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Sodbrennen
Die Refluxkrankheit kann sich auch ausserhalb des Ösophagus manifestieren
WOLFGANG RÖSCH
Sodbrennen galt viele Jahre als harmlose Befindlichkeitsstörung, und nicht als Ausdruck einer Erkrankung. Dies hat sich grundlegend gewandelt, nicht zuletzt unter epidemiologischen Aspekten und der Möglichkeit, durch pH-Metrie und Endoskopie Refluxpatienten zu identifizieren oder zu differenzieren. Wichtiger erscheint aber, auch auf eine extraintestinale Manifestation der Refluxkrankheit zu achten, wobei insbesondere chronischer Husten, chronische Laryngitis und chronisch obstruktive Lungenerkrankungen Beachtung finden sollten. Nicht immer aber ist hier Sodbrennen das Leitsymptom.
Tabelle 1: Ergebnisse einer Umfrage über Sodbrennen in
fünf europäischen Ländern (n = 5000)
Frankreich Deutschland Italien Schweden Grossbritannien
21% 29% 32% 40% 38%
Sodbrennen, saures Aufstossen, Säureregurgitation, retrosternaler und epigastrischer Schmerz sind die klassischen Symptome der Refluxkrankheit der Speiseröhre (GERD oder GORD). Immer mehr Europäer klagen über derartige Symptome. Eine Umfrage unter 5000 Einwohnern in fünf europäischen Ländern (Tabelle 1) ergab, dass 21 bis 40 Prozent der Befragten über brennenden Schmerz retrosternal und über sauren Geschmack im Mund klagten. Dies hat Auswirkungen auf die Lebensqualität, die beim chronischen (rezidivierenden) Leiden stärker beeinträchtigt ist als bei einer koronaren Herzkrankheit. Der in der Zeitschrift «Notfallmedizin» 2000 publizierten Umfrage zufolge klagten die Europäer über eine Reihe die Lebensqualität nachhaltig beeinflussende Probleme (Tabelle 2).
50 bis 100 Millionen Europäer sind betroffen
Die Ursache für den Anstieg der Häufigkeit der Refluxkrankheit der Speiseröhre, wie er in den westlichen Ländern zu beobachten ist, ist vielfältiger Natur:
Merk-
sätze
q Häufiges Sodbrennen kann die Lebensqualität stark beeinträchtigen.
q Man unterscheidet heute die erosive Refluxkrankheit (ERD) von der nichterosiven Refluxkrankheit (NERD).
q Bei der ERD sind schwere Komplikationen (Blutung, Ulkus etc.) möglich, aber insgesamt selten.
q Die Refluxkrankheit kann sich auch ausserhalb des Ösophagus manifestieren und verschiedene Symptome oder Komplikationen hervorrufen.
q Mit Protonenpumpeninhibitoren (PPI) können auch extraösophageale Beschwerden gelindert werden.
q Die probatorische PPI-Gabe wird differenzialdiagnostisch zur Abklärung refluxassoziierter Atemwegsbeschwerden eingesetzt.
