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Hepatitis B
Frühzeitige antivirale Therapie soll Komplikationen minimieren helfen
POSTGRADUATE MEDICINE
Wie diagnostiziert man eine
chronische Hepatitis-B-Infek-
tion und wie lassen sich
Komplikationen der Erkrankung
verhindern oder verzögern?
Antworten auf diese Fragen
geben David B. Purow und Ira
M. Jacobson in «Postgraduate
Medicine».
Weltweit sind vermutlich etwa 350 Millionen Menschen mit dem Hepatitis-B-Virus (HBV) infiziert. Die chronische HBV-Infektion ist in Südostasien, China und Afrika besonders häufg. Dort beträgt die Prävalenz schätzungsweise rund 10 Prozent. In Westeuropa und in den USA sind weniger als 1 Prozent betroffen. In der Schweiz geht man von etwa 20 000 Infizierten aus. Dabei dürfte die Dunkelziffer hoch sein, denn nicht jede Hepatitis B verläuft symptomatisch. Dennoch gilt, dass etwa 40 Prozent der an chronischer Hepatitis B Leidenden schwere Komplikationen erleiden werden, wie eine Leberzirrhose oder ein hepatozelluläres Karzinom. Insgesamt scheint die Zahl der Neuerkrankungen allerdings rückläufig zu sein, was mit erhöhten Impfraten und gestiegener Wachsamkeit der Öffentlichkeit zu tun haben dürfte.
Wie wird HBV übertragen und wem droht eine Chronifizierung?
Das Hepatitis-B-Virus wird durch kontaminiertes Blut (Nadeltausch bei Drogenkonsumenten!) und durch ungeschützten Geschlechtsverkehr übertragen. Zudem ist eine Übertragung von der Mutter auf das Neugeborene möglich. Infektionsgefahr besteht auch für Menschen, die mit einem HBV-Infizierten zusammenleben. Die Bluttransfusion kommt dagegen wegen der heute konsequent durchgeführten Testung als Ansteckungsgquelle kaum in Betracht. Ob eine Erkrankung chronisch wird, hängt massgeblich vom Lebensalter zum Zeitpunkt der Erstinfektion ab. Säuglinge und Kleinkinder erkranken selten akut, die Infektion wird bei ihnen aber oft chronisch. Jugendliche und Erwachsene hingegen erkranken in etwa 50 Prozent akut, und die Infektion wird – unabhängig vom akuten Ausbruch – nur in 5 bis 10 Prozent der Fälle chronisch. Innerhalb von vielen Jahren bis Jahrzehnten kann sich eine Leberzirrhose oder ein -karzinom entwickeln. Die chronische Hepatitis B kann in aktiver oder inaktiver Form bestehen, was sich anhand von virologischen, serologischen und biochemischen Tests ermitteln lässt. Wichtig sind zunächst die Antikörperbestimmungen: q Anti-HBs zeigt die Immunität an q Anti-HBe den Infektionsverlauf und q Anti-HBc-IgM weist auf ein frühes
Erkrankungsstadium oder einen akuten Schub einer chronischen Infektion hin. Zudem zeigt das Virus-Antigen HBs-Antigen (HBs-AG) eine bestehende Infektion an, die Bestimmung von HBe-Antigen (HBe-AG) und von Virusgen (HBV-DNS) geben Aufschluss über die aktuelle Virusreplikation.
Merk-
sätze
q Die chronische Hepatitis B verläuft oft symptomlos. Viele Patienten werden erst spät identifiziert.
q Die frühzeitige Erkennung ist aber wichtig, da mit einer Therapie die Virusreplikation unterbunden oder verringert werden kann.
q In der Therapie werden bei uns vorwiegend Interferone eingesetzt. Etwa bei 30 bis 40 Prozent führt die Behandlung zum langfristigen Verschwinden von HBe-Antigen. Die Therapie hat aber eine Reihe von Nebenwirkungen. Bei bereits bestehender Leberzirrhose sind Interferone kontraindiziert.
q Wenn die Aussichten einer Interferon-Therapie a priori gering sind, kann alternativ Lamivudin eingesetzt werden. Das Nukleosid-Analogon ist gut verträglich, führt aber auf längere Sicht häufig zur Bildung von therapierefraktären Virusmutanten.
q Unter dem neuen Nukleosid Adefovir sollen Mutationen nicht vorkommen. Die Substanz ist in den USA zugelassen, in der Schweiz (noch) nicht.
