Transkript
FORTBILDUNG q FORMATION CONTINUE
Omega-3-Fettsäuren bei kardiovaskulären Erkrankungen?
Der aktuelle Stand des Wissens
BRITISH MEDICAL JOURNAL
Dem Verzehr von Fisch bezie-
hungsweise der Einnahme
von Fischöl-Präparaten wird
eine kardioprotektive Schutz-
wirkung zugeschrieben. Eine
Autorengruppe hat den Stand
des Wissens in einem klini-
schen Review im «British
Medical Journal» zusammen-
gefasst.
Die Bewohner der Insel Grönland sterben selten an kardiovaskulären Erkrankungen, und dies, obwohl sie sich gern fettreich ernähren. Wie kann das angehen? Vor etwa drei Jahrzehnten brachten die dänischen Forscher Bang und Dyerborg die Vermutung ins Spiel, dahinter stünde eben sehr wohl die Ernährung der Inselbewohner, bei denen Fisch, Robben und Wal häufig auf dem Speisezettel stehen. Ihnen gemein ist der Reichtum an Omega3-Fettsäuren, mehrfach ungesättigten Fettsäuren also, bestehend aus Eikosapentaensäure und Dokosahexaensäure.
Epidemiologie und klinische Studien Tatsächlich bestätigten die meisten Beobachtungsstudien die inverse Beziehung
zwischen Fischverzehr und kardiovaskulärem Risiko. Menschen mit hohen Blutkonzentrationen von Omega-3-Fettsäuren erleiden zudem seltener einen plötzlichen Herztod. Einem systematischen Review von elf Prospektivstudien zufolge scheint hoher Fischkonsum die KHK-Mortalität bei Menschen mit erhöhtem Risiko zu senken. Verschiedene klinische Studien haben den Effekt von Fisch und Fischöl-Präparaten auf die KHK untersucht, vor allem bei Patienten nach Myokardinfarkt. Zu ihnen gehört etwa der Diet and Reinfarction Trial (DART), an dem gut 2000 Männer mit Herzinfarkt teilnahmen. Die Patienten, die sich fischreich ernährten, hatten eine um 29 Prozent reduzierte Mortalität in den folgenden zwei Jahren, hauptsächlich aufgrund der verringerten kardiovaskulären Sterblichkeit. Die Gruppo Italiano per lo Studio della Soppravvivenza nell’ Infarto Miocardico Prevenzione (GISSI-Prevenzione) ist mit rund 11 000 Teilnehmern die grösste randomisierte Prospektivstudie zur Frage des Nutzens von Fischöl in der Infarkt-Sekundärprophylaxe. In der Studie wurde die Gabe von 850 mg Omega-3-Fettsäuren, 300 mg Vitamin E sowie deren Kombination mit einer ausschliesslichen Standardtherapie verglichen. Nach 3,5 Jahren erfuhr die Patientengruppe, die FischölPräparate einnahm, eine 15-prozentige Mortalitätsreduktion im kombinierten primären Endpunkt – Gesamtmortalität, nichttödlicher Infarkt und Schlaganfall. Vitamin E erwies sich als untauglich. Das relative Risiko für kardiovaskulären Tod war unter dem Fischöl-Präparat ebenfalls um 30 Prozent veringert, das von plötzlichem Herztod gar um 45 Prozent. Die Effekte waren bereits nach vier Monaten nachweisbar.
Merk-
sätze
q Der Verzehr von Fisch oder die Einnahme von Fischöl-Präparaten kann offenbar bei Patienten nach Herzinfarkt von Nutzen sein.
q Die Wirkmechanismen sind noch nicht hinreichend aufgeklärt.
q Eine plazebokontrollierte Prospektivstudie fehlt bislang noch.
q Studien sollen ausserdem klären, ob auch Patienten mit Angina pectoris oder linksventrikuärer Dysfunktion von Omega-3-Fettsäuren profitieren können. Die American Heart Association empfiehlt aber bereits die Einnahme von Fischöl-Präparaten bei KHKPatienten.
Eine kleine norwegische Studie dagegen ergab keinen Nutzen bei Patienten nach Infarkt im Vergleich mit Plazebo, möglicherweise, so die Autoren, weil die Bewohner ohnehin einen hohen Fischkonsum haben und eine zusätzliche Supplementierung keinen weiteren Nutzen hinzufügt. In einer kürzlich veröffentlichten Studie bei 3000 Männern mit Angina pectoris hatten die Probanden mit erhöhtem Fischkonsum unerwarteterweise ein erhöhtes kardiovaskuläres Mortalitätsrisiko. Allerdings weist die Studie einige methodische Mängel auf, welche eine vorsichtige Interpretation verlangen.
