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Thiaziddiuretika – erste Wahl zur Schlaganfallprävention
Bieten diese Antihypertensiva einen spezifischen Schutz für Hochdruckpatienten?
ARCHIVES OF INTERNAL MEDICINE
Diuretika haben einen zere-
broprotektiven Effekt, den
andere Antihypertensiva so
nicht aufweisen. Dies legen
die bislang vorliegenden Stu-
dien nahe, meint ein Auto-
renteam um Franz H. Messerli
in einem Beitrag für die
«Archives of Internal Medicine».
Dass eine blutdrucksenkende Therapie bei Hypertonikern das Risiko eines Schlaganfalls senkt, ist seit langem bekannt. Selbst die isolierte systolische Drucksenkung reicht dazu aus. Viele der erfolgreich verlaufenden einschlägigen Studien basieren auf der Behandlung mit Diuretika. Unklar ist indessen geblieben, ob die Wirksamkeit allein der Blutdrucksenkung geschuldet ist oder aber ob womöglich Diuretika einen spezifischen Effekt aufweisen, der über die Blutdrucksenkung hinausgeht. Genau dieser Frage widmet sich ein Autorenteam um Franz H. Messerli in einem Beitrag für die «Archives of Internal Medicine», genauer gesagt, es versuchte Evidenzen für eine solche Hypothese zusammenzutragen. Erst in jüngster Zeit konnte die Wirksamkeit einer antihypertensiven Sekundärprophylaxe des Schlaganfalls erneut unter Beweis gestellt werden, in der PROGRESS
(Perindopril Protection Against Recurrent Stroke)-Studie. Dabei gelang es, bei Patienten mit einer zerebrovaskulären Erkrankung mit dem Chlorthalidon-Abkömmling Indapamid (z.B. Fludapamid®) und dem ACE-Hemmer Perindopril (Coversum®) das Schaganfallrisiko um 43 Prozent zu senken (relative Risikoreduktion). Das Besondere daran war jedoch, dass Perindopril allein, trotz Blutdrucksenkung um durchschnittlich 5/3 mmHg, die Schlaganfallrate nicht zu beeinflussen vermochte. Der ACE-Hemmer war für sich genommen also in dieser Hinsicht unwirksam, der Effekt ging mutmasslich vorzugsweise auf das Konto des Diuretikums. Einen entsprechenden Effekt hat Indapamid bereits bei einer vergleichbaren Blutdrucksenkung in der Poststroke Antihypertensive Treatment Study (PATS) unter Beweis gestellt, wo die (relative) Risikoreduktion 29 Prozent betrug.
Eine 20 Jahre alte Idee
Die Idee, Diuretika könnten über einen besonderen Wirkmechanismus jenseits der Blutdrucksenkung verfügen, geht schon auf das Jahr 1985 zurück und fällt mit der Publikation der MRC (Medical Research Council)-Studie zusammen. In dieser Untersuchung erwies sich das Diuretikum Bendroflumethiazid (im Kombinationspräparat Inderetic®) hinsichtlich der Schlaganfallprävention als dreimal so wirksam wie der Betablocker Propanolol (Inderal®) in der Verhütung von Schlaganfällen. Bei bestimmten Subgruppen, beispielsweise männlichen Rauchern, war der Unterschied sogar noch ausgeprägter, da bei ihnen Propanolol trotz Blutdrucksenkung überhaupt keinen Beitrag zur Schlaganfallverhütung leistete. In einer grossen Metaanalyse bestätigte sich, dass (hoch dosierte)
Merk-
sätze
q Diuretika sind bei Menschen mit Bluthochdruck am besten zur Schlaganfallprävention geeignet.
q Manches spricht für die Hypothese, dass Diuretika eine protektive Schutzwirkung zukommt, die anderen Antihypertensiva nicht eignet.
Diuretika das Schlaganfallrisiko um 50 Prozent zu senken vermögen. In der Untersuchung wurden 48 000 Patienten ausgewertet. Mit Betablockern gelang nach dieser Analyse immerhin eine Risikoverringerung um 29 Prozent. Messerli et al. weisen auch auf eine Studie von Klungel aus dem Jahr 2001 hin. Dabei wurden etwa 1200 Patienten untersucht, die eine antihypertensive Monotherapie erhielten und keine kardiovaskuläre Erkrankung aufwiesen. Es zeigte sich, dass das Risiko eines ischämischen Insults 2- bis 2,5-mal höher war unter Betablockern, Kalziumantagonisten oder ACE-Hemmern verglichen mit Diuretika. Das Captopril Prevention Project (CAPPP) ergab zudem eine erhöhtes Schlaganfallrisiko unter dem ACE-Hemmer Captopril verglichen mit Betablockern und Diuretika. Zuletzt hat die viel diskutierte ALLHAT (Antihypertensive and Lipid-Lowering Treatment to Prevent Heart Attack Trial) gezeigt, dass Chlorthalidon (auch) in puncto Schlaganfallprävention besser abschneidet als Lisinopril (z.B. Prinil®) und Doxazosin (Cardura® CR).
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Thiaziddiuretika – erste Wahl zur Schlaganfallprävention
Schwächt eine Kombinationstherapie die Protektion?
