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Angiotensin-IIAntagonisten
Ihre Rolle in der antihypertensiven Pharmakotherapie
LUKAS SPIEKER UND T H O M A S F. L Ü S C H E R
Für die Behandlung der arteriellen Hypertonie steht eine Batterie an Erstlinienmedikamenten zur Verfügung. Eine Vielzahl von Studien belegt die unübertroffene Wirksamkeit der «alten» Diuretika und Betablocker. Das angestrebte Blutdruckziel wird aber oft nicht mit einer Monotherapie zu erreichen sein. Besonders bei Vorliegen eines häufig mit Hypertonie vergesellschafteten Diabetes, einer Nieren- oder Herzinsuffizienz sollte der Blockierung des Renin-AngiotensinAldosteron-Systems der Vorzug gegeben werden.
Die arterielle Hypertonie stellt einen Hauptrisikofaktor für Myokardinfarkt, Herzinsuffizienz, Hirnschlag, arterielle Verschlusskrankheit und Niereninsuffizienz dar. Weltweit sind etwa eine Milliarde Menschen von der arteriellen Hypertonie betroffen. Die zunehmende Lebenserwartung wird die Prävalenz der Hypertonie weiter steigern. So liegt das Risiko eines normotensiven 55-Jährigen, jemals hyperton zu werden, bei 90 Prozent. Das Bewusstsein für den Risikofaktor ist mangels Symptomen oft nicht vorhanden. Aus dem gleichen Grund ist die Motivation zur konsequenten Behandlung auf Seiten des Patienten (und konsekutiv auch des behandelnden Arztes) oft gering.
Neue Strategien zur Risikobeurteilung
Beeindruckenderweise verdoppelt sich das kardiovaskuläre Risiko mit jeder Blutdruckerhöhung um 20/10 mmHg, ausgehend von einem Blutdruck von 115/75 mmHg. In den neuesten Empfehlungen des Joint National Committee on Prevention, Detection, and Treatment of High Blood Pressure (JNC 7) werden Personen mit einem systolischen Blutdruck zwischen 120 und 139 mmHg (oder einem diastolischen Blutdruck zwischen 80 und 89 mmHg) denn auch als prähypertensiv beurteilt. Entsprechend sollen bei diesen Patienten Lebensstil-Modifikationen empfohlen werden (Tabelle 1). Die Entscheidung, den erhöhten Blutdruck zusätzlich mit medikamentösen Massnahmen zu senken, hängt nicht nur von den Blutdruckwerten, sondern vom gesamten kardiovaskulären Risiko und allfälligen Vorhandensein einer Endorganschädigung ab (Tabelle 2). Diese beiden Punkte sind deshalb neben dem Aus-
Merk-
sätze
q Für die arterielle Hypertonie als häufiger kardiovaskulärer Risikofaktor steht eine Batterie an wirksamen Medikamenten zur Verfügung. Die «alten» Diuretika und Betablocker sind in ihrer Wirksamkeit unübertroffen und vergleichsweise kostengünstiger.
q Bei der Auswahl des Antihypertensivums spielen aber auch Komorbiditäten eine wichtige Rolle.
q Besonders bei Vorliegen eines häufig mit Hypertonie vergesellschafteten Diabetes, einer Nieren- oder Herzinsuffizienz sollte der Blockierung des ReninAngiotensin-Aldosteron-Systems der Vorzug gegeben werden.
schluss sekundärer Ursachen Eckpfeiler der Hypertonieabklärung. Das SCOREModell (Systematic Coronary Risk Evaluation) der europäischen Kardiologie-Gesellschaft (ESC) erleichtert das Abschätzen des kardiovaskulären Risikos aufgrund von Geschlecht, Alter, Raucherstatus, Blutdruck und Cholesterin-Wert (im Internet unter: www.escardio.org/prevention). Als Ziel der antihypertensiven Therapie wird ein Blutdruck unter 140/90 mmHg angesehen, bei Patienten mit Diabetes oder Niereninsuffizienz unter 130/80 mmHg. Diese Blutdruckzielwerte streben die grösstmögliche Reduktion kardiovaskulärer
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Tabelle 1: Lebensstil-Modifikationen bei der Behandlung der Hypertonie
Modus
Gewichtsreduktion Fettarme Ernährungsumstellung mit viel Früchten und Gemüse Reduktion der Salzeinnahme Körperliche Aktivität Einschränkung des Alkoholkonsums
Erreichbare Blutdruckreduktion 5–20 mmHg pro 10 kg 8–14 mmHg
2–8 mmHg 4–9 mmHg 2–4 mmHg
Tabelle 2:
Endorganschäden bei arterieller Hypertonie
q Linksventrikuläre Hypertrophie q Angina pectoris und
Myokardinfarkt q Herzinsuffizienz q Zerebrale Durchblutungsstörungen q Niereninsuffizienz q Periphere arterielle Verschluss-
krankheit q Retinopathie
Komplikationen an (Tabelle 2). Sind Modifikationen des Lebensstils nicht ausreichend zum Erreichen dieser Ziele, soll eine zusätzliche medikamentöse Therapie installiert werden.
