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FORTBILDUNG q FORMATION CONTINUE
Management der chronischen Herzinsuffizienz
BRITISH MEDICAL JOURNAL
Die heute möglichen günstigeren Verläufe hängen zunehmend von einer besseren Kommunikation unter den beteiligten Ärzten, ausführlicher Schulung von Patienten und Angehörigen sowie einem optimalen chronischen «Disease Management» ab.
Martin R. Cowie und Alex Zaphiriou, Kardiologen am Imperial College in London, geben im «British Medical Journal» anhand einer Literatursuche und internationaler Guidelines eine kurze Übersicht zum evidenzbasierten Management der chronischen Herzinsuffizienz.
Algorithmus zur Diagnose der Herzinsuffizienz
Herzinsuffizienz auf Grund der Symptome vermutet
Herzerkrankung suchen in EKG, Thorax-Röntgen oder mittels BNP Normal: HI unwahrscheinlich
Abnorm: Echokardiografie Normal: HI unwahrscheinlich
Abnorm: Ätiologie? Schweregrad? Auslösende Faktoren?
Typ der kardialen Dysfunktion? Zusätzliche Tests falls notwendig
Wahl der Therapie BNP: Brain natriuretisches Peptid HI: Herzinsuffizienz
Diagnose
Herzversagen ist gewöhnlich begleitet von Dyspnoe, Müdigkeit und Flüssigkeitsretention. Aber auf Symptome allein kann sich die Diagnose nicht stützen, die ausführliche Anamnese und ein körperlicher Status müssen durch Zusatzuntersuchungen untermauert werden. Der Kasten gibt einen einfachen Algorithmus zum Vorgehen bei Verdacht auf Herzinsuffizienz. Sicher angezeigt sind nach den gängigen Empfehlungen die folgenden Abklärungsuntersuchungen:
q 12-Kanal-EKG q Thorax-Röntgenbild q Blutchemie (inkl. Harnstoff, Kreatinin,
Glukose, Elektrolyte), Hämoglobin, Schilddrüsen- und Leberfunktionstests sowie Lipide q Urinuntersuchung auf Proteinurie oder Glykosurie q bildgebende Herzuntersuchung (gewöhnlich ein transthorakales Echokardiogramm, das Aufschluss gibt über die Struktur und Funktion von Herzkammern, -klappen und Perikard).
Diese Untersuchungen erlauben nicht nur die Bestätigung des diagnostischen Verdachts, sondern helfen auch Zustände aufzudecken, welche eine Herzinsuffizienz imitieren, wie Nierenversagen oder schwere Anämie. Bei völlig normalem EKG-Befund ist eine Herzinsuffizienz mit linksventrikulärer Dysfunktion unwahrscheinlich. Noch spezifischer scheint das «Brain natriuretische Peptid» (BNP) zu sein: Liegt der Wert im Normbereich, ist eine Herzinsuffizienz gleich welcher Ursache praktisch ausge-
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schlossen (und für Symptome wie Atemnot und Belastungsintoleranz muss eine andere Ursache gefunden werden). Eine Minderheit vor allem älterer Herzinsuffizienzpatienten hat weder eine offensichtliche Störung der Herzklappen noch eine systolische Funktionsbeeinträchtigung. Diese «diastolische» Dysfunktion kann im Echokardiogramm vermutet werden, muss aber durch Herzkatheterismus bewiesen werden. Behandlungsstudien bei solchen Patienten laufen zur Zeit, bisher erhalten sie in der Regel auch ACE-Hemmer und Diuretika.
Therapie
Die Herzinsuffizienz ist gekennzeichnet durch eine neurohormonelle Aktivierung, welche anfänglich die Kreislauffunktion aufrechterhält, das Herz aber zunehmend schädigt. Die moderne Therapie erstrebt Symptomkontrolle und Lebensverlängerung durch Blockierung der neurohormonellen Aktivation und Bekämpfung der Flüssigkeitsretention.
Lifestyle-Management Die Art der Lebensführung hat einen grossen Einfluss auf die Herzinsuffizienz und bietet somit therapeutische Angriffspunkte. Besonders Fertigmahlzeiten und allerhand Arten von «Convenience Food» enthalten oft grosse Mengen Kochsalz, die grössere Diuretikamengen notwendig machen. Allen Herzinsuffizienz-Patientinnen und -Patienten sollte der Rat gegeben werden, beim Kochen mit Salz zu sparen und bei Tisch nicht zusätzlich zu salzen. Eine eigentliche eingreifende Salzrestriktion (unter 2 Gramm pro Tag) ist hingegen selten nötig. Ein regelmässiges aerobes Körpertraining ist wünschenswert, da es auch bei Patienten mit Herzinsuffizienz die periphere Muskelfunktion verbessert und die Belastungstoleranz steigert. Sinnvoll sind auch jährliche Grippeimpfungen. Spielt exzessiver Alkoholkonsum in der Genese des Herzversagens eine Rolle, muss strikte Abstinenz empfohlen werden. Die Ermunterung zum Rauchverzicht versteht sich von selbst.
