Transkript
FORTBILDUNG q FORMATION CONTINUE
Vulvodynie
Unklare Ursache, diverse Therapievorschläge
THE LANCET
Unter Vulvodynie ist eine
Störung zu verstehen, die sich
in chronischem Brennen oder
Schmerzen im Scheiden-
bereich äussert und für die
keine objektiven körperlichen
Befunde erhoben werden kön-
nen. Das Krankheitsbild ist
noch immer wenig erforscht
und schlecht verstanden.
In ihrer kurzen Übersicht räumen Helen E. Lotery und Koautoren zunächst ein, dass der Begriff «Vulvodynie» auf eine wechselvolle Geschichte verschiedener Namensgebungen zurückblickt. So wird auch mit den Diagnosen «vulvale Vestibulitis» oder «Vulvadysästhesie» operiert. Für die Praxis raten sie zur genaueren Beschreibung der Beschwerden, beispielsweise «Brennen» oder «schneidender Schmerz» in der Vulva mit genauerer Lokalisationsangabe (nur im Vestibulum oder generalisiert).
Ursachen Viele häufige und einige seltene Erkrankungen können zu Brennen und/oder Schmerzen in der Scheide führen. Sie müssen bei der Abklärung chronischer Beschwerden immer zuerst ausgeschlossen
werden. Eine Dermatitis durch Irritativa ist häufig, nicht zuletzt, weil betroffene Frauen gewöhnlich schon viele lokal anwendbare Mittel ausprobiert haben, bevor sie sich zur Untersuchung melden. Zu den Irritationsursachen gehören Seifen, Slipeinlagen, synthetische Unterwäsche, feuchte Hygienetüchlein, Deodoranzien, Gleitmittel, Spermizide, topische Medikamente sowie Urin, Fäzes oder starker Ausfluss. Auch eigentliche allergische Kontaktdermatitiden, etwa bei Gebrauch von verschriebenen Topika oder von Hygienetüchlein, kommen vor. Eine Kandidiasis kann zu Brennen und Jucken in der Scheide führen; von einer gezielten Behandlung ist eine Besserung der Symptome zu erwarten. Als weitere, seltenere Ursachen erwähnen die Autoren die vulvovaginale Atrophie bei Östrogenmangel, rezidivierende Herpes-simplex-Infektionen, Herpes zoster und postherpetische Neuralgie, Lichen sclerosus, erosiver Lichen planus, Behçet-Syndrom, vernarbendes Pemphigoid, SjögrenSyndrom sowie intraepitheliale Neoplasien der Vulva und Karzinome.
Schmerzsyndrome im Bereich der Vulva
Im Spektrum der Vulvodynie sind zwei Erscheinungsbilder zu unterscheiden, die sich mitunter auch überlappen können: die Vestibulitis und die dysästhetische Vulvodynie. Die Vestibulitis ist besser untersucht und äussert sich in Dyspareunie, Druckempfindlichkeit und Erythem des Vestibulum vulvae. Als diagnostisch gelten schwerer Schmerz bei Berührung oder Penetrationsversuch und ein auf das Vestibulum begrenztes Erythem. Die genaue Häufigkeit ist unbekannt, Schätzungen sprechen
Merk-
punkte
q Die Vulvodynie ist eine Ausschlussdiagnose, wenn für die chronischen Beschwerden (Brennen und/oder Schmerz) keine Ursache gefunden werden kann.
q Die isolierte Vestibulitis tritt eher bei prämenopausalen, sexuell aktiven Frauen auf, die generalisierte dysästhetische Vulvodynie bei älteren Frauen.
q Medikamentös werden oft Antidepressiva, neuerdings auch Gabapentin, eingesetzt.
q Wichtig ist in jedem Fall die Vermeidung irritativer Faktoren.