Pharmakotherapie der Hypertonie – die Qual der Wahl
Für die antihypertensive Therapie steht eine ganze Palette blutdrucksenkender Medikamente zur Verfügung. Welche Prinzipien können bei der Auswahl des geeigneten Antihypertensivums helfen und die Qual der Wahl erleichtern? Als Medikamente der ersten Wahl gelten aktuell ACE-Hemmer, Angiotensin-II(A-II)Rezeptorblocker, Betablocker, Diuretika und Kalziumantagonisten. Für die präventive Effizienz dieser Substanzgruppen be-
steht ausgezeichnete Evidenz aus grossen randomisierten klinischen Studien (1, 2). In zweiter Linie werden zentral wirkende Blutdrucksenker oder Alpha-1-Blocker eingesetzt (3). Auch in neueren Studien schneiden Betablocker und Diuretika gegenüber moderneren Klassen wie den Kalziumantagonisten und ACE-Hemmern sehr gut ab (4). Eine Überlegenheit der neuen Substanzgruppen konnte bisher nicht konsistent nachgewiesen werden, obwohl in einzelnen grossen Studien kleine Unterschiede bezüglich einzelner Endpunkte (teilweise in Subgruppen) auftraten (5–13). Es kann deshalb gegenwärtig von der Äquivalenz der obigen Substanzklassen bei unkomplizierter Hypertonie ausgegangen werden. Es bestehen allerdings besondere Indikationen (z.B. Diabetes [14–23], Niereninsuffizienz [24–26], Atherosklerose [27–30], Herzinsuffizienz [31–47]) für den Einsatz einzelner Substanzgruppen bei speziellen Patientengruppen (Tabelle 3).
Die Rolle der A-II-Antagonisten bei Hypertonie
Diabetes mellitus Eine der speziellen Patientengruppen mit Hypertonie sind Diabetiker. Insulinresistenz (Diabetes mellitus Typ 2) ist häufig mit arterieller Hypertonie vergesellschaftet, da oft eine Adipositas zugrunde liegt. Das kardiovaskuläre Risiko dieser Patientengruppe ist sehr hoch. Das ZehnjahresRisiko eines 60-jährigen Diabetikers mit
Hypertonie, einen Myokardinfarkt zu erleiden, beträgt um 50 Prozent (PROCAMStudie, Internet: www.chd-taskforce.com)! Eine aggressive Therapie ist deshalb von grosser Wichtigkeit. Diabetes mellitus ist die häufigste Ursache terminaler Niereninsuffizienz. Die Progression einer diabetischen Nephropathie kann durch antihypertensive Therapie verlangsamt werden. Mikroalbuminurie ist ein frühes Zeichen der Nephropathie und stellt selber einen kardiovaskulären Risikofaktor dar. Die verschiedenen Klassen von Antihypertensiva weisen Unterschiede bezüglich Reduktion der Proteinurie auf (Abbildung 1). Trotz vergleichbarer Blutdrucksenkung senken ACE-Hemmer das Risiko einer diabetischen Nephropathie mehr als Kalziumantagonisten und Betablocker (48). Die Daten für den ausgeprägten nephropro-
Abbildung 1: Eine Metaanalyse bei 2494 Patienten mit Diabetes mellitus zeigt die unterschiedliche Effizienz verschiedener antihypertensiver Klassen bezüglich Nephroprotektion. ACE-Hemmer zeigten die langsamste Progression der Albuminurie, obgleich die von den drei Medikamentengruppen erreichte Blutdrucksenkung vergleichbar war (Unterschiede statistisch nicht signifikant). *p < 0,05 zwischen Kontrolle und allen anderen Gruppen, † p < 0,05 zwischen ACE-Hemmer und Kontrolle. (Modifiziert nach Kasiske et al. [48])
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Tabelle 3: Spezielle Indikationen für individuelle Medikamentenklassen bei arterieller Hypertonie
Klinik
Betablocker
Diuretika
Kalziumantagonisten
ACEHemmer
Angiotensin-IIAntagonisten
Aldosteronantagonisten
Diabetes
x
x
x
x
x
Hohes koronares
x
x
x
x
Risikoprofil*
Erlittener Myokardinfarkt
x
xx
Herzinsuffizienz
Erlittener Schlaganfall
Chronische Niereninsuffizienz
x
x x
xxx x
xx
*Bei Vorliegen mehrerer koronarer Risikofaktoren wie Hypertonie, Dyslipidämie, Diabetes, Rauchen oder peripherer Atherosklerose.
