Transkript
Fortbildung
Bakterielle Vaginose
Neue Konzepte zur Ätiologie verändern Prävention und Therapie
Die bakterielle Vaginose (BV) ist ein häufiges Beschwerdebild, auch wenn nur rund die Hälfte der Frauen mit bakterieller Störung der Vaginalflora symptomatisch ist. Bei Schwangeren korreliert die BV mit einem fast zweifach erhöhten Frühgeburtsrisiko. Neu diskutiert werden die Rolle der Erreger respektive der pathogenen Mischflora, der Laktobazillen sowie der Übertragungsweg, was Implikationen bei Prävention und Therapie nach sich zieht.
BÄRBEL HIRRLE
Die bakterielle Vaginose wird als die weltweit häufigste Vaginalinfektion beschrieben. Sie ist nachweislich mit ernsten Risiken bei Schwangeren wie vorzeitiger Wehentätigkeit, vorzeitigem Blasensprung und Frühgeburt verbunden, weiterhin auch mit postoperativen Zweitinfektionen sowie Erwerb und Verbreitung sexuell übertragbarer Krankheiten, einschliesslich HIV. Trotz intensiver Forschung zu veränderter Vaginalflora und dem Krankheitsbild liegt die Ätiologie dieser Bakterieninfektion im Dunkeln, was Konsequenzen für Präventions- und Therapieempfehlungen hat. In der Diskussion stehen: ❖ die Identifikation des auslösenden Erregers respektive der
Erregergruppe ❖ der hinterfragte Übertragungsweg durch Geschlechtsver-
kehr (STI; sexual transmitted infections) ❖ die Heterogenität der bakteriellen Vaginose (BV) als
Krankheitsentität.
Die Klärung diese Aspekte sollte zu Verbesserungen in Diagnostik, Behandlung und Prävention der BV führen (1). Die Prävalenz einer BV liegt nach Hodels Recherchen (2) bei 5% der Frauen, die im Rahmen einer gynäkologischen Vorsorgeuntersuchung betreut werden, dagegen bei über 30% bei Frauen, die in einer Klinik wegen STI behandelt werden, und je nach Kollektiv bei 5 bis 20% der Schwangeren.
Beobachtungen zur Keimbesiedlung Gemäss Hodel handelt es sich bei der BV nicht um eine echte Kolpitis, sondern um eine bakterielle Störung der Vaginalflora mit starker Verminderung der H2O2-produzierenden Laktobazillen und starker Vermehrung einer fakultativ pathogenen aerob-anaeroben Mischflora (v.a. Gardnerella vaginalis, Mobiluncus species, Prevotella spezies und Mycoplasma hominis sowie Ureaplasmen). Gardnerella vaginalis gilt nicht als Erreger der Erkrankung, sondern lediglich als Marker, da Gardnerella auch üblicherweise als Teil der gesunden Vaginalflora in geringer Keimzahl vorkommt. Bei einer bakteriellen Vaginose erhöht sich jedoch die Keimzahl zusammen mit anderen anaeroben Keimen bis zum Hundertfachen, während die Laktobazillen massiv abnehmen. Warum sich die Laktobazillen verringern, ist nicht bekannt. Diskutiert wird auch die Möglichkeit, dass sich durch Mutation die Fähigkeit zur H2O2-Bildung verliert.
Übertragbarkeit durch Geschlechtsverkehr In einem neueren Review von Schwebke (1) stellt die Autorin Argumente zusammen, die sehr stark für die sexuelle Übertragbarkeit sprechen. Die Prävalenz der BV ist besonders hoch bei Frauen mit ❖ STI in der Anamnese sowie ❖ neuem Sexualpartner im Monat vor dem Symptombeginn.
Merksätze
❖ Die Verschiebung der Vaginalflora von aeroben Laktobazillen hin zu Gardnerella und anaeroben Bakterien ist typisch für die bakterielle Vaginose.
❖ Auch nach einer antibiotischen Therapie bleibt die Vaginalflora bei jeder zweiten Patientin verändert; dies erhöht das Rezidivrisiko.
❖ Ein Screening auf bakterielle Vaginose und die Behandlung in der Frühschwangerschaft sind sinnvoll.
Ein hohes Rezidivrisiko wurde insbesondere bei Frauen gesehen, deren männliche Partner nachgewiesene Träger von BVassoziierten Mikroorganismen wie Gardnerella vaginalis und anaeroben Bakterien sind. Dagegen kommt BV sehr selten bei sexuell nicht aktiven respektive unerfahrenen Frauen vor. Eine grosse australische Fallkontrollstudie bei Frauen mit und ohne BV ergab, dass mehr als drei männliche Sexualpartner oder mindestens eine weibliche (lesbische) Partnerin in einem Jahr ebenso wie eine Schwangerschaft, aber auch Rauchen jeweils als unabhängige Risikofaktoren für eine BV gelten. Dagegen waren Kondomanwenderinnen oder Frauen unter hormonaler Kontrazeption signifikant seltener betroffen. Entsprechende Resultate fand unter anderem eine Studie
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Fortbildung
Wahrscheinlich wurde die Ersterkrankung
Kasten 1:
durch sexuelle Übertragung und durch Gard-
Diagnosestellung der bakteriellen Vaginose (BV)
nerella plus einen Anaerobier verursacht. Eine frühzeitige antibiotische Therapie würde in
Die Diagnostik der BV erfolgt nach den Amsel-Kriterien. 3 der 4 folgenden Kriterien
diesem Fall kausal wirken. Der Verbleib eines
müssen erfüllt sein:
Biofilms aus Gardnerella sowie Anaerobiern
❖ dünnflüssiger, homogener Fluor
führt aber zu einer weiter veränderten Lakto-
❖ pH-Wert in der Scheide > 4,5 (Vaginalwand)
bazillenkonzentration, womit die Heilungs-
❖ typischer Amin-/Fischgeruch des Fluors nach Alkalisierung mit 10%-iger KOH-Lösung
chancen sinken und es zu Rezidiven kommt.