Interessant ist zudem folgende Beobachtung: Der zerebrovaskuläre Effekt von Diuretika scheint sich abzuschwächen, sobald sie in Kombination mit bestimmten anderen Antihypertensiva eingesetzt werden. Dies suggerieren zumindest Untersuchungen wie die MRC-Studie, in der die Hinzugabe von Propanolol bei Patienten mittleren und höheren Lebensalters einen entsprechenden Effekt auslöste. In der Systolic Hypertension in the Elderly (SHEP) wiederum hatten Patienten, die eine Kombination aus Betablocker und Diuretika einnahmen, ein um 34 Prozent höheres Schlaganfallrisiko als diejenigen, die ausschliesslich ein Diuretikum erhielten. Die Annahme, die kombiniert Behandelten hätten von vornherein ein höheres Risiko gehabt, lässt sich nach Auffassung der Autoren entkräften. Ausgehend von diesen Ergebnissen preschen Messerli und seine Kollegen zu einer gewagten Hypothese vor. Ausgangspunkt ihrer Überlegungen ist der Umstand, dass die (altersadaptierte) Mortalität für Schlaganfall in den Siebzigerund Achtzigerjahren deutlich gesunken ist, jedoch seit den Neunzigerjahren auf einem Plateau verharrt – genau zu einer Zeit, in der die Blutdruckkontrolle der Bevölkerung in den westlichen Industrieländern besser wurde als zuvor. Seither werden aber den Diuretika vermehrt andere Antihypertensiva hinzugefügt, oder Diuretika wurden ganz durch neuere Präparate verdrängt. Die Schlussfolgerung drängt sich auf: «Könnte es sein, dass Diuretika einen spezifischen Effekt auf den zerebrovaskulären Blutkreislauf haben, den andere Antihypertensiva nicht haben, und könnte die Abnahme der Diuretika-
verschreibung dazu geführt haben, dass keine weitere Abnahme der Schlaganfallrate mehr erreicht wurde?»
Mutmassungen über den Wirkmechanismus
Wenn genau dies der Fall sein sollte, stellt sich die Frage, welcher pathophysiologische Mechanismus dahinterstecken könnte. Mit einer riskanten Hypothese warteten Brown und Brown gleich im Anschluss an die Publikation der MRC auf. Sie gaben der Annahme Ausdruck, dass die Aktivierung des Renin-AngiotensinAldosteron-Mechanismus mitsamt erhöhtem Angiotensin-II-Spiegel einen Schutz für die Hirngefässe bedeute. Wie sollte das angehen? Indem Angiotensin II die vorwiegend grossen zerebralen Gefässe zur Vasokonstriktion veranlasst und dadurch hilft, die kleineren striatalen Arterien zu schützen; in ihnen sind nämlich zumeist die Charcot-Boudard-Aneurysmen lokalisiert, deren Ruptur wiederum die häufigste Ursache ist für eine intrazerebrale Blutung bei hypertonen Patienten. Fournier hat diese These später verfeinert, indem er die Vermutung äusserte, es komme auf die Angiotensin-II-non-AT1Rezeptoren an. Diese werden im Zug einer globalen Hirnischämie aufreguliert und dienen womöglich als Mediatoren für protektive Mechanismen, etwa die Rekrutierung kollateraler Blutzirkulation und die Abschwächung der neuronalen Apoptose. Folglich wäre denkbar, dass die Angiotensin-II-Antagonisten, die den AT1Rezeptor blockieren (und dies unter Aussparung des Non-AT1-Rezeptors), besseren Schutz verleihen als ACE-Hemmer, die nicht selektiv wirken. In der LIFE (Losartan Intervention for Endpoint Reduction in Hypertension)-Studie reduzierte der
A-II-Antagonist das Schlaganfallrisiko um
25 Relativprozent besser als der Beta-
blocker Atenolol (z.B. Atenil®) – bei ver-
gleichbarer Blutdruckreduktion.
Insgesamt könnten die gemutmassten
Mechanismen eine Erklärung dafür bie-
ten, dass eine stärkere Stimulation von
AT1-Rettungsmechanismen durch Diure-
tika, A-II-Antagonisten und Kalziumant-
agonisten im Gegensatz zu Betablockern
und ACE-Hemmern eine grössere Schutz-
wirkung nach sich zieht – und zwar bei
Patienten ohne kardiovaskuläre Erkran-
kung. Etwas anders sieht es nämlich bei
Herzkranken aus, bei denen der Schlagan-
fall oft direkt von der kardialen Erkran-
kung beziehungsweise vom Losreissen
atherosklerotischer Plaques abhängt. In
einer solchen Population dürften ACE-
Hemmer deutlich günstiger wirken. Mit
der Fournier-Hypothese lässt sich jeden-
falls, nach Meinung der Autoren, erklä-
ren, warum bei Herzkranken die Unter-
schiede in der Schlaganfallprävention
zwischen einer diuretischen und einer
nichtdiuretischen Therapie deutlich weni-
ger ausgeprägt ausfallen. Insgesamt, so
das Fazit der Autoren, zeigen die Befunde,
dass Diuretika gerade bei Hypertonikern
mit zerebrovaskulärem Risiko die Mittel
der ersten Wahl sind, in Mono- oder Kom-
binationstherapie.
q
Franz H. Messerli et al.: Do thiazid diuretics confer specific protection against stroke? Arch Intern Med 2003; 163: 2557–2560.
Uwe Beise
Interessenkonflikte: Die Autoren geben an, «keine relevanten finanziellen Interessen» bezüglich dieses Artikels zu haben.
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