Transkript
Fortbildung
Erektile Dysfunktion
Ursachen, Therapie und Beratung
Die erektile Dysfunktion wird aufgrund der demografischen Entwicklung zunehmend auch in Hausarztpraxen ein Thema. Doch sie trifft nicht nur alte Männer. Zwar spielen Grunderkrankungen, die mit einer Arteriosklerose einhergehen, wie Hypertonie oder Diabetes mellitus, eine wichtige ursächliche Rolle. Doch auch an Erektionsstörungen infolge von Eingriffen im kleinen Becken ist zu denken. Und psychogene Ursachen findet man durchaus auch bei jüngeren Patienten. Was die Behandlung angeht, so gelten PDE-5-Hemmer als First-Line-Therapie. Alternativ kommen die Injektion von Alprostadil, Schwellkörperimplantate und Vakuumpumpen infrage.
ANGELIKA KAMINSKY UND HERBERT SPERLING
In Anbetracht der demografischen Entwicklung werden auch bei Patienten in einem fortgeschrittenen Lebensalter andrologische Gesichtspunkte in der Arztpraxis zunehmend bedeutender. Die mittlere Lebenserwartung eines Mannes stieg in den letzten 100 Jahren von 44,8 Jahren auf 74,4 Jahre (5). Der Prozentsatz einer erektilen Dysfunktion steigt zwischen dem 40. und 70. Lebensjahr von 5 auf 15 bis 20 Prozent (1). Sexualität im Alter zählt bis heute zu einem der grossen Tabus unserer Gesellschaft. Aber auch im höheren Lebensalter empfinden die meisten Menschen Sexualität als wichtige Quelle von Vitalität, Wohlbefinden und Partnerbezug. Störungen der Sexualfunktion und des sexuellen Erlebens führen bei älteren Menschen oft zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Lebensqualität (1). Neben dieser altersbedingten erektilen Dysfunktion stellen sich in der ärztlichen Praxis aber auch zunehmend jüngere Patienten vor, die an einer postoperativen oder postinterventionellen erektilen Dysfunktion leiden, zum Beispiel nach
Merksätze
einer radikalen Prostatektomie, einer Brachytherapie oder einer externen Radiatio im kleinen Becken.
Ursachen der erektilen Dysfunktion Bei den Ursachen stellt der allgemeine Gesundheitszustand neben dem Alter und den schon angesprochenen, medizinischen Prozeduren einen entscheidenden Kofaktor dar. So sind Männer mit Hypertonie oder Diabetes mellitus gefährdeter, eine erektile Dysfunktion zu entwickeln, da es bei diesen Erkrankungen durch arteriosklerotische Gefässveränderungen zu Durchblutungsstörungen und damit zu einer arteriell bedingten Potenzstörung kommt. Daneben gibt es kavernöse Dysfunktionen, die eine unzureichende kavernöse Relaxation und dadurch eine eingeschränkte Venenkompression mit sich bringen. Des Weiteren können auch Polyneuropathien sowie endokrine Veränderungen beim Prolaktinom oder Hyperthyreoidismus sowie psychogene oder psychosexuelle Erkrankungen zu einer erektilen Dysfunktion führen.
Diagnostik Bei der Diagnostik stehen Anamnese und körperliche Untersuchung an erster Stelle, insbesondere unter Verwendung standardisierter Fragebögen (International Index of Erectile Function, IIEF). Dabei sollten Vorerkrankungen, der neurologische Status sowie die Medikamenten- und Sexualanamnese erhoben werden. Laborchemische Untersuchungen lassen Aussagen über hormonelle Veränderungen zu. Die weiterführende Diagnostik umfasst die Messung der nächtlichen penilen Tumeszenzen sowie eine Evaluation des Erektionsverhaltens nach intrakavernöser Applikation von vasoaktiven Substanzen und einer damit verbundenen Doppler- oder Farbduplexsonografie.
Sexualtherapie Bei der überwiegend psychogen bedingten erektilen Dysfunktion sollte die Sexualtherapie die erste Therapieoption sein (6). Sie besteht aus einer Kombination von Verhaltenstherapie mit der psychotherapeutischen Bearbeitung intrapsychischer und partnerschaftlicher Verursachungsfaktoren. Schwieriger als die Patientenmotivation ist es in der Realität jedoch, Sexualtherapeuten zu finden, die über die entsprechenden Kompetenzen verfügen und die Bereitschaft zur Behandlung von Patienten mit Sexualstörungen besitzen (6).
❖ PDE-5-Inhibitoren führen zu einer Muskelrelaxation und Vasodilatation im Penis und damit zu einer Verbesserung der Erektionsfähigkeit.
❖ Bei Patienten mit psychogen bedingter erektiler Dysfunktion sollte man PDE-5-Hemmer anfangs niedrig dosieren.
Medikamentöse Therapie Tabelle 1 zeigt die medikamentösen und operativen Therapiemöglichkeiten der erektilen Dysfunktion. Die First-Line-Therapie stellt die medikamentöse Behandlung mit 5-Phosphodiesterase-Hemmern (PDE-5-Inhibitoren) dar, da sie eine gute klinische Wirksamkeit bei einem günstigen Nebenwirkungsprofil aufweisen. Über eine Hem-
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Erektile Dysfunktion
Tabelle 1:
Therapie der erektilen Dysfunktion
First-Line: ❖ 5-Phosphodiesterase-Hemmer (Sildenafil, Vardenafil, Tadalafil)
Second-Line: ❖ Intrakavernöse Injektion oder intraaurethrale Applikation (MUSE) von
Alprostadil
Third-Line: ❖ Implantation eines semirigiden oder hydraulischen Schwellkörper-
implantats
die PDE-5-Inhibitoren an, während bei Medikamenten, die eine Zytochrom-P-34-Induktion bewirken, die PDE-5-Inhibitor-Dosis erhöht werden muss.
