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ÜBERSICHT q APERÇU
EULAR-Empfehlungen 2003 zur Gonarthrose
ANNEGRET CZERNOTTA
Unter einer Gonarthrose
(Kniegelenksarthrose) sind
alle degenerativen Erkran-
kungen des Kniegelenkes zu
verstehen. Sie ist gekenn-
zeichnet durch eine zu-
nehmende Zerstörung des
Gelenkknorpels unter Mit-
beteiligung der Gelenkstruk-
turen wie Knochen, Gelenk-
kapsel sowie gelenknaher
Muskulatur.
Die Gonarthrose ist ein Hauptverursacher von chronischen Schmerzen. Die Behandlungsoptionen setzen sich aus pharmakologischen, nichtpharmakologischen und chirurgischen Optionen zusammen. 1995 definierte das Institute of Medicine in Washington klinische Richtlinien, um die praktizierenden Ärzte und Patienten in ihren Entscheidungen bezüglich der Therapie zu unterstützen. Diese wurden für die Behandlung der Arthrose durch das American College of Rheumatology (1) und das Royal College of Physicians (2) publiziert. Die entstandenen Richtlinien aus Konsensus-Empfehlungen von Expertengruppen wurden erstmals im Jahr
Tabelle 1: E U L A R - E m p f e h l u n g e n 2 0 0 3
1. Das optimale Management der Gonarthrose erfordert eine Kombination medikamentöser und nichtmedikamentöser Behandlungsmodalitäten.
2. Die Behandlung der Gonarthrose muss individuell erfolgen nach: (a) Knie-Risikofaktoren (Adipositas, ungünstige mechanische Faktoren, körperliche Aktivitäten) (b) generellen Risikofaktoren (Alter, Komorbiditäten, Polypharmazie) (c) Schmerzintensität und Bewegungseinschränkung (d) Entzündungszeichen, beispielsweise Erguss (e) Lokalisierung und Grad des strukturellen Schadens.
3. Zu den nichtmedikamentösen Behandlungsmassnahmen gehören die Patientenaufklärung, regelmässiges körperliches Training, die Benutzung eines Stockes, geeignetes Schuhwerk (speziell die Sohlen) und die Verminderung von Übergewicht.
4. Paracetamaol ist das Schmerzmittel der ersten Wahl und ist bei genügender Wirksamkeit über längere Zeit zu verabreichen.
5. Topische Applikationen (nichtsteroidale Antirheumatika [NSAR], Capsaicin) sind klinisch effizient und sicher.
6. NSAR sollen angewendet werden bei Patienten, die auf Paracetamol nicht ansprechen. Bei Patienten mit erhöhtem gastrointestinalem Risiko sollen NSAR mit Gastroprotektiva oder selektive COX-2-Hemmer eingesetzt werden.
7. Opioide mit oder ohne Paracetamol sind eine Alternative bei Kontraindikation, Ineffektivität und/oder Intoleranz gegenüber NSAR inklusive selektiver COX-2Hemmer.
8. SYSADOA (SYmptomatic Slow-Acting Drug in OsteoArthritis) wie Glukosaminschwefelsäure, Chondroitinschwefelsäure, Diacerein, Hyaluronsäure haben symptomatische Effekte und scheinen eine modulierende Wirkung auf die Struktur des Knorpels zu haben.
9. Intraartikuläre Injektionen oder lang wirksame Kortikosteroide sind indiziert für aufflammende Knieschmerzen, besonders in Kombination mit einem Erguss.
10. Prothesen müssen in Betracht gezogen werden bei radiografischer Evidenz einer Gonarthrose und bei hartnäckigen Schmerzen zusammen mit einer Behinderung.
