Transkript
FORTBILDUNG q FORMATION CONTINUE
Kombinationstherapie bei Arthrose
JOURNAL OF RHEUMATOLOGY
Oft beginnt die schmerzlin-
dernde Behandlung mit einer
Monotherapie. Dabei kom-
men leicht die nichtpharma-
kologischen Massnahmen zu
kurz, und auf die gar nicht
seltene unzureichende
Schmerzunterdrückung wird
nicht mit
Kombinationsbehandlungen
reagiert.
Chronische Schmerzen sind das Hauptproblem bei Patienten mit Arthrose. Erhebungen verschiedener US-amerikanischer Institutionen, die sich um Gelenkerkrankungen kümmern, zeigen, dass eine adäquate Schmerzlinderung oft nicht erreicht wird, schreibt Roy D. Altman in einem Editorial im «Journal of Rheumatology», das die Veröffentlichung einer Studie zur medikamentösen Kombinationstherapie bei Arthrose begleitet (1). Für die beklagte Untertherapierung des Arthroseschmerzes kommen drei Gründe in Frage: 1. fehlende Beachtung des Problems
durch Ärzte und Ärztinnen 2. Vernachlässigung nichtpharmakolo-
gischer Massnahmen wie Gewichtsabnahme und körperliches Training
3. übermässiges Vertrauen in pharmakologische Monotherapien.
Daten der US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC) strichen 1998 die Unterdiagnostik bei chronischen Gelenkerkrankungen heraus. So sollen nur 61 Prozent der Patienten mit Gelenkleiden jeglicher Ursache eine ärztliche Diagnose erhalten haben. Viele Betroffene suchen selbst dann keinen Arzt auf, wenn ihr Leiden sie in den Alltagsaktivitäten behindert und versuchen sich mit irgendwelchen Mitteln ihrer Wahl selbst zu helfen. Auf Bevölkerungsebene betrachtet übertreffen die Einschränkungen und Behinderungen durch Gelenkerkrankungen sogar diejenigen durch kardiovaskuläre Leiden, Erblindung oder Diabetes mellitus. Bei Arthrose kann ein Teufelskreis entstehen: Der Schmerz hindert die Patienten an körperlicher Aktivität, und die Inaktivität beschleunigt dann die Behinderung und verschärft den Gelenkschmerz. Deshalb sind die nichtpharmakologischen Massnahmen – etwa Patientenschulung, stützende Gespräche, Gewichtskontrolle wo nötig, Gehhilfen und Übungen – so wichtig. Hier wird oft gesündigt.
Monotherapie ist oft gut … Heute kann sich die medikamentöse Therapie des Arthroseschmerzes auf eine ganze Reihe von Wirkstoffen abstützen: q Analgetika: Paracetamol (Dafalgan®
u.a.), Tramadol (Tramal® u. Generika), Capsaicin (z.B. Stern-Pflaster), Opioide (z.B. Oxicontin®, Transtec® u.a.), Hyaluronate (z.B. Condrosulf®, Structum®) q Entzündungshemmer: nichtsteroidale Antirheumatika (klassische und COX2-spezifische NSAR), intraartikuläre Depot-Steroide.
Merk-
sätze
q Die Kombinationstherapie – unter Einsatz von Substanzen mit komplementären Wirkmechanismen – hat das Potenzial, Arthrosepatienten zu helfen. Paracetamol, Tramadol, Opioide und NSAR haben verschiedene Angriffspunkte.
q Eine eben publizierte Studie kommt zum Schluss, dass Tramadol/Paracetamol-Tabletten als Zusatzbehandlung zu einer Therapie mit Coxiben in der Behandlung der Osteoarthritis effektiv und sicher waren.
Für alle ist der Nachweis der Überlegenheit gegenüber Plazebo erbracht. Zusätzlich belegen einige Daten auch die Verbesserung der körperlichen Funktion. «Die Herausgeber der wissenschaftlichen Journale, in denen die klinischen Studien publiziert wurden, betrachteten die Ergebnisse also als beachtenswert», schreibt Roy D. Altman mit leiser Ironie.
