Transkript
FORTBILDUNG q FORMATION CONTINUE
Vulvovaginale Pilzinfektion
Update zum Vorgehen bei einfachen bis chronisch rezidivierenden Formen
URS LAUPER
Die vulvovaginale Kandidose
gehört zu den häufigsten
menschlichen Pilzerkrankun-
gen, weltweit mit steigender
Tendenz. Für Millionen von
Frauen kann die Symptomatik
sehr belastend sein, vor allem
in der chronisch rezidivieren-
den Form.
Statistische Daten aus England zeigen in den letzten zehn Jahren einen Anstieg der Inzidenz an vulvovaginaler Kandidose (VVC) von 118 auf 200 pro 100 000 Frauen. 1995 wurden in Deutschland zirka fünf Millionen neue Fälle von vulvovaginaler Kandidose geschätzt, 500 000 davon als chronische Rezidive. Mehr als die Hälfte der Schwangeren waren nach einer Untersuchung von E.R. Weissenbacher, München, betroffen. Viele VVC-Patientinnen stehen unter einer Chemotherapie; gelegentlich leiden Betroffene unter Colon irritabile und Flatulenz, Morbus Crohn oder auch einem Magen- oder Darmulkus.
Klinik und Diagnose Im Vordergrund stehen klinisch neben weisslich-krümeligem Ausfluss ein teilweise quälender Juckreiz im Bereich des Introitus und der Vulva. Als Zeichen der voran-
schreitenden Infektion gelten Brennen, extreme Dysurie und Dyspareunie. Bei der Inspektion fallen grau-weissliche Beläge im Bereich der Vulva, auf der Vaginalwand und der Portio auf. Beim Fehlen dieser Beläge oder nach Abstreichen sind entzündliche, stark gerötete Vaginalwände zu sehen. Der vaginale pH-Wert liegt bei ≥ 4,5. Als Sofortdiagnostik ist die Phasenkontrastbetrachtung des Nativpräparates in wenig physiologischer Kochsalzlösung oder in einer 10- bis 20-prozentigen KOH-Aufschwemmung unmittelbar nach Ende der gynäkologischen Untersuchung geeignet. Die Anfertigung eines gefärbten Abstrichpräparats kann die Untersuchung ergänzen. Bei Therapieresistenz und rezidivierender Kandidose ist die Diagnostik mit der Anlage einer Kultur zu spezifizieren.
Erreger, Risiko- und Virulenzfaktoren
Ungefähr 20 Prozent (je nach Untersuchung 10–55%) der geschlechtsreifen Frauen sind kulturpositive, jedoch asymptomatische Trägerinnen. Warum die einen Frauen Symptome entwickeln, die anderen nicht, ist weit gehend unbekannt; wahrscheinlich spielen Wirt- und Erregermechanismen eine zentrale Rolle. Das Vorhandensein von Lactobacilli wird mit einer normalen Vaginalflora assoziiert, welche nur teilweise vor einer invasiven Pilzerkrankung schützt. Ein gestörtes Gleichgewicht der Flora durch die in der Tabelle genannten Faktoren begünstigt die Adhärenz der Erreger an die Epithelzellen. Häufigster Erreger der vulvovaginalen Kandidose ist mit 80 Prozent Candida albicans. In 5 bis 15 Prozent handelt es sich um Candida species, vorwiegend um Candida glabrata (früher Torulopsis gla-
brata), in zirka 12 Prozent und in seltenen Fällen um andere Pilze wie C. tropicalis, C. parapsilosis, C. krusei, Saccharomyces cerevisiae (zirka 0,5–1,6%). Am meisten herausfordernd ist das ärztliche Management bei chronisch rezidivierender Infektion. Hier gilt es grundsätzlich, die prädisponierenden Faktoren zu berücksichtigen sowie die Virulenzfaktoren zu kennen und falls möglich zu beeinflussen.
Re-Infektion oder chronisch rezidivierende Form?