zeigen einen den ACE-Hem-
mern äquivalenten Effekt der
A-II-Antagonisten bezüglich
Proteinurie bei nichtdiabeti-
scher hypertensiver Nephro-
pathie (50) und IgA-Nephro-
pathie (51). Bei diabetischer
Nephropathie belegen ver-
schiedene grosse Studien den
nephroprotektiven Effekt der
Angiotensin-II-Antagonisten.
Abbildung 2: Der Irbesartan Diabetic Nephropathy Trial (IDNT) zeigte eine 33-prozentige relative Risikoreduktion bezüglich Verdoppelung des Serumkreatinins bei den mit dem Angiotensin-II-Antagonisten
Dies gilt für Patienten mit Mikroalbuminurie und normaler Nierenfunktion (17, 52) sowie für Patienten mit Proteinurie
Irbesartan behandelten Patienten mit Typ-2-Diabetes gegenüber der Plazebogruppe (p = 0,003). Auch gegenüber der mit dem Kalziumantagonisten Amlodipin behandelten Patientengruppe liess sich in der mit Irbesartan therapierten Gruppe eine relative Risikoreduktion um 37 Prozent dokumentieren (p < 0,001).
und eingeschränkter Nierenfunktion (Kreatinin bis 265 µmol/l [18, 19]). Die überlegene nephroprotektive Effizienz der Angiotensin-II-Blocker
Eingeschlossen wurden 1715 Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2, Proteinurie ≥ 900 mg/Tag und moderater Niereninsuffizienz (max. Kreatinin 265 µmol/l). (Modifiziert nach Lewis et al. [19])
scheint sich auf andere klinische Endpunkte auszudehnen. Die LIFE-Studie mit dem A-II-Antagonisten Losartan do-
kumentiert eine Mortalitäts-
tektiven Effekt der ACE-Hemmer sind be- reduktion bei hypertensiven Diabetikern
sonders beim Diabetes mellitus Typ 1 mit linksventrikulärer Hypertrophie gegen-
exzellent (14), aber auch beim Typ-2-Dia- über dem Betablocker Atenolol (Abbil-
betes (48) und bei nichtdiabetischen dung 3). Von Interesse ist, ob die Kom-
Nephropathien (15, 24, 25, 49). Wie sieht bination eines A-II-Blockers mit einem
die Datenlage für die Angiotensin-II-Ant- ACE-Hemmer zusätzlichen nephroprotek-
agonisten aus? Zwei kleinere Studien tiven Nutzen bringt.
Abbildung 3: 1195 Patienten mit Hypertonie, linksventrikulärer Hypertrophie und Diabetes wurden randomisiert der Behandlung mit Losartan oder Atenolol zugeführt. Sowohl der primäre Endpunkt (bestehend aus kardiovaskulärem Tod, Myokardinfarkt oder Schlaganfall) als auch die Gesamtmortalität waren in der Losartan-Gruppe gegenüber Atenolol signifikant reduziert. (Modifiziert nach Lindholm et al. [20] und Lewis et al. [19])
Atherosklerose Aufgrund der Evidenz aus der HOPE-Studie sollten Patienten mit ausgeprägtem koronarem Risikoprofil oder klinischer Atherosklerose mit einem ACE-Hemmer behandelt werden. Grosse klinische Studien untersuchen gegenwärtig die Wirk-
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Angiotensin-II-Antagonisten
Abbildung 4: Patienten mit erlittenem Schlaganfall oder transienter ischämischer Attacke (TIA) wurden entweder mit dem ACE-Hemmer Perindopril (n = 3051, wenn nötig kombiniert mit dem Diuretikum Indapamid) oder Plazebo (n = 3054) behandelt. Nach 4 Jahren erlitten 10 Prozent der mit Perindopril behandelten Patienten einen erneuten Schlaganfall, gegenüber 14 Prozent in der Plazebogruppe (relative Risikoreduktion des primären Endpunktes um 28%, p < 0,0001). Die Risikoreduktion war bei hypertensiven und nichthypertensiven Patienten vergleichbar. (Modifiziert nach PROGRESS Collaborative Group [28]).