… reicht aber nicht selten nicht aus «Aber was ist mit den Patienten? Sind die Resultate hinsichtlich Schmerz und körperlicher Funktionsfähigkeit tatsächlich so robust, dass wir sie ohne weiteres auf die Patienten extrapolieren können, die wir in der täglichen Praxis sehen? Werden unsere Patienten mit den Auswirkungen der Behandlung zufrieden sein?» Ein verblüffendes Ergebnis bei der Durchsicht der Literatur zur Arthrose ist der beachtliche
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FORTBILDUNG q FORMATION CONTINUE
Kombinationstherapie bei Arthrose
Prozentsatz von Patienten, die mit einer analgetischen Monotherapie keine adäquate (geschweige denn vollständige) Linderung ihrer Gelenkbeschwerden erfahren. Viele an Arthrose Leidende haben immer noch signifikante Schmerzen, wenn sie ein COX-2-spezifisches NSAR einnehmen. Dasselbe gilt für klassische NSAR oder Paracetamol. Ohne spezifische ärztliche Führung werden die Betroffenen mit Dauer- oder Durchbruchsschmerzen unter Monotherapie das tun, was ihnen zur Erreichung einer adäquaten Schmerzlinderung richtig erscheint. Das kann dann die Einnahme zusätzlicher NSAR-Dosen oder eines weiteren NSAR sein, womit sie sich einem erhöhten Risiko von NSAR-Nebenwirkungen wie Gastropathie aussetzen. Es kann auch dazu kommen, dass sie eine ganze Reihe verschiedener Präparate gleichzeitig einsetzen und so die maximale Tagesdosis von 4 Gramm für Paracetamol überschreiten, was Leberschädigungen nach sich ziehen kann. Angesichts der hohen Prävalenz von Gelenkarthrosen und der oft inadäquaten Schmerzlinderung durch eine initiale Monotherapie, so Altman, kann man davon ausgehen, dass unsachgemässe NSARKombinationen und Analgetika-Überdosierungen in Selbstmedikation zur Morbidität und Mortalität durchaus beitragen. Die Kombinationstherapie – unter Einsatz von Substanzen mit komplementären Wirkmechanismen – hat das Potenzial, Arthritispatienten zu helfen. Paracetamol, Tramadol, Opioide und NSAR haben verschiedene Angriffspunkte.
Tramadol/Paracetamol als Zusatztherapie zu Coxiben Ein solches Kombinationspräparat wurde in einer randomisierten, doppelblinden und plazebokontrollierten Multizenterstudie als Zusatztherapie bei Patienten mit Arthrose untersucht (2). Es handelt sich dabei um die Kombinationstablette von 37,5 mg Tramadol und 325 mg Paracetamol (Zaldiar®). In die drei Monate dauernde Studie wurden Patienten mit seit längerem bestehender Arthrose aufgenommen, die unter Behandlung mit stabilen Dosen eines COX-spezifischen
NSAR (Celecoxib [Celebrex®] oder Rofecoxib [Vioxx®]) noch mindestens mässige Schmerzen hatten. Tramadol/Paracetamol oder entsprechend aussehendes Plazebo wurde bis auf 4 x 1/Tag an Tag 10 titriert und danach bei Bedarf bis zu 8 x 1/Tag. Primärer Wirksamkeitsparameter war der Score auf der visuellen Analogskala (VAS), weitere Messwerte waren Scores auf einer Schmerzlinderungsskala, Eindrücke von Patienten und Studienärzten sowie Therapieabbrüche wegen Wirkungslosigkeit und ausgewählte Scores für Lebensqualität und körperliche Funktionsfähigkeit. In die Intention-to-treat-Analyse gingen je 153 Patientinnen und Patienten ein, die entweder Tramadol/Paracetamol oder Plazebo erhalten hatten. Der mittlere