Transkript
Fortbildung
Behandlung des prämenstruellen Syndroms mit einem Extrakt aus Vitex-agnus-castus-Früchten
Eine prospektive, randomisierte, plazebokontrollierte Studie
Studien mit pflanzlichen Arzneimitteln werden nur äusserst selten in renommierten medizinischen Fachzeitschriften veröffentlicht. Deshalb kann der Stellenwert einer Arbeit nicht hoch genug eingestuft werden, die es trotz der vielen Hürden geschafft hat. Der vorliegende Beitrag ist die deutsche Zusammenfassung eines solchen Artikels1. Er beschreibt die Wirksamkeit des Vitex-agnus-castus-Extraktes Ze 440 beim prämenstruellen Syndrom und ist im «British Medical Journal» erschienen. Die Publikation liegt zwar schon 10 Jahre zurück und wurde in «phytotherapie» (phytotherapie 2001[2]; 1: 11) schon einmal thematisiert, hat aber trotzdem nichts an Aktualität eingebüsst.
Schlussfolgerung: Trockenextrakt aus Vitex agnus-castus ist eine wirksame Behandlung zur Milderung des prämenstruellen Syndroms.
Einleitung Das PMS ist eine Kombination von psychischen und physischen Beschwerden (1), dem Frauen unabhängig von sozioökonomischer Stellung, Rasse und kulturellem Hintergrund unterworfen sind (2, 3). Die Ursachen für das PMS sind noch nicht klar bekannt (3, 4). Früchte aus Vitex agnus-castus enthalten Iridoide und Flavonoide sowie Inhaltsstoffe, die gewisse Strukturähnlichkeiten mit Sexualhormonen aufweisen (5). Die Wirkung von Vitex agnus-castus wurde als ähnlich dem Corpus luteum beschrieben (6–19). Eine systematische Beschreibung der Wirksamkeit ist relativ neu (2, 8, 20–22).
CHRISTOPH BACHMANN
Zusammenfassung Ziel der Untersuchung: Wirksamkeit und Verträglichkeit des Vitex-agnus-castus-Extraktes Ze 440 bei Frauen mit PMS im Vergleich zu Plazebo. Design: Randomisierter, doppelblinder, prospektiver, plazebokontrollierter Parallelgruppenvergleich während drei Menstruationszyklen. Prüfzentren: Allgemeinpraxen. Probandinnen/Dosierung: 170 Frauen (86 Verum, 84 Plazebo), 1 Tablette Ze 440 beziehungsweise Plazebo täglich, während dreier aufeinanderfolgender Menstruationszyklen. Prüfparameter: Primäre Wirksamkeitsvariablen: Selbstbeurteilung der Frauen in verschiedenen Parametern (Tabelle 1). Sekundäre Wirksamkeitsvariablen: Veränderung der CGI und Responderrate. Resultate: Die Verbesserung der primären Wirksamkeitsvariablen in der Verumgruppe war grösser als in der Plazebogruppe (p < 0,001), ebenso jene der sekundären Wirksamkeitsvariablen (p < 0,001). Die Responderrate in der Verumgruppe betrug 52 Prozent, in der Plazebogruppe 24 Prozent.
1 Schellenberg R.: Treatment of the premenstrual syndrome with agnus castus fruit extract: prospective, randomized, placebo controlled study. BMJ 2001; 322; 134–137.
Methode Die Studie wurde unter genau standardisierten Bedingungen durchgeführt, entsprach den neuesten Richtlinien der GCP (EU, Helsinki-Deklaration) und wurde von der Ethikkommission der ärztlichen Landeskammer Baden-Württemberg genehmigt. Es wurde entweder täglich eine Tablette mit 20 mg Vitex-agnus-castus-Extrakt Ze 440 (60% Ethanol m/m, DEV 6–12:1; standardisiert auf Casticin) oder ein Plazebo abgegeben, das äusserlich nicht vom Verum zu unterscheiden war.