Tabelle 1: Empfohlene Anfangs- und Erhaltungsdosis ausgewählter ACE-Hemmer bei Herzinsuffizienz
Captopril (capto-basan®, Captopril-Mepha®, Captosol®, Lopirin®) Enalapril (Acepril, Enasifar®, Enatec®, Epril®, Reniten®) Lisinopril (Prinil®, Zestril®) Perindopril (Coversum®) Ramipril (Triatec®, Vesdil®) Trandolapril (Gopten®)
Anfangsdosis 3 x 6,25 mg/Tag
Erhaltungsdosis 3 x 25–50 mg/Tag
1 x 2,5 mg/Tag
2 x 10 mg/Tag
1 x 2,5 mg/Tag
1 x 5–20 mg/Tag
1 x 2 mg/Tag
1 x 4 mg/Tag
1 x 1,25–2,5 mg/Tag 2 x 2,5–5 mg/Tag
1 x 1 mg/Tag
1 x 4 mg/Tag
Tabelle 2: Empfohlene Anfangs- und Erhaltungsdosis ausgewählter Betablocker bei Herzinsuffizienz
Bisoprolol (Bilol®, Concor®, Concor® COR) Carvedilol (Dilatrend®) Metoprolol-Tartrat (Beloc® COR, Lopresor®, Metopress®) Metoprolol-Succinat (Beloc® ZOK)
Anfangsdosis 1 x 1,25 mg/Tag
Erhaltungsdosis 1 x 10 mg/Tag
2 x 3,125 mg/Tag
2 x 25 mg/Tag
3 x 5 mg/Tag
3 x 50 mg/Tag
1 x 12,5–25 mg/Tag 1 x 200 mg/Tag
Medikamente Diuretika sind das effektivste Mittel zur Beseitigung der Flüssigkeitsretention, und ihr Einsatz bringt oft rasche symptomatische Erleichterung. Die meisten Herzinsuffizienzpatienten bedürfen regelmässig zumindest einer geringen Dosis eines Diuretikums. Für sich allein bewirkt die diuretische Therapie jedoch eine zusätzliche Stimulation des neurohormonellen Systems und ruft daher nach einer Begleitmedikation mit zwei weiteren Wirkstoffen: einem ACE-Hemmer und einem Betablocker. Der ACE-Hemmer muss mit einer sehr tiefen Anfangsdosis eingeführt und dann im Verlauf mehrerer Wochen langsam bis
zur Erhaltungsdosis auftitriert werden (Tabelle 1). Sofern keine Hypotonie oder hochdosierte Diuretikumtherapie besteht, kann dies in der Grundversorgung sicher durchgeführt werden. Als wesentliche Änderung gegenüber früheren Auffassungen gelten heute Betablocker auf der Basis von guten Studien, die einen markanten Überlebensvorteil belegen, auch bei Herzinsuffizienz als indiziert und sicher. Allerdings ist das Motto «Start low, go slow» strikt einzuhalten (Tabelle 2). Die behutsame Auftitration eines Betablockers kann eine langwierige, mühsame Angelegenheit sein. Es gibt Patienten, welche ACE-Hemmer nicht vertragen. Obwohl die erwartungs-
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volle Begeisterung für Angiotensin-IIAntagonisten durch enttäuschende Studienergebnisse bei Herzinsuffizienz-Patienten einen gehörigen Dämpfer erhielt, gehen heute die meisten Fachleute davon aus, dass A-II-Antagonisten bei Herzinsuffizienz-Patienten mit behinderndem ACEHemmer-Husten eine valable Alternative sind. Spironolacton (Aldactone®, Primacton®, Xenalon®) reduziert bei Patienten mit mittelschwerer bis schwerer systolischer Herzinsuffizienz die Mortalität und gehört daher in niedriger Dosierung zur Therapie. Der Wert bei anderen Patientengruppen bleibt unklar. Digoxin spielt in der symptomatischen Therapie bei gleichzeitigem Vorhofflimmern eine wichtige Rolle. Bei Patienten im Sinusrhythmus ist hingegen kein Überlebensvorteil belegt. Hospitalisationen können vermieden werden, dies ist jedoch gegen das Toxizitätsrisiko abzuwägen, vor allem bei älteren Patienten. Patienten mit Vorhofflimmern sind besonders komplikationsgefährdet und können in der Regel von einer spezialärztlichen Abklärung, auch im Hinblick auf eine Antikoagulation profitieren, schreiben Cowie und Zaphiriou. In der Betreuung herzinsuffizienter Patienten ist den Begleitmedikationen besondere Beachtung zu schenken. Nichtsteroidale Antirheumatika, Diltiazem (z.B. Dilzem®), Verapamil (z.B. Isoptin®), kurzwirkende Dihydropyridin-Kalziumantagonisten, Lithium oder parenterale Kortikoide sind nach Möglichkeit zu vermeiden, da sie zu vermehrter Flüssigkeitsretention oder Interaktionen mit den bei Herzinsuffizienz eingesetzten Medikamenten führen.