Üblicherweise werden Patienten mit aktiver HBV-Replikation und florierender Leberentzündung erkannt durch die Präsenz von HBe-AG, Anti-HBe, HBV-DNS und er-
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höhten Leberenzymen (v.a. Alanintransferase). Untersucht man eine solche Kohorte über längere Zeit, so stellt sich heraus, dass sich bei etwa 10 Prozent irgendwann spontan eine Virus-Clearance einstellt, was sich an fehlendem Anti-HBe und an sinkenden HBV-DNS-Werten manifestiert. Die Serokonversion von HBe-AG zu Anti-HBe oder das Fehlen von HBe-AG allein ist der Hauptendpunkt in den meisten antiviralen Therapiestudien. Wichtig zu wissen ist, dass bei Patienten mit hohem HBV-DNS-Level und aktiver Lebererkrankung das HBe-AG oft fehlt; dafür sind die Betroffenen oft positiv auf Anti-HBe. Obwohl solche Patienten in der Regel primär mit dem Wildvirustyp infiziert sind, sind bei ihnen in der Zwischenzeit Mutanten entstanden. Diese kommen besonders oft in Asien und in den Mittelmeerländern vor, sind aber auch in Europa und den USA zu finden. Möglicherweise ist die Pathogenität der mutierten Virusstämme erhöht. Überflüssig zu sagen, dass bei den HBe-AG-negativen Patienten eine Serokonversion nicht als Therapiemarker in Frage kommt. Hier muss die Virusreplikation allein Antwort auf das Ansprechen der Behandlung geben.
Antivirale Therapie
Grundsätzlich gilt, dass Patienten mit normalen Transaminasewerten nicht therapiert, sondern periodisch kontrolliert werden sollten. Das gilt auch, wenn aktive Virusreplikation vorhanden ist. Im Übrigen gilt bis auf weiteres, dass eine antivirale Therapie nur dann Erfolg versprechend ist, wenn sie einsetzt, bevor ein Patient eine Leberzirrhose entwickelt hat.
Interferon alfa Seit mehr als zwei Jahrzehnten ist der klassische Behandlungspfeiler die Therapie mit Interferon alfa (Intron A®, Roferon A®). Die Indikation wird gestellt, wenn die Transaminasewerte auf mindestens das 1,5- bis 2fache über der Norm angestiegen sind, in der Histologie Zeichen einer chronischen Hepatitis vorhanden sind und wenn HBV-DNS im Serum nachweisbar ist. Interferon wird zumeist über vier
bis sechs Monate verabreicht, in einer Dosis von 3 x 5–10 Mio. i.E. pro Woche. Je höher die Dosis gewählt wird, umso wahrscheinlicher ist die HBV-Elimination, allerdings verschlechtert sich bei hoher Dosierung auch die Verträglichkeit und damit die Compliance. Die Interferon-Therapie führt in 30 bis 40 Prozent zu einer Immun-Clearance, also zum Verschwinden von HBe-Antigen und dem Auftreten von Anti-HBe. Begleitend verbessert sich auch der histologische Befund. Verschiedene Studien bescheinigen der Interferon-Therapie einen lang andauernden Erfolg. 80 bis 90 Prozent der erfolgreich Behandelten blieben bis zu acht Jahre HBe-AG-negativ. Bei einigen Patienten verschwindet das HBs-AG Jahre nach dem HBe-AG. Obwohl die Viruselimination das sofortige Ziel der Therapie ist, geht es letztlich um die Verhinderung von Leberkomplikationen. Tatsächlich hat sich gezeigt, dass Responder seltener an Folgeschäden der Leber erkranken. Offenkundig ist, dass Patienten, die kein HBe-AG aufweisen (also Virusmutanten aufweisen), schlechter auf die InterferonTherapie ansprechen. Die Ansprechraten liegen nur bei etwa 15 Prozent. Die Virussuppression gelingt hier zwar anfänglich auch, jedoch ist ein Rückfall viel häufiger zu gewärtigen als bei Infektion mit dem Wildtypvirus. Man kann die therapeutische Ausbeute verbessern, wenn man über 12 bis 24 Monate therapiert, aber die auftretenden Nebenwirkungen stellen die Therapietreue oft in Frage. Patienten mit anhaltender Response zeichnen sich übrigens dadurch aus, dass sie niedrigere Virus-DNS-Level haben als solche, die später einen Rückfall erleiden. Die Interferon-Therapie ist mit einer Reihe von zum Teil dosisabhängigen Nebenwirkungen belastet. Hierzu zählen unter anderem grippeähnliche Symptome, Myalgie, Haarausfall, periphere Neuropathie sowie Neutro- und Thrombozytopenie. Schwer wiegende Nebenwirkungen wie Bronchospasmus, Herzischämie oder -arrhythmie, epileptische Anfälle oder Retinopathie sind selten und verlangen zumeist ein Absetzen der Therapie oder eine Dosis-
reduktion. Kontraindiziert ist die Therapie bei (dekompensierter) Leberzirrhose, psychiatrischen Erkrankungen, in der Schwangerschaft, bei Autoimmunkrankheiten sowie bei Thrombo-/Leukopenie und Drogen-/ Alkoholabusus.