q Abnahme der Helicobacterpylori-Durchseuchung
q Lifestyle-Faktoren q Änderung der Ernährungsgewohnheiten q Medikamente, die den Sphinkter-Ruhe-
druck senken (z.B. Anticholinergika, Alphablocker, Betastimulatoren, Nitrate, Kalzium-Blocker, Promethazin). Während man früher eine Refluxkrankheit der Speiseröhre mit Refluxösophagitis gleich-
ARS MEDICI DOSSIER Vq2004 9
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Sodbrennen
Tabelle 2: Häufigkeit von Problemen und Reaktionen, welche mit einer gastroösophagealen Refluxkrankheit
in Zusammenhang stehen
Schlafprobleme Änderung der Ess- und Trinkgewohnheiten Änderung der Arbeitsweise Änderung des Sexuallebens
10–24% 46–53%
7–11% 4–13%
Tabelle 3: Häufigkeiten von Begleitsymptomen des
laryngopharyngealen Refluxes
Räusperzwang Reizhusten Sodbrennen Globusgefühl Stimmstörungen
98% 96% 95% 94% 92%
setzte, differenziert man heute zwischen erosiver Refluxkrankheit (ERD) und nichterosiver Refluxkrankheit (endoskopienegative Refluxkrankheit, NERD), was jedoch unter therapeutischen Gesichtspunkten nur von untergeordneter Bedeutung ist. 60 Prozent der Refluxkranken weisen eine nichterosive Refluxkrankheit auf, 40 Prozent eine Refluxösophagitis, die in 5 Prozent komplikationsträchtig verläuft (Blutung, Ulkus, peptische Striktur, Zylinderzell-Metaplasie der Speiseröhre). Früher hat man noch eine Dyspepsie vom Refluxtyp als Variante des Reizmagen-Syndroms unterschieden, doch dürfte es sich hier um eine endoskopie-negative Refluxkrankheit gehandelt haben. So wundert es nicht, dass die Therapieergebnisse bei der ERD günstiger sind als bei der NERD, klagen doch auch viele Patienten mit Gallensteinen, Colon irritabile und anderen funktionellen abdominellen Beschwerden über Sodbrennen. Je schwerer die endoskopisch sichtbaren Veränderungen der Speiseröhre sind (Refluxösophagitis Los Angeles C und D, Savary/Miller III und IV), desto rascher kommt es nach Absetzen der Therapie zu einem Rezidiv, sodass bei diesen Patienten eine medikamentöse Langzeittherapie mehr oder weniger zwingend vorgeschrieben ist.
erkrankungen wie chronische Heiserkeit, chronischer Husten und Asthmaanfälle relativ häufig von Patienten mit einer Refluxkrankheit der Speiseröhre geklagt werden. Wie Abbildung 1 zeigt, kommt es dabei, vorwiegend nachts beim flachen Liegen, zu einer Mikroaspiration von Säure im Bereich Kehlkopf, Luftröhre und Bronchialsystem mit entsprechenden säurebedingten Schäden der auskleidenden Schleimhaut. Ausserdem kann die Gegenwart von Säure in der Speiseröhre über vagal vermittelte Reflexe eine Bronchokonstriktion sowie eine Minderung der Koronarperfusion auslösen. Der laryngo-
pharyngeale Reflux (LPR) führt dabei zu der in Tabelle 3 genannten Symptomatik. Nicht alle Patienten mit refluxassoziierten Atemwegserkrankungen klagen somit über Sodbrennen, sodass es durchaus einmal erforderlich werden kann, die Pathogenese dieser extraösophagealen Manifestation über eine 24-Stunden-pH-Metrie zu sichern. Die Pro-GERD-Studie mit 6215 Patienten hat ergeben, dass bei ERD 39,1 Prozent und bei NERD 35,4 Prozent der Patienten bei gezielter Befragung über extraintestinale Symptome klagen (Tabelle 4). Dies deckt sich mit epidemiologischen Zahlen aus den USA. Serag und Sonnenberg ha-
Häufige extraösophageale Komplikationen
Refluxassoziierte Atemwegserkrankungen sind im Indikationskatalog der PPI noch nicht aufgeführt, obwohl umfangreiche klinische Daten belegen, dass die Leitsymptome von refluxassoziierten Atemwegs-
Abbildung 1: Ösophageale und respiratorische Symptome der gastroösophagealen Refluxkrankheit
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Tabelle 4: Häufigkeiten extraintestinaler Symptome mit ERD im Vergleich zu NERD (Quelle: Pro-GERD-Studie, n = 6215)
Extraintestinale Symptome Husten Asthma Laryngitis Brustschmerz
ERD
