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Fortbildung
Bei erektiler Dysfunktion Testosteron bestimmen
Experten erörtern therapeutische Optionen bei Erektionsschwäche
Zur Behandlung der erektilen Dysfunktion (ED) haben sich PDE-5-Hemmer seit Langem bewährt. Aber es geht auch darum, Risikofaktoren zu beeinflussen und bei Bedarf Testosteron zu substituieren, wie Experten auf dem EAU-Kongress erläuterten.
UWE BEISE
Die Behandlung eines Patienten mit erektiler Dysfunktion sollte stets mit der Frage beginnen, ob der betroffene Patient Risikofaktoren aufweise, die beeinflussbar sind, meinte Professor Ian Eardley von der Universität Leeds. In der Praxis zeigt sich, dass das oft genug der Fall ist. So kann beispielsweise bei Patienten, die wegen eines Bluthochdrucks behandelt werden, die Umstellung auf ein anderes Antihypertensivum hilfreich sein. Vor allem Betablocker und Thiazide sind bekannt dafür, dass sie das Risiko für eine ED erhöhen. Angiotensin-II-Antagonisten hingegen können eine ED lindern, wahrscheinlich, indem sie eine Relaxation der glatten Penismuskulatur bewirken, wie Eardley sagte.
Merksätze
❖ Bei Patienten mit ED sollen zunächst Risikofaktoren ermittelt und wenn möglich ausgeschaltet werden.
❖ PDE-5-Hemmer sind Erstlinienmedikamente bei ED. Sie unterscheiden sich im Wesentlichen nur durch die Wirkdauer. Die Wahl des Präparats sollte sich an den Bedürfnissen des Patienten orientieren.
❖ Bei Patienten mit ED (und mangelnder Libido) oder Patienten, die nicht auf PDE-5-Hemmer ansprechen, ist eine (wiederholte!) Testosteronbestimmung angezeigt.
❖ Bei niedrigen Serumspiegeln ist eine Testosteronsubstitution zu erwägen. Testosteron wirkt positiv auf verschiedene Parameter (metab. Syndrom, Libido, Erektionsfähigkeit, Stimmung etc.) und kann die Wirkung von PDE-5-Hemmern verbessern.
❖ Es gibt bis heute keinen Anhalt, dass die Testosteronsubstitution das Karzinomrisiko erhöht.
Bei Patienten mit Hyperlipidämie kann eventuell die Verordnung von Atorvastatin (Sortis®) von Vorteil sein. Im Allgemeinen haben Statine zwar keine Auswirkung auf eine ED. Einzelne, allerdings sehr kleine Studien zeigen laut Eardley jedoch, dass Atorvastatin die ED und auch das Ansprechen auf PDE-5-Hemmer verbessern kann. Der Urologe wies aber auch darauf hin, dass es Fallberichte gibt, nach denen Statine in seltenen Fällen auch einmal eine erektile Dysfunktion verursachen können. Bekannt ist, dass Patienten mit einer guten Diabeteskontrolle tendenziell eine weniger schwere ED entwickeln. Allerdings, so Eardley, gibt es bis anhin keine Studie, die der Frage nachgeht, ob eine optimierte Blutzuckereinstellung eine bestehende ED günstig beeinflusst. Bei adipösen Patienten, denen es gelingt, Gewicht abzunehmen, könne sich auch eine bestehende ED abschwächen, sagte Eardley unter Hinwies auf eine «JAMA»-Studie aus dem Jahr 2004. In der Untersuchung war eine seltene Population von adipösen Patienten untersucht worden. Die 100 Studienteilnehmer mit einem BMI über 30 litten weder an Diabetes noch an Bluthochdruck oder Hyperlipidämie. Im Rahmen eines intensiven, zweijährigen Trainings- und Ernährungsprogramms nahmen die Patienten 10 Prozent an Gewicht ab. Dies führte dazu, dass sich die Sexualfunktionen signifikant verbesserten. Dabei spiele regelmässige Bewegung eine grosse Rolle, sagte Eardley. Auch aus anderen Studien ist bekannt, dass die Kombination eines PDE-5-Hemmers mit regelmässigem (Lauf-)Training (3–4 ×/Woche) eine deutlich höhere Wirksamkeit erzielt als die alleinige Einnahme eines PDE-5-Hemmers.