von einer Prävalenz von 15 Prozent in der gynäkologischen Privatpraxis, am meisten betroffen scheinen prämenopausale, sexuell aktive Frauen. Die Pathogenese ist unklar, über Vorhandensein oder Fehlen einer Entzündung im Vestibulumgewebe wird diskutiert. In Vergleichsstudien hatten Betroffene gegenüber Kontrollen eine erhöhte Innervation, aber es bleibt unsicher, ob dies ein primärer oder sekundärer Befund ist. Die wenigen kontrollierten Studien fanden keinen Zusammenhang zu Kandidiasis, Papillomavirus-Infekten oder oxalatreichem Urin. In zwei kontrollierten Studien liess sich eine niedrigere Schmerzschwelle am Arm und im Vestibulum nachweisen, was auf eine generalisiertere Schmerzwahrnehmungsstörung hindeuten könnte. Weiter gibt es auch einige Untersuchungen, die Störungen bei
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Vulvodynie
der Entzündungsreaktion nahe legen. Ob diese Daten zu einer immunologischen Verursachung der Vestibulitis klinisch bedeutsam sind, bleibt aber unbekannt. Die Diagnose einer dysästhetischen Vulvodynie gilt jenen Fällen mit nicht provoziertem Scheidenbrennen, das nicht auf das Vestibulum beschränkt ist und bei dem sich keine abnormen Befunde nachweisen lassen. Betroffen sind hier vorwiegend ältere Frauen, deren Beschwerden über den Introitus vulvae hinaus auch die Labia majora und manchmal die Schenkelinnenseiten und den Anus betreffen. Die Datenlage zu dieser Störung, so Lotery und Koautoren, ist unbefriedigend und am ehesten mit der Feststellung zu umschreiben, dass wir eine spezifische Ursache nicht ausschliessen können, aber bisher nichts über sie wissen. Inbesondere haben die meisten relevanten Studien keinen Zusammenhang zwischen Vulvodynie und sexuellem oder körperlichem Missbrauch nachweisen können. In einigen Untersuchungen hatten die Betroffenen mehr depressive Symptome und körperliche Klagen als Kontrollen. In einer neuen Fall-Kontroll-Studie mit je 32 Frauen hatten die von Vulvadysästhesie Betroffenen signifikant höhere Scores für somatische depressive Symptome. Dies war auf sexuelles Desinteresse und chronischen Schmerz, nicht aber auf signifikante Unterschiede bei kognitiv-affektiven Symptomen oder eine anamnesti-
sche Belastung mit Depressionen zurückzuführen.
Management von Vulvabrennen und -schmerzen
Aufgrund eines Berichts und in Analogie zu anderen chronischen Schmerzsyndromen werden beim chronischen Vulvaschmerz verbreitet Antidepressiva eingesetzt. Kontrollierte Studien zu diesem Vorgehen gibt es in dieser Indikation jedoch nicht. Neuerdings ist auch Gabapentin (Neurontin®) mit Erfolg eingesetzt worden. Andere Therapien, von denen über einen Nutzen berichtet wurde, umfassen Akupunktur, Beckenboden-Physiotherapie und Biofeedback-Übungen, 5-prozentige Lidocain-Salbe sowie Interferon. Bei der Vestibulitis wurden für das chirurgische Vorgehen der mehr oder weniger weit gehenden Vestibulektomie die besten Erfolgsraten gemeldet. Die entsprechenden Studien haben jedoch allzu oft methodologische Mängel, und über die konservativen Möglichkeiten wie etwa Verhaltenstherapie gibt es zu wenige Berichte. Die Autoren schlagen folgende Allgemeinmassnahmen vor: q Behandlung jeglicher identifizierbarer
Störungen q Beratung, Unterstützung sowie Patien-
tinnenschulung q Vermeidung von Irritativa
q Verwendung von milden Seifensubsti-
tuten und Hautprotektiva
q Anwendung nicht irritierender Gleit-
mittel beim Geschlechtsverkehr (GV)
q 5-prozentige Lidocainsalbe 20 Minuten
vor GV.
Sie weisen auch darauf hin, dass sich die
Vulvodynie in vielen Fällen im Lauf der Zeit
– mit oder ohne Therapie – bessert. In ei-
ner Studie berichteten die meisten Frauen
mit Vulvadysästhesie, dass sich ihre Sym-
ptome, unabhängig von der angewand-
ten Therapie, seit der Diagnosestellung
gebessert hätten. In einer anderen Studie
bei Patientinnen mit Vestibulitis hatte die
Hälfte der Betroffenen schliesslich eine
Spontanremission. Angesichts nur weni-
ger konsistenter Studienergebnisse, die
eine bestimmte Behandlung stützen kön-
nen, sollte die Therapiewahl deshalb sehr
sorgfältig erfolgen.
q
Helen E. Lotery (Department of Dermatology, Royal South Hants Hospital, Southampton/UK) et al.: Vulvodynia. Lancet 2004; 363: 1058–1060.
Halid Bas
Interessenlage: Die Autoren deklarieren keine Interessenkonflikte.
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