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Neue Option bei primärem Brustkrebs?
Eine plazebokontrollierte Doppelblindstudie mit dem Aromatasehemmer Letrozol bei Patientinnen mit primärem Brustkrebs im Anschluss an die fünfjährige postoperative Tamoxifen-Adjuvanz wurde vorzeitig entblindet.
ARS MEDICI: Herr Professor Herrmann, wie beurteilen Sie das Studienergebnis, insgesamt gesehen? Professor Dr. med. Richard Herrmann: Einerseits ist es bemerkenswert, dass bereits nach relativ kurzer Beobachtungszeit ein hochsignifikanter Vorteil des Letrozol (Femara®) gegenüber dem Plazebo gezeigt werden konnte. Immerhin beträgt der p-Wert 0,00008. Die aus ethischen Gründen nachvollziehbare frühzeitige Entblindung der Studie bringt jedoch einige Dilemmata mit sich. Trotz der hohen Signifikanz beruhen die Zahlen im Vergleich zur Gesamtzahl der in dieser Studie behandelten Patientinnen auf einer sehr geringen Zahl von Events. Da die Studie jetzt entblindet ist, werden wir ungenügende Informationen bekommen über die Unterschiede zwischen einer längeren Einnahme von Letrozol und Plazebo, sowohl bezüglich der Wirkung als auch bezüglich der Nebenwirkungen.
Neben Letrozol gibt es weitere neuere Aromatasehemmer – Exemestan (Aromasin®) und Anastrozol (Arimidex®) – welche bei bestimmten Indikationen anstelle von Tamoxifen zur adjuvanten endokrinen Therapie bereits eingesetzt werden. Sehen Sie Anzeichen dafür, dass Aromatasehemmer Tamoxifen verdrängen könnten? Ob Aromatasehemmer Tamoxifen in der adjuvanten Therapie des Mammakarzinoms bei postmenopausalen Frauen verdrängen werden, lässt sich heute noch nicht eindeutig beantworten. Insbesondere kann die jetzt vorgestellte Letrozol-Studie darauf keine Antwort geben. Voraussichtlich werden auch in Zukunft sowohl Tamoxifen als auch Aromatasehemmer einge-
setzt. Allerdings wissen wir heute noch nicht, in welcher Reihenfolge und über welche Dauer diese Substanzen eingesetzt werden sollten.
Welche Vor- und Nachteile haben Aromatasehemmer nach derzeitigem Wissensstand gegenüber Tamoxifen? In der primären adjuvanten Therapie des Mammakarzinoms in der Postmenopause zeigte Anastrozol (ATAC-Studie) gegenüber Tamoxifen einen kleinen, jedoch signifikanten Vorteil bezüglich rezidivfreien Überlebens. Die Verträglichkeit der Aromatasehemmer ist möglichweise etwas schlechter, insbesondere können muskuloskeletale Nebenwirkungen häufiger auftreten. Auch klimakterische Beschwerden sind unter Aromatasehemmern etwas häufiger.
Welche Begleitmassnahmen empfehlen Sie zur Minderung von Nebenwirkungen der Aromatasehemmer, vor allem gegen das erhöhte Osteoporoserisiko und gegen klimakterische Beschwerden? Vermutlich kommt es unter Aromatasehemmern zu einer erhöhten Osteoporoserate. Dies deutet sich in der jetzt publizierten Letrozol-Studie bereits an und ist auch aufgrund des Wirkungsmechanismus der Aromatasehemmer zu erwarten. Etablierte Behandlungsmassnahmen gibt es noch nicht. Zurzeit wird der Einsatz von Bisphosphonaten getestet. In jedem Fall sollten die Patientinnen zur körperlichen Aktivität und zur Einnahme von Kalzium angehalten werden. Die Behandlung der klimakterischen Beschwerden ist schwierig. Bei manchen Frauen wirken Antidepressiva wie zum Beispiel Venlafaxin gut.
Ist der Einsatz eines Aromatasehemmers wie Letrozol auch bei prämenopausalen Frauen denkbar? Nur bei Frauen, bei denen die Ovarialfunktion, zum Beispiel durch GN-RH-Analoga ausgeschaltet ist!
Für welche Frauen erscheint eine ad-
juvante Therapie mit Letrozol beson-
ders interessant? Stellen Sie aktuell,
nach den Ergebnissen dieser Studie,
vermehrt Frauen auf dieses Präparat
ein statt auf Tamoxifen?
Nach den jetzt vorliegenden Studiener-
gebnissen ist Letrozol kein Ersatz für das
Tamoxifen. Frauen in der Postmenopause,
die fünf Jahre Tamoxifen-Behandlung hin-
ter sich haben, informiere ich über die
Möglichkeiten einer Weiterbehandlung
mit Letrozol. Dabei ist es wichtig, die
möglichen Nebenwirkungen und den er-
wünschten Effekt gegeneinander abzu-
wägen.
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Das Interview führte Bärbel Hirrle.
Professor Dr. med. Richard Herrmann Chefarzt der Abteilung für Onkologie
Departement Innere Medizin Universitätsspital Basel
E-Mail: herrmannr@uhbs.ch
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