Lamivudin Bei bestimmten Patienten kann als Alternative zu Interferon alfa Lamivudin (3TC®, Zeffix®) in Erwägung gezogen werden. Dabei handelt es sich um ein Nukleosid-Analogon, dass das Umschreiben der viralen RNS in DNS hemmt und die Virusreplikation direkt blockiert. Zwei Vorteile sprechen für Lamivudin, das ansonsten in der HIV-Therapie etabliert ist: Es kann per os eingenommen werden, und es ist sehr gut verträglich. Dem stehen allerdings gravierende Nachteile gegenüber: Die Therapie muss sehr lange fortgesetzt werden, um erfolgreich zu sein. Nach 52 Wochen Therapie haben nicht einmal die Hälfte der Behandelten eine anhaltende Virussuppression. Hinzu kommt, dass 16 Wochen nach Absetzen der Therapie die HBV-DNS auf über 50 Prozent der Ausgangswerte ansteigt. Deshalb ist man dazu übergegangen, noch länger zu behandeln. Dies kann durchaus Erfolg versprechend sein. Allerdings wird die Ausweitung der Therapiedauer teuer erkauft. Mit der Zeit bilden sich nämlich immer mehr Lamivudin-resistente Virusstämme. Nach drei Jahren weisen bis zu 50 Prozent der Behandelten resistente Stämme auf. Die empfohlene Lamivudin-Dosis beträgt 100 mg pro Tag, während bei HIV-Infektion 150 mg zweimal täglich eingesetzt werden. Lamivudin kommt als Alternative in Betracht, wenn die Prognose einer Interferon-Therapie a priori schlecht ist. Das ist unter anderem der Fall bei: q perinataler Infektion q niedrigen Transaminasewerten q hoher HBV-DNS q HDV-/HCV- oder HIV-Koinfektion. Mit Adefovir ist seit September 2002 in den USA ein weiteres orales Nukleosid zugelassen; in der Schweiz ist die Substanz akuell noch nicht im Handel. Unter Adefovir sollen nach bisherigem Kenntnis-
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stand keine Mutationen auftreten. Die Substanz wird in den USA offenbar eingesetzt, wenn unter Lamivudin resistente Stämme aufgetreten sind. Dabei scheint Adefovir in Monotherapie und in Kombination mit Lamivudin gleichermassen wirksam zu sein. Die neuen Möglichkeiten haben dazu geführt, dass die Nukleoside in den Vereinigten Staaten einen höheren Stellenwert haben als früher. Etliche Ärzte setzen sie wegen ihrer besseren Verträglichkeit und Handhabung sofort anstelle von Interferon alfa ein.
Zwei weitere neue antivirale Substanzen sind Tenofovir und Entecavir, die unlängst zur HIV-Therapie zugelassen wurden, und möglicherweise auch bei Hepatitis B künftig eine gewisse Rolle spielen könnten. Erste Studienergebnisse sind zumindest teilweise Erfolg versprechend. Zudem sind derzeit Studien im Gang, die den Nutzen von Peg-Interferonen bei Hepatitis B untersuchen. Peg-Interferone haben sich bei Hepatitis C bereits weit gehend durchgesetzt (siehe ARS MEDICI 20/03). q
David B. Purow, Ira M. Jacobson: Slowing the progression of chronic hepatitis B. Early antiviral therapy can help minimize complications. Postgraduate Medicine 2003; 114: 65–77.
Uwe Beise
Interessenlage: Dr. Jacobson war Consultant bei Schering-Plough und erhielt Honorare für Redebeiträge von GlaxoSmithKline und Gilead und Schering.
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