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Medikamente bei rheumatoider Arthritis
CLINICIAN REVIEWS (MEDSCAPE)
Die Antizytokin-Therapie bei
der rheumatoiden Arthritis ist
sehr viel teurer als Metho-
trexat, von der frühzeitigen
Verabreichung verspricht man
sich jedoch eine Senkung der
gesamten Lebenszeitkosten.
Sichere Angaben zur Lang-
zeitverträglichkeit fehlen
aber noch, was eine sehr ge-
naue Therapiekontrolle
unumgänglich macht.
Die rheumatoide Arthritis ist mit signifikanter Morbidität und Behinderung assoziiert, aber auch mit frühem Tod. Die rechtzeitige Diagnose und Therapie kann die Progression hin zur irreversiblen Gelenkschädigung und -deformität verlangsamen. Methotrextat bringt zwar keine Heilung, aber bei mehr als 40 Prozent der Betroffenen eine Besserung. Die neueren Antizytokine führen zu symptomatischen und radiologischen Verbesserungen. Die Antizytokin-Therapie ist wesentlich teurer als Methotrexat, von der frühzeitigen Verabreichung dieser selektiveren aggressiven Medikamente verspricht man sich jedoch eine signifikante
Senkung der Lebenszeit-Gesamtkosten. Die Modifikation der Erkrankung mit verbesserter Lebensqualität gilt heute als realistisches Ziel. Bedingung ist ein frühzeitiger Behandlungsbeginn. Neuere Trends bei der rheumatoiden Arthritis sind viel versprechend. So fand eine Untersuchung aus dem Jahr 2001, dass heute weniger Patienten einen Verlauf mit schwerer Behinderung erleiden. Dies wird zumindest teilweise auf die früher einsetzende Behandlung und die effektive Therapie mit krankheitsmodifizierenden Medikamenten (Disease-Modifying Antirheumatic Drugs, DMARD) zurückgeführt. Wenn eine Behandlung auch nur zu kleineren Funktionsverbesserungen führt, bietet dies bei Patienten mit rheumatoider Arthritis grosse gesundheitliche und ökonomische Vorteile. Bei Verdacht ist die frühzeitige Überweisung an den Rheumatologen zur Bestätigung der Diagnose, Einleitung einer aggressiven Therapie und Evaluation des Ansprechens auf die Behandlung wichtig. Die Tabelle gibt Informationen zu Methotrexat und den neueren DMARD. Die Einschätzung der Wirksamkeit stützt sich auf die Richtlinien des American College of Rheumatology (ACR), das Kriterien definiert hat, die subjektive und objektive Parameter zur Erfassung der Therapieantwort im Rahmen klinischer Studien vereinen. ACR20 bedeutet eine 20-prozentige Abnahme der Symptome und Entzündungsbefunde. Mit den neueren Wirkstoffen werden auch eindrücklichere Therapieantworten, zum Beispiel ARC70, bei einem gewissen Prozent der Patienten erreicht.
Entzündungshemmer
In der Vergangenheit waren nichtsteroidale Entzündungshemmer (NSAR) die
Merk-
sätze
q Definitionsgemäss muss ein Basistherapeutikum bei rheumatoider Arthritis (DMARD) eine Verbesserung der körperlichen Funktion und eine Verlangsamung struktureller Gelenkschäden für mindestens ein Jahr bewirken.
q Zytokine gehören zu den Schlüsselmediatoren der Immunfunktion.
q Tumornekrosefaktor-alpha (TNFalpha) und Interleukin-1 (IL-1), die in der Pathologie der rheumatoiden Arthritis eine wichtige Rolle spielen, können heute medikamentös beeinflusst werden.