Für den behandelnden Arzt stellt sich bei erneutem Auftreten einer VVC die Frage: Handelt es sich um ein Rezidiv oder um eine Re-Infektion? Als mögliche Quellen für eine erneute Infektion kommen das gastrointestinale Reservoir sowie eine Übertragung durch den Partner beim Geschlechtsverkehr in Frage. Verschiedene Versuche wurden unternommen, das gastrointestinale Erregerreservoir zur Prävention von Re-Infektionen durch Gabe von Antibiotika (Nystatin oder Amphotericin B) oder auch Azolen zu verringern. Das Ergebnis war nicht zufrieden stellend. Dagegen kann die prophylaktische Applikation einer AntifungalCreme in der Perinealregion die Rekolonisation der Vagina und Vulva verringern. Die Theorie der sexuellen Übertragung wird dadurch erhärtet, dass Pilzkulturen vom Sulcus coronarius bei zirka 20 Prozent der Männer positiv ausfallen. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um denselben Candida-Stamm. Gelegentlich gelingt auch aus der Samenflüssigkeit ein positiver Pilznachweis. Andererseits konnte bis jetzt noch in keiner Studie gezeigt werden, dass die Partnertherapie einen
8 ARS MEDICI DOSSIER IXq2004
FORTBILDUNG q FORMATION CONTINUE
der CDC) bei vier und mehr Epi-
Tabelle: R i s i k o f a k t o r e n f ü r
soden pro Jahr vor. Bezüglich
( r e z i d i v i e r e n d e ) v u l v o v a g i n a l e des Risikos für chronische Rezi-
Kandidose (VVC)
dive in diesem Ausmass wird von
q häufige und/oder hoch dosierte Antibiotika (systemisch oder topisch)
q endogene oder exogene Hormone (Östrogene, Kortikosteroide etc.)
q Schwangerschaft
10 bis 20 Prozent nach Erstinfektion ausgegangen. Neben den in der Tabelle erwähnten Risiken wie Antibiotikaeinnahme und schlecht eingestell-
q Immunsuppression/HIV
tem Diabetes mellitus können
q Diabetes mellitus
weitere Faktoren zu VVC-Rezidi-
q alimentär: übermässige Zufuhr von Kohlehydraten ven führen, wie erhöhte Candida-
(«Candy Binge») q sehr eng anliegende, synthetische Unterwäsche
und Hosen q lokale Allergene: Vaginalduschen, parfümierte
Intimhygieneartikel q Baden in stark chlorierten Swimmingpools q idiopathische Faktoren: Haben Sie oder Ihr Partner
beobachtet, dass Sie die Arme, Beine oder Ihren
Virulenzfaktoren, Resistenzverminderung der Vagina durch Veränderung der protektiven Wirkung der normalen Vaginalflora et cetera. Zunehmend werden auch immunologische Mechanismen in der Vaginalmukosa
ganzen Körper heftig bewegen oder haben Sie ungewöhliche Verhaltensweisen während des Schlafes festgestellt?
postuliert. Aktivierte Makrophagen produzieren unter anderem Prostaglandin E2, das die Leu-
kozytenproliferation möglicher-
günstigen Einfluss auf die Rezidivrate bei weise durch Hemmung der Interleukin-2-
der VVC hat. Beim Partner mit Symptomen Produktion vermindert. Prostaglandin E2
ist die Therapie aber sicher angezeigt.
soll auch die Pilzkeimbildung und -prolife-
Chronisch rezidivierende Formen der VVC ration begünstigen. Erforscht werden ak-
liegen definitionsgemäss (nach Richtlinien tuell weitere Einflüsse wie Serumfaktoren
und eine wahrscheinlich veränderte Makrophagenfunktion durch lokal wirkende IgE-Candida-Antikörper.