Auswahl der Probandinnen Alle Frauen waren älter als 18 Jahre und hatten ein PMS gemäss «Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, third edition» (DMS-III-R) (23). Auschlusskriterien: Teilnahme an anderen Studien, gleichzeitige Psychotherapie, Schwangerschaft, Stillzeit, unzulässige Kontrazeption, Demenz, Alkohol- oder Drogenabhängigkeit, erhebliche gesundheitliche Probleme, Überempfindlichkeit auf Vitex agnus-castus, Fieber, Hypophysenerkrankung sowie gleichzeitige Einnahme von Sexualhormonen ausser oralen Kontrazeptiva. Zu Beginn und am Ende der dreimonatigen Untersuchungsperiode machten die Probandinnen mit einer Visual Analogue Scale, die auf die Beurteilung des PMS validiert war (25), Angaben über ihren Zustand (vgl. Tabelle 1). Diese Methode hat sich bewährt (21, 25, 26). Weiter wurden die Probandinnen auch medizinisch genau untersucht (CGI) (24).
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Tabelle 1:
Eigenbeurteilung (VAS) durch die Probandinnen, Beurteilung (CGI) durch die Ärzte, Responderrate
Primäre Wirksamkeitsvariablen
Verum
(Eigenbeurteilung durch Probandinnen)
Gesamt Gereiztheit Stimmungsschwankung Verärgerung Kopfschmerzen Andere Brustspannen
–128,5 –28,9 –28,7 –22,1 –17,8 –12,4 –18,6
Plazebo
–78,1 –18,2 –17,6 –11,7 –5,9 –13,7 –9,4
Unterschied (Verum zu Plazebo) (95%-KI)
–50,5 (–23,5 bis –77,5) –10,7 (–3,4 bis –18,0) –11,1 (–4,4 bis –17,8) –10,3 (–3,1 bis –17,5) –11,9 (–4,3 bis 19,6)
1,3 (–5,5 bis 8,1) –9,2 (–2,8 bis –15,6)
Signifikanz (p)
0,001 0,001 0,001 0,001 0,002 nicht signifikant 0,001
Sekundäre Wirksamkeitsvariablen (Beurteilung durch den Arzt)
Schweregrad des Zustandes (CGI 1) Verbesserung/Verschlechterung (CGI 2) Gesamtbeurteilung Nutzen/Risiko Responderrate (%)
Verum
–1,5 2,9 2,9 52
Plazebo
–1,0 3,9 2,2 24
Unterschied (Verum zu Plazebo) Signifikanz (p) (95%-KI)
–0,5 (–0,1 bis 0,8) –1,0 (–0,7 bis –1,3) 0,7 (0,4 bis 1,0)
0,001 0,001 0,001
Responderrate: mindestens 50 Prozent Verbesserung (VAS) am Ende der Prüfzeit verglichen mit den Symptomen zu Beginn
Tabelle 2:
Unerwünschte Wirkungen und Prüfabbrüche
Anzahl Ereignisse Art der unerwünschten Wirkungen (je 1)
Abbruch der Prüfung
Verumgruppe
4 (4,7%) Akne, multiple Abszesse, Zwischenblutung, Urtikaria 0
Plazebogruppe
3 (4,8%) Akne, verfrühte Menstruationsblutung Magenbeschwerden 1 (Schwangerschaft)
Resultate Wirksamkeit Aus Tabelle 1 geht hervor, dass die Probandinnen der Verumgruppe gegenüber der Plazebogruppe eine signifikante Verbesserung ihrer PMS-Symptome feststellten. 5 der 6 Selbstbeurteilungsparameter zeigten eine signifikante Überlegenheit von Vitex agnus-castus. Die Überlegenheit des Mönchspfeffers wurde auch durch alle drei Kriterien der ärztlich ermittelten Clinical Global Impression bestätigt. Dasselbe Resultat zeigte die Responderrate: Verum 52 Prozent, Plazebo 24 Prozent.