First-Line-Behandlung der rheumatoiden Arthritis. Bei den meisten Patienten wirken sie symptomatisch sehr gut, bergen aber bei chronischer Einnahme ein nicht unerhebliches Risiko für Nieren- und Leberschäden sowie Förderung von Hypertonie und Herzinsuffizienz. Häufigste Nebenwirkung ist die NSAR-Gastropathie mit ihrem Hospitalisations- und auch Mortalitätsrisiko. Die neueren Coxibe wie Celecoxib (Celebrex®), Rofecoxib (Vioxx®) oder Valdecoxib (Bextra®) bieten zwar eine bessere Verträglichkeit und Schutz vor gastrointestinalen Effekten, nicht aber vor Nieren- und Lebertoxizität. Die Schmerzlinderung ist mit derjenigen der traditionellen NSAR vergleichbar. Viele Patienten mit rheumatoider Arthritis
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Medikamente bei rheumatoider Arthritis
Tabelle: Methotrexat, Leflunomid und die neueren biologischen Antirheumatika
Medikament Methotrexat
Leflunomid (Arava®)
Verabreichung per os, 1 x pro Woche per os, 1 x pro Tag
Wirksamkeit ACR20 = 65%
ACR20 = 51% ACR20 = 56%*
Anakinra (Kineret® ‡) Etanercept (Enbrel®)
subkutan, 1 x pro Tag subkutan, 2 x pro Woche
Infliximab (Remicade®)
intravenös, alle 2 Monate
Adalimumab (Humira®)
subkutan, alle 2 Wochen
ACR20 = 36% ACR20 = 46%* ACR20 = 70%* ACR50 = 39%* ACR70 = 15%*
ACR20 = 59%* ACR50 = 39%* ACR70 = 25%*
ACR20 = 67%* ACR50 = 55%* ACR70 = 27%*
häufige Nebenwirkungen erhöhte Leberwerte
Diarrhö, Nausea, Exanthem, Alopezie, Kopfweh, erhöhte Leberwerte (bis zum Zweifachen der oberen Normgrenze) Reaktionen am Injektionsort, Infektionen, Neutropenie Reaktionen am Injektionsort, Infektionen d. oberen Luftwege, antinukleäre Antikörper, Antikörper gegen Medikament Reaktionen am Injektionsort, Hypotonie, Sinusitis, Kopfweh, Infektionen d. oberen Luftwege, Autoantikörper, Exanthem Infektionen d. oberen Luftwege, Schmerzen am Injektionsort, Kopfweh, Exanthem, Sinusitis
Kontraindikationen Nieren-, Leber-, Lungenerkrankung, Alkoholkonsum Nieren- und Lebererkrankung, Alkoholkonsum
aktive Infektionen
aktive, antibiotikabedürftige Infektionen, nichtkontrollierter Diabetes, chirurgischer Eingriff (postoperativ 2 Wochen Pause) aktive, antibiotikabedürftige Infektionen, nichtkontrollierter Diabetes, chirurgischer Eingriff (postoperativ 2 Wochen Pause) aktive Infektionen
ACR: Kriterien des American College of Rheumatology zur klinischen Erfassung der Therapieantwort. ACR20 bedeutet eine 20-prozentige Abnahme der RA-Symptome pro Ansprechkriterium, ACR50 eine 50-prozentige, ACR70 eine 70-prozentige Abnahme. * in Kombination mit Methotrexat; ‡ Anakinra ist in der Schweiz bisher nicht zugelassen.
möchten sich auf NSAR zur symptomatischen Linderung stützen. NSAR beeinflussen die Progression der Gelenkschädigung jedoch nicht und sind deshalb nicht mehr First-Line-Therapie. Die Rolle der Kortikosteroide bei rheumatoider Arthritis ist nicht klar. Intraartikuläre Injektionen sind bei akuter monoartikulärer Synovitis sehr effektiv, niedrig dosiertes Prednison kann in schweren Fällen die Gelenksfunktion verbessern, und höhere Dosen können akute Schübe kontrollieren helfen. Die krankheitsmodifizierende Rolle von Prednison ist aber im besten Fall beschränkt. Es sollte am ehesten noch zur Überbrückung oder in Kombination mit einem DMARD eingesetzt werden. Eine Steroid-Monotherapie oder der langfristige Einsatz werden wegen der Gefahr von Osteoporose, Hyperglykämie, Infektionen und peptischen Ulzera nicht empfohlen.
DMARD
Definitionsgemäss muss ein DMARD eine Verbesserung der körperlichen Funktion und eine Verlangsamung struktureller Ge-
lenkschäden für mindestens ein Jahr bewirken. Solche Medikamente stehen seit mehr als 20 Jahren zur Verfügung, so etwa Hydroxychloroquin (Plaquenil®), Sulfasalazin (Salazopyrin®), Azathioprin (z.B. Imurek®) oder Methotrexat (div. Generika) und Leflunomid (Arava®). Diese DMARD haben völlig unterschiedliche chemische Strukturen, Pharmakokinetik, Wirkmechanismen und Toxizität. Sie haben keinen direkten analgetischen Effekt und werden breit eingesetzt, um Gelenkschäden zu vermindern und die Gelenkfunktion zu erhalten. Die gewünschte Wirkung dieser Substanzen, einzeln oder in Kombination, kann auch nur zwei bis fünf Jahre anhalten. Methotrexat, Sulfasalazin und auch Leflunomid wirken besonders rasch (innert sechs bis acht Wochen), was eine schnellere Abschätzung des Therapieansprechens erlaubt. Obwohl DMARD die Symptome und Funktionseinschränkungen bei vielen Patienten gut beeinflussen, geht die radiologische Progression (v.a. Gelenkspaltverschmälerung und Knochenerosionen) im Allgemeinen weiter. Methotrexat wird bei vielen Patienten mit rheumatoider Arthritis eingesetzt, entwe-
der allein oder in Kombination. Es kann per os eingenommen oder i.m. injiziert werden. Patienten berichten oft innerhalb von Wochen von einer Besserung, der maximale Effekt tritt innerhalb von sechs Monaten ein. Etwa die Hälfte der Patienten, die mit Methotrexat beginnen, nehmen es auch noch nach fünf Jahren, fast doppelt so lang wie irgendeinen der anderen DMARD. In Langzeituntersuchungen verlangsamte es die radiologische Progression. Trotz potenzieller Toxizität ist Methotrexat für viele Patienten eine gut tolerierte Therapie. Methotrexat kann mit verschiedensten anderen DMARD kombiniert werden. Trotz seiner Kurz- und Langzeitwirksamkeit induziert Methotrexat nur selten eine Remission. Gleichzeitiger Alkoholkonsum ist ein Problem. Sorgfältige Überwachung der Leberfunktion und des Auftretens einer Lungenfibrose (plötzlich einsetzende Atemnot) sind zwingend. Der Knochenmarktoxizität begegnet die gleichzeitge Folsäuregabe. Bei Frauen im gebärfähigen Alter ist eine verlässliche Kontrazeption notwendig. Leflunomid blockiert die Pyrimidinsynthese
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und hemmt die klonale Expression von TLymphozyten, die die chronische Entzündung in den Gelenken hervorrufen und unterhalten können. Auch für Leflunomid ist eine Verlangsamung der radiologischen Progression dokumentiert, die klinischen Erfolgsraten sind mit denjenigen von Methotrexat vergleichbar. Trotz seines guten Sicherheitsprofils ist Leflunomid bei hepatischer Dysfunktion und bei Alkoholkonsum kontraindiziert. Die Substanz hat eine lange Ausscheidungshalbwertszeit von 15 Tagen. Bei Toxizitätszeichen kann die Elimination durch Colestyramin beschleunigt werden.