Herzchirurgie Eine Herztransplantation kann einen schwerkranken Patienten verwandeln, aber wegen Organmangel und den oft vorliegenden Begleiterkrankungen ist dies für die grosse Mehrheit der Herzinsuffizienten keine Option. Zukunftsmusik oder Forschungsgegenstand sind die Xenotransplantation oder der Einsatz verschiedener, die Pumpfunktion stützender Geräte. Der Ersatz geschädigter Herzklappen ist hingegen eine Frage
Merk-
punkte
q Die transthorakale Echokardiografie ist der Schlüssel zur Bestätigung struktureller und funktioneller Störungen des Herzens.
q Patientinnen und Patienten mit Herzinsuffizienz auf Grund einer systolischen linksventrikulären Dysfunktion sollten ein Diuretikum, einen ACE-Hemmer und einen Betablocker (falls nicht kontraindiziert) erhalten.
q Bei schwereren Symptomen ist zusätzlich auch Spironolacton zu verschreiben.
q Das Monitoring der Kontrolle der Herzinsuffizienz und der Blutwerte sind für die Reduktion des Komplikations- und Dekompensationsrisikos essenziell.
des optimalen Zeitpunkts. Viele Patienten mit einer durch koronare Herzkrankheit bedingten Insuffizienz können von Revaskularisationseingriffen profitieren, selbst wenn keine eigentliche Angina pectoris vorliegt. In diesem Zusammenhang ist die Kooperation mit einem spezialisierten Zentrum für die Behandlungserfolge ausschlaggebend. Ein deutlicher Trend geht heute hin zum Einsatz biventrikulärer Schrittmacher und – für durch plötzlichen Herzstillstand besonders gefährdete Patienten – zu implantierbaren automatischen Defibrillatoren, welche der medikamentösen Rhythmuskontrolle überlegen sind.
Disease Management Patienten mit Herzinsuffizienz sind oft älter und gebrechlich. Änderungen der Therapie müssen daher besonders genau überwacht werden. Traditionellerweise geschieht dies durch klinische Untersuchung (Ödeme, Jugularvenenstauung, Rasselgeräusche) und Kontrolle der Blutwerte.
Eine neuere randomisierte Studie legt jedoch den Schluss nahe, dass Verlaufsbestimmungen des Brain natriuretischen Peptids (BNP) eine bessere Kontrolle und eine Reduktion der Hospitalisationen auch bei ambulanten Patienten erlauben. Unter verschiedenen Organisationsformen des Gesundheitswesens hat sich ferner gezeigt, dass eine engmaschige ambulante Betreuung der Patienten, zum Beispiel auch durch speziell ausgebildete Spitex-Angehörige, Dekompensationen früher erfasst und Hospitalisationen verhindert. Geeignete Patienten können auch unterrichtet werden, ihr Gewicht selbst ständig genau zu überwachen und die Diuretikadosis anzupassen.
Kommunikation
«Herzversagen» oder «Herzinsuffizienz»
hat für Laien eine sehr negative Konnota-
tion, ähnlich derjenigen von «Herzstill-
stand». Eine frühe und offene Diskussion
der Diagnose und der Behandlungsmög-
lichkeiten wird von Patienten und An-
gehörigen in der Regel geschätzt und er-
laubt ihnen, eine aktivere Rolle zu spielen.
Die auf den Patienten zugeschnittene In-
formation, ebenso wie die Qualität der
palliativen Betreuung in den Endstadien,
sind für das gute Management der Herz-
insuffizienz mitentscheidend.
q
Martin R. Cowie, Alex Zaphiriou (Cardiac Medicine, National Heart and Lung Institute, Faculty of Medicine, Imperial College, London/UK): Management of chronic heart failure. Brit med J 2002; 325: 422–325.
Halid Bas
Interessenlage: Einer der Autoren (MRC) ist als klinischer Experte Berater der britischen Guidelines-Kommission zum Management der Herzinsuffizienz und deklariert, Forschungsgelder und Honorare verschiedener Firmen erhalten zu haben, die auf diesem Gebiet Therapien anbieten.
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