39,1% 14,5%
5,2% 11,2% 22,2%
NERD
35,4% 11,5%
4,3% 9,5% 19,8%
Tabelle 5: Mögliche extraösophageale Komplikationen der Refluxkrankheit
q Mundhöhle: Mundulzera, Brennen, abnormer Geschmack, Halitosis, Zahnerosionen q Nase/Gehör: chronische Sinusitis, Otalgie, Otitis media q Pharynx: Pharyngitis, postnasaler Schleimfluss (postnasal drip), Globusgefühl q Luftwege: Heiserkeit, chronischer Husten, Stimmbandulzera, -granulome,
-knötchen, Stenose von Larynx, Subglottis, Croup, Laryngospasmus, Malignom q Lunge: chronischer Husten, Asthma, Aspirationspneumonie, Lungenfibrose, Bron-
chiektasien, Schlafapnoe-Syndrom q nichtkardialer Thoraxschmerz q Halitosis q Verlust des Zahnschmelzes
Tabelle 6: Gastroösophageale Refluxsymptome bei Säuglingen und Kindern
Weinen Reizbarkeit Schlafschwierigkeiten Appetitverlust keine Gewichtszunahme Regurgitation / Erbrechen Unterleibsschmerzen Sodbrennen
Giemen Stridor chronischer Husten Heiserkeit Apnoe Bradykardie ALTE/SIDS Pneumonierezidiv
ALTE: anscheinend lebensbedrohliche Ereignisse; SIDS: plötzlicher unerwarteter Kindstod (Krippentod)
ben 1998 bei einer Analyse von 101 366 Patienten mit Refluxösophagitis ein erhöhtes Risiko für eine Laryngitis (um den Faktor 2,1), für Globusgefühl (Faktor 1,5) und für chronisch obstruktive Lungen-
erkrankungen (Faktor 1,2–1,6) gefunden. Ähnliche Daten kommen auch aus einer Allgemeinpraxis in Deutschland: Labenz und Hollenz befragten gezielt 105 Patienten ihrer Praxis und fanden Heiserkeit bei
ERD in 24 Prozent, bei NERD in 5 Prozent und Husten bei ERD in 32 Prozent und bei NERD in 7 Prozent. Das Spektrum möglicher extraösophagealer Komplikationen der Refluxkrankheit reicht von Veränderungen der Mundhöhle mit Verlust des Zahnschmelzes bis zu Lungenfibrose, Bronchiektasen und Schlafapnoe-Syndrom (Tabelle 5). Noch wichtiger sind vielleicht die in Tabelle 6 wiedergegebenen gastroösophagealen Refluxsymptome bei Säuglingen und Kindern, die ja noch nicht den Begriff Sodbrennen kennen und durch andere Äusserungen auf ihre Problematik verweisen.
Probatorische PPI-Therapie
Neben der nicht überall zur Verfügung stehenden 24-Stunden-pH-Metrie kann auch zur differenzialdiagnostischen Klärung refluxassoziierter Atemwegserkrankungen (RAA) der so genannte Protonenpumpenhemmer (PPI)-Test eingesetzt werden. Sowohl bei chronischem refluxbedingten Husten als auch bei der chronischen Laryngitis (Abbildung 2) wird ein Ansprechen der Symptomatik auf eine probatorische PPI-Therapie als diagnostisch wegweisend erachtet. Dabei sollte der Protonenpumpenblocker über mindestens zwei Wochen in ein- bis zweifacher Standarddosierung eingenommen werden. Es wird empfohlen, die probatorische Therapie wie bei der Refluxtherapie in Standarddosis über vier bis acht Wochen durchzuführen. Einer Metaanalyse von Field und Sutherland aus dem Jahr 1998 über 16 Publikationen zum Thema gastroösophagealer Reflux und Asthma ist zu entnehmen, dass bei 40 Prozent der Patienten eine Refluxösophagitis und bei 80 Prozent ein pathologischer Reflux nachgewiesen werden kann. Unter einer PPI-Therapie bessert sich die Asthmasymptomatik in 70 Prozent, die Asthmamedikation kann bei 60 Prozent reduziert werden, bei einem variablen Teil der Patienten konnte auch eine Besserung der Ein-SekundenKapazität (FEV1) in bis zu 25 Prozent nachgewiesen werden. Bei Patienten mit schwer kontrollierbarem Asthma bronchiale kann
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Tabelle 6: GERD und Schlafstörungen
Einschlafstörung Durchschlafstörung
nie 40% 30%
vor PPI
selten 23% 21%
häufig 37% 49%
nie 82% 76%
nach PPI
selten 11% 14%
häufig 7%
10%
Abbildung 2: Refluxbedingte Pachydermie des posterioren Aspektes der Stimmbänder
der Reflux ein bedeutender aggravierender Faktor sein, dessen adäquate Behandlung mit PPI wesentlich zur Stabilisierung des Asthmas beiträgt.
