ende noch zu einem insgesamt signifikanten Studienergebnis (49). Dies zeigt letztlich nur, wie abhängig das Ergebnis einer solchen Fäkaltransplantationstherapie von der Zusammensetzung des Spendermikrobioms ist. Derzeit können ausser für die Clostridienkolitis solche Fäkaltransplantationen nicht empfohlen werden.
Zusammenfassung
Probiotische Therapien und die Fäkaltransplantation haben
in den letzten Jahren ein grosses Interesse gefunden. Dies ist
zum einen begründet durch grundlagenwissenschaftliche
Erkenntnisse, die eine Veränderung des Mikrobioms bei einer
Reihe von Erkrankungen nachweisen. Dem gegenüber steht
jedoch eine sehr dünne Datenlage für eine Vielzahl von Er-
krankungen. Zu bedenken ist auch das Ergebnis aus der
Pankreatitisstudie, das zeigt, dass nicht in jeder Situation ein
Probiotikum ungefährlich ist und ohne Bedenken verabreicht
werden kann. Um hier verlässlichere Daten zu bekommen,
bleibt nur der Weg, klinische Studien durchzuführen.
Eine sichere Empfehlung kann bei der Antibiotika-assoziier-
ten Diarrhö, bei der Remissionserhaltung bei Colitis ulcerosa
und bei der Prophylaxe von Reisediarrhö für Probiotika ge-
geben werden. Ebenso kann schon eine Therapieempfehlung
für die Fäkaltransplantation bei der rezidivierenden Clostri-
dienkolitis gegeben werden. Weitere gesicherte Indikationen
existieren jedoch nicht. Nach wie vor sollte eine gewisse
Vorsicht gewahrt werden.
O
Prof. Dr. med. Dr. phil. Gerhard Rogler Human Physiology, ZIHP Universität Zürich Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie Universitätsspital Zürich Rämistrasse 100 8091 Zürich E-Mail: gerhard.rogler@usz.ch
Literatur unter www.arsmedici.ch
Erstpublikation in Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin (SZE) 2/2016.
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MIKROBIOTA UND PROBIOTIKA
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