Abbildung 5: 5010 Patienten mit Herzinsuffizienz NYHA II-IV wurden randomisiert der Behandlung mit Valsartan oder Plazebo zugeführt. 35 Prozent der Patienten erhielten als Basistherapie einen Betablocker, 93 Prozent einen ACE-Hemmer. Bezüglich Überleben hatte die Behandlung mit Valsartan keinen von Plazebo unterschiedlichen Effekt, es kam jedoch zu einer signifikanten Reduktion von Hospitalisationen und einer Verbesserung von NYHA-Klasse, Auswurfsfraktion und Lebensqualität. Bei mit Valsartan allein behandelten Patienten war eine signifikante Mortalitätsreduktion zu verzeichnen, aber bei den mit Valsartan, ACE-Hemmer und Betablockern behandelten Patienten eine erhöhte Mortalität. (Modifiziert nach Cohn et al. [41]).
Abbildung 6: Bei Patienten mit Herzinsuffizienz NYHA II–IV bei erhaltener linksventrikulärer Funktion (EF ≥ 40%) wird durch die Therapie mit dem AngiotensinII-Antagonisten Candesartan eine mässige Reduktion des primären Endpunktes (kardiovaskulärer Tod oder Hospitalisation wegen zunehmender Herzinsuffizienz) erreicht. Rund 20 Prozent der Patienten wurden gleichzeitig mit einem ACE-Hemmer behandelt und 56 Prozent mit einem Betablocker. (Modifiziert nach Yusuf et al. [46]).
samkeit der Angiotensin-II-Rezeptorblocker bei Patienten mit Atherosklerose.
Schlaganfall Die Wirksamkeit des A-II-Rezeptorblockers Losartan in der Primärprävention des Schlaganfalls bei Hypertonie gegenüber Atenolol ist in der LIFE-Studie dokumentiert (12). Die dabei gezeigte zusätzliche Risikoreduktion von 25 Prozent wird in zusätzlichen, bereits laufenden Studien mit A-II-Antagonisten zu bestätigen sein. Eine zusätzliche Mortalitätsreduktion gegenüber dem Betablocker wurde nicht erzielt. ACE-Hemmer reduzieren das Schlaganfallrisiko in der Primärprävention des Schlaganfalls auch bei Patienten mit normalem Blutdruck, aber hohem Atheroskleroserisiko (27). Ist die primärpräventive Wirksamkeit einer antihypertensiven Behandlung bezüglich Schlaganfall ausgezeichnet dokumentiert (1, 2), ist dagegen die Datenlage in der Sekundärprävention noch jung. Neue Ergebnisse zeigen, dass die Behandlung mit einem ACE-Hemmer nach erlittenem Schlaganfall nicht nur bei hypertensiven Patienten das Risiko eines erneuten
Schlaganfalls senkt, sondern auch bei normotensiven Patienten (Abbildung 4). Für die Gruppe der Angiotensin-II-Antagonisten existieren diesbezüglich noch keine Daten in der Sekundärprävention.
Herzinsuffizienz Für die Behandlung von Patienten mit Herzinsuffizienz aufgrund eingeschränkter linksventrikulärer Funktion mit einem ACE-Hemmer spricht eine überwältigende Evidenz. Neuere Studien verglichen die traditionelle ACE-Hemmer-Therapie mit den A-II-Rezeptorblockern. Eine Überlegenheit der A-II-Antagonisten gegenüber ACE-Hemmern oder einer Kombinationstherapie beider Medikamente konnte dabei nicht dokumentiert werden (Abbildung 5 [38, 41, 42, 44, 46, 47, 53, 54]). In der Tat scheint die Kombination eines A-II-Blockers mit einem ACE-Hemmer bei Patienten mit Herzinsuffizienz eher zu schaden (41, 53). Das bevorzugte Einsatzgebiet für A-II-Blocker bei der Herzinsuffizienz ist somit die Unverträglichkeit eines ACE-Hemmers (45). Lange erwartet wurden Studien bei dia-
stolischer Herzinsuffizienz (neu: Herzinsuffizienz mit erhaltener linksventrikulärer Funktion), für die bisher keine Evidenz vorlag. Durch Therapie mit einem A-IIAntagonisten wurde bei dieser Patientengruppe eine mässige Reduktion des primären Endpunktes (kardiovaskulärer Tod oder Hospitalisation wegen zunehmender Herzinsuffizienz) erreicht (Abbildung 6 [46]).
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Das umfangreiche Literaturverzeichnis kann beim Verlag angefordert werden (info@rosenfluh.ch).
Prof. Dr. med. Thomas F. Lüscher Kardiologie
Universitätsspital Zürich 8091 Zürich
Tel. 01-255 21 21 Fax 01-255 42 51 E-Mail: cardiotfl@gmx.ch Internet: www.kardiologie.unizh.ch
Interessenkonflikte: keine deklariert
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