Zytokinantagonisten Zytokine gehören zu den Schlüsselmediatoren der Immunfunktion. Tumornekrosefaktor-alpha (TNF-alpha) und Interleukin-1 (IL-1), die in der Pathologie der rheumatoiden Arthritis eine wichtige Rolle spielen, können heute medikamentös beeinflusst werden. Die Hemmung von TNF-alpha scheint die Entzündung zu unterdrücken, IL-1-Antagonisten sollen die Gelenkzerstörungen verhindern. Die Zytokinantagonisten, auch als «biologische Antirheumatika» bezeichnet, waren bisher in Kombination mit Methotrexat effektiv. Alle sind kontraindiziert bei aktiven Infektionen und alle können zu Reaktionen am Injektionsort und zu erhöhter Infektanfälligkeit führen. Da die Zytokinantago-
nisten-Behandlung noch relativ neu ist, fehlen sichere Angaben zur Langzeitverträglichkeit, die erst mit den laufend veröffentlichten weiteren Studien klarer abzuschätzen sein wird. Anakinra (Kineret®), ein rekombinanter humaner IL-1-Rezeptorantagonist, ist in den USA bei mittelschwerer und schwerer rheumatoider Arthritis, die auf mindestens einen anderen DMARD nicht angesprochen hat, zugelassen worden. Bisher ist Anakinra in der Schweiz nicht zugelassen. Etanercept (Enbrel®) ist ein Fusionsmolekül, das sich spezifisch an TNF-alpha bindet. Patienten, die auf Etanercept ansprechen, erleben die Besserung innert vier bis acht Wochen. Mit Etanercept wurden auch signifikante Rückgänge bei Senkungsreaktion und C-reaktivem Protein, die als Marker der Krankheitsakitivtät gelten, dokumentiert. Infliximab (Remicade®) ist ein chimärer Antikörper gegen TNF-alpha. Nach Erfolgen bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen ist Infliximab auch bei der rheumatoiden Arthritis zugelassen. Im Allgemeinen erfolgt die Therapie zusammen mit Methotrexat, auch bei Patienten, die auf Methotrexat nicht mehr oder nicht ausreichend ansprechen. Infliximab führt innert sehr kurzer Zeit (innert 24 Stunden) zu ausgeprägten Reduktionen bei Schmerzen, Schwellung, Gelenksteifigkeit und Druckempfindlichkeit. Der maximale Nutzen tritt innert zwei bis vier Wochen ein.
Adalimumab (Humira®) ist ein vollständig humaner monoklonaler Antikörper zur spezifischen Blockierung der TNF-alphaAkitivität. In klinischen Studien hemmte Adalimumab das Fortschreiten der Gelenkzerstörung, verbesserte die körperliche Funktionsfähigeit und reduzierte Behinderung und chronische Müdigkeit. In den USA wartet auch Rituximab (Mabthera®), ein chimärer monoklonaler Antikörper, auf die Zulassung bei rheumatoider Arthritis. Bisher ist Rituximab, das gegen B-Lymphozyten wirksam ist, in der Behandlung von Lymphomen erfolgreich eingesetzt worden. Damit hätte man die Möglichkeit, an einem weiteren Punkt im entzündlichen Geschehen der rheumatoiden Arthritis therapeutisch einzugreifen.
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Karen Hoffman: Medical Management of Rheumatoid Arthritis. Clinician Review 2003; 13(3): 48–53. Mit Passwort zugänglich auf: http://www.medscape.com/viewarticle/ 452471 (Zugriff am 17.3.04)
Halid Bas
Interessenkonflikte werden in der Originalquelle nicht deklariert.
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