PDE-5-Hemmer: Der Patient hat die Wahl PDE-5-Hemmer sind, laut den Guidelines, die First-LineTherapie einer ED vor allem bei Männern, die an KHK und/oder Diabetes erkrankt sind. Die drei zugelassenen Substanzen Sildenafil (Viagra®), Tadalafil (Cialis®) und Vardenafil (Levitra® und Vivanta®) unterscheiden sich nicht hinsichtlich ihrer Wirkstärke. Im Allgemeinen sind die drei Vertreter bei 68 bis 69 Prozent wirksam (Kriterium: erfolgreicher Geschlechtsverkehr), bei Diabetikern liegt die Erfolgsrate jedoch um mindestens 10 Prozent tiefer. Das dürfte an der bei ihnen oft bestehenden endothelialen Dysfunktion, an womöglich vorhandener diabetischer Neuropathie und an weiteren Komorbiditäten liegen. Die PDE-5-Hemmer unterscheiden sich bekanntlich in ihrer Pharmakokinetik, das heisst in ihrer Wirkdauer. Eardley machte darauf aufmerksam, dass alle drei Substanzen oft
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teronmangels sind mindestens zwei Messungen notwendig. Nach Testosteronsubstitution wirkt der PDE-5-Hemmer dann oft.
Abbildung: Abfall des Testosterons mit steigendem Alter T: Testosteron; SHGB: Sexualhormon-bindendes Hormon (nach Vermeulen, 1993)
länger wirken als angegeben. Als Faustregel gilt: Bei Sildenafil und Vardenafil setzt die Wirkung schneller ein als bei Tadalafil, das dafür deutlich länger wirkt (bis 48 h). Man könne, so Eardley, nicht sagen, dass eine Substanz die beste sei. Er selbst würde seinen Patienten die Unterschiede darstellen und ihnen dann die Wahl überlassen. Alle drei Vertreter seien sehr gut verträglich, selten müssten sie abgesetzt werden. Kopfschmerzen, Flush (weniger stark bei Tadalafil) und eine verstopfte Nase treten bei 5 bis 15 Prozent auf. Rückenschmerzen kommen gelegentlich unter Tadalafil vor, wahrscheinlich aufgrund der langen Wirkdauer. Kardiale Nebenwirkungen seien anfangs befürchtet worden, was sich aber nicht bestätigt habe, sagte Eardley. Unter Sildenafil zeigten sich sogar seltener kardiale Ereignisse als unter Plazebo. Nicht bewiesen ist, dass PDE-5-Hemmer womöglich gar kardioprotektiv wirken. Wichtige Kontraindikation von PDE-5-Hemmern ist die Einnahme von Nitraten. Unter dieser Kombination wäre ein starker Blutdruckabfall zu befürchten. Erhöhte Aufmerksamkeit ist bei gleichzeitiger Behandlung mit einem Alphablocker (zur BPH-Behandlung) erforderlich. Eardley empfahl, den Alphablocker morgens einzunehmen und dann frühestens 6 Stunden später den PDE-5-Hemmer in niedrigster Dosierung (anschliessend ggf. höher dosieren). Bei 20 bis 60 Prozent haben PDE-5-Hemmer keine (ausreichende) Wirkung. In diesen Fällen könne zunächst versucht werden, die Dosis zu erhöhen, den Einnahmezeitpunkt zu verändern oder das Medikament auf leeren Magen einzunehmen. Wichtig ist, spätestens bei Therapieversagen den Testosteronspiegel zu messen. Für die Diagnose eines Testos-
Tabelle:
Veränderungen von PSA und Hämatokrit unter Testosteronsubstitution (IPAS-Studie)
n Baseline 938 Visite 2 708 Visite 3 676 Visite 4 537 Visite 5 455
PSA (ng/ml) MW 1,10 1,20 1,30 1,20 1,10
SD 0,94 1,08 1,18 1,03 1,05
Hämatokrit (%) n MW SD 843 42,8 6,56 725 44,0 5,83 684 44,7 6,05 534 44,7 6,18 474 44,5 6,12
Testosteronmangel als Krankheit Prof. Christian Stief, LMU München, beschäftigte sich eingehender mit der Testosteronsubstitution. Dass mit dem Alter die Serumkonzentrationen von freiem und Gesamt-Testosteron abnehmen, ist lange bekannt (Abbildung). Doch die Bewertung dieser Alterserscheinung hat sich in den letzten Jahren grundlegend geändert. «Vor 20 Jahren hat man uns gesagt, dass ein niedriger Testosteronspiegel im Alter normal sei.» Inzwischen müsse man anerkennen, dass ein Mann in höherem Lebensalter den Testosteronspiegel eines jungen Mannes benötigt, wenn er ein aktives Sexualleben mit erhaltener Libido und Erektionsfähigkeit wünscht. Die Empfehlungen verschiedener internationaler Fachgesellschaften haben mittlerweile das Testosterondefizit-Syndrom (late onset hypogonadism) als Krankheit klassifiziert. Bei Patienten mit erektiler Dysfunktion und mangelnder Libido oder anderen (nicht-)sexuellen Symptomen (Fatigue, herabgesetzte Vitalität und depressive Verstimmung) bietet sich die Testosteronsubstitution als Initialtherapie an. Stief sagte, dass alle zugelassenen Testosteronpräparate sicher und wirksam seien und bei Bedarf und nach eingehender Beratung verordnet werden können, wobei kurz wirksame Hormonpräparate zumindest am Anfang zu bevorzugen seien. In der anschliessenden Diskussion gab Stief aber zu bedenken, dass es mit Testosterongels oft nicht gelinge, ausreichende Testosteronspiegel zu erzielen. Eardley bestätigte dies und gab zur Begründung an, die Resorption der Gels sei oft variabel; schliesslich müsse man zu intramuskulärer Injektion («3-Monats-Spritze») übergehen. Die Verschreibung von Testosteronpflastern habe er vollständig verlassen, da zu häufig Irritationen an der Haut aufträten.