❖ Nachweis von Clue-Cells bei mindestens 20% der Epithelzellen
Eine Follow-up-Studie nach antibiotischer
im Nativpräparat.
Standardtherapie (Metronidazol) bei BV-Pa-
Die Diagnosestellung der BV in der Schwangerschaft muss gemäss Hodel (2) über ein systematisches Screening in der frühen Schwangerschaft erfolgen.
tientinnen zeigte, dass bei der Hälfte eine veränderte Vaginalflora fortbestand und zu wieder wachsender Bakterienbesiedlung führte,
wenn auch ein BV-Rezidiv in der kurzen Nach-
beobachtung nicht klinisch manifest wurde.
Schwebke führte ergänzend eine neuere In-
Kasten 2:
Therapieoptionen bei bakterieller Vaginose (BV)
vitro-Studie an, in der Laktobazillen den Gardnerella-Biofilm verdrängt haben (1). Rezidive scheinen folglich entweder durch eine
Substanz
Metronidazol oral
Dosierung
2 × 500 mg/Tag für 7 Tage
Produkte
Arilin®, Dumozol®,
Neuinfektion oder durch Therapieversagen mit unzureichender Eliminierung des BV-Biofilms zu entstehen.
alternativ:
Flagyl®, Metrolag®
einmalig 2 g oder 2 × 2 g
Vorgehen in der Schwangerschaft
im Abstand von 48 Stunden
Seit einigen Jahren existieren gute Hinweise,
Metronidazol vaginal Clindamycin vaginal
1–2 × 500 mg/Tag für 7 Tage 2%ige Vaginalcreme 5 g/Tag für 7 Tage
Flagyl® Dalacin® V 2%
dass ein Screening auf BV in der Frühschwangerschaft und gegebenenfalls eine prophylaktische antibiotische Therapie die Frühgeburten-
nach: DGGG-Richtlinie 015/028 (S1), 2008; www.awmf.org Produkte gemäss Schweizer Arzneimittel-Kompendium; www.documed.ch
rate senkt (2). Sinnvoll, da am erfolgversprechendsten, ist das Vorgehen im ersten bis frühen Trimenon (2, 3), weil zu diesem Zeit-
punkt mit der Therapie die Kaskade der BV-Ef-
fekte – mit Produktion von Zytokinen und
Prostaglandinen, welche die vorzeitige Wehen-
von Bradshaw, der Risikofaktoren für BV-Rezidive innerhalb tätigkeit zur Folge haben – noch verhindert werden kann.
eines Jahres nach Metronidazoltherapie untersuchte.
Drei randomisierte, plazebokontrollierte Studien fanden
diese These eindeutig belegt. Behandelt wurde mit Clin-
Risiko durch Scheidenspülungen?
damycin in unterschiedlicher Applikation (oral respektive
Möglicherweise sind häufige Scheidenspülungen aus Hygie- intravaginal).
❖
negründen mit (teilweise signifikant) erhöhtem BV-Risiko
verbunden. Schwebke (1) stellte einige Studien zusammen, Bärbel Hirrle
die für diese These sprechen, darunter eine amerikanische Querschnittsstudie mit 1200 Frauen sowie eine weitere mit Adoleszentinnen, die während ihrer Menstruation Scheidenspülungen durchführten. Unklar blieb hier, ob die Vaginal-
Quellen: 1. Schwebke, J.: New concepts in the etiology of bacterial vaginosis. Curr Infect Disease
Reports 2009; 11: 143–147. 2. Hodel, M.: Bakterielle Vaginose (BV) in der Schwangerschaft: ein Update. Frauenheil-
flora durch die Menstruation oder durch die Spülungen instabil wurde. Resultate weiterer Untersuchungen sprechen dafür, dass Frauen mit insgesamt instabiler Flora durch die
kunde aktuell 2006; 3: 4–9. 3. Horner, E., Hösli, I.: Screening und Prophylaxe in der Schwangerschaft. Was ist aktu-
ell bei Niedrigrisiko-Schwangerschaften? Gynäkologie 2004; 3: 5–11.
Spülungen deutlich gefährdet sind.
Beitrag aus «GYNÄKOLOGIE – Schweizer Zeitschrift für Gynäkologie und Geburtshilfe in der Praxis» 6.2010.
Heterogenität der Krankheit und Konsequenzen für die Therapie Die Diagnostik der BV ist kompliziert, da bisher noch kein einziger kausaler Erreger identifiziert werden konnte. Gardnerella vaginalis kann zwar in fast 100% der Fälle im Vaginalsekret bei Frauen mit klinisch manifester BV nachgewiesen werden, andere Mykoplasmen und verschiedene Anaerobier (v.a. Atopobium) sowie neu identifizierte Spezies kommen aber in unterschiedlicher Konzentration dazu (1).
Interessenkonflikte: keine deklariert
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