2000 präsentiert (3). Die Schweiz wurde durch den Rheumatologen Hans Jürg Häuselmann aus Zürich vertreten. Ein weiteres Update der im Jahr 2000 publizierten Guidelines wurde letztes Jahr durchgeführt. 497 neue Publikationen wurden identifiziert. 103 davon waren Interventionsstudien. Total wurden 545 in die
neuen Empfehlungen 2003 aufgenommen. Über den Zugang der Evidence Based Medicine (EBM) fanden 23 Experten schliesslich einen Konsensus zu zehn Empfehlungen, die die Behandlung der Gonarthrose zusammenfassen (Tabelle 1 [4]). Die Meinung der Experten wurde durch die Resultate von mehreren rando-
8 ARS MEDICI DOSSIER XIq2004
ÜBERSICHT q APERÇU
EULAR-Empfehlungen 2003 zur Gonarthrose
Tabelle 2: D i e t h e r a p e u t i s c h e n M o d a l i t ä t e n
Intervention
Acetaminophen/ Paracetamol Opioide
Evidenzgrad 1B 1B
Effektivität/ Range
Gewicht der Empfehlung A
B
NSAR
Konventionelle NSAR
1A
0,47–0,96
A
Coxibe
1B 0,5 A
Topische NSAR
1A
-0,05–1,03
A
Antidepressiva Topisches Capsaicin Sexualhormone
1B B
1A
0,41–0,56
A
2B C
SYSADOA Glukosamin Chondroitin Diacerein ASU IA Hyaluronsäure
1A
0,43–1,02
A
1A
1,23–1,50
A
1B B
1B
0,32–1,72
B
1B
0,0–0,9
B
Diät Pflanzliche Heilmittel Minerale/Vitamine Instruktionen Bewegung Telefonkontakte Akupunktur Laser gepulster EMF Badetherapie TENS Ultraschall Gewichtsverlust Schuheinlagen Orthotische Unterstützungen IA Kortikosteroid Lavage/Tidale Irrigation Arthroskopie/Debridement Osteotomie UKR TKR
1B 1B 1B 1A 1B 1B 1B 1B 1B 1B 1B 1B 1B 1B 1B 1B 1B 1B 3 3 3
0,65 0,23–1,32
0,28–0,35 0,57–1,0 1,09 0,25–1,74 0,87
1,0 0,76
1,27 0,84
B B C A A B B B B C B C B B B A B C C C C
Kategorien: 1A: Metaanalysen aus RCT (randomisierte, kontrollierte Studien) 1B: aus mindestens einem RCT 2A: zumindest eine kontrollierte Studie ohne Randomisierung 2B: zumindest eine quasiexperimentelle Studie 3: deskriptive Studien wie Vergleichsstudien, Korrelationsstudien oder Case-Control-Studien 4: Expertenberichte oder -meinungen und/oder klinische Erfahrung von anerkannten Autoritäten EMF = gepulste Magnetfeld-Therapie, TENS = transkutane elektrische Nervenstimulation, ASU = Avocado/Sojabohnen unsaponifiabel (Extrakt), UKR = ungekoppelte Knieprothese, TKR: totale Knieprothese, IA = intraartikuläre
misierten Studien gestützt, wonach bei
Patienten mit einer Kniegelenksarthrose
durch die Kombination von pharmakolo-
gischen und nichtpharmakologischen Be-
handlungsmodalitäten eine wesentlich
bessere Schmerzreduktion als durch allei-
nige medikamentöse Therapie erreicht
werden kann. Evidenzkategorien waren
adaptiert an die Klassifikation der United
States Agency for Health Care Policy and
Research. Evidenz erfolgte nach Studien-
design und auftretenden Bias. In Tabelle 2
sind die auf Evidenz basierten empfohle-
nen Interventionen aufgeführt.
q
Quellen: 1. Scott D.L.: Guidelines for the diagnosis, investigation and management of osteoarthritis of the hip and knee. Report of a Joint Working Group of the British Society and the Research Unit of the Royal College of Physicians. J.R. Coll Physicians Lond 1993; 27: 391–396. 2. American College of Rheumatology subcommittee on osteoarthritis guidelines: Recommendations for the medical management of osteoartritis of the hip and knee. Arthritis Rheum 2000; 43: 1905–1915. 3. Pendleton A., Arden N., Dougados M. Doherty M., Bannwarth B., Bijlsma J.W. et al.: EULAR recommendations for the management of knee osteoarthritis: report of a task force of the Standing Committee for International Clincal Studies Including Therapeutic Trials (ESCISIT). Annals of the Rheumatic Diseases, 2000; 59; 936–944. 4. Jordan K.M. Arden N.K. et al.: EULAR Recommendations 2003: an evidence based approach to the management of knee osteoarthritis: Report of a Task Force of the Standing Committee for International Clinical Studies Including Therapeutic Trials (ESCISIT). Ann Rheum Dis 2003; 62: 1145–1155.
Annegret Czernotta
10 A R S M E D I C I D O S S I E R X I q 2 0 0 4