Angaben zum im Artikel beschriebenen Extrakt:
Markenname in der Schweiz: premens, prefemin®
Krankenkassenkategorie:
premens: SL, prefemin®: C
Mittlere Tagestherapiekosten: Fr. –.60 (wirtschaftlichste Packung)
SL = Spezialitätenliste
C = Komplementärliste/Zusatzversicherung
N = Negativliste
Sicherheit Es traten nur wenige unerwünschte Wirkungen (Tabelle 2) auf. Keine von ihnen konnte in einen ursächlichen Zusammenhang mit Vitex agnus-castus gestellt werden. Eine Probandin der Plazebogruppe brach nach 55 Tagen wegen Schwangerschaft die Prüfung ab.
Diskussion Die Studie zeigt, dass der Vitex-agnus-castus-Extrakt Ze 440 eine wirksame Behandlung des prämenstruellen Syndroms zulässt. Nachdem andere Autoren sich für Vergleichsstudien mit potenziellen Wirkstoffen entschieden hatten, wurde die vorliegende Arbeit bewusst als plazebokontrollierte Studie durchgeführt. Damit wurde ein möglicher psychologischer Effekt umgangen. Ein solcher könnte in beiden Gruppen gleichgerichtete positive Effekte induzieren und somit einen in beiden Gruppen vergleichbaren Behandlungseffekt vortäuschen. Die Arztbesuche während der Prüfphase wurden auf ein Minimum reduziert, weil zu häufiger Kontakt während der Prüfphase zwischen Probandinnen und Ärzten das Ergebnis beeinflussen kann.
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Die Prüfdauer wurde auf drei Menstruationsszyklen festgelegt, damit die Veränderung der Symptome während einer gewissen Zeitspanne festgestellt werden konnte. Die Beurteilungskriterien waren eindeutig und validiert. Durch Vorbereitung der Ärzte konnte die Anwendung der Beurteilungskriterien standardisiert werden.
Schlussfolgerung
Vitex agnus-castus ist ein gut verträgliches und wirksames
Arzneimittel für die Behandlung des PMS, was sowohl von
den Probandinnen wie auch von den Ärzten bestätigt wurde.
Die Wirksamkeit wurde durch eine Verbesserung der meisten
PMS-Symptome gezeigt. Dieses pflanzliche Medikament bie-
tet sich als therapeutische Möglichkeit für Frauen an, bei
denen ein kausaler Ursprung dieser Symptome nicht etabliert
werden kann.
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Übersetzung: Dr. Christoph Bachmann Manuskript durchgesehen von: Prof. Dr. Beat Meier
Literatur: 1. Chuong CJ, Coulam CB. Current views and the beta-endorphin hypothesis. In: Gies LH,
Kase NG, Berkowith C, eds. The premenstrual syndromes. New York: Churchill Livingstone, 1988: 75–95. 2. Peters-Welte C, Albrecht M. Regeltempostörungen und PMS. Vitex agnus castus in einer Anwendungsbeobachtung. TW Gynäkologie 1994; 7: 49–52. 3. Küpper C, Loch EG. Prämenstruelles Syndrom. Deutsche Apotheker Zeitung 1996; 136: 23–9. 4. Sondheimer SJ. Etiology of premenstrual syndrome. In: Smith S, Schiff 1, eds. Modern management of premenstrual syndrome. New York: Norton Medical Books, 1994: 46–54. 5. Brickell C, ed. Royal Horticultural Society encyclopaedia of plants and flowers. London: Dorling Kindersley, 1989. 6. Du Mee C. Vitex agnus castus. Aust J Med Herbalism 1993; 5: 63–5. 7. Hobbs C. The chaste tree: Vitex agnus castus. Pharm History 1991; 23: 19–24. 8. Milewicz A, Gejdel E, Sworen H, Sienkiewicz K, Jedrzejak J, Teucher T, et al. Vitex agnus castus – Extrakt zur Behandlung von Regeltempoanomalien infolge latenter Hyperprolaktinämie (Vitex agnus castus extract in the treatment of luteal phase defects due to latent hyperprolactinemia. Results of a randomized placebo-controlled doubleblind study.) Drug Res 1993; 43: 752–6. 9. Sliutz G, Speiser P, Schultz AM, Spona J, Zeillinger R. Agnus castus extracts inhibit prolactin secretion of rat pituitary cells. Hormone Metab Res 1993, 25: 253–5.
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