VASScore lag bei den Patienten, die zum Coxib zusätzlich Tramadol/Paracetamol erhalten hatten, signifikant tiefer als bei den zusätzlich mit Plazebo Behandelten (41,5 vs. 48,3, p = 0,025). Die mittleren finalen Schmerzlinderungsscores waren in der Tramadol/Paracetamol-Gruppe signifikant höher (p = 0,002). Signifikante Verbesserungen wurden auch bei weiteren Parametern wie körperlicher Funktion (WOMAC) oder Beurteilung durch Patienten und Ärzte verzeichnet. Die mittlere Dosis lag bei 4,1 Tabletten des Tramadol/Paracetamol-Präparats. Die Studienautoren kommen zum Schluss, dass die geprüften Tramadol/Paracetamol-Tabletten als Zusatzbehandlung zu einer Therapie mit Coxiben in der Behandlung der Arthrose effektiv und sicher waren. Dieser Einschätzung schliesst sich auch der Editorialist an. Tramadol biete hinsichtlich der Verträglichkeit Vorteile gegenüber Opioiden wie Oxycodon oder Hydrocodon. Dennoch weist er darauf hin, dass etliche Nebenwirkungen in dieser Studie in der Tramadol/Paracetamol/CoxibGruppe im Vergleich zur Plazebo/CoxibGruppe doch signifikant häufiger waren: Somnolenz (6,5% vs. 0,7%), Übelkeit (4,6% vs. 0,7%), Konstipation (3,3% vs. 0,0%), Müdigkeit (2,6% vs. 0,0%) und Erbrechen (1,3% vs. 0,0%). Diese Nebenwirkungen dürften auf die TramadolKomponente zurückgehen. Insgesamt war die Auswirkung dieser Nebenwirkungen
aber doch relativ gering: in der Tramadol/ Paracetamol-Gruppe brachen 13 Prozent die Behandlung wegen Nebenwirkungen ab, in der Plazebogruppe waren es 4 Prozent.
Mehr Kombinationen prüfen!
Da die Optimierung des Nutzen-Risiko-
Verhältnisses das Ziel sei, müsse man sich
fragen, wie der Behandlungsnutzen bei
blosser Zugabe von Paracetamol zur
NSAR-Therapie (unspezifisch oder COX-2-
Hemmer) aussehen würde, schreibt Roy
D. Altman. Solche Kombinationsbehand-
lungen kämen zwar in der Praxis häufig
vor, allzu viele publizierte Daten dazu
gebe es aber nicht. Die bekannten Stu-
dien deuten jedoch darauf hin, dass die
Kombination eines NSAR mit Paracetamol
das Potenzial zu verbesserter Wirksamkeit
und Verträglichkeit hat.
Der Editorialist findet, dass auch nach die-
ser Studie zur Ergänzung einer NSAR-Be-
handlung mit Tramadol/Paracetamol noch
immer viele Fragen zur Kombinationsthe-
rapie bei Arthrose offen bleiben – und for-
dert weitere, ähnlich angelegte Studien
zu möglichst vielen Variationen in der
Kombination von Wirkstoffen, die bei
Arthrose den chronischen Schmerz lin-
dern können.
q
1. Roy D. Altman (David Geffen School of Medicine at the University of California, Los Angeles/USA): Pain relief in osteoarthritis: the rationale for combination therapy. J Rheumatol 2004; 31: 5. 2. Ronald Emkey (Radiant Research/Reading, Wyomissing/USA) et al.: Efficacy and safety of tramadol/acetaminophen tablets (ultracet®) as add-on therapy for osteoarthritis pain in subjects receiving a COX-2 nonsteroidal antiinflammatory drug: a multicenter, randomized, doubleblind, placebo-controlled trial. J Rheumatol 2004; 31: 150–156.
Halid Bas
Interessenlage: Roy D. Altman deklariert keine Interessenkonflikte. Sponsor der Tramadol/Paracetamol-Studie war die Firma Ortho-McNeil Pharmaceutical in Raritan, New Jersey/USA.
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