Mehrere Versuche sind notwendig Für jede Form der oralen Pharmakotherapie gilt, dass der Patient mindestens sechs Versuche unternehmen sollte, bevor sie als nicht erfolgreich eingestuft wird. Schlägt der Therapieversuch mit einer Substanz fehl, so sollte zunächst eine der beiden anderen Substanzen ausprobiert werden. Im Kontext der Patientenführung ist weiterhin zu beachten, dass nur 50 Prozent der Patienten auf die orale Pharmakotherapie ansprechen und von diesen wiederum nur 50 Prozent ein Folgerezept fordern.
Tabelle 2:
PDE-5-Hemmer im Vergleich
Wirkungs- Wirkungsdauer Nahrungs-
eintritt
(Maximum)
abhängigkeit
Sildenafil (Viagra®) Tadalafil (Cialis®) Vardenafil (Levitra®, Vivanza®)
30–60 min 30 min–2 h 30 min
bis 12 h bis 36 h bis 14 h
ja nein ja
mung des Abbaus von cGMP führen diese Substanzen zu einer Muskelrelaxation und einer Vasodilatation im Penis und somit zu einer Verbesserung der Erektionsfähigkeit. Kontraindikationen einer solchen Therapie sind die Einnahme von Nitraten, ein Myokardinfarkt in den letzten sechs Wochen, eine instabile Angina pectoris, eine Retinopathia pigmentosa, eine nicht arteriitische anteriore ischämische Optikusneuropathie und eine schwere Leberzirrhose.
Unterschiede der PDE-5-Hemmer Es lassen sich drei Substanzen unterscheiden – Sildenafil, Vardenafil und Tadalafil (Tabelle 2). Die beiden erstgenannten sind kurz wirksam (ca. 4–8 h), Tadalafil ist eine länger wirksame Substanz (ca. 16–24 h). Generell sollte bei Patienten mit psychogener Genese der erektilen Dysfunktion mit der niedrigsten Dosis begonnen werden, während nach radikaler Prostatektomie oder bei Diabetes mellitus mit der mittleren Dosis angefangen wird. Die Zufriedenheit der Patienten ist bei allen drei Präparaten ähnlich hoch. Die mit Tadalafil behandelten Patienten empfinden aufgrund der langen Halbwertszeit jedoch eine grössere sexuelle Unabhängigkeit von zeitlichen Zwängen. Bezüglich der Effektivität der drei Substanzen zeigte sich in der Erectile Dysfunction Observational Study (EDOS) kein signifikanter Unterschied.
Mögliche Nebenwirkungen Nebenwirkungen einer solchen Therapie können in einem geringen Prozentsatz Kopfschmerzen, Gesichtsröte oder Farbsehstörungen sein. Medikamentöse Interaktionen sollten ebenfalls bedacht werden. So kann eine begleitende Medikation mit Alphablockern möglicherweise zu hypotonen Krisen führen. Bei gleichzeitiger Einnahme von Medikamenten, die das Enzym Zytochrom P 34 hemmen, reichern sich
Second-Line- und Third-Line-Therapien
Als Second-Line-Therapie stehen intrakavernös applizier-
bare Substanzen zur Verfügung. Hierbei ist die intrakaver-
nöse Injektion von Alprostadil die älteste Methode. Die Er-
folgsraten betragen bis zu 70 Prozent. Nebenwirkungen sind
penile Schmerzen, verlängerte Erektionen, Priapismen und
Fibrose (3). Kontraindiziert ist diese Methode bei Männern
mit einer bekannten Überempfindlichkeit auf Alprostadil,
einer Priapismusneigung oder Gerinnungsstörungen.
Die intraurethrale Applikation von Prostaglandinen (MUSE)
ist eine weitere Second-Line-Therapie für Patienten, für die
die intrakavernöse Applikation nicht infrage kommt. Eine
vaskuläre Interaktion zwischen Urethra und Corpora caver-
nosa erlaubt die Medikamentendiffusion in den Schwellkör-
per (2). Die Erfolgsraten sind aber deutlich geringer als bei
der intrakavernösen Applikation (4).
Die Third-Line-Therapie ist die Implantation eines semi-
rigiden oder hydraulischen Schwellkörperimplantats. Dieses
Verfahren stellt die Ultima Ratio dar, da es bei der Implan-
tation in die Corpora cavernosa zu einer irreversiblen
Destruktion des kavernösen Gewebes kommt. Der Patient
kann somit postoperativ auf kein nicht prothetisches Verfah-
ren mehr ansprechen. Deshalb muss er präoperativ über die
Endgültigkeit der Implantation exakt aufgeklärt werden.
Ein weiteres konservatives Verfahren, das sich einiger Be-
liebtheit erfreut, ist das Vakuum-Erektions-System. Hierbei
wird Blut mithilfe einer Vakuumpumpe in den Penis gesogen
und durch einen Konstriktionsring in den Schwellkörpern ge-
halten. Die Akzeptanz dieser Systeme bei Patienten und Part-
nerinnen ist bei erfolgreicher Anwendung gut, jedoch liegt
die Primärpräferenz von Patienten und Partnerinnen bei der
oralen Pharmakotherapie.
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Korrespondenzadresse: Dr. med. Angelika Kaminsky Urologische Klinik, Kliniken Maria Hilf GmbH D-41063 Mönchengladbach Tel. 0049 2161 892 2301 E-Mail: angelika.kaminsky@mariahilf.de
Interessenkonflikte: keine
Literatur unter www.allgemeinarzt.de/downloads
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 6/2010. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autoren.
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