PSA-Bestimmung vor Testosteronsubstitution erforderlich Vor dem Einsatz eines Testosteronpräparats gilt es, Kontraindikationen auszuschliessen. Vor allem möchte man wissen, ob es Hinweise auf ein bestehendes Prostatakarzinom gibt. Deshalb sind vorab eine digital-rektale Untersuchung und eine PSA-Bestimmung erforderlich. Transurethrale Sonografie und Prostatabiopsie sind dagegen nach den aktuellen Guidelines überflüssig. Bei Vorliegen schwerer LUTSymptome (IPSS > 21) ist Zurückhaltung mit einer Testosteronsubstitution geboten. Zu beachten ist als Nebenwirkung der Hormonbehandlung der Anstieg des Hämatokrits. Die Wirksamkeit (Libido, Erektionsfähigkeit) soll laut Stief nach 3 bis 6 Monaten überprüft werden. Eine digital-rektale Untersuchung der Prostata ist nach 3, 6 und 12 Monaten erforderlich, der Hämatokrit soll nach 3 und 12 Monaten überprüft werden. Von da an reicht im Normalfall eine Kontrolluntersuchung jährlich. Bei einer starken Hämatokriterhöhung, so ergab die anschliessende Diskussion, muss die Testosteronbehandlung unter Umständen abgebrochen werden.
Testosteronsubstitution – anscheinend kein erhöhtes Krebsrisiko Die Befürchtung, die Testosteronsubstitution könne die Entwicklung oder das Fortschreiten eines Prostatakarzinom be-
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günstigen, konnte laut Stief in keiner einschlägigen Studie bestätigt werden. Neuerdings, ergänzte der Münchener Urologe, würden beispielsweise am renommierten Johns Hopkins Hospital in Baltimore Patienten mit kastrationsresistentem Prostatakarzinom im Endstadium sogar hoch dosiert mit Testosteron behandelt. Entwarnung geben vorläufig auch die Resultate der IPASS (International, Multi-centre, Post-Authorisation Surveillance Study). In dieser Studie wurden Wirksamkeit und Sicherheit von Testosteronundeconoat (Nebido®) unter den Bedingungen des Praxisalltags untersucht. Nebido® wird in dreimonatlichen Abständen intramuskulär injiziert, der Untersuchungszeitraum betrug ein Jahr. In das Projekt wurden 1493 Patienten mit Altershypogonadismus eingeschlossen, in 25 Ländern weltweit. In Wien stellte Professor Michael Zitzmann, Endokrinologe und Androloge an der Universitätsklinik Münster, die Endresultate vor, nachdem Zwischenergebnisse bereits auf dem letztjährigen EAU-Kongress präsentiert worden waren. Demnach wirkt sich die Testosteronbehandlung auf verschiedene Parameter (erektile Dysfunktion, Libido, Stimmung, Vitalität, Ansprechen von PDE-Hemmern) durchweg günstig aus. Eine grosse Mehrheit der Patienten zeigte sich «zufrieden» oder «sehr zufrieden» mit der Therapie.
Im Untersuchungszeitraum, so Zitzmann, sei kein einziger
Fall eines Prostatakarzinoms diagnostiziert worden, obwohl
dies statistisch durchaus zu erwarten gewesen wäre; schliess-
lich waren etwa 300 Patienten über 65 Jahre alt. Bei wenigen
Patienten war es zu einem deutlichen PSA-Anstieg auf bis zu
4 ng/ml gekommen. «Daraufhin wurden Prostatabiopsien
gemacht, und es stellte sich heraus, dass es sich jeweils um
eine Prostatitis handelte. In allen Fällen fiel der PSA-Wert
später wieder ab», sagte Zitzmann.
Unter der Therapie sei das PSA im Übrigen oft angestiegen,
jedoch nur «sehr moderat» (Tabelle). Bei 1 Patienten kam es
zu einer Prostatavergrösserung und Harnretention. Dass der
Hämatokrit unter der Behandlung ansteigt, war auch in der
IPASS erkennbar. Allerdings blieben die Werte fast immer im
Normbereich (Tabelle). Laut Zitzmann bestätigt die Studie
die Wirksamkeit und Sicherheit der Testosteronsubstitution
– mit einer Einschränkung allerdings: Der Beobachtungszeit-
raum ist mit einem Jahr noch recht überschaubar. Momentan
sind weitere Studien im Gang, die Ergebnisse über einen
längeren Zeitraum liefern sollen.
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Uwe Beise