Topische und orale Therapien
Bei akuten Infektionen werden mit topischen antifungalen Wirkstoffen der AzolGruppen gute Therapieerfolge erreicht. Diese sind als Cremes, Vaginaltabletten oder Suppositorien in verschiedenen Dosierungen und Therapieschemata erhältlich (z.B. Clotrimazol/Gyno-Canesten®, 500 mg Vaginaltablette, einmalige Anwendung). Die Behandlung führt im Allgemeinen zur raschen Symptomlinderung, zu negativen Kulturen in 80 bis 90 Prozent und ist darüber hinaus – bis auf das erstmalige Auftragen (ggf. lokales Brennen) – quasi nebenwirkungsfrei. Die einmalige Anwendung ist insbesonders für leichte, unkomplizierte Fälle angezeigt, während mehrtägige Behandlungen eher schweren Fälle vorbehalten werden sollten. Topische Präparate sind auch in der Schwangerschaft indiziert und wirksam, wo die VVC häufig auftritt. Bei oraler Anwendung ist im ersten Trimenon Vorsicht geboten.
FORTBILDUNG q FORMATION CONTINUE
Verschiedene Untersuchungen haben gezeigt, dass orale Azole der zweiten Generation wie Fluconazol (Diflucan®) oder Itraconazol (Sporanox®) mindestens so wirksam sind wie die älteren topischen Wirkstoffe. Zudem wird in der Regel eine bessere Patientinnencompliance mit der oralen Behandlung erreicht, vor allem bei erforderlicher langfristiger Behandlung.
Management bei chronischen Rezidiven
Bei schweren chronisch rezidivierenden vulvovaginalen Entzündungen und Mitbeteiligung der Vulva ist erfahrungsgemäss die zusätzliche lokale Behandlung der Vulva mit einer Azol-Creme über mehrere Tage wirksam (z.B. Clotrimazol, Econazol, Terconazol oder Miconazol für 10 Tage 2mal/Tag). Betroffene Frauen profitieren von einer intermittierenden prophylaktischen oralen Erhaltungstherapie. Die klinische und kulturelle Heilungsrate dieser Langzeittherapie bei chronisch rezidivierenden Formen beträgt 60 bis 75 Pro-
zent. In den restlichen Fällen handelt es sich möglicherweise um azol-resistente Stämme, bei denen eventuell nach Resistenzprüfung Antimykotika aus einer anderen Gruppe eingesetzt werden können. Bei den Therapieversagern mit AzolDerivaten handelt es sich gelegentlich um Infektionen mit C. glabrata und/oder C. krusei. Weitere Therapiekonzepte mit Immunstimulation oder Immunsuppression sind in einigen Fällen wirksam, stehen aber weit gehend noch in der klinischen Prüfung. Schliesslich sollten Patientinnen mit chronischer VVC in der Praxis wichtige Tipps zur Rezidivprophylaxe mit auf den Weg gegeben werden: q Frauen mit regelmässig auftretenden
postmenstruellen Pilzinfektionen sollen die antimykotische Therapie (ausser bei geplanter Schwangerschaft) vor der Menstruation einnehmen q Bei Frauen mit chronisch rezidivierender VVC empfiehlt sich bei einer notwendigen Antibiotikatherapie die prophylaktische Verabreichung eines oralen Antimykotikums
q Frauen mit regelmässigem vulvovaginalem Pilzbefall nach Besuch von Schwimmbädern können vor dem Schwimmen eine fettende Creme auf die Perinealregion auftragen. Nach dem Baden, Duschen und nach Entfernung des Fettschutzes kann diese Körperstelle durch die einmalige Applikation einer antimykotischen Creme behandelt werden.
q Synthetische Unterwäsche ist zu vermeiden, da die Unterwäsche bei 70 bis 80 °C gewaschen werden sollte. q
Bodey, G.P.: Candidiasis, Pathogenesis, Diagnosis, and Treatment. 2nd ed., Raven Press New York. Lauper, U.: Genital Candidosis. Curr. Probl. Dermatol. 1996; 24: 123–31. Sobel, J.D.: Current Concepts: Vaginitis NEJM 1997; 337: 1896–1903.
Dr. med. Urs Lauper LA Klinik für Geburtshilfe
UniversitätsSpital Zürich Frauenklinikstrasse 10 8091 Zürich
Interessenkonflikte: keine