Ein- und Durchschlafstörungen
Reflux und obstruktive Schlafapnoe (OSA) treten bei etwa 5 Prozent der Erwachsenen auf. Zum pathologischen Reflux kommt es etwa achtmal häufiger am Tag als in der Nacht, wobei nächtliche Refluxphasen länger persistieren und zu stärkeren Schleimhautschädigungen führen. An pathogenetischen Mechanismen werden vier Faktoren diskutiert: q intrathorakaler Unterdruck im Rahmen
der obstruktiven Episoden q Zunahme des intraabdominellen
Drucks im Liegen q die am Ende der Apnoe auftretenden
Weckreaktionen mit konsekutiver Störung der Schlafstruktur q häufige Hypoxie- und Hyperkapniephasen.
Eine nasale «Continuous Positive Airway Pressure»-Beatmung (nCPAP) führt zu einer Abnahme der Refluxepisoden um etwa 80 Prozent. Prospektive Studien zur PPI-Therapie bei Patienten mit Schlafapnoe-Syndrom liegen bislang nicht vor. Wie einleitend bereits betont, werden Schlafstörungen relativ häufig von Patienten mit Refluxsymptomen geklagt. Dabei handelt es sich zum einen um Einschlafstörungen bei horizontaler Lage, zum anderen um Durchschlafstörungen, wobei der Patient nachts wegen heftigem Sodbrennen wach wird. Daten der Pro-GERDStudie 2003 haben gezeigt (Tabelle 6), dass sich unter einer PPI-Therapie die Schlafstörungen und auch die Lebensqualität signifikant verbessern.
Endoskopie nicht dringend erforderlich
Wer täglich oder mehrmals wöchentlich über Sodbrennen klagt, bedarf zur Wiederherstellung der Lebensqualität einer antisekretorischen Behandlung, die heute weltweit mit Protonenpumpeninhibitoren praktiziert wird. Auch wenn jeder Refluxkranke das Recht hat, einmal in seinem Leben einer Ösophago-Gastro-Duodenoskopie zugeführt zu werden, ist zur Therapie eine endoskopische Sicherung der Refluxkrankheit nicht zwingend erforderlich, weisen doch 60 Prozent der Patienten eine endoskopie-negative Refluxkrankheit auf. Somit kommt der probatorischen PPI-Therapie eine wesentliche Bedeutung zu. Wenn trotzdem, insbesondere bei langjährigem Sodbrennen, auf einer endoskopischen Diagnostik bestanden wird, so in erster Linie deshalb, um die Zylinderzellmetaplasie der Speiseröhre (Barrett-
Ösophagus) rechtzeitig zu erkennen und diese Patienten in ein Überwachungsprogramm aufzunehmen, das endoskopisch bioptische Kontrollen in dreijährigem Intervall beinhaltet. Auch wenn sich der Weg Metaplasie – Dysplasie – Adenokarzinom der Speiseröhre nur bei weniger als 3 Prozent der Betroffenen realisiert, weisen die Daten von Ell et al. (2002) auf die Bedeutung der endoskopischen Mukosektomie bei Präkanzerosen und Frühkarzinom der Speiseröhre hin. Mit der Bedarfstherapie steht bei vielen Refluxkranken ein effektives kostengünstiges Therapieverfahren zur Verfügung, das bei optimaler Lebensqualität Kosten einsparen hilft. Die Bedarfstherapie ist jedoch bei refluxassoziierten Atemwegserkrankungen nicht sinnvoll, da das Plattenepithel der Atemwege wesentlich säuresensitiver ist als das Plattenepithel der Speiseröhre. In diesen Fällen ist eine längerfristige Therapie (3–6 Monate) beziehungsweise eine Dauertherapie in halber therapeutischer Dosis erforderlich. q
Prof. Dr. med. Wolfgang Rösch Medizinische Klinik am Krankenhaus
Nordwest der Stiftung Hospital zum heiligen Geist
Steinbacher Hohl 2–26 D-60488 Frankfurt/Main
Interessenkonflikte: keine deklariert
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 16/2003. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.
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