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FORTBILDUNG q FORMATION CONTINUE
Omega-3-Fettsäuren bei kardiovaskulären Erkrankungen?
Wirkmechanismen
Trotz der insgesamt positiven Studienergebnisse bleiben die Mechanismen bis heute letztlich noch etwas vage. Es gibt eine Reihe von Erklärungsansätzen, jeder ist aber noch mit Fragezeichen zu versehen. Die ersten Mutmassungen liefen auf einen antithrombotischen Effekt der Omega-3-Fettsäuren hinaus. Heute werden aber auch beispielsweise antiarrythmische Effekte diskutiert. Möglicherweise sorgen Omega-3-Fettsäuren auch für eine Stabilisierung arteriosklerotischer Plaques und machen diese so weniger rupturanfällig, was die verringerte Zahl plötzlicher Herztode erklären könnte. Zudem senken Omega-3-Fettsäuren den Blutdruck durch Einwirkung auf die Endothelfunktion – ein Effekt, der zwar nur geringfügig ist, aber vielleicht nicht ohne Belang. Eine kürzlich erschiene Metaanalyse von 36 randomisierten Studien ergab eine systolische Blutdrucksenkung um 2,1 mmHg, diastolisch verringerte sich der Blutdruck danach um 1,6 mmHg. Auch die Senkung der Trigylzerid-Konzentrationen wurde zur Erklärung herangezogen, allerdings findet diese erst bei hohen Fischöl-Dosen über 3 g pro Tag in nennenswertem Umfang statt.
Klinische Indikationen
Nach Auffassung der Autoren können Fisch und Fischöl-Präparate nach derzeitiger Datenlage zur Sekundärprävention
des Myokardinfarkts in Betracht gezogen werden. Patienten sollten dabei 1 g Omega-3-Fettsäuren zu sich nehmen. Das entspricht mindestens zwei Mahlzeiten fetthaltigen Fisches pro Woche. Reich an Omega-3-Fettsäuren sind etwa Thunfisch, Lachs, Atlantikheringe, Sardinen, Heilbutt, Flunder, Garnelen, Regenbogenforelle oder Scholle. Fischöl-Kapseln (z.B. Eicopsapen®, Epacaps®) können bei Menschen verabreicht werden, die Fisch nicht vertragen oder nicht mögen. Die jüngsten Richtlinien der American Heart Association gehen noch einen Schritt weiter. Sie listen Fischkonsum auch zur Prophylaxe einer dokumentierten stabilen KHK. Die Autoren des BMJ halten diesbezüglich aber zunächst weitere Studien für notwendig, einige andere Experten haben generell noch Zweifel an der hinreichenden Therapieevidenz von FischölPräparaten. Immerhin erscheint auf der Basis der vorliegenden Studien eine fischreiche Ernährung empfehlenswert. Gleichwohl sollten solche Ratschläge auch die Sicherheitsaspekte berücksichtigen. Einige Berichte zeigen, dass in bestimmten Fällen Fischöl die Blutzuckerkontrolle bei Diabetikern beeinträchtigen kann. Andererseits hat eine prospektive Kohortenstudie bei Diabetikern geizeigt, dass Diabetiker, die grosse Mengen Omega-3Fettsäure zu sich nehmen, eine geringere Inzidenz von KHK und Mortalität aufweisen. Bedenken sind gegenüber der Belastung von Fisch mit toxischen Stoffen, namentlich von Quecksilber, geäussert
worden. Eine Studie hat gezeigt, dass entsprechend belasteter Fisch die kardioprotektiven Effekte teilweise eliminiert. Die Kontaminationen sind ausgeprägter bei grösseren Raubfischen. Die BMJ-Autoren empfehlen, verschiedene Fischsorten auf den Tisch zu bringen.
Ausblick
Trotz der Fortschritte in den letzten drei Dekaden seien eine Reihe von Fragen ungelöst geblieben, vermerken die Autoren. Eine Doppelblindstudie mit Fischöl-Kapseln bei Infarktpatienten sei dringend erforderlich. Auch sei der Nutzen von Omega-3-Fettsäuren bei Menschen mit KHK-Risikofaktoren bislang nicht untersucht. Wichtig sei auch eine verstärkte Grundlagenforschung, um die tatsächlichen Wirkmechanismen aufzudecken. q
Jehangir N. Din et al.: Omega 3 fatty acids and cardiovascular disease – fishing for a natural treatment. BMJ 2004; 328: 30–35.
Uwe Beise
Interessenkonflikte: keine
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